Document #2002953
Kupfer, Kristin (Author), published by bpb – Federal Agency for Civic Education (Germany)
17.12.2017 | Von:
Zur Person
Dr. Kristin Kupfer ist Leiterin des Forschungsbereichs Politik, Gesellschaft, Medien am Mercator Institute for China Studies in Berlin. Von Mai 2007 bis Februar 2011 hat sie als freie Journalistin in Beijing gearbeitet.
Durch einen massiven Ausbau des Sicherheitsapparats und Repression hat die chinesische Führung gewalttätige Attacken gegen Han-Chinesen und staatliche Einrichtungen eingedämmt. Seit Beginn des Jahres 2017 greift die lokale Regierung massiv in die Lebensgestaltung der muslimischen Uiguren ein.
[IMG | SOURCE: /cache/images/2/24032-3x2-article620.jpg?F0763 | ALT: Eine uigurische Frau mit Kind passiert ein zerstörtes Auto in der Regionshauptstadt Ürümqi (15.07.2009).] Eine uigurische Frau mit Kind passiert ein zerstörtes Auto in der Regionshauptstadt Ürümqi (15.07.2009). (© picture-alliance/AP)
[IMG | SOURCE: /cache/images/7/259677-st-article620.jpg?1BCD8 | ALT: Die rohstoffreiche Provinz Xinjiang] Die rohstoffreiche Provinz Xinjiang. [IMG | SOURCE: /sites/all/themes/bpb/images/icon_pdf_imtext.png | ALT: PDF-Icon] Hier finden Sie die Karte als hochauflösende PDF-Datei Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (mr-kartographie)
[IMG | SOURCE: /cache/images/6/259646-st-article220.jpg?05258 | ALT: Ungleiche Entwicklung in China] Ungleiche Entwicklung in China. [IMG | SOURCE: /sites/all/themes/bpb/images/icon_pdf_imtext.png | ALT: PDF-Icon] Hier finden Sie die Karte als hochauflösende PDF-Datei Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (mr-kartographie)
Um eine umfassende Kontrolle über Xinjiang zu sichern, hat Beijing bereits 1954 die sog. Produktionsbrigaden (bingtuan) ins Leben gerufen. Heute umfassen sie rund 2 Mio. Menschen, davon sind über 80% Han-Chinesen. Mit autonomer Verwaltungsautorität über verschiedene Städte sowie eigener sozialer Infrastruktur ausgestattet, sollten sie das Grenzland wirtschaftlich erschließen und die Kontrolle über die Uiguren gewährleisten. Der Anteil der han-chinesischen Bevölkerung in Xinjiang ist von knapp 4% 1947 auf über 40% gestiegen.
Seit dem 11. September 2001 hat die chinesische Zentralregierung den Terrorismus-Vorwurf benutzt, um den Wunsch nach uigurischer Selbstbestimmung pauschal zu diskreditieren. Als Reaktion auf die Unruhen im Juli 2009 tauschte Beijing eine Reihe von hochrangigen Kadern in der Region aus. Im April 2010 löste Zhang Chunxian, vormals Parteisekretär der zentralchinesischen Provinz Hunan, den seit 1994 regierenden Wang Lequan ab. Staatsmedien kündigten nach der Explosion im Oktober 2013 ein "härteres Vorgehen" in Xinjiang an. Die Mitte November beschlossene Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates ermöglicht der chinesischen Regierung ein konzertiertes Vorgehen gegen bis dato nur vage definierte innere und äußere Bedrohungen. Mit dem im Dezember 2015 verabschiedeten Anti-Terrorgesetz hat China seine Politik auf eine deutlich verschärfte Rechtsgrundlage gestellt. Das Gesetz bietet mit einer sehr breiten Definition von Terrorismus den Behörden viel Raum für willkürliche und pauschale Repressionen gegenüber Uiguren.
