Berichtszeitraum: 1. Januar 2024 bis 31. Dezember 2024
Die nationalen Finanz- und Ermittlungsbehörden nahmen zivilgesellschaftlich engagierte Personen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Aktivist*innen, Journalist*innen und Kritiker*innen ins Visier und schränkten den zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum immer stärker ein. Die Behörden zerstörten weiterhin rechtswidrig Gebäude, die religiösen Minderheiten gehörten, um die Betroffenen außergerichtlich zu bestrafen. Die Strafprozessordnung und Strafgesetze, die noch aus der Kolonialzeit stammten, wurden abgeschafft und neue Gesetze eingeführt. Diese enthielten jedoch weiterhin problematische Bestimmungen, wie z. B. den Straftatbestand der "Aufwiegelung". Akademiker*innen, Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen wurden in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt, indem man ihre Arbeitsvisa aussetzte, ihnen den Zugang zum Land verweigerte und ihnen einen besonderen Aufenthaltstitel, die sogenannte indische Staatsbürgerschaft im Ausland, entzog. Die Wahlkommission hielt nach zehn Jahren zum ersten Mal eine Wahl für die gesetzgebende Versammlung in Jammu und Kaschmir ab. Im Bundesstaat Manipur kam es weiterhin zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Gruppen.
Hintergrund
Vom 19. April bis zum 1. Juli 2024 fanden in Indien Parlamentswahlen statt. In dieser Zeit wurden friedliche Proteste unterdrückt und religiöse Minderheiten systematisch diskriminiert. Die Regierungspartei Bharatiya Janata verfehlte zwar die absolute Mehrheit, blieb aber dennoch für eine dritte Amtszeit in Folge an der Macht, da sie mit anderen Parteien das Koalitionsbündnis National Democratic Alliance (NDA) bildete.
Am 22. Januar weihte Premierminister Narendra Modi einen der Gottheit Ram gewidmeten Hindu-Tempel ein. Der Ram-Tempel wurde in der Stadt Ayodhya im Bundesstaat Uttar Pradesh an dem Ort errichtet, an dem früher die mittelalterliche Babri-Moschee stand. Die Moschee war im Jahr 1992 durch eine aufgebrachte Gruppe von Hindus zerstört worden, die der Meinung waren, sie sei an der Stelle eines von Muslim*innen zerstörten Hindu-Tempels errichtet worden. Die Einweihungszeremonie im Vorfeld der Parlamentswahlen war von religiösen Spannungen im ganzen Land begleitet und führte zu gewaltsamen Angriffen auf Muslim*innen.
Die Financial Action Task Force (FATF), ein zwischenstaatliches Gremium, dem Indien angehört, schloss im Juni 2024 ihre vierte Bewertung der indischen Maßnahmen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ab. Sie rief Indien dazu auf, sicherzustellen, dass den restriktiven Maßnahmen zur Regulierung und Überwachung von gemeinnützigen Organisationen und deren Finanzierung eine risikobasierte Analyse vorgeschaltet wird, die der Definition der FATF entspricht.
Im Jahr 2024 endete Indiens sechsjährige Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat (zweimal drei Jahre). Zwischen 2019 und 2024 erhielt Indien 83 Anfragen von verschiedenen UN-Expert*innen, von denen es nur 20 beantwortete. Das Land hatte seit 2019 nur einer Besuchsanfrage zugestimmt, 19 weitere waren anhängig, einschließlich einer Anfrage des UN-Sonderberichterstatters über Folter, die ins Jahr 1999 zurückreichte.
Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit
Die Behörden verabschiedeten Gesetze, mit denen abweichende Meinungen kriminalisiert werden konnten. In der Folge waren die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, friedliche Versammlung und ein faires Gerichtsverfahren eingeschränkt.
Am 1. Juli 2024 traten drei Gesetze (Bharatiya Nyaya Sanhita, Bharatiya Sakshya Adhiniyam und Bharatiya Nagarik Suraksha Sanhita) in Kraft, mit denen das Strafgesetzbuch von 1860, das Beweismittelgesetz von 1872 und die Strafprozessordnung von 1882 ersetzt wurden. Proklamiertes Ziel war es, veraltete Gesetze aus der Kolonialzeit zu überarbeiten. Allerdings enthielten die neuen Gesetze weiterhin problematische Bestimmungen wie z. B. den Straftatbestand der "Aufwiegelung".
