Amnesty International Report 2012 - The State of the World's Human Rights

Amtliche Bezeichnung: Republik Bulgarien
Staatsoberhaupt: Georgi Parwanow
Regierungschef: Bojko Borissow
Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft
Einwohner: 7,4 Mio.
Lebenserwartung: 73,4 Jahre
Kindersterblichkeit: 10 pro 1000 Lebendgeburten
Alphabetisierungsrate: 98,3%

Die Behörden standen in der Kritik, weil sie eine Welle der Gewalt gegen Angehörige der Roma, die sich im September 2011 im ganzen Land ausbreitete, nicht verhinderten. In Sofia endete eine Demonstration von Anhängern einer rechtsextremen Partei mit einem gewaltsamen Angriff auf Muslime. Asylsuchende wurden Berichten zufolge routinemäßig inhaftiert, was einen Verstoß gegen die nationale und die EU-Gesetzgebung darstellte.

Diskriminierung

Im Juli 2011 äußerte der UN-Menschenrechtsausschuss Bedenken wegen der fortgesetzten und weit verbreiteten Diskriminierung von Angehörigen der Roma. Bemängelt wurden ihre eingeschränkten Möglichkeiten, sich an die Justiz zu wenden, ihre geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt sowie ihr mangelnder Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen im Bereich Bildung und Wohnen. Der Ausschuss erinnerte die Behörden an ihre Verpflichtung, in Fällen von Hassverbrechen und Schikanen gegen Minderheiten und religiöse Gemeinschaften - insbesondere Roma und Muslime - vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, Ermittlungen aufzunehmen und die Verantwortlichen zu bestrafen.

Gewaltsame Angriffe auf Roma
Nachdem am 24. September 2011 in dem südbulgarischen Dorf Katuniza ein junger Mann, der nicht zur Roma-Gemeinschaft gehörte, von einem Kleinbus überfahren wurde, den ein Roma-Angehöriger steuerte, kam es zu gewaltsamen Übergriffen auf Roma. In dem Ort wurden mehrere Häuser, die Roma gehörten, in Brand gesetzt. In ganz Bulgarien fanden in Reaktion auf den Vorfall Roma-feindliche Demonstrationen statt. NGOs wie das Bulgarische Helsinki-Komitee warfen den Behörden vor, nicht rechtzeitig die notwendigen Schritte eingeleitet zu haben, um die Gewalt einzudämmen.

Dem Vernehmen nach bewachte die Polizei erst Tage später die Zugänge zu einigen Roma-Siedlungen und nahm mehr als 350 Personen fest. Medienberichten zufolge erinnerte der Generalstaatsanwalt nach den Protesten die regionalen Staatsanwälte daran, dass sie auf Geschehnisse zu reagieren hätten, die den Straftatbestand Gewalt aus rassistischen, religiösen und ethnischen Gründen erfüllen könnten.

Mehrere Strafverfahren gegen Personen, die während der Proteste und danach festgenommen worden waren, sollen dem Vernehmen nach abgeschlossen worden sein.

Gewaltsame Angriffe auf Muslime
Am 20. Mai 2011 wurden in Sofia Muslime während ihres Gebets vor der Banja-Baschi-Moschee tätlich angegriffen, als eine von Anhängern der nationalistischen Partei Ataka organisierte Demonstration in Gewalt umschlug. Vier muslimische Männer und eine Parlamentsabgeordnete von Ataka sollen dabei verletzt worden sein. Es wurden zwar Ermittlungen eingeleitet, das Bulgarische Helsinki-Komitee berichtete jedoch, der Überfall werde strafrechtlich eher als "Rowdytum" und nicht als diskriminierende Gewalttat verfolgt. Der UN-Menschenrechtsausschuss zeigte sich besorgt über den Angriff und übte Kritik an den Behörden, weil sie das existierende Antidiskriminierungsgesetz kaum anwendeten.

Gewaltsame Angriffe auf Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender
Am 18. Juni 2011 wurden im Anschluss an die Pride Parade von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern in der Hauptstadt Sofia fünf freiwillige Helfer der Veranstaltung von einer Gruppe Unbekannter tätlich angegriffen. Drei der Helfer wurden bei dem Angriff leicht verletzt. Die Aktivisten vermuteten, dass die Angreifer ihnen gefolgt waren, als sie die Kundgebung verließen. Sie fürchteten, dass der Vorfall von den Behörden als "Rowdytum" und nicht als Hassverbrechen behandelt werden würde, da das bulgarische Strafgesetzbuch sexuelle Orientierung als mögliches Motiv für derartige Straftaten nicht vorsieht. Der Innenminister teilte mit, die polizeilichen Ermittlungen seien eingestellt worden, ohne dass man die Täter ausfindig gemacht habe.

