Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von Homosexuellen in Bagdad; Sanktionen; innerstaatliche Fluchtalternative [a-10869]

6. Februar 2019

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Rechtliche Situation und staatlicher Schutz

Die international tätige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) schreibt in einem im April 2018 erschienenen Bericht zu LGBT-Aktivismus (LGBT: Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) im Nahen Osten und in Nordafrika, dass der Irak einvernehmlichen gleichgeschlechtlichen Verkehr zwischen Erwachsenen nicht verbiete. § 401 des Strafgesetzes sehe vor, dass jede Person, die sich in der Öffentlichkeit „unzüchtig“ verhalte, zu einer Gefängnisstrafe von bis zu sechs Monaten verurteilt werden könne – eine vage formulierte Bestimmung, die unter Umständen dazu benutzt werden könne, um gegen sexuelle Minderheiten vorzugehen. Es seien jedoch keine derartigen Fälle dokumentiert worden. Weiters gäbe es Bestimmungen, die bei bestimmten unerwünschten Themen die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einschränken würden, was die Arbeit von LGBT-Menschenrechtsverteidigern beeinträchtigen könne. §210 verbiete jegliche Verbreitung von Informationen und Anschauungen, die den ‚öffentlichen Frieden‘ stören würden, und §403 und §404 würden jegliche obszöne Ansprache oder Veröffentlichung unter Strafe stellen. In einem dokumentierten Fall sei ein Arzt in der Autonomen Region Kurdistan zu sechs Monaten Haft verurteilt worden, weil er einen Artikel über gesundheitliche Aspekte von gleichgeschlechtlichem Verkehr zwischen Männern veröffentlicht habe. Er sei später begnadigt worden:

„Iraq does not criminalize consensual adult homosexual intercourse. Paragraph 401 of the Code holds that any person who commits an ‚immodest act‘ in public can be put in prison for up to six months, a vague provision that could be used to target sexual and gender minorities, although such cases have not been documented. In addition, other provisions restrict the freedoms of expression, association, and assembly relating to unpopular issues, which can impact human rights defenders working on LGBT [Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual, and other] rights. Paragraph 210 prohibits the dissemination of any information or idea that ‚disturbs the public peace,‘ while paragraphs 403 and 404 penalize any ‚obscene or indecent publication or speech.‘ In one case, Kurdish Regional Government prosecutors used paragraph 403 to sentence a doctor to six months imprisonment for publishing an article on health issues impacting men who have sex with men. He was later pardoned.“ (HRW, 16. April 2018, Seite 66)

Die International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA), ein weltweiter Dachverband von LGBTI-Interessensgruppen, erwähnt in ihrem im Mai 2017 veröffentlichten weltweiten Bericht zu LGBT-Themen, dass das irakische Strafgesetz aus dem Jahr 1969 nach der US-amerikanischen Invasion im Jahr 2003 wiedereingesetzt worden sei. Dieses Gesetz verbiete gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht:

„After the American invasion in 2003 the Penal Code of 1969 was reinstated in Iraq. This code does not prohibit same-sex relations.“ (ILGA, Mai 2017, S. 128)

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Menschenrechtsbericht vom April 2018 (Berichtszeitraum: 2017), dass es der Regierung trotz wiederholter Drohungen und Gewalt gegen LGBTI Personen nicht gelungen sei, Angreifer zu identifizieren, festzunehmen, zu verfolgen oder die Opfer vor Angriffen zu schützen. Laut dem Bericht würden die Behörden auf Anklagen wegen öffentlicher Indiskretion oder Prostitution zurückgreifen, um gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten rechtlich zu verfolgen. Die Behörden würden dieselben Anklagepunkte heranziehen, um heterosexuelle Personen zu verhaften, die sexuelle Beziehungen mit anderen Personen als ihrem Ehepartner eingingen:

„Despite repeated threats and violence targeting LGBTI [lesbian, gay, bisexual, transgender, and intersex] individuals, the government failed to identify, arrest, or prosecute attackers or to protect targeted individuals. Authorities relied on public indecency or prostitution charges to prosecute same-sex sexual activity. Authorities used the same charges to arrest heterosexual persons involved in sexual relations with anyone other than their spouse.” (USDOS, 20. April 2018, Section 6)

