Document #1213025
Amnesty International (Author)
Amtliche Bezeichnung: Islamische Republik Pakistan
Staatsoberhaupt: Asif Ali Zardari
Regierungschef: Yousuf Raza Gilani
Todesstrafe: nicht abgeschafft
Einwohner: 176,7 Mio.
Lebenserwartung: 65,4 Jahre
Kindersterblichkeit: 87 pro 1000 Lebendgeburten
Alphabetisierungsrate: 55,5%
Zwei Politiker wurden ermordet, weil sie Kritik an den pakistanischen Blasphemie-Gesetzen geübt hatten: Im Januar wurde der liberale Gouverneur der Provinz Punjab, Salmaan Taseer, erschossen und im März der Minister für religiöse Minderheiten (der einzige Christ in der pakistanischen Regierung), Shahbaz Bhatti. Auch im Jahr 2011 wurden Angehörige der Sicherheitskräfte für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, darunter Verschwindenlassen, Folterungen und außergerichtliche Hinrichtungen, insbesondere in der Provinz Belutschistan und im Nordwesten des Landes. Im Mai wurde der Al-Qaida-Anführer Osama bin Laden in seinem Versteck in der etwa 50 km nordöstlich der Hauptstadt Islamabad gelegenen Stadt Abbottabad von einer US-Spezialeinheit getötet. Hochrangige US-Politiker bezichtigten Pakistan öffentlich, die afghanischen Taliban zu unterstützen.
Im ganzen Land töteten pakistanische Taliban und andere bewaffnete Gruppen bei gezielten und ungezielten Angriffen auch Zivilpersonen. Die Stadt Karachi war Schauplatz einer Welle gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen politischen und ethnischen Gruppen, bei denen zahlreiche Menschen zu Tode kamen. Im Berichtsjahr wurden weiterhin Todesurteile verhängt, Hinrichtungen fanden jedoch nicht statt. Neuerliche Monsunfluten machten viele Menschen obdachlos und verursachten landesweit einen Ausbruch der Tropenkrankheit Dengue-Fieber. Die chronischen Engpässe bei der Energieversorgung führten in den meisten Großstädten zu gewalttätigen Protesten und behinderten die wirtschaftlichen Aktivitäten. In den Konfliktgebieten in der Provinz Belutschistan und im Nordwesten des Landes erhielten Frauen und Mädchen kaum Zugang zu Bildung und zur Gesundheitsversorgung.
Die Menschenrechtslage blieb unbefriedigend. Auch 2011 waren oft Angehörige der Sicherheitskräfte und der Geheimdienste in Menschenrechtsverletzungen verwickelt. Die Behörden waren häufig nicht willens oder nicht in der Lage, Frauen, ethnische und religiöse Minderheiten, Journalisten und Angehörige anderer gefährdeter Gruppen vor Menschenrechtsverstößen zu schützen und die Täter vor Gericht zu stellen. Die Versprechen der Landes- und Provinzbehörden, die zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in der von Gewalt geprägten Krisenprovinz Belutschistan beitragen sollten, darunter eine bessere Kontrolle der Polizei und des paramilitärischen Frontier Corps, die verstärkte Aufnahme von Belutschen in den Staatsdienst und die Erhöhung der für die Provinz bestimmten Finanzmittel aus dem nationalen Haushalt, zeigten wenig Wirkung.
Auch 2011 lebten aufgrund der andauernden Konflikte zwischen den Sicherheitskräften und Angehörigen der pakistanischen Taliban fast eine halbe Million Menschen als Binnenvertriebene im eigenen Land. Wer in Regionen zurückging, die die Armee von den Aufständischen zurückerobert hatte, musste einen Mangel an Sicherheit und an Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen in Kauf nehmen. Im Bezirk Malakand hatte sich trotz der Vertreibung der Taliban ein paralleles Justizsystem etabliert, das auf einer engen Auslegung der Scharia-Gesetze basierte und Anlass zu der Befürchtung gab, dass auch der damit einhergehende strenge Verhaltenskodex dort durchgesetzt wird.
