Anfragebeantwortung zum Iran: Informationen zum Eintritt afghanischer Staatsbürger in die Armee, um gegen den Islamischen Staat (IS) in Syrien zu kämpfen; Ausweisdokument und Aufenthaltsberechtigung für diese Personen [a‑10520-1]

15. März 2018

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.

Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

 

Informationen zu dieser Fragestellung entnehmen Sie bitte auch folgenden Anfragebeantwortungen vom Jänner und Dezember 2016:

·      ACCORD  Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Iran: Einsatz von afghanischen Jugendlichen im Syrien-Krieg als Alternative zur Abschiebung nach Afghanistan [a-9925], 16. Dezember 2016
https://www.ecoi.net/de/dokument/1393857.html

·      ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Iran: Zwangsrekrutierung von illegal aufhältigen Afghanen für den Krieg in Syrien [a-9475], 28. Jänner 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
https://www.ecoi.net/local_link/318477/457485_de.html

 

Atlantic Council, eine in Washington ansässige Denkfabrik für internationale Angelegenheiten, veröffentlicht im April 2017 einen Artikel, in dem berichtet wird, dass schiitisch-afghanische Truppen in Syrien mit 629 Gefallenen nach den libanesischen Hisbollah-Milizen die höchsten Verluste unter den für die syrische Regierung kämpfenden ausländischen Truppen zu verzeichnen hätten. Alle getöteten schiitisch-afghanischen Kämpfer seien Teil der „Fatemiyoun-Brigade“ gewesen. Die iranische Revolutionsgarde habe illegal im Iran aufhältige Afghanen für den Kampf in Syrien rekrutiert und ihnen dafür eine permanente Aufenthaltsgenehmigung im Iran sowie ein paar hundert US-Dollar Monatslohn versprochen. Die hohen Zahlen an gefallenen afghanischen Kämpfern in Syrien würden auf eine hohe Sterblichkeitsrate schließen lassen. Diese hänge damit zusammen, dass Afghanen als „Kanonenfutter“ benutzt würden. Afghanische Deserteure hätten berichtet, dass sie lediglich eine militärische Grundausbildung von ein paar Wochen absolviert hätten, bevor sie nach Syrien geschickt worden seien:

With at least 629 combat fatalities in Syria, Shia Afghan nationals suffered the second highest losses among foreign Shia fighters supporting the Syrian regime, second only to Lebanese fighters and surpassing Iranian fighters. […]

All Shia Afghan nationals killed in combat in Syria, were organized in the so-called Fatemiyoun Division. […]

Shia Afghan nationals did not leave their home country to fight in Syria. The IRGC [Islamic Revolutionary Guards Corps] recruited illegal Afghan immigrants in Iran in return for a permanent residence permit in Iran and a few hundred dollars monthly pay. In interviews with BBC Persian, defectors from the Fatemiyoun Division who fled to Turkey and Greece alongside Syrian refugees, further disclosed they received military training from the IRGC in Iran prior to their deployment in Syria by the civilian Iran registered Mahan Air. […]

Relatively high number of Shia Afghan combat fatalities may therefore indicate a high mortality rate. This is not surprising: Afghan fighters seem to be used as cannon fodder, and Afghan defectors disclose they only received four weeks of basic military training prior to their deployment in Syria.“ (Atlantic Council, 19. April 2017)

Das Afghanistan Analysts Network (AAN), eine unabhängige, gemeinnützige Forschungsorganisation mit Hauptsitz in Kabul, veröffentlicht im Juni 2016 einen Kurzbericht von Said Reza Kazemi, einem Doktoranden im Bereich Ethnologie an der Universität Heidelberg, der die Geschichte eines jungen afghanischen Schiiten aus Herat namens Musa nachzeichnet. Musa sei im syrischen Krieg geendet, nachdem sich ihm alle anderen Türen in Europa, Iran und Afghanistan verschlossen hätten. Er habe nicht genug Geld für eine Reise nach Europa gehabt und die Grenzen seien ohnehin bereits geschlossen gewesen. Er habe auch das Gefühl gehabt, nicht nach Afghanistan zurückkehren zu können, da er damit sein eigenes Scheitern eingestanden hätte und allen gezeigt hätte, dass er damals einen Fehler gemacht habe, als er Afghanistan verlassen habe. Das Leben im Iran habe Musa jedoch auch nicht ertragen können. Die iranische Regierung biete Vorzüge für junge Männer an, die sich für den Kampf aufseiten des Assad-Regimes melden würden. Sie würden monatlich 769 bis 1076 US-Dollar (etwa 623-872 Euro, Anm. ACCORD) beziehen und Aufenthaltsgenehmigungen für sich und ihre Familien im Iran erhalten. Das iranische Parlament diskutiere derzeit, ob Familien von Afghanen, die von der iranischen Regierung nach Syrien geschickt worden und dort den „Märtyrertod“ gestorben seien, die iranische Staatsbürgerschaft gewährt werden solle. Auch Religion habe Einfluss auf die Entscheidung junger Afghanen, die sich für den Krieg melden würden. Eine Unterhaltung mit einem wichtigen Mitglied der schiitischen Hauptmoschee in Herat habe ergeben, dass die meisten Schiiten in Herat und in Afghanistan allgemein Ayatollah al-Sistani [ein hoher schiitscher Religionsführer im Irak, Anm. ACCORD] folgen würden, der die Verteidigung der heiligen Stätten in Syrien zu einer Pflicht für alle, die dazu in der Lage seien, erklärt habe:

Musa ended up in the war in Syria when he felt all other doors – to Europe, Iran and Afghanistan – were closed to him. He could not go to Europe as he was unable to make enough money to do so. Even if he had had the money, by early 2016, a move to Europe would most likely have been futile, as European states had closed their borders to asylum-seekers, especially those from Afghanistan. At best, he would have ended up in Turkey.

Secondly, he had lost face and felt he could no longer return to Afghanistan. That would have demonstrated his leaving had been a mistake and, worse, that he had failed himself. Recent research on Afghan migration has brought up the role of stigma in causing people who have failed in their migration efforts and been deported to try to migrate again. Thirdly, Musa found life in Iran unbearable […].

This does not mean that these young men are immune to incentives offered by Iran to fight for the Assad regime. They receive monthly salaries ranging between 2.5 and 3.5 million Toman (around 50,000-70,000 Afghanis, or 769 – 1,076 US dollars) and residence permits for themselves and their families. The Iranian parliament is also discussing granting Iranian citizenship to the families of Afghans who are dispatched by the Iranian government and ‘martyred’ fighting in Syria. Religion also has an impact on young people such as Musa. According to the author’s conversation with a well-placed member of Sadeqia, the major Shia mosque and religious centre in Herat, Grand Ayatollah Sayyed Ali al-Sistani, whom the majority of Shias in Herat and the wider western region of Afghanistan follow, has declared going to Syria to defend Shia shrines as wajeb-e kefa’i (mandatory within one’s capacity). In fact, Afghans fighting for the Assad regime in Syria are described by Iran as well as by themselves as ‘the defenders of the shrine and the domain of the guardianship of the Islamic jurist’ (modafe’an-e haram wa harim-e welayat).“ (Kazemi, 14. Juni 2016)

Die US-amerikanische Tageszeitung New York Times (NYT) schreibt im Juni 2017, dass es sich bei der Fatemiyoun-Brigade um eine iranische Einheit schiitisch-afghanischer Flüchtlinge handle, die 2014 aufgestellt und von der Iranischen Revolutionsgarde und ehemaligen Hisbollah-Kämpfern ausgebildet worden sei. Schätzungen bezüglich der Anzahl von Fatemiyoun-Kämpfern würden zwischen 8.000 und 14.000 liegen. Die iranischen Behörden würden behaupten, dass es sich dabei um Freiwillige handle. Zunächst seien schiitisch-afghanische Flüchtlinge im Iran rekrutiert worden, die sich nach der Besetzung Afghanistans durch die Sowjetunion und während des Bürgerkriegs und der Talibanherrschaft im Iran angesiedelt hätten. In den letzten Jahren habe der Iran die Rekrutierung auf Afghanen ohne Aufenthaltstitel („undocumented“) ausgeweitet. So sei zum Beispiel ein Herr Amin, der erst kürzlich auf der Suche nach Arbeit aus Afghanistan gekommen sei, rekrutiert worden. Der Iran nutze die wirtschaftlichen Nöte der Flüchtlinge, sowie deren prekäre gesetzliche Lage und deren schiitischen Glaube aus, um sie für den Kampf aufseiten des Assad-Regimes zu rekrutieren. Nachdem Herr Amin in Aleppo verwundet worden sei, sei er zwei Monate vor der Veröffentlichung des Artikels in die Provinz Bamian in Afghanistan zurückgekehrt. Er sei nun in Besitz einer zehnjährigen Aufenthaltsgenehmigung für den Iran. Die meisten derjenigen Afghanen, mit denen er in Syrien gekämpft habe, würden weiterhin im Iran leben:

A few months after Iran asked Hezbollah to join the fighting in Syria alongside Mr. Assad’s forces, it began raising other Shiite militias. The Fatemiyoun Division (formerly Brigade), a militia of Shiite Afghan refugees, was formed around early 2014 and trained by both the Revolutionary Guards and Hezbollah veterans. Its strength has been estimated at 8,000 to and 14,000 men. The Iranian authorities maintain the fighters are volunteers. The initial recruits to the Fatemiyoun Division were initially Shiite Hazara Afghans, who settled in Iran after the Soviet occupation, after the civil war in the early 1990s and the subsequent Taliban rule. […]

In the past few years, Iranians have expanded recruitment to undocumented Afghans, like Mr. Amin, recently arrived from Afghanistan in search of economic opportunity. Apart from the refugees’ economic anxiety and precarious legal status, the Iranians exploit the Shia faith of Afghan refugees to recruit them to fight for the Assad regime in Syria. […]

After being wounded in Aleppo, Mr. Amin returned to Bamian two months ago with a 10-year Iranian residency in hand and promise of a home in Iran, or in postwar Syria, if he would like to live there. A majority of the Afghans who fought with him in Syria have stayed in Iran. He keeps in touch with them on the Telegram app.“ (NYT, 30. Juni 2017)

Die in London ansässige, unabhängig finanzierte Online-Nachrichtenorganisation Middle East Eye (MEE), die Artikel freiberuflicher Journalisten und Beiträge von Denkfabriken veröffentlicht, schreibt im Jänner 2018, dass laut Angaben eines freiwilligen Kämpfers gegenüber iranischen Medien mehr als 2.000 Afghanen, die vom Iran in den syrischen Krieg entsandt worden seien, getötet worden seien. Der Iran veröffentliche nur selten Zahlen der bei den Operationen im Irak und in Syrien kämpfenden und getöteten Soldaten. Im März 2017 habe die Veteranenorganisation von 2.100 getöteten Freiwilligen gesprochen, jedoch ohne anzugeben, bei wie vielen davon es sich um Nicht-Iraner gehandelt habe. 2015 habe die britische Zeitung The Guardian berichtet, dass die iranischen Behörden manche der etwa drei Millionen afghanischen Flüchtlinge im Land nach Syrien locken würden, indem sie ihnen ein reguläres Einkommen und eine Aufenthaltserlaubnis im Iran versprechen würden:

„More than 2,000 Afghans deployed by Iran have been killed fighting in Syria on the side of President Bashar al-Assad's government, an official in the volunteer force told Iranian media. The Fatemiyoun Brigade of Afghan ‘volunteer‘ recruits has been fighting in Syria for five years, said Zohair Mojahed, a cultural official in the brigade. ‘This brigade has given more than 2,000 martyrs and 8,000 wounded for Islam,‘ he said in an interview with the reformist Shargh newspaper published Saturday. Iran rarely provides figures on the numbers fighting and killed in its operations in Syria and Iraq. The last toll was provided by the veterans organisation in March, which said 2,100 volunteers had died without specifying how many were foreign recruits. Iran denies sending professional troops to fight in the region, saying it has provided only military advisers and organised brigades made up of volunteers from Iran, Afghanistan and Pakistan. […]

In 2015, the Guardian reported that Iranian authorities have lured some of the estimated three million Afghan refugees living in their country to fight in Syria by offering a regular salary and permanent residence in Iran.“ (MME, 6. Jänner 2018)

 

image001.gif 

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 15. März 2018)

·      ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Iran: Zwangsrekrutierung von illegal aufhältigen Afghanen für den Krieg in Syrien [a-9475], 28. Jänner 2016 (verfügbar auf ecoi.net)
https://www.ecoi.net/local_link/318477/457485_de.html

·      ACCORD  Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Iran: Einsatz von afghanischen Jugendlichen im Syrien-Krieg als Alternative zur Abschiebung nach Afghanistan [a-9925], 16. Dezember 2016
https://www.ecoi.net/de/dokument/1393857.html

·      Atlantic Council: Shia Afghan Fighters in Syria, 19. April 2017
http://www.atlanticcouncil.org/blogs/syriasource/shia-afghan-fighters-in-syria

·      Kazemi, S Reza (Autor), veröffentlicht von AAN Afghanistan Analysts Network: Raftan, Raftan: How young Afghans from Herat end up in the Syrian war, 14. Juni 2016
https://www.ecoi.net/de/dokument/1068782.html

·      MME – Middle East Eye: More than 2,000 Afghans killed in Syria fighting for Bashar al-Assad: Official, 6. Jänner 2018
http://www.middleeasteye.net/news/2000-afghans-killed-in-syria-fighting-for--bashar-al-assad-says-official-769805655

·      NYT – New York Times: How Iran Recruited Afghan Refugees to Fight Assad’s War, 30. Juni 2017
https://www.nytimes.com/2017/06/30/opinion/sunday/iran-afghanistan-refugees-assad-syria.html