IraQueer, eine im Irak aktive, auf LGBT+ Themen (LGBT+: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Andere) spezialisierte Menschenrechtsorganisation, veröffentlicht einen mit Jahr 2018 datierten Bericht. Dieser basiere laut IraQueer auf einem einjährigen Rechercheprojekt, das von Mitgliedern der Organisation durchgeführt worden sei. Dabei seien 257 LGBT+ Personen (davon 61,5 Prozent Homosexuelle), elf Beamte oder Regierungsmitarbeiter, 16 religiöse Führer und 201 Mitglieder der irakischen Gesellschaft befragt worden. Laut dem Bericht habe es im Irak trotz der laut IraQueer großen Zahl an Morden an LGBT+ Personen keine Maßnahmen vonseiten der Regierung gegeben um die Täter dieser Verbrechen vor Gericht zu bringen. Tatsächlich sei die Regierung laut dem Bericht an diesen Verbrechen beteiligt. Niemand sei für das Foltern und Töten von LGBT+ Personen oder von Personen, die als solche wahrgenommen würden, verantwortlich gemacht worden:

[D]espite the large reported numbers of killings, there has been no action from the government to bring those who committed these crimes to justice. In fact, the government is complicit in these crimes, and that has only served to further isolate queer individuals by reducing their ability to advocate for their rights, push back against oppression, and safely live a life of their choosing.” (IraQueer, 2018, S. 7)

But despite the public and horrific nature of these crimes, the Iraqi government and its legal system have failed to address them. No one has been held accountable for torturing and killing members of the LGBT+ [Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual, and others] community or those who are perceived to be members.” (IraQueer, 2018, S. 9)

Möglichkeit, im Irak (insbesondere in Bagdad) Homosexualität auszuleben; mögliche Konsequenzen bei Verdacht auf Homosexualität

Laut dem Bericht von IraQueer sei die LGBT+ Gemeinschaft eine der am meisten im Verborgenen lebenden Gemeinschaften im Irak. Die Mitglieder dieser Gruppe seien aus Angst, ihre Grundrechte auf Gesundheit und Bildung oder sogar ihr Recht auf Leben zu verlieren, gezwungen, im Geheimen zu leben. Die Gemeinschaft sehe sich der Gewalt von bewaffneten Gruppen, der Regierung und sogar von Familien, Freunden und Nachbarn gegenüber. Seit 2006 gebe es jedes Jahr mindestens eine Tötungskampagne, der die LGBT+ Gemeinschaft im Irak ausgesetzt sei. Human Rights Watch schätze die im Jahr 2012 begangenen Morde auf mehr als 200. IraQueer und seine Partner würden die Morde für das Jahr 2017 auf mehr als 220 schätzen:

The Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual, and other (LGBT+) community is one of the most invisible communities in Iraq. Members of this group are forced to live in the shadows for fear of losing basic rights to health and education, and even their right to life. The community faces violence from armed groups, the government, and even families, friends, and neighbors. Every year since 2006, there has been at least one killing campaign targeting the LGBT+ community in Iraq. Human Rights Watch estimates the killings in 2012 at more than 200. IraQueer and its partners estimate the killings in 2017 at more 220.” (IraQueer, 2018, S. 7)