Beijing hat sich auch die regionale Entwicklung auf die Fahnen geschrieben. Besonders im Süden der Region sollen die Infrastruktur und der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen verbessert werden. Anfang Januar 2015 beschloss der Staatsrat ein Programm zur gezielten Förderung der Textilindustrie in der Region bis 2020. Durch den Ausbau des Sicherheitsapparates hat der seit August 2016 im Amt befindliche Parteisekretär Chen Quanguo einerseits neue Arbeitsplätze – auch für Uiguren – geschaffen. Unternehmer, die Produkte im Kontext von Sicherheit anbieten, verdienen gut. Andererseits werden die privatwirtschaftlichen Aktivitäten von Uiguren wie auch von Han-Chinesen durch vermehrte Kontrollen stark beeinträchtigt. Chen hat im Herbst 2017 angekündigt, u.a. durch hohe Gehälter und geschenkte Wohnungen 30.000 han-chinesische Lehrer und Angestellte zu rekrutieren, um die Zuwanderung und den chinesischen Spracherwerb zu fördern.
Der bekannte uigurische Wirtschaftsprofessor Ilham Tohti, der auch im Kontakt mit han-chinesischen Intellektuellen mehrfach versuchte, in dem Konflikt zu vermitteln, ist Ende September 2014 wegen "Separatismus" zur lebenslanger Haft verurteilt worden. Tohti erhielt im Oktober 2016 den Martin Ennals Award und im Dezember 2017 den Menschenrechtspreis der Stadt Weimar.
[IMG | SOURCE: /cache/images/8/259648-st-article220.jpg?7B013 | ALT: Ethnolinguistische Gruppen in China] Ethnolinguistische Gruppen in China. [IMG | SOURCE: /sites/all/themes/bpb/images/icon_pdf_imtext.png | ALT: PDF-Icon] Hier finden Sie die Karte als hochauflösende PDF-Datei Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (mr-kartographie)
Nach der Festigung der chinesischen Herrschaft durch die Produktionsbrigaden und der Gründung der autonomen Region Xinjiang (1955) kam es regelmäßig zu Protesten. Bei einer Revolte im Gemeindeverwaltungsbezirk Baren im April 1990 starben 50 Menschen. Auf die erste großangelegte Verhaftungswelle von Uiguren 1996 folgte im Februar 1997 der Aufstand von Ghulja/Yinning, bei dem mindestens neun Menschen starben. Nach wiederholten Bombenattacken mit Todesopfern und Repressionsakten in den 1990er Jahren blieb die Lage von 2000 bis 2007 überwiegend ruhig. Eine Bombenattacke auf eine Polizeistation in der Stadt Kashgar unmittelbar vor Beginn der Olympischen Sommerspiele 2008, bei der 16 chinesische Sicherheitsbeamte getötet wurden, kündigte die bis heute anhaltende Eskalation des Konflikts an.
Ähnlich wie im Tibet-Konflikt vertreten die uigurische und die chinesische Seite unterschiedliche Auffassungen in Bezug auf die Geschichte Xinjiangs. Uiguren verweisen neben der Entstehung unabhängiger uigurischer Imperien in der Region des heutigen Xinjiang nach dem 8. Jh. besonders auf die Ausrufung der ersten Republik Ostturkistans durch Uiguren und andere Turkvölker im November 1933 im Gebiet um die Stadt Kashgar. Durch den Einfall von hui-chinesischen Warlords kam sie 1934 zu Fall. Von 1944 bis 1949 entstand mit sowjetischer Hilfe im Norden Xinjiangs die zweite Republik Ostturkistan, die durch die Ankunft der chinesischen Volksbefreiungsarmee zu Ende ging.
Aus Sicht der Uiguren haben die Chinesen damals den unabhängigen Staat gewaltsam besetzt. Für China war die Errichtung der 2. Republik Teil der kommunistischen Revolution. Die chinesischen Soldaten seien laut Beijing von den Uiguren als Befreier begrüßt worden. Auch verweist China auf die Zugehörigkeit der Region zum chinesischen Kaiserreich der Qing. 1882/84 schloss der damalige Kaiser Guangxu das Gebiet als Provinz mit dem Namen "Xinjiang" (Neues Land) dem Reich an.
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Zur Person
Dr. Kristin Kupfer ist Leiterin des Forschungsbereichs Politik, Gesellschaft, Medien am Mercator Institute for China Studies in Berlin. Von Mai 2007 bis Februar 2011 hat sie als freie Journalistin in Beijing gearbeitet.
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