Im Juni gewährte Präsident Asif Ali Zardari den Angehörigen der Sicherheitskräfte im Nordwesten des Landes rückwirkend Immunität gegen strafrechtliche Verfolgung und stattete sie mit umfassenden Befugnissen zur willkürlichen Festnahme und Bestrafung aus. Am 14. August, dem pakistanischen Unabhängigkeitstag, billigte der Präsident richtungsweisende Reformen, darunter die Anwendung des 2002 verfügten Erlasses zur Änderung des Gesetzes über politische Parteien (Political Parties Order 2002) auch auf die unter Bundesverwaltung stehenden Stammesgebiete. Auch die aus der Kolonialzeit stammenden kollektiven Strafbestimmungen (Frontier Crimes Regulation), die den Bewohnern der Stammesgebiete einen großen Teil ihrer in der pakistanischen Verfassung festgeschriebenen Menschenrechte und Schutzansprüche entzogen hatten, wurden reformiert. Die Reformen schränkten die staatlichen Befugnisse zur willkürlichen Inhaftierung und Verhängung kollektiver Strafen ein, gestatteten den Bewohnern der Stammesgebiete die Einlegung von Rechtsmitteln gegen Entscheidungen gemäß den kollektiven Strafbestimmungen und ermöglichten es den politischen Parteien, in den Stammesgebieten tätig zu werden.
Am 9. Juni 2011 ratifizierte Pakistan das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie. Im September nahm Pakistan die meisten seiner Vorbehalte gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und das UN-Übereinkommen gegen Folter zurück, hielt jedoch an den innerstaatlichen Bestimmungen fest, die Nichtmuslimen das Amt des Premierministers oder des Präsidenten verwehren und Frauen die erbrechtliche Gleichstellung vorenthalten.
Die Angehörigen der Sicherheits- und Geheimdienste gingen 2011 weiterhin zumeist straffrei aus, obwohl ihnen zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden, darunter Verschwindenlassen und Folter, ferner die Tötung von Zivilpersonen, Journalisten, engagierten Bürgern und Personen, die der Mitgliedschaft in einer bewaffneten Gruppe verdächtigt wurden, bei wahllosen Angriffen und durch außergerichtliche Hinrichtungen.
Außergerichtliche Hinrichtungen
Die meisten Berichte über außergerichtliche Hinrichtungen trafen 2011 aus der Provinz Belutschistan, aus dem Nordwesten des Landes und aus der Stadt Karachi ein.
Verschwindenlassen
Die für das Verschwindenlassen von Personen Verantwortlichen wurden vom pakistanischen Staat nicht zur Rechenschaft gezogen, und die meisten Opfer galten weiterhin als vermisst. Im März 2011 richtete die Regierung erneut eine Untersuchungskommission zu diesem Problemfeld ein, doch es dauerte sechs Monate bis Javed Iqbal, pensionierter Richter des Obersten Gerichtshofs von Pakistan, zum Vorsitzenden ernannt wurde. Seit die vorherige Kommission im März 2010 ihre Arbeit aufgenommen hatte, waren mehr als 220 von mehreren Hundert Einzelfällen bearbeitet worden. Beiden Kommissionen warf man vor, den Zeugen keinen ausreichenden Schutz zu gewähren und die Untersuchungen mangelhaft durchzuführen, insbesondere wenn Mitarbeiter der Sicherheitskräfte und Geheimdienste verdächtigt wurden.
Die pakistanischen Taliban gingen gezielt gegen Zivilpersonen vor und führten wahllos Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern sowie Selbstmordanschläge durch. Mehrere Stammesälteste wurden Opfer gezielter Anschläge. Die Taliban verübten außerdem Attentate gegen eine Reihe von Politikern der Awami National Party. Laut Angaben der Regierung hatte der Konflikt mit den Taliban in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa die Zerstörung von 246 Schulen (59 Mädchen- und 187 Jungenschulen) sowie die Beschädigung von 763 Schulen (244 Mädchen- und 519 Jungenschulen) zur Folge. Tausende Kinder hatten dadurch keinen Zugang zu Bildung. Die Androhung von Gewalt seitens der pakistanischen Taliban führte dazu, dass Frauen und Mädchen nur sehr begrenzten Zugang zu Gesundheits- und Bildungseinrichtungen hatten und nicht gleichberechtigt am öffentlichen Leben teilnehmen konnten.
