Amnesty Report 2024/25: Zur Lage der Menschenrechte weltweit; Myanmar 2024

Berichtszeitraum: 1. Januar 2024 bis 31. Dezember 2024

Der interne bewaffnete Konflikt eskalierte, und die Häufigkeit der militärischen Luftangriffe nahm zu. Es kam auch vermehrt zu Angriffen auf zivile Infrastruktur wie Krankenhäuser und Schulen, wodurch u. a. das Recht auf Bildung beeinträchtigt wurde. Die ethnische Gemeinschaft der Rohingya erlebte die schlimmste Gewaltwelle seit 2017. Menschen wurden nach wie vor willkürlich festgenommen und in unfairen Verfahren vor Gericht gestellt. Aktivist*innen wurden mit Durchsuchungen ins Visier genommen. Zwei Journalisten erhielten lange Haftstrafen, was eine abschreckende Wirkung auf andere Medienschaffende hatte und das Recht auf freie Meinungsäußerung weiter einschränkte. Myanmar wurde weiterhin mit Flugzeugtreibstoff beliefert, obwohl mit Sanktionen und weltweiten Kampagnen versucht worden war, die Lieferungen zu unterbrechen, um Luftangriffe des Militärs zu verhindern.

Hintergrund

Die Militärherrschaft, die am 1. Februar 2021 mit der Entmachtung der demokratisch gewählten Regierung begonnen hatte, dauerte auch 2024 weiter an. Vorsitzender des Staatsverwaltungsrats (die offizielle Institution der Militärjunta) war weiterhin der Armeegeneral und Putschistenführer Min Aung Hlaing, der auch das Amt des kommissarischen Präsidenten übernommen hatte, da Myint Swe Berichten zufolge an gesundheitlichen Problemen litt. Die Menschenrechtslage in Myanmar war vier Jahre nach dem Putsch so verheerend wie noch nie. Die westlichen, nördlichen und südöstlichen Grenzgebiete des Landes waren von internen bewaffneten Konflikten erschüttert.

Trotz bröckelnder Bündnisse kämpften bewaffnete Gruppen weiterhin auf der Seite der sogenannten Volksverteidigungskräfte, des bewaffneten Flügels der oppositionellen Regierung der Nationalen Einheit, die 2021 nach dem Militärputsch gebildet worden war. Das Militär kämpfte darum, sein Gebiet zu halten, verlor jedoch die Kontrolle über Städte, Stützpunkte, Vorposten und Polizeistationen. Von den Kämpfen waren bevölkerungsreiche Städte betroffen, darunter Mandalay, die zweitgrößte Stadt des Landes. Aufgrund der immer härteren Gegenschläge des Militärs nahm die Gefahr für die Zivilbevölkerung zu. 2024 gab es so viele Luftschläge wie nie zuvor: In den ersten sechs Monaten des Jahres wurden fünfmal so viele Luftangriffe geflogen wie im selben Vorjahreszeitraum. Die Zahl der Binnenvertriebenen stieg auf über drei Millionen. Mehr als 20.000 Menschen waren inhaftiert. Die Zahl der im Jahr 2024 durch Armeeangehörige getöteten Personen überstieg 6.000.

Die hohe Zahl der militärischen Luftangriffe war vor allem den Gegenoffensiven gegen die sogenannte "Operation 1027" geschuldet. Die Operation 1027 war eine am 27. Oktober 2023 begonnene Offensive gegen das Militär, die von drei bewaffneten Organisationen angeführt wurde: der Arakan Army, der Ta’ang National Liberation Army und der National Democratic Alliance Army. Die Operation begann im Shan-Staat und pausierte in der ersten Jahreshälfte 2024 nach einem von China vermittelten Waffenstillstand, bevor sie wieder aufgenommen und auf weitere Landesteile ausgedehnt wurde. Gemeinsam mit den Volksverteidigungskräften brachten die Kämpfer*innen der Operation 1027 ganze Städte, strategische Straßen, einen Flughafen und zwei von 14 regionalen Militärkommandozentralen unter ihre Kontrolle.

