Document #1252183
Amnesty International (Author)
Amtliche Bezeichnung:
Islamische Republik Pakistan
Staatsoberhaupt: Asif Ali Zardari
Regierungschef: Raja Pervaiz Ashraf
(löste im Juni Yousuf Raza Gilani im Amt ab)
Der Anschlag der pakistanischen Taliban auf eine 15-jährige Menschenrechtsverteidigerin im Oktober 2012 machte deutlich, wie gefährlich die Situation im Land für Menschenrechtler und Journalisten ist. Angehörige religiöser Minderheiten waren Verfolgung und Übergriffen ausgesetzt. Religiöse Führer riefen zu Gewalt gegen religiöse Minderheiten auf, und bewaffnete Gruppen töteten Angehörige dieser Minderheiten ganz gezielt. In den Stammesgebieten und in der Provinz Belutschistan kam es erneut zu Menschenrechtsverstößen wie Verschwindenlassen, Entführungen, Folter und rechtswidrigen Tötungen, für die sowohl die Streitkräfte als auch bewaffnete Gruppen verantwortlich waren. Die Justiz konnte die Geheimdienste dazu zwingen, einige "verschwundene" Personen vor Gericht vorzuführen, doch gelang es nicht, diejenigen in fairen Prozessen zur Rechenschaft zu ziehen, die für das Verschwindenlassen verantwortlich waren. Im November vollstreckten die Militärbehörden erstmals seit 2008 wieder ein Todesurteil. Angriffe auf Mitarbeiter im Gesundheitswesen hatten gravierende Auswirkungen auf die medizinische Versorgung von Menschen in entlegenen und von den Unruhen besonders betroffenen Landesteilen. Im Februar und März verabschiedete das Parlament Gesetze, die die Einrichtung zweier nationaler Kommissionen vorsehen. Eine soll sich mit dem Status von Frauen beschäftigen, die andere mit Menschenrechten.
Pakistan erlebte 2012 mehrere politische Krisen, da es bei einer Reihe von Themen zu Konflikten zwischen Militär, Justiz und Regierung kam, u.a. was die Bekämpfung von Korruption betraf. Am 19. Juni zwang der Oberste Gerichtshof Premierminister Yousuf Raza Gilani zum Rücktritt, nachdem er ihn wegen Missachtung des Gerichts rechtskräftig verurteilt hatte. Die Entscheidung wurde als Zeichen für die wachsende Macht der Justiz gewertet. Am 23. September befand der Oberste Gerichtshof in einer bahnbrechenden Entscheidung, dass Transgender-Personen nach der pakistanischen Verfassung die gleichen Rechte zustehen wie anderen Bürgern. Indien und Pakistan tauschten Tausende von Gefangenen aus. Der Austausch war Teil eines im Mai unterzeichneten umfassenderen Abkommens über konsularische Angelegenheiten, das auf eine Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern hindeutete. Die "gezielten Tötungen" durch unbemannte US-Drohnen forderten in den Stammesgebieten eine unbekannte Zahl von zivilen Opfern, darunter auch Kinder (siehe Länderbericht USA). Gegen Jahresende hatten sich die Beziehungen zwischen Pakistan und seinem wichtigsten Verbündeten USA wieder verbessert.
Im Januar 2012 begann die zweijährige Mitgliedschaft Pakistans im UN-Sicherheitsrat. Zum ersten Mal seit 13 Jahren besuchten eine Reihe von UN-Menschenrechtsexperten das Land: im Mai die Sonderberichterstatterin über die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten, im Juni die Hochkommissarin für Menschenrechte und im September die Arbeitsgruppe zur Frage des Verschwindenlassens von Personen. Im Oktober befasste sich der UN-Menschenrechtsrat im Zuge der Universellen Regelmäßigen Überprüfung mit der Menschenrechtslage in Pakistan. Dabei kamen zahlreiche Menschenrechtsanliegen zur Sprache, wie eine Reform der Blasphemiegesetze, Schritte zur Abschaffung der Todesstrafe und ein Ende der Praxis des Verschwindenlassens. Am 12. November wurde Pakistan zum dritten Mal in den UN-Menschenrechtsrat gewählt.
Die Sicherheitskräfte mussten nach wie vor keine strafrechtliche Verfolgung befürchten, wenn sie Menschenrechtsverstöße begingen. Sie wurden für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, darunter willkürliche Festnahmen, Verschwindenlassen, Folter, Todesfälle in Gewahrsam und außergerichtliche Hinrichtungen. Zu den Opfern zählten politisch engagierte Bürger, Journalisten und mutmaßliche Mitglieder bewaffneter Gruppen. In den Stammesgebieten im Nordwesten des Landes sorgte die Armee mit Hilfe bestehender und neu eingeführter Sicherheitsgesetze dafür, dass Angehörige der Sicherheitskräfte von den Gerichten nicht belangt werden konnten.
Rechtswidrige Tötungen
2012 gingen Berichte über Hunderte von rechtswidrigen Tötungen ein, darunter außergerichtliche Hinrichtungen und Todesfälle in Gewahrsam. Sie wurden insbesondere aus den Stammesgebieten im Nordwesten des Landes sowie aus den Provinzen Belutschistan und Sindh gemeldet.