Am 11. April 2024 informierte der Techkonzern Apple mehrere Nutzer*innen in Indien über mögliche Angriffe mit Spionagesoftware, darunter auch die Spyware Pegasus der Firma NSO Group. Unter den Betroffenen befand sich Iltija Mufti, Medienberaterin und Tochter von Mehbooba Mufti, einer führenden Politikerin in Jammu und Kashmir. Auch Pushparaj Deshpande, Gründer der NGO Samruddha Bharat Foundation, erhielt eine entsprechende Mitteilung von Apple.
Versuche, das Recht auf freie Meinungsäußerung auf Gesetzesebene einzuschränken, scheiterten. Im August 2024 zog das Ministerium für Information und Rundfunk (Ministry of Information and Broadcasting) angesichts öffentlichen Widerstands den Entwurf für ein Gesetz über Rundfunkdienste (Broadcasting Services [Regulation] Bill) zurück. Der Entwurf sah vor, Personen, die Inhalte für Soziale Medien produzieren (content creators), als "digitale Nachrichtensender" zu definieren. Am 20. September 2024 hob das Hohe Gericht von Mumbai Vorschriften zur Internetnutzung (Information Technology [Intermediary Guidelines and Digital Media Ethics Code] Amendment Rules) aufgrund von Verfassungswidrigkeit auf, die 2023 veröffentlicht worden waren und es den Behörden ermöglicht hatten, digitale Inhalte für "gefälscht, falsch oder irreführend" zu erklären.
Laut der Organisation Software Freedom Law Center, die zum Schutz der rechtlichen Interessen freier, quelloffener Software gegründet wurde und Internetsperren dokumentierte, verhängten die indischen Behörden zwischen Januar und Dezember 2024 40 Internetsperren in neun Bundesstaaten und einem Unionsterritorium. Diese pauschalen Sperren wurden mit der "Wahrung von Recht und Ordnung" begründet und galten während gewaltsamer Ausschreitungen zwischen ethnischen und religiösen Gruppen, bei Protesten von Landwirt*innen und für die Dauer von Eignungsprüfungen für Regierungsjobs und Hochschulstudiengänge.
Textilarbeiter*innen waren weiterhin nur eingeschränkt in der Lage, ihre Rechte auf Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen wahrzunehmen. In diesem Sektor herrschten informelle Arbeitsverhältnisse und Niedriglöhne vor, was insbesondere Frauen und Arbeiterinnen aus der Gemeinschaft der Dalit betraf.
Menschenrechtsverteidiger*innen
Staatliche Stellen bedienten sich 2024 der zentralen Finanz- und Ermittlungsbehörden, um gegen zivilgesellschaftliche Organisationen und Menschenrechtsverteidiger*innen vorzugehen. Die Lizenzen von mindestens sieben NGOs unter dem Gesetz über Auslandsfinanzierung (Foreign Contribution [Regulation] Act) wurden aufgehoben. In der Folge hatten die betroffenen NGOs keinen Zugriff mehr auf wichtige Geldmittel. Am 25. September 2024 entzog die Einkommensteuerbehörde der NGO Aman Biradari den Status der Steuerbefreiung. Die NGO war von Harsh Mander, einem bekannten Menschenrechtler, gegründet worden.
Am 1. Juli 2024 verurteilte ein Gericht in Delhi die Menschenrechtlerin Medha Patkar zu fünf Monaten Haft. Sie war 2001, also 23 Jahre zuvor, in einem politisch motivierten Verfahren vom staatlich bestellten Vizegouverneur von Delhi wegen "Diffamierung" angezeigt worden. Die Strafe wurde im Rechtsmittelverfahren zur Bewährung ausgesetzt.
Am 17. Oktober 2024 erstattete das US-Justizministerium Strafanzeige gegen Vikash Yadav, einen Regierungsangestellten aus Indien, wegen Geldwäsche und Planung eines Auftragsmords. Die US-Behörde warf ihm vor, an einem mutmaßlichen Mordkomplott gegen Gurwant Singh Pannun, einen Sikh-Aktivisten mit kanadischer und US-amerikanischer Staatsbürgerschaft, beteiligt gewesen zu sein.
