Russland: Internetsperren, Störungen und zunehmende Isolation

|Pressemitteilung

Zensur und Kontrolle der Netzarchitektur führen zu Rechtsverletzungen

  • Die russischen Behörden betreiben massive Zensur im Internet, drosseln Websites und Online-Plattformen, die sie als subversiv einstufen, und führen zunehmend willkürliche und immer umfangreichere Internetabschaltungen durch.
  • Russland ist völkerrechtlich verpflichtet, den Zugang zu Informationen, die Meinungsfreiheit und das Recht auf Privatsphäre auch im Internet zu gewährleisten.
  • Westliche Regierungen, internationale Organisationen und Technologieunternehmen sollten die Bemühungen der Zivilgesellschaft unterstützen, Instrumente zur Überwindung staatlicher Zensur zu schaffen und den Zugang zu unabhängigen Informationen zu sichern.

(Vilnius, 30. Juli 2025) – Seit Beginn der groß angelegten Invasion der Ukraine im Februar 2022 haben die russischen Behörden die Zensur im Internet, Internetstörungen und die Online-Überwachung verstärkt, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 50-seitige Bericht „Disrupted, Throttled, and Blocked: State Censorship, Control, and Increasing Isolation of Internet Users in Russia” dokumentiert die Auswirkungen der wachsenden technologischen Kapazitäten und der Kontrolle der Regierung über die Internetinfrastruktur. Human Rights Watch stellte fest, dass dies den Behörden ermöglicht, unter dem Vorwand der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und der nationalen Sicherheit eine immer umfassendere und intransparente Sperrung und Drosselung unerwünschter Websites und Tools zur Umgehung der Zensur sowie Internetstörungen und -abschaltungen durchzuführen.

„Seit Jahren bauen die russischen Behörden ihre rechtlichen und technologischen Instrumente immer weiter aus, um das Internet in Russland zu einem kontrollierten und isolierten Forum zu machen“, sagte Anastasiia Kruope, Researcherin für Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch. „Diese Bemühungen haben zu einer allgegenwärtigen Zensur, großflächigen Internetstörungen und einer Gefahr für die Sicherheit und Privatsphäre geführt. Das verstößt gegen Russlands Menschenrechtsverpflichtungen nach internationalem Recht.“ 

Human Rights Watch sprach mit 13 russischen und internationalen unabhängigen Journalist*innen und Expert*innen für Internetzensur und digitale Rechte, Informationssicherheit, Internet-Governance und digitale Politik. Für den Bericht wurden außerdem Gesetze und Verordnungen sowie eine Vielzahl von frei zugänglichen Quellen in englischer und russischer Sprache analysiert, darunter wissenschaftliche Studien, russische IT-Foren und Daten, die von russischen und internationalen Projekten zur Überwachung der Internetzensur gesammelt wurden. 

Human Rights Watch hat fünf ausländische und drei russische Technologieunternehmen sowie die russische Regierung über die Ergebnisse seiner Recherchen informiert. Die Antworten des ausländischen Technologieunternehmens Cloudflare und des russischen Technologieunternehmens Yandex sind im Bericht enthalten und als Anhang auf der Website von Human Rights Watch verfügbar.

Die russischen Behörden haben Tausende von Websites gesperrt, darunter solche von unabhängigen Medien und Menschenrechtsorganisationen, Websites von Oppositionspolitiker*innen und Social-Media-Plattformen, weil diese sich nicht an die drakonischen Gesetze zur Regulierung der Online-Aktivitäten in Russland gehalten haben. 

Einige ausländische Websites und Plattformen haben aufgrund von Sanktionen und politischem Druck, der auf den russischen Angriff auf die Ukraine durch Russland im Februar 2022 folgte, ihre Dienste für Nutzer*innen aus Russland eingestellt. 

Der Zugriff auf gesperrte Websites und Apps wie Instagram oder Facebook ist in Russland ohne ein Virtual Private Network (VPN), ein Tool, mit dem Nutzer*innen die Zensur umgehen können, weitgehend unmöglich. Schätzungen zufolge weiß jedoch etwa die Hälfte der Bevölkerung des Landes nicht, wie man solche Tools nutzt, und die Behörden blockieren sie zunehmend.

Dies und die aktive staatliche Förderung russischer Alternativen zwangen immer mehr Nutzer*innen dazu, auf russische Browser und Social-Media-Plattformen umzusteigen, auf denen von der Regierung geförderte Inhalte und Interpretationen aktueller und historischer Ereignisse zu finden sind. Zudem besteht für Nutzer*innen ein höheres Risiko, dass ihre personenbezogenen Daten an Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden.

Das russische Recht schreibt vor, dass Websites, die Werbung schalten, 5 Prozent für „soziale Werbung“ aufwenden müssen, die als „für wohltätige oder andere sozial wertvolle Zwecke sowie zur Wahrung staatlicher Interessen“ definiert ist.

Der Browser Yandex schaltete in den letzten zwei Jahren mehr als zwei Milliarden Mal eine „soziale Werbung” der Regierung, in der die Menschen aufgefordert wurden, sich den russischen Streitkräften anzuschließen, offenbar um im Krieg gegen die Ukraine zu kämpfen. Yandex selbst gibt an, politische Werbung strengstens zu verbieten.