Justizwesen

Im November äußerte sich der UN-Ausschuss gegen Folter besorgt über die mangelnde Transparenz bei der Auswahl und Ernennung von Richtern und Mitgliedern des Obersten Richterrats. Der Ausschuss bemängelte, dass das Prinzip einer unabhängigen Gerichtsbarkeit von hochrangigen Regierungsvertretern nicht respektiert worden sei und auch innerhalb der Justizbehörden nicht ausnahmslos angewandt werde.

  • Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte in den Fällen Kanchev gegen Bulgarien und Dimitrov und Hamanov gegen Bulgarien, dass das Land gegen das Recht auf ein Verfahren innerhalb eines angemessenen Zeitraums und gegen das Recht auf wirksame Beschwerde verstoßen habe. Im Februar 2011 entschied der Gerichtshof, dass die erstgenannte Voraussetzung im Falle eines Mannes, der zwölf Jahre und vier Monate warten musste, bis das Strafverfahren gegen ihn abgeschlossen war, nicht erfüllt worden sei. Im Mai kam das Gericht zu demselben Urteil in einem Fall, der zwei Personen betraf, deren Strafverfahren sich über zehn Jahre und acht Monate bzw. fünf Jahre und drei Monate hingezogen hatte.

Folter und andere Misshandlungen

Im November 2011 äußerte sich der UN-Ausschuss gegen Folter besorgt über den exzessiven Einsatz von Gewalt und von Schusswaffen durch Polizeikräfte. Der Ausschuss rief Bulgarien auf, Maßnahmen zu ergreifen, um jede Form von Schikane oder Misshandlung während polizeilicher Ermittlungen künftig zu verhindern.

Psychiatrische Einrichtungen
Im Februar 2011 verhandelte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Fall eines Mannes, der unter Vormundschaft gestellt und in ein Heim für Personen mit psychischen Störungen in Pastra eingewiesen worden war. Der Mann hatte in seiner Beschwerde argumentiert, die dort herrschenden Lebensbedingungen kämen Misshandlung gleich und sein Freiheitsentzug sei rechtswidrig und willkürlich.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Im November 2011 erhob das Bulgarische Helsinki-Komitee den Vorwurf, Asylsuchende würden in Verletzung der nationalen Gesetzgebung und der EU-Asylverfahrensrichtlinie von den Behörden in Haft gehalten. Berichten zufolge befanden sich bis zu 1000 Asylsuchende in den Haftzentren von Liubimets und Busmansti. Der Direktor der staatlichen Flüchtlingsbehörde erklärte, man sei zu dieser Praxis übergegangen, weil die offenen Einrichtungen ausgelastet seien. In einem Entwurf für eine Nationale Strategie zu Asyl, Migration und Integration hieß es ebenfalls, Bulgarien verfüge nicht über die institutionellen Möglichkeiten, um die Grundvoraussetzungen für die Aufnahme von Asylsuchenden zu erfüllen.

  • Im Juli 2011 urteilte das Gericht der Stadt Plowdiw, dass Ahmed Razhapovich Chataev nicht nach Russland ausgeliefert werden dürfe. Dem Mann tschetschenischer Abstammung war 2003 in Österreich der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden. Er wurde dem Vernehmen nach am 19. Mai festgenommen, als er versuchte, die Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei zu überqueren. Hintergrund seiner Verhaftung war ein Auslieferungsersuchen der russischen Generalstaatsanwaltschaft, die gegen Ahmed Chataev Anklage wegen Anstiftung zum Terrorismus und zur Finanzierung terroristischer Aktivitäten erhoben hatte. Das Gericht von Plowdiw entschied, dass der Flüchtlingsstatus von Ahmed Chataev auch in Bulgarien Gültigkeit habe. NGOs hatten mit Besorgnis darauf hingewiesen, dass Ahmed Chataev im Falle seiner Auslieferung nach Russland Gefahr laufe, Folter und andere Misshandlungen zu erleiden.

Amnesty International: Mission und Bericht

Delegierte von Amnesty International besuchten Bulgarien im Juni.

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