In ihrem Bericht an den UNO-Menschenrechtsrat vom Juni 2018 erwähnt die UNO-Sonderberichterstatterin für außergerichtliche, summarische und willkürliche Hinrichtungen das Thema sexuelle Minderheiten. Sie hält fest, dass sie Informationen über Anstiftungen zu Feindseligkeiten via traditionelle und soziale Medien erhalten habe, sowie Informationen über Drohungen, körperliche Übergriffe und Morde, die sich gegen Männer und Knaben auf Grundlage ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität gerichtet hätten. Auch Informationen über derartige Angriffe gegen Aktivisten und Organisationen, die die Menschenrechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen und intersexuellen Personen zu schützen versuchen würden, habe sie erhalten. Ein nennenswertes Beispiel sei Karar Nushi, Schauspieler und Model, der am 2. Juli 2017 in Bagdad ermordet worden sei. Die Regierung habe mitgeteilt, dass als Reaktion auf diese Morde ein Ausschuss eingesetzt worden sei, der sich diesem Thema widmen würde. Der Sonderberichterstatterin sei jedoch unklar, welche Ergebnisse der Ausschuss gegebenenfalls erbracht habe. Es bestehe darüber hinaus die Befürchtung, dass mit dem militärischen Sieg über den IS („Islamischer Staat“) die Aufmerksamkeit wieder auf diejenigen gelenkt werden könnte, die als „unmoralisch" wahrgenommen würden, und dass die Angriffe auf die lesbische, schwule, bisexuelle, Transgender- und intersexuelle Gemeinschaft zunehmen könnten:

The Special Rapporteur also received information on incitement to hatred through traditional and social media, and attacks, including threats, physical assaults and killings, of men and boys on the basis of their actual or perceived sexual orientation or gender identity, as well as of activists and organizations supporting the human rights of lesbian, gay, bisexual, transgender and intersex persons. A notable example is the killing of Karar Nushi, actor and model, in Baghdad on 2 July 2017. The Government indicated that, in response to these killings, a committee had been established dedicated to this issue. It is, however, unclear to the Special Rapporteur which results, if any, it has yielded. There is further fear that, with the military victory over ISIL [Islamic State of Iraq and the Levant] attention may again turn towards those perceived as engaging in ‘immoral’ activities and attacks on the lesbian, gay, bisexual, transgender and intersex community may increase.” (HRC, 20. Juni 2018, S. 11)

Der Bericht von IraQueer hält fest, dass der größte Teil der öffentlichen Gewalt gegen LGBT+ Personen in Bagdad und den umliegenden Städten stattfinden würde. Dies liege vor allem daran, dass bewaffnete Gruppen wie Asai'b Ahl al-Haqq in Bagdad und den umliegenden Städten aktiv seien. Laut dem Bericht könne es jedoch auch daran liegen, dass Informationen und Berichte über die stattfindende Gewalt in Bagdad und den umliegenden Städten besser zugänglich seien:

Most of the public violence faced by LGBT+ individuals occurs in Baghdad and surrounding cities. This is mainly because armed groups like Asae’b Ahl-Haq operate in Baghdad and the surrounding cities. It could also be because information and reports on the violence in these areas is more accessible in those areas.” (IraQueer, 2018, S. 15)

Aus einer im IraQueer-Bericht angeführten Grafik geht hervor, dass 96 Prozent der im Zeitraum 2015-2018 für den Bericht befragten LGBT+ Personen angegeben hätten, verbaler oder physischer Gewalt ausgesetzt gewesen zu seien. (IraQueer, 2018, S. 10)

 

In dem Bericht steht weiters, dass verbales Mobbing und Misshandlungen gegenüber LGBT+ Personen weit verbreitet seien. Das Tragen von Röhrenjeans, langen Haaren oder "weibliches" Aussehen seien Gründe, warum Personen verbal angegriffen worden seien. In vielen Fällen seien LGBT+ Personen körperlicher Gewalt, Vergewaltigung und im Extremfall dem Tod ausgesetzt. Mazin, ein schwuler Mann, der in Bagdad lebe, habe im Januar 2018 gegenüber IraQueer angegeben, dass er vor sechs Monaten aus dem Haus seiner Familie geflohen sei. Sein Vater, von Beruf Polizist, habe herausgefunden, dass er schwul sei. Seitdem habe er gedroht, ihn zu töten. Mazin wohne nun im Haus eines Freundes und verlasse nur selten das Haus. Von Gruppen wie der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq organisierte Mordkampagnen seien seit mehr als einem Jahrzehnt regelmäßige Ereignisse. Die letzte Kampagne habe Berichten zufolge im Januar 2017 stattgefunden, dabei seien mehr als hundert Namen auf eine Liste gesetzt worden. Die aufgelisteten Personen seien davor gewarnt worden, ihre Verhaltensweisen zu ändern oder getötet zu werden. Organisationen wie IraQueer und Helem7 seien in direktem Kontakt mit mehreren Personen, die auf der Liste gestanden hätten und zu Beginn des Jahres 2017 Hilfe benötigt hätten. Einige dieser Leute hätten auch weitere Queer gekannt, die auf der Liste gestanden hätten und auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur LGBT+ Gemeinschaft getötet worden seien.