Im November 2024 beantragte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) Haftbefehl gegen Armeegeneral Min Aung Hlaing. Dem Militärchef werden wegen Vertreibung und Verfolgung der Rohingya während der Militäreinsätze im Jahr 2017 Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.

Rechtswidrige Angriffe und Tötungen

Die Art der militärischen Gegenoffensive entsprach der bisherigen Praxis und bestand aus wahllosen und unverhältnismäßigen Angriffen sowie tödlichen Bodenangriffen. Militärische Luftangriffe trafen religiöse Einrichtungen, Schulen, Krankenhäuser und Areale, in denen Binnenvertriebene untergebracht waren, darunter ein Lager und ein Kloster. Auch den Kämpfer*innen der Operation 1027 wurden Menschenrechtsverstöße vorgeworfen, z. B. die Zwangsrekrutierung von Zivilpersonen.

Im Januar 2024 wurden bei Luftangriffen des Militärs im Dorf Kanan in der Sagaing-Region an der Grenze zu Indien 17 Zivilpersonen getötet, die sich zum Gottesdienst versammelt hatten, darunter neun Kinder.

Am 9. Mai 2024 griffen Militärangehörige ein Kloster im Dorf Ah Kyi Pan Pa Lon im Township Saw in der zentralmyanmarischen Region Magway an. Augenzeugenberichten zufolge sei nach zwei ersten Luftangriffen ein Kampfjet zurückgekehrt und habe die vor den Explosionen fliehenden Menschen mit schweren Geschützen beschossen. Bei den Angriffen wurden zwölf Zivilpersonen getötet und 26 verletzt. Das etwa 100 Jahre alte Kloster wurde zerstört. Ebenfalls im Mai nahmen Armeeangehörige bei einer Razzia im Dorf Byaing Phyu in der Nähe von Sittwe, der Hauptstadt des Bundesstaats Rakhine, Zivilpersonen der ethnischen Gemeinschaft der Rakhine wegen ihrer vermeintlichen Verbindungen zur Arakan Army ins Visier. Dabei wurden mindestens 50 Menschen getötet.

Am 19. Juni wurde Bhaddanta Muninda Bhivamsa, ein hochrangiger religiöser Vertreter der buddhistischen Gemeinschaft Myanmars, während einer Autofahrt im Ngazun Township in der Region Mandalay erschossen. Der 78-Jährige war der Oberabt des Klosters Win Neinmitayon in der Region Bago. Er war mit einem weiteren Mönch unterwegs gewesen, der ebenso wie der Fahrer verletzt wurde. Nach dem Vorfall wurde berichtet, Militärangehörige hätten auf das Auto geschossen, nachdem es versucht hatte, einen Militärlastwagen in einem Konfliktgebiet zu passieren.

Am 5. August 2024 wurden bei einem Drohnen- und Mörserangriff auf Angehörige der Rohingya, die vor den Kämpfen im Norden des Bundesstaats Rakhine flohen, schätzungsweise 200 Erwachsene und Kinder getötet – es war der verheerendste Angriff auf die Rohingya seit 2017. Angehörige der Gemeinschaft machten für den Angriff die Arakan Army verantwortlich, die als eine von drei bewaffneten Gruppen an der Operation 1027 gegen das Militär beteiligt war. Die Arakan Army wies in einer offiziellen Stellungnahme gegenüber Amnesty International jegliche Verantwortung von sich.

