Document #1169985
Amnesty International (Author)
Amtliche Bezeichnung: Königreich Kambodscha
Staatsoberhaupt: König Norodom Sihamoni
Regierungschef: Hun Sen
Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft
Einwohner: 14,3 Mio.
Lebenserwartung: 63,1 Jahre
Kindersterblichkeit: 87,5 pro 1000 Lebendgeburten
Alphabetisierungsrate: 77,6%
Rechtswidrige Zwangsräumungen, Landkonflikte und Landraub setzten sich in großem Umfang fort. Tausende von Menschen waren davon betroffen. Eine steigende Zahl von Landkonzessionen, die die Regierung an privatwirtschaftliche Unternehmen vergab, verschärfte die Situation noch weiter. Die Straflosigkeit von für Menschenrechtsverstöße Verantwortlichen und das Fehlen eines unabhängigen Justizwesens stellten nach wie vor ernsthafte Probleme dar. Die Behörden schränkten weiterhin die Rechte auf freie Meinungsäußerung sowie Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit ein. So bedrohten und schikanierten sie Menschenrechtsverteidiger und gingen rechtlich gegen sie vor, um sie zum Schweigen zu bringen. Neben basisdemokratischen Gemeinschaften waren Aktivisten, die sich für Landrechte und das Recht auf angemessenen Wohnraum einsetzten, einem besonders hohen Risiko ausgesetzt. Ein umstrittener Gesetzentwurf zur Regulierung von NGOs und Vereinigungen stieß auf starken Widerstand vonseiten der Zivilgesellschaft. Die Abstimmung wurde daraufhin verschoben. Krisenhafte Entwicklungen bei den Außerordentlichen Kammern der Kambodschanischen Gerichte (Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia - ECCC) drohten die Verfahren zum Scheitern zu bringen und damit den Opfern der von den Roten Khmer begangenen Verbrechen die Gerechtigkeit zu versagen.
Anfang 2011 kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Kambodscha und Thailand. Ursache war ein fortdauernder Konflikt in der kambodschanisch-thailändischen Grenzregion über die Eigentumsrechte an dem Gebiet rund um den Tempel Preah Vihear, der zum Weltkulturerbe gehört. Der Internationale Gerichtshof ordnete im Juli den Abzug der Truppen beider Seiten aus diesem Gebiet an; die Konfliktparteien kamen dieser Aufforderung jedoch nur teilweise nach.
Im August 2011 gab die Weltbank bekannt, dass sie im Dezember 2010 die Vergabe neuer Kredite an Kambodscha gestoppt habe. Sie bleibe so lange ausgesetzt, bis eine Vereinbarung mit den verbliebenen Anwohnern des Boeung-Kak-Sees in der Hauptstadt Phnom Penh erzielt worden sei. Seit 2008 sind fast 4000 Familien gewaltsam aus diesem Gebiet vertrieben worden.
Nach einer Reihe von Vorfällen, wie z.B. dem mutmaßlichen Missbrauch kambodschanischer Frauen und Mädchen, die angeworben worden waren, um als Hausangestellte zu arbeiten, verbot die Regierung im Oktober zeitweise die Entsendung von Hausangestellten nach Malaysia. Die Anwerbebüros in Kambodscha wurden außerdem beschuldigt, Frauen und Mädchen einzusperren, um sie vor ihrer Entsendung ins Ausland für ihre Tätigkeit anzulernen.
Im November bestätigte Kambodscha offiziell die Übernahme des Vorsitzes des Verbands Südostasiatischer Staaten (Association of Southeast Asian Nations - ASEAN) ab Januar 2012.
Die Regierung verkündete ihre Absicht, sich um einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat für die Jahre 2013/2014 zu bewerben.
Tausende von Personen waren weiterhin von rechtswidrigen Zwangsräumungen, Landkonflikten und Landraub betroffen. Ursache dafür war in vielen Fällen die Vergabe von Landkonzessionen zur wirtschaftlichen Nutzung, d.h. von langfristigen Pachtverträgen zu Vorzugsbedingungen für agro-industrielle und urbane Entwicklungsvorhaben, oder die Gewährung von Bergbaukonzessionen. Laut Schätzungen lokaler NGOs, die seit 2003 die Zwangsräumungen beobachten, belief sich die Zahl der davon betroffenen Personen auf rund 420000, und die Fläche entsprach der Hälfte des Landes. Eine andere Schätzung zeigte, dass seit 2001 10% der Einwohner Phnom Penhs entweder Opfer von Zwangsräumungen geworden waren oder ihre Häuser im Rahmen eines Umsiedlungsplans freiwillig verlassen hatten.
