Berichtszeitraum: 1. Januar 2024 bis 31. Dezember 2024
Eine neue strafrechtliche Vergewaltigungsdefinition trat in Kraft. Der Regierung wurde eine Volksinitiative vorgelegt, die Menschen mit Behinderungen in der Verfassung besser schützen will. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fällte zwei wegweisende Urteile gegen die Schweiz bezüglich Racial Profiling und Klimagerechtigkeit. Neue Gesetze in den Kantonen und Einschränkungen des Protestrechts an Universitäten bedrohten das Recht auf friedliche Versammlung.
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt
Am 1. Juli 2024 trat eine Reform des Strafgesetzbuchs in Kraft. Dieser zufolge gilt jedes Eindringen in den Körper, das "gegen den Willen einer Person" erfolgt, als Vergewaltigung. Das Gesetz ersetzt eine veraltete Vergewaltigungsdefinition, die sich auf tätliche Gewalt, Nötigung oder Zwang stützte und nur Frauen als Opfer in Betracht zog.
Im Juni 2024 änderte die Bundesversammlung das "Ausländer- und Integrationsgesetz" ab, um ausländische Staatsangehörige, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, besser zu schützen.
Diskriminierung
In einem wegweisenden Urteil entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Anfang 2024 im Fall Wa Baile gegen die Schweiz, dass die schweizerischen Behörden gegen die Rechte auf Privatsphäre und Nichtdiskriminierung des Schwarzen Schweizers Mohamed Wa Baile verstoßen hatten, indem sie ihn einer diskriminierenden Personenkontrolle (Racial Profiling) unterzogen, ihn durchsuchten und ihm eine Geldstrafe auferlegten.
Die Bundesversammlung beauftragte die Regierung mit der Ausarbeitung eines Aktionsplans zur Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus.
Im September 2024 stimmte der Nationalrat dafür, dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) keine weitere Finanzhilfe mehr zu gewähren. Er forderte den Bundesrat auf, sich innerhalb der UN dafür einzusetzen, das Hilfswerk vollständig zu ersetzen, was die im Parlament herrschende antipalästinensische Stimmung widerspiegelte. Der Ständerat vertagte eine Entscheidung in dieser Frage auf 2025.
Rechte von Menschen mit Behinderungen
Die 2023 lancierte "Inklusions-Initiative" wurde 2024 mit 108.000 Unterschriften offiziell eingereicht. Die Initiative will die verfassungsrechtliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen erreichen. Eine Volksabstimmung wird in den nächsten drei Jahren erwartet.
Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit
Das Recht auf Protest wurde 2024 in einigen Kantonen beschnitten. Im März 2024 hießen die Stimmberechtigten im Kanton Zürich ein Gesetz gut, das eine generelle Bewilligung für öffentliche Demonstrationen vorschreiben und die Polizei in die Lage versetzen würde, den Organisator*innen von unbewilligten Demonstrationen die Kosten für den nötigen Polizeiaufwand in Rechnung zu stellen. Eine noch extremere Initiative war an der Urne gescheitert. In Genf wurde im April 2024 ein Gesetzentwurf vorgelegt, der Demonstrationen in Teilen des Stadtzentrums verbieten will.
Im Mai 2024 schränkten akademische Einrichtungen Protestveranstaltungen von Studierenden ein, die ihre Unterstützung für die Palästinenser*innen zum Ausdruck bringen wollten. Hochschulen verboten Veranstaltungen, zogen Polizeikräfte zur Auflösung von Protesten hinzu und drohten Studierenden mit rechtlichen Schritten. Politiker*innen forderten restriktivere Gesetze, um künftige Proteste an Universitäten zu verhindern und Demonstrierende strafrechtlich zu verfolgen. Zu Beginn des akademischen Jahres versuchten Studierende erneut, ihre Unterstützung der palästinensischen und libanesischen Opfer israelischer Angriffe durch Proteste und Veranstaltungen zum Ausdruck zu bringen.
Recht auf eine gesunde Umwelt
Im April 2024 stellte der EGMR in dem wegweisenden Verfahren Verein KlimaSeniorinnen Schweiz und andere gegen die Schweiz fest, dass die Schweiz gegen Artikel 6 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen habe. Dem Urteil zufolge hatte die Schweiz es versäumt, ihre Treibhausgas-Reduktionsziele mit der gebotenen Sorgfalt und auf der Grundlage der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erarbeiten und die wirksame Ausarbeitung und Umsetzung von Minderungsmaßnahmen sicherzustellen. Die Bundesversammlung und die Regierung kritisierten den Entscheid und machten geltend, dass die Schweiz bereits hinreichende Maßnahmen umgesetzt und der EGMR seine Kompetenzen überschritten habe. Vorstöße (Anträge) in der Bundesversammlung, aus der Europäischen Menschenrechtskonvention auszutreten, wurden abgelehnt. Trotz ihrer Einwände legte die Schweiz dem Europarat einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung des Gerichtsentscheids vor.
Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen
Im Jahr 2024 wurde bekannt, dass im Jahr 2023 Kinder in Bundesasylzentren Gewalt und Misshandlungen ausgesetzt waren. Die Regierung legte Vorschläge zu einer Gesetzesänderung beim Familiennachzug vor. Ein neues Gesetz, das die Inhaftierung von Minderjährigen in Bundesasylzentren ohne angemessene Schutzmechanismen zulassen würde, war Ende 2024 noch in der Bundesversammlung anhängig.
Veröffentlichungen von Amnesty International
- Schweiz: Ethnisches Profiling / Fall Wa Baile. EGMR verurteilt Schweiz wegen ethnischem Profiling, 20. Februar
- Schweiz: Parlament muss historisches Urteil zum Klimaschutz respektieren, 4. Juni
- Schweiz: Neues Sexualstrafrecht tritt in Kraft − wichtiger Schritt, aber noch nicht genug, 27. Juni
- Schweiz: Amnesty-Briefing analysiert wegweisendes Klima-Urteil des EGMR, 21. August
- Schweiz: Kinderrechte in Bundesasylzentren müssen besser geschützt werden, 22. Oktober