Trotz der vom Bericht als „relativ positives Statement“ bezeichneten Erklärung des prominenten irakischen religiösen Führers und Politikers Muqtada Al Sadr, in der dieser das Ermorden von Menschen generell, einschließlich der LGBT+ Personen, verurteilt habe, gebe es im Irak weiterhin Gewalt gegen Homosexuelle.

Die irakische Regierung sei auch selbst direkt an Menschenrechtsverletzungen gegenüber LGBT+ Personen beteiligt gewesen. Mehrere Personen - insbesondere Transgender - hätten von Fällen verbalen, körperlichen und sexuellen Missbrauchs an verschiedenen Checkpoints in Bagdad sowie in anderen Städten berichtet:

The vast majority of the LGBT+ community have reported that they have faced violence in some form. Verbal bullying and abuse extremely common against LGBT+ people. Wearing skinny jeans, having long hair, and having a more ‘feminine’ gender expression are all reasons for why those individuals have faced verbal abuse. In many cases, LGBT+ people have faced physical violence, rape, and in extreme cases, death. Mazin, a gay man living in Baghdad, told IraQueer about the threats he’s been facing from his father. In an interview conducted in January 2018 he said, ‘I escaped my family’s home six months ago. My dad is a police officer and he found out that I am gay. He’s been threatening to kill me since then. I’ve been staying at my friend’s house since, and rarely go out.’ The killing campaigns organized by groups like Asa’ib Ahl al-Haqq have been a regular occurrence for more than a decade. The latest campaign was reported to have taken place in January of 2017 when more than a hundred names were put on a list warning those listed to either change or be killed. Organizations like IraQueer and Helem7 have been directly in touch with several individuals who were on the list and needed help in early 2017. Several of those people also knew other queer individuals who were on the list and killed for being LGBT+.” (IraQueer, 2018, S. 9-10)

Despite the relatively positive statement by the prominent Iraqi religious leader and politician, Muqtada Al Sadr who condemned the killing of any individual including LGBT+ people, violence against queer people persists in Iraq.” (IraQueer, 2018, S. 12)

The Iraqi government itself has also been directly involved in violating the rights of LGBT+ individuals. Despite its obligations under international human rights law to protect and realize human rights for all its citizens, and its ratification of several human rights treaties including the International Covenant Against Torture, several individuals — especially trans persons — have reported instance of verbal physical, and sexual abuse at various checkpoints across Baghdad and other cities.” (IraQueer, 2018, S. 13)

Der IraQueer-Bericht enthält ein Diagramm, das die im Zeitraum 2015-2018 für den Bericht dokumentierten Verstöße gegenüber LGBT+ Personen anhand der Tätergruppen aufschlüsselt:
 

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(IraQueer, 2018, S. 14)

Die international tätige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) schreibt in einem Bericht vom April 2018, dass einige Aktivisten der Meinung seien, dass durch den Fokus auf das extrem brutale Vorgehen des IS gegen LGBT-Personen Übergriffe, die von der Regierung und regierungsnahen Gruppen verübt worden seien, in der Berichterstattung unterrepräsentiert seien. In Bezug auf von Seiten Verbündeter der Regierung ausgeübter Gewalt habe der Irak im regionalen Vergleich die am stärksten belastete Geschichte. Im Jahr 2009 habe eine Gruppe von Kämpfern - mutmaßlich assoziiert mit Muqtada al-Sadr’s Mahdi-Armee, die homosexuelle und weiblich aussehende Männer als „das dritte Geschlecht“ diffamiert habe - innerhalb einiger Monate mehrere hundert Männer getötet, die meisten davon in Bagdad. Eine weitere Welle von Morden, die laut einigen Medienberichten einer anderen bewaffneten regierungsnahen Gruppe, der Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen), zugeschrieben werde, habe im Jahr 2012 stattgefunden, nachdem der irakische Innenminister die Subkultur ‚Emo‘ als satanistisch verurteilt habe. Im Jahr 2014 habe die Gruppe Asa'ib Ahl al-Haq mehrere Männer getötet, die homosexuell gewesen oder als homosexuell wahrgenommen worden seien, und hätten Fahndungsplakate für weitere solche Personen aufgehängt. Im Jahr 2017 seien erneut Morde an schwulen Männern gemeldet worden, die der Gruppe Asa'ib Ahl al-Haq zugeschrieben worden seien:

„At the same time, some activists have raised concern that a narrow focus on ISIS’ horrific anti-LGBT abuses may distract from abuses by governments and their proxies who are also responsible for homophobic and transphobic violence. […]

Iraq has the most troublesome history in the region in terms of violence by pro-government armed groups. In 2009, fighters suspected of affiliation with Muqtada al-Sadr’s Mahdi army, an armed group which publicly vilified gay and effeminate men as ’the third sex,’ kidnapped, tortured and murdered as many as several hundred men in a matter of months, most of them in Baghdad. The Mahdi army was allied with the government at the time. Another wave of killings, attributed in some media reports to another government-allied armed group, Asa'ib Ahl al-Haq (Leagues of the Righteous), took place in 2012 after Iraq’s interior minister condemned as ’Satanist‘ the ’emo‘ subculture—a subculture related to a form of punk music and marked by a particular form of dress, including tight jeans and long or spiky hair for men. The government failed to act against the killings, which targeted nonconformist young people, including but not limited to people perceived to be LGBT. In 2014, Asa'ib Ahl al-Haq killed several men who were, or who were perceived to be, gay and put up ’wanted‘ posters for others. Killings of gay men attributed to Asa'ib Ahl al-Haq were reported once again in 2017.“ (HRW, 16. April 2018, Seite 16ff)

Kurdistan 24, ein in der Autonomen Region Kurdistan ansässiger Nachrichtensender, berichtet in einem Artikel vom Oktober 2018 über ein in sozialen Medien geteiltes Video, in dem ein männlicher Teenager zu sehen sei, der als Homosexueller verhöhnt werde während er - nachdem auf ihn eingestochen worden sei - auf dem Boden liegend verbluten würde. Dem Artikel zufolge seien ihm offenbar die Eingeweide herausgenommen worden. Von dem Opfer werde gesagt, dass es sich dabei um den 15-jährigen Hamoudi al-Mutairi handeln würde, der zuvor Bilder in sozialen Medien gepostet habe, mit denen er stereotype Geschlechterrollen in Frage gestellt habe. Gemäß einigen Medienberichten sei Mutairi zum Zeitpunkt der Tat auf seinem Weg nach Hause, in Bagdads Viertel Jarmuk, gewesen, als der Täter ihn verfolgt und mehrmals auf ihn eingestochen habe.

Zur allgemeinen Situation von LGBT Personen hält der Artikel fest, dass Iraker, die als lesbisch, schwul, bisexuell oder transsexuell wahrgenommen würden, insbesondere Männer mit weiblichem Aussehen, in Bagdad und allgemein im Irak häufig ins Visier genommen würden. Die Zahl der Angriffe sei in periodischen Abständen immer wieder sprunghaft angestiegen, insbesondere im Jahr 2009 und dann wieder im Jahr 2012. Die Angriffe seien Milizen, staatlichen Sicherheitskräften oder Personen, die den Opfern bekannt gewesen seien, wie z.B. Familienangehörigen, angelastet worden. Menschenrechtsorganisationen hätten mehrere Fälle dokumentiert, in denen Männer, die im Verdacht nicht-traditioneller sexuellen Vorlieben oder Verhaltensweisen gestanden seien, von Angehörigen der Polizei oder des Militärs verhaftet, gefoltert und manchmal vergewaltigt worden zu sein:

„A shocking video being shared on Iraqi social media appears to depict a teenage boy being taunted with homosexual slurs while on the ground bleeding to death after being stabbed and seemingly disemboweled. The victim is said to be a 15-year-old, known as Hamoudi al-Mutairi, who had earlier posted pictures challenging gender stereotypes. According to some media reports, Mutairi had been on his way home in Baghdad’s Yarmouk neighborhood when his assailant, in pursuit, caught the teenager and began repeatedly stabbing him. […]

Iraqis perceived to be lesbian, gay, bisexual, or transgender, especially effeminate-appearing males, have often been targetted in Baghdad and Iraq in general. Periodically, numbers of attacks have dramatically spiked, notably in 2009 and then again in 2012. Attacks have been blamed on militias, government security forces, or individuals known to the victims such as family members. Human rights organizations have documented multiple cases of males suspected of non-traditional sexual preferences or behavior being arrested, tortured, and sometimes raped by members of the police or military.” (Kurdistan 24, 10. Oktober 2018) 

Ehrenverbrechen

Das USDOS berichtet, dass LGBTI-Personen abgesehen von der gezielten Gewalt ihnen gegenüber im Berichtsjahr 2017 auch weiterhin der Gefahr ausgesetzt gewesen seien, Opfer von Ehrenverbrechen zu werden. So hätte beispielsweise im März 2017 ein nahes Familienmitglied einen Mann getötet, von dem angenommen worden sei, dass er einer von zwei Männern sei, die in einem im Internet kursierenden Schwulen-Sex-Video zu sehen waren:

„In addition to targeted violence, LGBTI persons remained at risk for honor crimes. For example, on March 1, a close family member killed a man purported to be one of two men shown in a gay-sex video circulated online.” (USDOS, 20. April 2018, Section 6)

Die kanadische Einwanderungsbehörde (Immigration and Refugee Board, IRB), lässt in einer Anfragebeantwortung vom Februar 2016 zum Thema Ehrengewalt in Kurdistan unterschiedliche Meinungen bezüglich der Häufigkeit von Ehrenmorden an Männern und zu Schutzunterkünften zu Wort kommen. Gemäß Angaben eines Repräsentanten der NGO Wadi sei in den meisten Fällen, in denen Männer von Ehrenmorden betroffen seien, Verdacht auf Homosexualität das Motiv. Laut einer weiteren in dem Bericht zitierten Quelle, Dr. Aisha K. Gill, sei das Coming Out als homosexuelle, bisexuelle oder transsexuelle Person einer der Gründe, warum Männer ‚Schande auf sich ziehen‘ würden. Die meisten Opfer von Ehrenmorden seien jedoch laut Gill Frauen. Unter Verweis auf verschiedene Quellen wird darauf hingewiesen, dass über stattfindende Ehrengewalt häufig keine Berichterstattung erfolge:

„Information on male victims of honour-based violence was scarce among the sources consulted by the Research Directorate within the time constraints of this Response. Citing the country representative for Diakonia, an international development organization (Diakonia 27 Sept. 2013) in the city of Dahuk, the Danish fact-finding mission report states that men are equally at risk of becoming victims of honour crimes as women‘ (Denmark 2010, 3). In contrast, in the opinion of the WADI representative, boys and men are ’not very likely‘ to become victims of honour-based violence in Iraqi Kurdistan, and when they are affected, ’most‘ of the time it is due to ’supposed homosexuality‘ (WADI 25 Jan. 2016). A March 2014 article by Dr. Gill similarly states that men are most likely to cause dishonour as a result of their behaviour towards women, including through (i) their choice of romantic and/or sexual partners, (ii) refusing an arranged marriage, (iii) coming out as gay, bisexual or transgender, and/or (iv) refusing to commit an act of HBV [honour-based violence]. Nevertheless, the fact remains that the majority of victims are female and the majority of perpetrators male. (Gill 14 Mar. 2014). The 2015 Ceasefire Centre for Civilian Rights and MRG joint report states that men are occasionally the victims of honour-based violence and they are sometimes killed to restore the offended family's honour (Nov. 2015, 26). […]