Verfahrensmängel und die mutmaßliche Einflussnahme der Regierung auf die Außerordentlichen Kammern der Kambodschanischen Gerichte (ECCC) werfen einen Schatten auf die Glaubwürdigkeit dieses Sondertribunals.
Die kambodschanischen Co-Untersuchungsrichter gaben im April 2011 die Beendigung des Falls 003 bekannt, obwohl sie ganz offensichtlich noch keine vollständige Untersuchung durchgeführt hatten. Fall 004 wurde weiterhin von den Co-Untersuchungsrichtern bearbeitet. Im Oktober lehnte die Vorverhandlungskammer einen Antrag eines Opfers ab, als Nebenkläger in den Fällen 003 und 004 anerkannt zu werden. Die beiden internationalen Richter, die den Antrag unterstützt hatten, wiesen öffentlich auf mehrere Mängel hin, darunter die mutmaßliche Manipulierung von Dokumenten, wodurch die Rechte sowohl von Opfern als auch von Tatverdächtigen negiert wurden. Einer der beiden internationalen Co-Untersuchungsrichter trat einige Tage vor Veröffentlichung dieser Erkenntnisse von seinem Amt zurück und gab politische Einflussnahme als Grund für den Amtsverzicht an. Der Amtsantritt von Ersatzrichter Laurent Kasper-Ansermet als Nachfolger wurde verschoben, da die Regierung der Ernennung nicht zustimmte.
Gegen Gewerkschafter, Land- und Wohnrechtsaktivisten, NGO-Mitarbeiter und andere Menschenrechtsverteidiger gingen die Behörden weiterhin mit Drohungen, Schikanen, physischen Attacken und rechtlichen Schritten vor, um sie daran zu hindern, ihre friedlichen Aktivitäten durchzuführen. Von Gewerkschaftern und Arbeitern organisierte Streiks und Proteste wurden mit unnötiger oder exzessiver Gewalt niedergeschlagen. Frauen standen beim friedlichen Widerstand gegen die Zwangsräumungen im Gebiet des Boeung-Kak-Sees in vorderster Linie. Bei mehreren Gelegenheiten gingen Sicherheitskräfte gewaltsam gegen friedliche Protestkundgebungen vor und verletzten dabei einige der Frauen.
Da basisdemokratische Gruppen und Aktivisten zunehmend Treffen und Protestkundgebungen durchführten, die im Zusammenhang mit Menschenrechtsproblemen standen, versuchten die Behörden, diesen Treffen ein Ende zu setzen und die Proteste zu begrenzen. Einige Menschenrechtsorganisationen erhielten Drohungen, weil sie darauf hingewiesen hatten, dass ein Eisenbahnsanierungsprojekt zur Folge habe, dass die davon betroffenen Gemeinden umgesiedelt werden müssten.
Zum ersten Mal musste daraufhin eine lokale NGO - es handelte sich um Samakhum Teang Tnaut - wegen Kritik an dem Projekt offiziell die Arbeit einstellen.
Das im November 2011 von der Nationalversammlung verabschiedete Strafvollzugsgesetz enthielt Bestimmungen, die die potenziell ausbeuterische Nutzung von Gefängnisarbeit durch Privatunternehmen ermöglichen. Der vierte Entwurf eines Gewerkschaftsgesetzes wurde geändert, nachdem schon frühere Entwürfe von kambodschanischen und internationalen Gewerkschaften sowie Bekleidungseinkäufern kritisiert worden waren. Sie hatten Bestimmungen bemängelt, die die Nichtbeachtung einiger Aspekte des Gesetzes als strafbare Handlung definierten. Es bestand weiterhin Besorgnis über vage formulierte Bestimmungen in Bezug auf das zeitweilige Verbot von Gewerkschaften, den Widerruf ihrer Zulassung sowie ihre Auflösung.
Im Verlauf des gesamten Jahres versuchte die Regierung, den Gesetzentwurf über Vereinigungen und Nichtregierungsorganisationen fertigzustellen, obwohl im Zivilgesetzbuch ausreichende Bestimmungen über die Regulierung von Organisationen enthalten sind. Die ersten drei Entwürfe stießen auf vielfache Kritik seitens der kambodschanischen Zivilgesellschaft, internationaler Organisationen und der Regierungen anderer Länder. Nachdem der vierte Entwurf auf ähnliche Kritik gestoßen war, kündigte Ministerpräsident Hun Sen im Dezember 2011 an, die Abstimmung über den Entwurf würde, wenn nötig, bis 2014 vertagt, um einen Konsens zu erreichen.
Delegierte von Amnesty International besuchten Kambodscha in den Monaten Februar und November/Dezember.
© Amnesty International
Amnesty International Report 2012 - The State of the World's Human Rights (Periodical Report, German)
Amnesty International Report 2012 - The State of the World's Human Rights (Periodical Report, English)