Journalist*innen
Die Behörden gingen auch 2024 hart gegen indische Journalist*innen vor und schränkten die Freizügigkeit von ausländischen Journalist*innen ein, indem sie ihnen Arbeitsvisa verweigerten und einen besonderen Aufenthaltstitel, die sogenannte indische Staatsbürgerschaft im Ausland (Overseas Citizenship of India – OCI), entzogen.
Der Journalistin Vanessa Dougnac, die für mehrere internationale Medienorganisationen als Südasien-Korrespondentin gearbeitet hatte, wurde der OCI-Status wegen "böswilliger und kritischer" Berichterstattung entzogen. Avani Das, Leiterin des Südasienbüros der australischen Rundfunkgesellschaft Australian Broadcasting Corporation, und der französische Journalist Sébastien Farcis sahen sich gezwungen, Indien zu verlassen, nachdem die Behörden ihre Arbeitserlaubnisse nicht verlängert hatten.
Am 11. September 2024 verweigerte man dem australischen Filmemacher David Bradbury ohne Angabe von Gründen die Einreise nach Indien. Er wurde nach seiner Ankunft an einem indischen Flughafen festgenommen und zu seinem Dokumentarfilm über die Proteste gegen das Kernkraftwerk in Kudankulam im Bundesstaat Tamil Nadu befragt. Anschließend musste er das Land wieder verlassen.
Am 26. November 2024 informierte die Polizei von Ghaziabad in Uttar Pradesh das Hohe Gericht von Allahabad, dass die Anzeige vom 8. Oktober 2024 gegen den Mitbegründer der Nachrichtenwebsite Alt News, Mohammed Zubair, um den Vorwurf der "Gefährdung der Souveränität, Einigkeit und Integrität von Indien" erweitert worden sei. Die Polizei begann ihre Ermittlungen gegen Mohammed Zubair auf Grundlage der Anzeige.
Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen
Sechs Studenten und Menschenrechtsverteidiger befanden sich 2024 weiterhin wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung am Herbeiführen der religiösen Ausschreitungen in Delhi im Februar 2020 in Haft.
Im Vorfeld der Parlamentswahlen nahm die Agentur für Finanzdelikte (Enforcement Directorate), Indiens oberste Untersuchungsbehörde für Finanzkriminalität, den Regierungschef von Delhi, Arvind Kejriwal, und den Regierungschef von Jharkhand, Hemant Soren, fest. Beide waren Mitglieder von Oppositionsparteien. Der Oberste Gerichtshof stimmte im September 2024 einer Freilassung gegen Kaution zu.
Am 8. Mai 2024 nahm die Polizei der Stadt Coimbatore (Bundesstaat Tamil Nadu) den Youtuber Savukku Shankar fest, da ihm vorgeworfen wurde, "verunglimpfende Bemerkungen" über Polizistinnen gemacht zu haben. Daraufhin wurden 17 Anzeigen gegen ihn erstattet, und er kam gemäß dem Tamil Nadu Goondas Act in Verwaltungshaft. Seine Inhaftierung beruhte auf seinen Aktivitäten in den Sozialen Medien. Am 25. September wurde Savukku Shankar auf Anordnung des Obersten Gerichtshofs wieder freigelassen.
Am 14. Mai 2024 ließ der Oberste Gerichtshof den Journalisten Gautam Navlakha gegen Kaution frei, nachdem er vier Jahre lang in Untersuchungshaft festgehalten worden war. Er war wegen mutmaßlicher Beteiligung an gewaltsamen Ausschreitungen während der Bhima-Koregaon-Feierlichkeiten in der Nähe der Stadt Pune im Jahr 2018 festgenommen worden. Unter anderem wurden unter dem Unlawful Activities (Prevention) Act (UAPA), einem drakonischen Antiterrorgesetz, Vorwürfe gegen ihn erhoben. In Verbindung mit diesem Fall waren seit 2018 16 Menschenrechtsverteidiger*innen festgenommen worden, acht von ihnen befanden sich 2024 noch immer ohne Verfahren in Haft.
Am 14. Juni 2024 gab der Vizegouverneur von Delhi grünes Licht für die Strafverfolgung der international bekannten Schriftstellerin Arundhati Roy und des Akademikers Sheikh Showkat Hussain aus Kaschmir. Beide wurden unter dem UAPA angeklagt.