According to sources, there is no assistance for male victims of honour-based violence (Denmark 2010, 9; WADI 25 Jan. 2016). According to the Danish fact-finding mission report, if a man who had sexual relations outside of marriage feared honour-based violence and approached the police, ’he would most likely be offered protection. However, the only possible way for him to be protected would be to be kept in police custody,’ which is not viable in the long-term as staying in prison is ’not a durable solution’ (Denmark 2010, 10). […]

The WADI representative stated that the ’official number of honour killing cases is 50-60 per year’ for the Kurdistan region of Iraq, but that this is likely an underestimation, as cases ’are not registered in a professional fashion,’ with only those cases involving a visit to the police station or hospital counted (WADI 25 Jan. 2016). Other sources similarly state that acts of honour-based violence often go unreported (The Guardian 17 Mar. 2013; PassBlue 6 May 2014; Gill 14 Mar. 2014). (IRB, 15. Februar 2016, Abschnitt 1.2)

Vergleich der Situation von LGBT Personen in der Autonomen Region Kurdistan mit dem Restirak

Der IraQueer-Bericht enthält ein Diagramm, das die im Zeitraum 2015-2018 für den Bericht dokumentierten Verstöße gegenüber LGBT+ Personen anhand der drei Hauptregionen des Irak aufschlüsselt:


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(IraQueer, 2018, S. 15)

Die in London ansässige, unabhängig finanzierte Online-Nachrichtenorganisation Middle East Eye (MEE), die Artikel freiberuflicher Journalisten und Beiträge von Think Tanks veröffentlicht, behandelt in einem im April 2018 veröffentlichten Artikel das Thema LGBT-Personen im Irak und in der Autonomen Region Kurdistan. Die Autonome Region werde im Vergleich zum Restirak allgemein als säkularer und gesellschaftlich liberaler angesehen, auch wenn dies nicht für alle Bereiche gelte – als Beispiel wird an dieser Stelle genannt, dass die Mehrheit der Frauen in der Autonomen Region Kurdistan weiblicher Genitalverstümmelung ausgesetzt sei. Dennoch, so der Artikel, sei der Einfluss konservativer religiöser Kräfte und bewaffneter Gruppen in der Kurdenregion verglichen mit dem Restirak schwächer ausgeprägt. Der in diesem Artikel zitierte stellvertretende Direktor der Menschenrechtsorganisation Rasan, Ayaz Shalal, meine zu diesem Thema, dass in Kurdistan sogar die Situation der LGBT Personen besser sei als im Restirak, aus dem viele Menschen in den Norden des Landes flüchten würden, wo es für LGBT Personen sicherer sei. Er ergänze allerdings, dass es auch dort keinesfalls sicher sei, aber dass LGBT-Personen dort immerhin nicht auf offener Straße „der Kopf eingeschlagen werde“:

„The KRG [Kurdistan Regional Government], as a whole, has generally been perceived as more secular and socially liberal than the Arab-majority regions of Iraq - although not on all issues, with the majority of Kurdish women facing FGM [Female Genital Mutilation], for example. Overall, though, the influence of socially conservative religious organisations and armed groups is less pronounced. ‘Even if you compare the situation of LGBTs themselves, it's better and safer in Kurdistan. So many people just run away from the rest of the cities and they come to the north because it’s safer,‘ said Shalal. ‚That doesn’t mean it’s safe. At all. But it’s safer. Compared to the rest of Iraq, they don’t get their heads smashed in the street.‘ […]

The most well documented and virulent recent cases of violence against LGBT people in Iraq were the executions carried out in areas controlled by the Islamic State group.“ (MEE, 13. April 2018)