Verschwindenlassen
Der Oberste Gerichtshof erreichte durch ein beispielloses Vorgehen, dass 2012 erstmals einige Opfer des Verschwindenlassens vor Gericht vorgeführt wurden. Im Februar erschienen sieben Überlebende der insgesamt elf Gefangenen aus dem Adiala-Gefängnis, die 2010 entführt worden waren, und im Laufe des Jahres mehrere weitere Verschwundene aus Belutschistan. Der Präsident des Obersten Gerichtshofs drohte den Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden mit Haftbefehlen, sollten sie keine Rechtsgrundlagen für die Inhaftierungen in Belutschistan vorweisen können. Das Obere Gericht in Peshawar übte Druck auf die Behörden aus, die genauen Daten aller Häftlinge anzugeben, die in den nordwestlichen Stammesgebieten in "Sicherheitshaft" gehalten wurden. Dennoch trafen aus dem ganzen Land, vor allem aus Belutschistan und den Stammesgebieten, weiterhin Berichte über Fälle von Verschwindenlassen ein. Kein aktiver oder ehemaliger Angehöriger der Sicherheitskräfte wurde wegen mutmaßlicher Verwicklung in diese oder andere Menschenrechtsverletzungen vor Gericht gestellt. Im September besuchte die UN-Arbeitsgruppe zur Frage des Verschwindenlassens von Personen zum ersten Mal Pakistan. Entscheidende Amtsträger waren jedoch nicht bereit, sich mit der Arbeitsgruppe zu treffen, u.a. der Vorsitzende der Untersuchungskommission für Fälle von Verschwindenlassen, der Präsident des Obersten Gerichtshofs, die Präsidenten der meisten Oberen Gerichte der Provinzen sowie hochrangige Vertreter der Sicherheitskräfte und des Militärs.
Die pakistanischen Taliban, die Gruppe Lashkar-e-Jhangvi, die Befreiungsarmee Belutschistans und andere bewaffnete Gruppen verübten 2012 gezielte Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilpersonen, darunter Angehörige religiöser Minderheiten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, engagierte Bürger und Journalisten. Außerdem verübten sie wahllose Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern und Selbstmordanschläge.
Journalisten mussten 2012 weiterhin Angriffe vonseiten der Sicherheitskräfte, der bewaffneten Opposition und anderer bewaffneter Gruppen fürchten. Dies galt vor allem für die Provinzen Belutschistan und Sindh sowie für die Stammesgebiete im Nordwesten des Landes. Mindestens acht Journalisten wurden im Laufe des Jahres getötet. Mehrere Journalisten gaben an, sie hätten nach Berichten über das Militär, politische Parteien oder bewaffnete Gruppen Drohungen erhalten.
Die Regierung blockierte gelegentlich Websites, u.a. von YouTube und Facebook. In einigen Fällen gab sie keine Begründung an, in anderen Fällen hieß es, die gesperrten Inhalte verletzten religiöse Gefühle. Die Gerichte drohten Journalisten, die in ihren Berichten die Justiz kritisierten, an, man werde strafrechtliche Verfahren wegen Missachtung des Gerichts gegen sie einleiten.
Angehörige religiöser Minderheiten wie Ahmadi, Hindu und Christen waren nach wie vor in großer Gefahr, wegen ihres Glaubens eingeschüchtert und gewaltsam angegriffen zu werden. 2012 gab es mindestens 79 Angriffe auf Schiiten - mehr als gegen jede andere Glaubensgemeinschaft. Fälle, bei denen Privatpersonen auf Grundlage der sehr vage formulierten Blasphemiegesetze die Gerichte anriefen, betrafen unverhältnismäßig oft Angehörige religiöser Minderheiten.
Frauen und Mädchen wurden weiterhin diskriminiert und waren im häuslichen Umfeld und in der Öffentlichkeit von Gewalt bedroht. Auch diejenigen, die sich für Frauenrechte einsetzten, wurden bedroht. Menschenrechtsgruppen dokumentierten Tausende von Fällen aus dem ganzen Land, bei denen Frauen und Mädchen Opfer von Gewalt wurden. Die meisten Meldungen kamen aus der bevölkerungsreichsten Provinz Punjab. Die Berichte reichten von häuslicher Gewalt über Vergewaltigung bis hin zu Mord. Es ist davon auszugehen, dass die gemeldeten Fälle nur einen begrenzten Ausschnitt aller Gewalttaten darstellen, die gegen Frauen und Mädchen verübt wurden.
Mehr als 8300 Menschen saßen 2012 weiter in der Todeszelle, einige von ihnen bereits seit zwei bis drei Jahrzehnten. Im Laufe des Jahres wurden 242 Todesurteile ausgesprochen. Im November ließen die Militärbehörden im Bezirk Okara in der Provinz Punjab Muhammad Hussain hinrichten. Ihm wurden drei Morde zur Last gelegt, darunter die Ermordung eines vorgesetzten Offiziers. Gnadengesuche des Armeechefs und des Präsidenten waren abgelehnt worden. Damit wurde erstmals seit 2008 wieder ein Todesurteil in Pakistan vollstreckt. Die Regierung distanzierte sich zwar von der Entscheidung der Militärbehörden, das Todesurteil zu vollstrecken, Gegner der Todesstrafe befürchteten allerdings, dies könne ein Türöffner für die Wiederaufnahme von Hinrichtungen in Pakistan sein.
Im Juli nahm die Regierung Beratungen über einen Gesetzentwurf auf, der vorsieht, alle Todesurteile in lebenslange Freiheitsstrafen umzuwandeln.
Delegierte von Amnesty International besuchten Pakistan von Februar/März, von Juli/August und im Dezember. Berater von Amnesty International waren permanent im Land präsent.
© Amnesty International
Amnesty International Report 2013 - The State of the World's Human Rights - Pakistan (Periodical Report, English)