In Belutschistan ermordeten nationalistische Gruppierungen Angehörige gegnerischer Parteien, ethnische Punjabis und Angehörige der staatlichen Sicherheitskräfte. Darüber hinaus bekannten sie sich zu Anschlägen auf Erdgas- und Stromleitungen, die zu schweren Versorgungsengpässen in der Provinz führten. Bei religiös motivierten Angriffen der Splittergruppe Lashkar-e-Jhangvi und anderer Extremistengruppen auf Schiiten kamen insgesamt mindestens 280 Menschen zu Tode oder wurden verletzt.
Die Stadt Karachi wurde 2011 von einer Welle der Gewalt heimgesucht, als rivalisierende Gruppen, manche mit Verbindungen zu politischen Parteien, ihre Territorialkämpfe austrugen. Bei den Auseinandersetzungen starben 2000 Menschen. Die Sicherheitskräfte nahmen Hunderte Verdächtige fest; der Oberste Gerichtshof übte Kritik an den politischen Parteien, die zur Gewalt aufgestachelt hätten, und an den Behörden, weil sie zahlreiche bekannte Gewalttäter nicht aufgehalten hätten.
2011 wurden in Pakistan mindestens neun Journalisten getötet. Mitarbeiter von Medien wurden von Sicherheitskräften, Geheimdiensten, politischen Parteien und bewaffneten Gruppen bedroht, wenn sie über diese berichteten. Es gelang den pakistanischen Behörden weder, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, noch sorgten sie für einen angemessenen Schutz der Journalisten.
Radikale religiöse Gruppen bedrohten auch 2011 Angehörige religiöser Minderheiten wie Ahmadiyya, Christen, Hindu und Schiiten sowie gemäßigte Sunniten und stachelten zu Gewalt gegen alle Befürworter einer Reformierung der Blasphemie-Gesetze auf. Die Behörden waren nicht in der Lage, solche Angriffe gegen religiöse Minderheiten zu verhindern oder die Verantwortlichen strafrechtlich zu verfolgen.
Der Richter, der das Todesurteil gegen den Mörder von Salmaan Taseer verhängt hatte, sah sich nach Morddrohungen gezwungen, unterzutauchen. Die Mörder von Shahbaz Bhatti waren Ende 2011 noch immer auf freiem Fuß. Die Abgeordnete Sherry Rehman zog ihre Petition zur Änderung der Blasphemie-Gesetze, die sie in die Nationalversammlung eingebracht hatte, zurück, nachdem sie Morddrohungen erhalten hatte. Die Christin Aasia Bibi, die 2009 wegen Blasphemie zum Tode verurteilt worden war, blieb bis zur Entscheidung im Berufungsverfahren weiter in Haft.
Frauen und Mädchen wurden auch 2011 zu Hause und in der Öffentlichkeit rechtlich und praktisch diskriminiert. Die Aurat-Stiftung dokumentierte 8539 Fälle von Gewalt gegen Frauen, darunter 1575 Morde, 827 Vergewaltigungen, 610 Fälle häuslicher Gewalt, 705 Ehrenmorde und 44 Säureangriffe. Im Bemühen, dieses Problem anzugehen, befürwortete das Parlament im Dezember zwei Gesetzentwürfe (Acid Control and Acid Crime Prevention Bill 2010) und Prevention of Anti-Women Practices (Criminal Law Amendment) Bill 2008, die darauf abzielten, die Rechte der Frauen zu stärken und ihren Schutz zu verbessern sowie das Strafmaß bei geschlechtsspezifischer Gewalt zu erhöhen. Damit wurden Säureattacken und Praktiken wie die Zwangsverheiratung in Pakistan erstmals unter Strafe gestellt.
Im Berichtsjahr befanden sich weiterhin mehr als 8000 Menschen im Todestrakt. Laut Angaben der pakistanischen Menschenrechtskommission ergingen 2011 mindestens 313 Todesurteile, mehr als die Hälfte davon wegen Tötungsdelikten. Drei Menschen wurden wegen Blasphemie zum Tode verurteilt. Die letzte Hinrichtung fand 2008 statt.
Im Juli und in den Monaten November/Dezember besuchten Delegierte von Amnesty International Pakistan. Beraterinnen und Berater von Amnesty International hielten sich das ganze Jahr über im Land auf.
© Amnesty International
Amnesty International Report 2012 - The State of the World's Human Rights (Periodical Report, English)