Gleichzeitig üben die russischen Behörden zunehmend Druck auf ausländische Technologieunternehmen aus, deren Dienste bei Nutzer*innen in Russland beliebt sind, wie Apple, Google und Mozilla. Ihnen drohen die russischen Behörden mit Geldstrafen und Sperrung, wenn sie VPNs und Inhalte, welche die Regierung als subversiv betrachtet, nicht entfernen. Die Behörden setzen ausländische Hosting-Anbieter und Content-Delivery-Dienste wie Cloudflare, einen der beliebtesten Dienste dieser Art in Russland, unter Druck, sich an die einschlägigen Gesetze zu halten, andernfalls drohen ihnen Drosselung und Sperrung. Im Mai 2025 teilte Cloudflare Human Rights Watch mit, dass es keine von der Regierung angeordnete Sperrungen identifizieren oder bestätigen könne, und niemals Websites auf Verlangen der Regierung gesperrt habe.

Im Dezember 2024 antworteten Apple, Amazon Web Services (AWS) und Mozilla auf Anfragen von Human Rights Watch. Apple teilte mit, dass die Einhaltung der „rechtmäßigen Anordnungen” Russlands notwendig sei, „um die Kommunikationsdienste für die russische Bevölkerung weiterhin verfügbar zu halten”. AWS antwortete, dass es „die geltenden Sanktionsgesetze in den Ländern und Regionen, in denen es tätig ist, einhält und über Richtlinien und Verfahren zur Unterstützung der Einhaltung dieser Gesetze verfügt”. Das Unternehmen bestätigte außerdem, dass es keine Niederlassungen oder Infrastruktur in Russland hat und seit März 2022 keine neuen Anmeldungen für seine Dienste aus Russland und Belarus zulässt. Mozilla betonte sein Engagement für die Unterstützung von Nutzer*innen in Russland und weltweit und dass es sich für ein offenes und zugängliches Internet für alle einsetze.

Die zunehmende Online-Zensur wird mittels Geräten durchgeführt, die als „technologische Mittel zur Abwehr von Bedrohungen“ (ТСПУ oder TSPU) bezeichnet werden. Diese Geräte sind in praktisch allen Netzwerken der Internetanbieter des Landes installiert, gemäß den Anforderungen des sogenannten Souveränen Internetgesetzes und dessen Durchführungsbestimmungen, die darauf abzielen, einen separaten russischen Teil des Internets zu schaffen. 

Die TSPU ermöglicht es der Regierung auch, unter dem Vorwand des Schutzes der öffentlichen Sicherheit „Internet-Isolationsübungen” und regionale Abschaltungen durchzuführen. Die Behörden behaupten, diese Tests hätten keine Auswirkungen auf durchschnittliche Nutzer*innen, allerdings haben Nutzer*innen während dieser „Übungen” von Internetstörungen berichtet, wie z.B. fehlgeschlagene Online-Banking-Transaktionen oder ein gestörter Zugang zu staatlichen Websites und Taxi-Apps.

Die Behörden haben zudem die Kontrolle über das Internet in Russland verstärkt, indem sie quasi dessen Architektur übernommen haben. Sie haben mehr als die Hälfte der russischen IP-Adressen in den Händen von sieben staatlich kontrollierten Internetanbietern konsolidiert und die Gesamtzahl der Anbieter reduziert. Die Regierung hat zudem ein nationales Domain-Name-System eingerichtet, das als Internet-Adressbuch fungiert, sowie staatliche Transport Layer Security-Zertifikate, die überprüfen, ob eine Website zu einer vertrauenswürdigen Stelle gehört und ob der Dienst verschlüsselt ist.

Die Gebiete der Ukraine, die vor und nach der russischen Invasion im Februar 2022 von Russland besetzt wurden, unterliegen einer ähnlichen Online-Zensur und erfahren entsprechende Internetstörungen.

Russland sollte alle Zensurmaßnahmen gegen international geschützte freie Meinungsäußerungen im Internet beenden und sicherstellen, dass alle Online-Beschränkungen rechtmäßig, notwendig und verhältnismäßig sind, was bedeutet, dass sie in ihrem Umfang begrenzt und transparent sein müssen. Die Behörden sollten ihre Bemühungen zur Konsolidierung und Kontrolle der Internetarchitektur einstellen, die das Recht auf Informationssuche und -verbreitung beeinträchtigen und die Privatsphäre untergraben. Sie sollten Internetabschaltungen beenden und für Transparenz hinsichtlich staatlicher Eingriffe in das Internet sorgen. Außerdem sollten sie keinen Druck auf ausländische und russische Technologieunternehmen ausüben, Nutzerdaten offenzulegen und Inhalte in keiner Weise zensieren, die nicht mit internationalen Standards vereinbar ist.

Ausländische und russische Technologieunternehmen sollten sich mit allen verfügbaren rechtlichen Mitteln und technologischen Lösungen dem staatlichen Druck widersetzen, Inhalte zu zensieren und Nutzerdaten unter Verstoß gegen internationales Recht offenzulegen. Sie sollten zudem sicherstellen, dass sie sich nicht an der Zensur beteiligen. 

Westliche Regierungen, internationale und zwischenstaatliche Organisationen sollten die Bemühungen der Zivilgesellschaft unterstützen, Instrumente zu schaffen, mit denen staatliche Zensur umgangen werden kann, um den Zugang zu unabhängigen Informationsquellen und die Privatsphäre der Nutzer*innen im Internet zu fördern und zu schützen. 

„Die russischen Behörden haben ein mächtiges Inventar an politischen und technologischen Mitteln aufgebaut, um die Zensur und Kontrolle des Internets auszuweiten, die für durchschnittliche Nutzer*innen weitgehend unsichtbar sind“, sagte Kruope. „Diese scheinbar unsichtbaren Maßnahmen haben verheerende Auswirkungen auf den Zugang zu Informationen, die Privatsphäre und die Meinungsfreiheit aller Internetnutzer*innen in Russland.“

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