In einem Artikel der britischen Tageszeitung Independent kommt mehrere Male IraQueer-Gründer Amir Ashour zu Wort. Ashour, der gemäß dem Artikel aus Sulaimaniyya (Autonome Region Kurdistan) käme, sei aufgrund seiner sexuellen Orientierung verprügelt und verhaftet worden. Im Jahr 2015 hätte er flüchten müssen, er lebe nunmehr in Schweden. Er habe angegeben, dass selbst in einer [für den Irak] vergleichsweise liberalen Region wie der Autonomen Region Kurdistan Verfolgungsjagden auf Menschen stattfinden würden, die im Verdacht stünden, homosexuell zu sein oder sich bei „sündhaften“ Aktivitäten beteiligen würden:

„Ashour, originally from Sulaimaniyah in Iraqi Kurdistan, has been beaten up and arrested because of his sexuality. In 2015, he was forced to flee his home and seek asylum in Sweden, fearing for his life. […] Ashour's family, and group of friends and activists at university, were all very accepting, he says. But even in a relatively liberal area such as Iraqi Kurdistan, witch-hunts are still mounted for people suspected of being gay, or partaking in ‘sinful’ behaviour.” (Independent, 16. August 2016)

Vice News, ein zum US-Medienkonzern Vice Media gehörender Sender, der sich laut eigenen Angaben auf Reportagen zu Themen spezialisiert hat, über die die Massenmedien nur wenig berichten, schreibt in einem Artikel vom November 2014 zur Situation von LGBT Personen in der Autonomen Region Kurdistan: Sogar in Kurdistan, einer Region, die verglichen mit dem Restirak als liberaler und „verwestlichter“ angesehen werde, seien LGBT Personen in Gefahr, durch die lokalen Sicherheitskräfte (Asayish) entführt zu werden. Ein NGO-Mitarbeiter in Kurdistan, der Binnenvertriebene in der Autonomen Region Kurdistan unterstütze, sage dazu, dass, wenn er über einen Mann berichten würde, dass dieser homosexuell sei und dass er unanständige Handlungen verüben würde, [die Sicherheitskräfte] ihn einfach verhaften und ihn anschließend verschwinden lassen würden. Die Asayish seien laut dem NGO-Mitarbeiter unglaublich gut darin, Menschen verschwinden zu lassen:

Even in Kurdistan, a region considered relatively more liberal and Westernized than the rest of Iraq, LGBT people are at risk of vanishing at the hands of local security forces known as the Asayish. ’If I said that a man is homosexual and he's committing lewd acts, they would simply detain him and then have him disappear,’ the worker said. ’And the Asayish is incredibly good at making people disappear.’" (Vice News, 20. November 2014)

Schutzunterkünfte

Laut dem HRW-Bericht vom April 2018 sei in der Autonomen Region Kurdistan die oben bereits erwähnte Organisation Rasan aktiv, ursprünglich eine Frauenrechtsorganisation, die sich ab dem Jahr 2012 auch der Rechte von LGBT-Personen angenommen habe. In Bagdad dagegen, so der Bericht, sei es solchen Gruppen auf Grund der ihnen drohenden Gewalt nicht möglich, öffentlich aufzutreten:

„In some countries, LGBT activists work within organizations with broader objectives, such as in the Kurdistan Region of Iraq, where Rasan Organization, a women’s rights organization, also formally took on LGBT rights in 2012. In Baghdad, where LGBT groups cannot have a public presence due to the risk of violence, partnerships with other human rights organizations have also been essential to carrying out day-to-day work.“ (HRW, 16. April 2018, Seite 36)

Weitere Informationen zur Situation von LGBT Personen im Irak finden sich in den folgenden beiden Anfragebeantwortungen von ACCORD:

 

  • ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von LGBT-Personen; Rechtliche Situation und staatlicher Schutz; Diskriminierung und Vorfälle von Gewalt, Behandlung durch Milizen; Schutzunterkünfte, LGBTI-Aktivismus [a-10587], 30. Mai 2018
    https://www.ecoi.net/de/dokument/1435689.html
 
  • ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: (Religiöse) Autorität von Ali Sistani und Muqtada al-Sadr (z.B. Erlass von Fatwas); Einstellung von Ali al-Sistani und Muqtada al-Sadr zu LGBT-Personen [a-10715], 6. September 2018
    https://www.ecoi.net/de/dokument/1453698.html

 

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 6. Februar 2019