Am 6. Juli 2024 erstattete die Polizei in Uttar Pradesh Anzeige gegen Zakir Ali Tyagi und drei weitere Journalisten. Ihnen wurde vorgeworfen, "Feindschaft zwischen verschiedenen Gruppen geschürt" und "Aussagen zur Förderung öffentlichen Unfugs" gemacht zu haben. Grund für die Vorwürfe waren Nachrichten, die sie über Soziale Medien veröffentlicht hatten und in denen es um den Lynchmord an einem muslimischen Mann im Distrikt Shamli am 5. Juli ging.
Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
Rechtswidrige Zwangsräumungen
Die Behörden der Bundesstaaten griffen seit 2020 auf rechtswidrige Zwangsräumungen und die Zerstörung von Gebäuden zurück, um bestimmte Gemeinschaften kollektiv und willkürlich für Proteste oder gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Gruppen zu bestrafen. Aus einem Amnesty-Bericht vom Februar 2024 ging hervor, dass zwischen 2020 und 2022 in verschiedenen Bundesstaaten mehr als 2.840 Gebäude, darunter Privathäuser und Gebetsstätten, zerstört wurden. Die meisten von ihnen gehörten Muslim*innen.
Im November 2024 erklärte der Oberste Gerichtshof in einer wegweisenden Entscheidung, dass die willkürliche Zerstörung von Gebäuden, die oftmals von höchster Regierungsebene angeordnet wurde und sich insbesondere gegen Muslim*innen richtete, "rücksichtslos und willkürlich" sei und "kollektiver Bestrafung" gleichkomme. Der Gerichtshof erklärte derartige Zerstörungen für verfassungswidrig und legte eine Reihe von Richtlinien für verfahrensrechtliche Garantien fest.
Diskriminierung
Im Vorfeld der Wahlen setzte der Bundesstaat Assam am 7. März 2024 die Vergabe von Unbedenklichkeitsbescheinigungen für Landverkäufe zwischen Personen verschiedener Religionen für die Dauer von drei Monaten aus. Es wurde befürchtet, dass dies zur Diskriminierung von Muslim*innen führen würde, da diese in der Folge faktisch keine andere Wahl hatten, als in Gebieten mit ausschließlich muslimischen Bewohner*innen zu leben.
Am 24. September 2024 ordneten die Verwaltungsbehörden des Bundesstaats Uttar Pradesh an, dass in allen Gastronomiezentren die Namen und Adressen der Betreiber*innen, Eigentümer*innen und Manager*innen aushängen müssen, obwohl der Oberste Gerichtshof bereits am 22. Juli eine ähnliche Anordnung in Uttar Pradesh mit der Begründung ausgesetzt hatte, dass das Vorgehen Diskriminierung aufgrund der Identität verfestige.
Recht auf friedliche Versammlung
Polizeikräfte wandten 2024 bei vielen Gelegenheiten rechtswidrige Gewalt gegen friedliche Protestierende an.
Im Februar 2024 kam es zu friedlichen Massenprotesten von Landwirt*innen in den Bundesstaaten Punjab und Haryana. Die Polizei von Haryana setzte rechtswidrig mit Tränengaskanonen bestückte Drohnen gegen die Protestierenden ein. Am 21. Februar wurde der 20-jährige Landwirt Shubhkaran Singh während der Proteste erschossen. Das Hohe Gericht von Punjab und Haryana ordnete die Einsetzung eines Ausschusses zur Untersuchung seines Todes an.
Im September 2024 hielten mehr als 1.500 Arbeiter*innen von Samsung Electronics friedliche Proteste in der Stadt Chennai im Bundesstaat Tamil Nadu ab. Sie forderten die Anerkennung ihrer neu gegründeten Gewerkschaft, mit der sie Verhandlungen über bessere Löhne und eine bessere Arbeitsorganisation sicherstellen wollten. Die Polizei nahm mehr als 300 Protestierende fest.
Gegen mindestens 51 Menschen in sieben Bundesstaaten liefen strafrechtliche Verfahren, weil sie propalästinensische Kundgebungen organisiert und in den Sozialen Medien propalästinensische Inhalte veröffentlicht hatten.