Am 5. September 2024 startete das Militär einen Luftangriff auf ein Lager für Binnenvertriebene im Township Pekon im Süden des Bundesstaats Shan, bei dem Schätzungen zufolge acht Zivilpersonen getötet wurden, darunter sechs Kinder. Eine Bewohnerin sagte, in der Nähe gebe es weit und breit keine Kämpfe, nur "hilflose Frauen und Kinder", die durch den bewaffneten Konflikt vertrieben worden seien.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Das Militär führte rechtswidrige Angriffe auf Schulen durch, bei denen Schüler*innen und Lehrkräfte getötet und verletzt wurden. Das Recht auf Bildung sowie andere Rechte wurden dadurch noch weiter verletzt. In den von der Opposition kontrollierten Gebieten wurden zwar Bildungseinrichtungen eröffnet, was es Schüler*innen ermöglichte, wieder zur Schule zu gehen, doch die militärischen Angriffe und die Verschärfung des bewaffneten Konflikts beeinträchtigten die Unterrichtsbedingungen. Viele Schulen waren gezwungen, Bombenschutzräume auf dem Schulgelände zu bauen, Schulgebäude nach Bombardierungen wieder aufzubauen oder Schulen in mobile Bildungseinrichtungen umzuwandeln, um den Angriffen zu entgehen.

Am 6. Februar 2024 wurde eine Schule im Dorf Daw Sei Ei im Bundesstaat Karenni Ziel eines Luftangriffs, bei dem vier Kinder getötet wurden. Bei einem Luftschlag auf ein Lager für Binnenvertriebene im Süden des Bundesstaats Shan (siehe "Rechtswidrige Angriffe und Tötungen") wurden am 5. September auch Schüler*innen vertrieben oder getötet. Bis Ende 2024 waren in ganz Myanmar mehr als 750 Kinder verletzt oder getötet worden.

Die anhaltenden Störungen und Einschränkungen im Bereich der schulischen Bildung, die während der Pandemie begonnen hatten, führten dazu, dass viele Kinder nicht mehr zur Schule gingen. Der Putsch und seine Folgen hatten schwerwiegende Auswirkungen auf den Zugang zu Bildung im Land. Millionen Kinder besuchten keinen regulären Schulunterricht, und mehr als 13.000 Schulen mussten Berichten zufolge aufgrund des bewaffneten Konflikts schließen. Einige Eltern nahmen ihre Kinder aus der Schule und flohen aus Angst um ihre Sicherheit nach Thailand.

Willkürliche Festnahmen und unfaire Gerichtsverfahren

Die Militärbehörden bedienten sich auch 2024 der Gerichte, um abweichende Meinungen zu unterdrücken. Menschen wurden willkürlich und ohne Anklage in Verhörzentren festgehalten. Massenprozesse fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, und die Angeklagten hatten kaum Zugang zu rechtlicher Vertretung. Immer häufiger wurden Menschen auf der Grundlage von scharfen Gesetzen wie z. B. Antiterrorbestimmungen vor Gericht gestellt.

Der Journalist Myo Myint Oo, der für das unabhängige Online-Nachrichtenportal Dawei Watch tätig war, wurde auf der Grundlage von Antiterrorgesetzen zu lebenslanger Haft verurteilt. Sein Kollege Aung San Oo erhielt wegen ähnlicher Anklagen 20 Jahre Gefängnis.

Folter und andere Misshandlungen

Die Militärbehörden hielten Festgenommene weiterhin ohne Anklage in Verhörzentren fest, um sie zur Preisgabe von Informationen zu zwingen. Am 9. Oktober 2024 wurden die Demokratie-Aktivisten Paing Phyo Min und Shein Wai Aung in Yangon bei Durchsuchungen festgenommen und in ein Verhörzentrum gebracht.

In den Hafteinrichtungen des Landes herrschten nach wie vor katastrophale Bedingungen, u. a. was den Zugang zu Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung anging. Im Daik-U-Gefängnis in der Bago-Region verprügelten Wächter*innen im Juni 2024 etwa 80 Frauen, die dort willkürlich inhaftiert waren. Am 19. August 2024 starb der 50-jährige Filmemacher Pe Maung Sein drei Tage nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Zuvor waren Verletzungen, die er bei einem "Verhör" erlitten hatte, zwei Jahre lang nicht angemessen behandelt worden. Der 73-jährige Zaw Myint Maung, unter der gestürzten Zivilregierung Ministerpräsident von Mandalay, starb im Oktober nach fast vier Jahren im Gefängnis. Einen Tag vor seinem Tod war er aus dem Gefängnis entlassen und in ein Krankenhaus in Mandalay eingeliefert worden.

Unternehmensverantwortung

Auch 2024 trafen neue Lieferungen von Flugbenzin in Myanmar ein, obwohl weltweit gefordert wurde, dem Militär die Mittel zu entziehen, die es für die Durchführung seiner rechtswidrigen Luftangriffe benötigte. Im Januar 2024 deckte Amnesty International auf, dass das myanmarische Militär das ganze Jahr 2023 über Taktiken angewandt hatte, um die Sanktionen zu umgehen, die über einen Teil seiner Benzinlieferkette verhängt worden waren. Zwischen Januar und Juni 2024 erhielt das Land mindestens zwei weitere Lieferungen von Flugbenzin.

Änderungen in der Lieferkette führten dazu, dass Treibstoff mehrere Male gekauft und anschließend verkauft wurde, bevor er Vietnam erreichte, von wo aus er schließlich nach Myanmar verschifft wurde. In zwei Fällen transportierte ein chinesischer Öltanker Treibstoff von Vietnam nach Myanmar. Es gab zudem Hinweise auf eine dritte Lieferung im Mai 2024 aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Zwar war unklar, wie der Treibstoff in Myanmar verwendet wurde, doch die Kontrolle des Militärs über den Hafen ließ befürchten, dass er für nichtzivile Zwecke eingesetzt worden sein könnte.

Im April 2024 nahm der UN-Menschenrechtsrat eine Resolution an, in der die UN-Mitgliedstaaten erstmals aufgefordert wurden, kein Flugzeugbenzin an das myanmarische Militär zu exportieren, zu verkaufen oder weiterzugeben. Im Oktober verhängten Großbritannien, die EU und Kanada weitere Sanktionen, um den Zugriff des Militärs auf Gelder, Ausrüstung und Materialien, einschließlich Flugbenzin, zu verhindern.

Der UN-Sonderberichterstatter über die Menschenrechtssituation in Myanmar stellte außerdem besorgt fest, dass es zu einer Verlagerung der Waffenlieferungen aus der Region an Myanmar gekommen war: Während die Lieferungen aus Singapur stark abgenommen hatten, war ein beträchtlicher Anstieg an Waffenlieferungen aus Thailand zu beobachten.

Menschenrechtsverstöße bewaffneter Gruppen

Immer häufiger wurden Vorwürfe laut, wonach bewaffnete Oppositionsgruppen Menschenrechtsverstöße verübt haben sollen. Aus Myanmar geflüchtete Rohingya berichteten Amnesty International, dass Angehörige der Arakan Army ihre Häuser niedergebrannt, sie vertrieben, Zivilpersonen getötet und ihren Besitz gestohlen hatten. Die Arakan Army bestritt jedoch, für Menschenrechtsverstöße während der Kämpfe gegen das Militär verantwortlich zu sein, das 2024 großflächige Luftangriffe auf den Bundesstaat Rakhine durchführte, den Heimatstandort der Arakan Army. Militante Gruppen aus den Reihen der Rohingya wurden beschuldigt, Kindersoldat*innen zwangsrekrutiert zu haben. Im April 2024 war die bewaffnete Gruppe National Democratic Alliance Army für außergerichtliche Hinrichtungen an ihren eigenen Mitgliedern verantwortlich. Zusammen mit der Arakan Army gehörte die Gruppe dem Bündnis Three Brotherhood Alliance an, das hinter der Operation 1027 stand.

Die Tötung von Zivilpersonen durch andere Gruppen, die gegen das Militär kämpften, wurde vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) gesondert dokumentiert. Im September 2024 teilte das OHCHR mit, es lägen Berichte vor, denen zufolge in der ersten Jahreshälfte 124 Verwaltungsangestellte und andere Staatsbedienstete sowie Informant*innen des Militärs und deren Familienangehörige getötet wurden.

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