Rechte von Frauen und Mädchen
Am 9. August 2024 wurde eine 31-jährige Ärztin in Ausbildung in einem Krankenhaus in Kolkata im Bundesstaat Westbengalen vergewaltigt und getötet. Der Vorfall löste Protestwellen im ganzen Land aus. Am 14. August griffen Unbekannte Mitarbeiter*innen des Krankenhauses an, die sich wegen der Vergewaltigung und Tötung ihrer Kollegin zu Protestaktionen versammelt hatten.
Die Medien berichteten zwischen Januar und September 2024 über 33 Vorfälle sexualisierter bzw. tätlicher Gewalt gegen Dalit-Frauen.
Diskriminierung
Ein Gericht im Bundesstaat Karnataka sprach in einem wegweisenden Urteil 101 Personen im Zusammenhang mit Gräueltaten gegen Dalits in der Ortschaft Marakumbi im Jahr 2014 schuldig. Gegen 98 Angeklagte erging eine lebenslange Haftstrafe, weil sie die Unterkünfte von Dalits in Brand gesteckt hatten.
Im Oktober 2024 wurde im Bundesstaat Madhya Pradesh eine 19-jährige Dalit-Frau mit Benzin übergossen und angezündet, nachdem sie eine Anzeige wegen sexueller Belästigung erstattet hatte. Sie starb an ihren Verletzungen. Der Täter war der Sohn des Mannes, den sie bei der Polizei angezeigt hatte.
Am 7. Februar 2024 wurde im Bundesstaat Uttarakhand ein einheitliches Zivilgesetzbuch (Uniform Civil Code – UCC) verabschiedet, ohne dass im Vorfeld ein angemessenes legislatives oder öffentliches Konsultationsverfahren stattgefunden hatte. Das UCC ersetzte die bis dahin geltenden zivilrechtlichen Regelungen zu Personenrechten, die sich je nach Religion unterschieden. Teile der Öffentlichkeit kritisierten das Gesetz, weil es ihrer Ansicht nach die traditionellen Regelungen der Muslim*innen ins Visier nahm, die Reglungen der Hindu-Gemeinschaft dagegen unverändert ließ. Am 11. März 2024 trat die bereits 2019 verabschiedete Reform des Staatsbürgerschaftsgesetzes (Citizenship Amendment Act) in Kraft. Das Gesetz legitimierte Diskriminierung aufgrund der Religion, da es Muslim*innen aus indischen Nachbarstaaten von der Möglichkeit ausschloss, als Asylsuchende oder Flüchtlinge anerkannt zu werden.
Am 30. Juli 2024 billigte das Parlament von Uttar Pradesh Änderungen an seinem Gesetz gegen rechtswidrigen Übertritt zu einer anderen Religion (Uttar Pradesh Prohibition of Unlawful Conversion of Religion Act). Durch die Änderungen wurden einvernehmliche Ehen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Glaubensrichtungen faktisch verboten und die Höchststrafe hierfür auf lebenslange Haft erhöht.
Jammu und Kaschmir
Khurram Parvez, ein Menschenrechtsverteidiger aus Kaschmir, befand sich 2024 weiterhin aufgrund von politisch motivierten "Terrorismus"-Vorwürfen in Haft.
Am 23. Februar 2024 wurde der aus Kaschmir stammenden britisch-indischen Professorin Nitasha Kaul die Einreise nach Indien verweigert, als sie zu einer Konferenz in Bengaluru im Bundesstaat Karnataka reisen wollte.
Am 10. Mai2024 konnte Aasif Sultan gegen Hinterlegung einer Kaution das Gefängnis verlassen. Der Herausgeber des Online-Nachrichtenportals Kashmir Wallah und Menschenrechtsverteidiger hatte fast sechs Jahre in Haft verbracht.
Zwischen dem 18. September und 1. Oktober 2024 führte die Wahlkommission entsprechend einer Anordnung des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2023 die ersten Parlamentswahlen in Jammu und Kaschmir seit der Auflösung der gewählten Regierung im Jahr 2019 durch.
Im Vorfeld der Wahlen wurden im Juni und Juli 2024 vier Anwälte aus Kaschmir, die der Anwaltskammer von Jammu und Kaschmir angehörten, in Srinagar unter dem Gesetz über die öffentliche Sicherheit in Jammu und Kaschmir (Jammu and Kashmir Public Safety Act – PSA) festgenommen. Am 12. Juli 2024 erhielt der von der Zentralregierung bestellte Vizegouverneur von Jammu und Kaschmir die uneingeschränkte Kontrolle über die Verwaltung des Bundesstaats. Damit unterlag ihm u. a. die Kontrolle über die lokalen Verwaltungsangestellten, die Gefängnisse, Strafverfolgungsmaßnahmen und Kanzleien.
Am 8. Oktober 2024 wurde der Journalist Sajad Gul freigelassen. Er war zwei Jahre lang wegen Vorwürfen unter dem PSA in Haft gehalten worden.
Manipur
Der Regierung des Bundesstaats Manipur gelang es 2024 nicht, die Gewalt zwischen der Mehrheitsgemeinschaft der überwiegend hinduistischen Meitei einerseits und der vorwiegend christlichen Minderheit der Kuki und anderen indigenen Gemeinschaften in den Bergen andererseits zu verhindern. Mitglieder der bewaffneten Bürgerwehren Arambai Tenggol und Meitei Lippun verübten in mindestens 32 Fällen geschlechtsspezifische Gewalt gegen Angehörige indigener Gemeinschaften. Die Täter wurden nicht strafrechtlich verfolgt. Im November 2024 wurden mehr als 20 Menschen in Manipur getötet und zahlreiche Häuser niedergebrannt.
Laut der Medienorganisation The Wire enthielt eine 48-minütige Audiodatei, die 2024 dem Innenministerium vorgelegt wurde, diskriminierende Äußerungen des Ministerpräsidenten von Manipur, N. Biren Singh, über die indigene Gemeinschaft der Kuki. Aus der Aufzeichnung soll auch seine offizielle Beteiligung an der anhaltenden ethnisch motivierten Gewalt hervorgehen.
Am 22. September 2024 bedrohte die Bürgerwehr Meitei Lippun den Menschenrechtler Babloo Loitongbam und seine Familie, weil er während der gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen ethnischen Gruppen mit der Gemeinschaft der Kuki zusammengearbeitet haben soll.
Recht auf eine gesunde Umwelt
Die indische Regierung verfügte 2024 über keine angemessenen Katastrophenschutzpläne und konnte nicht wirksam auf die durch den Klimawandel verstärkt auftretenden Überschwemmungen und die gestiegene Luftverschmutzung reagieren. Im November 2024 war die Luftverschmutzung in der Hauptstadt Neu-Delhi laut Statistiken der nationalen Umweltbehörde so hoch, dass eine ernste Gefahr für die Gesundheit der Einwohner*innen bestand. Im Bundesstaat Assam kam es nach wie vor zu schweren Überschwemmungen, von denen im Juli 2024 mindestens 3,3 Mio. Menschen betroffen waren und durch die im selben Monat mindestens 113 Menschen starben.
Ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen, die unter den Auswirkungen von Hitzewellen litten, erhielten von den Behörden keine angemessene Unterstützung. Etwa 40.000 Menschen waren betroffen, und mindestens 100 Personen kamen ums Leben. Laut Analysen des Wetterdienstes Skymet hatte der Klimawandel zu Veränderungen des Wettergeschehens geführt, zu denen auch das Ausbleiben von Regenfällen im Winter gehörte. Dies wiederum führte zu einer Verschlechterung der Luftqualität über der Indus-Ganges-Brahmaputra-Ebene, in der auch Delhi liegt. Der Climate Action Tracker, ein unabhängiger internationaler Mechanismus zur Analyse der Klimapolitik der Länder, bezeichnete Indiens Klimaziele und Klimapolitik als "höchst unzureichend" und somit als nicht vereinbar mit dem im Pariser Klimaabkommen festgeschriebenen 1,5-Grad-Ziel.
Veröffentlichungen von Amnesty International
- India: If you speak up, your house will be demolished: Bulldozer injustice in India, 7 February
- India: The price of protest must not be death, 22 February
- India: Authorities 'missing-in-action’ amid ongoing violence and impunity in Manipur state – New testimonies, 16 July
- India: Authorities must end repression of dissent in Jammu and Kashmir, 18 September
- India: Landmark Supreme Court judgement must serve as a turning point in India, 13 November