Amnesty Report 2024/25: Zur Lage der Menschenrechte weltweit; El Salvador 2024

Berichtszeitraum: 1. Januar 2024 bis 31. Dezember 2024

Immer mehr Menschen lebten unter der Armutsgrenze, und die Regierung kürzte die Ausgaben für Gesundheit und Bildung. Im Rahmen des Ausnahmezustands kam es weiterhin zu willkürlichen Inhaftierungen und Menschenrechtsverletzungen. Das Justizsystem wies gravierende Mängel auf. El Salvador hatte auch 2024 eine der höchsten Inhaftierungsquoten weltweit, und die Gefängnisse waren weiterhin stark überbelegt. Die Bedingungen in den Hafteinrichtungen waren unmenschlich, und es gab Berichte über Folter und andere Misshandlungen. Die Regierung ergriff keine Maßnahmen gegen die Missstände. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht der Öffentlichkeit auf Informationen wurden untergraben, und Journalist*innen mussten befürchten, drangsaliert und tätlich angegriffen zu werden. Sicherheitskräfte schränkten die Bewegungsfreiheit von Protestierenden ein, die gegen Haushaltskürzungen auf die Straße gingen. Beschäftigte des öffentlichen Dienstes wurden wegen ihrer Teilnahme an den Protesten entlassen. Für Menschenrechtsverteidiger*innen bestand während des Ausnahmezustands ein erhöhtes Risiko, angegriffen und drangsaliert zu werden.

Hintergrund

Der im März 2022 verhängte Ausnahmezustand blieb auch 2024 weiter bestehen. Internationale Menschenrechtsmechanismen zeigten sich weiterhin besorgt über Menschenrechtsverletzungen, die während des Ausnahmezustands von verschiedenen lokalen und internationalen Organisationen dokumentiert wurden.

Im Februar 2024 wurde Präsident Nayib Bukele für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Möglich war dies nur, weil der Oberste Gerichtshof die Verfassung zuvor auf umstrittene Weise ausgelegt und so seine Kandidatur trotz des verfassungsmäßigen Verbots einer unmittelbaren Wiederwahl zugelassen hatte.

Neu verabschiedete Verfassungsreformen führten zu Kritik, weil die Öffentlichkeit nur beschränkt in den Reformprozess eingebunden wurde und so die Möglichkeiten für Debatten und Diskussionen zu Themen von öffentlichem Interesse stark eingeschränkt waren. Die Machtkonzentration innerhalb der Regierungspartei und das Fehlen eines institutionellen Kontrollsystems ermöglichten die Verabschiedung der Reformen ohne Konsultation der Zivilgesellschaft. Dies führte zu einer Verschärfung der Menschenrechtskrise und einer zunehmenden Schwächung der Rechtsstaatlichkeit.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Der von der Regierung für 2025 vorgelegte Haushaltsentwurf wurde im Parlament angenommen. Er sah die größten Ausgaben im Bereich Sicherheit und Verteidigung vor, während in Schlüsselbereichen wie Gesundheit und Bildung signifikante Kürzungen geplant waren. Dies führte zu einer starken Beschneidung des Zugangs zu den Rechten auf Bildung und Gesundheit und vertiefte soziale Ungleichheiten noch weiter. Laut einem Bericht der Weltbank aus dem Jahr 2024 stieg der Anteil der Menschen, der in El Salvador in extremer Armut lebte, von 2019 bis 2023 von 26,8 Prozent auf 30,3 Prozent an. Im Jahr 2023 lebten mehr als 1,9 Mio. Menschen im Land unterhalb der Armutsgrenze, das waren 55.097 Menschen mehr als noch 2022.

Willkürliche Inhaftierungen und unfaire Gerichtsverfahren

Vom Beginn des Ausnahmezustands im Jahr 2022 bis Ende 2024 wurden laut Angaben der Behörden 83.900 Menschen inhaftiert. Die meisten von ihnen wurden beschuldigt, "illegalen Gruppierungen" (agrupaciones ilícitas) anzugehören und an Bandenkriminalität beteiligt gewesen zu sein. Laut lokalen Menschenrechtsorganisationen hatte ein Drittel der Menschen, die im Rahmen des Ausnahmezustands inhaftiert wurden, weder Verbindungen zu kriminellen Banden noch irgendwelche Vorstrafen, was die willkürliche Natur dieser Inhaftierungen aufzeigte.

Ein Sonderbericht der Interamerikanischen Menschenrechtskommission bestätigte, dass der Ausnahmezustand zu massenhaften willkürlichen Inhaftierungen und systematischen Menschenrechtsverletzungen geführt hatte. Die Inhaftierungen wurden u. a. ohne wirksame gerichtliche Überprüfung vorgenommen und Menschen in Präventivhaft genommen, ohne dass entsprechende Beweismittel vorlagen. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission kritisierte zudem die Massenanhörungen vor Gericht und die Einschränkungen des Rechts auf eine angemessene Verteidigung, die das Rechtsstaatsprinzip und grundlegende rechtliche Garantien in hohem Maße untergruben.

Zivilgesellschaftliche Organisationen prangerten weiterhin die Unzulänglichkeit des Justizsystems an, insbesondere die Tatsache, dass der Oberste Gerichtshof Anträge auf richterliche Haftprüfung nicht bearbeitete und so die Inhaftierten noch weiter ihrer Schutzgarantien beraubte. Laut einer im Mai 2024 veröffentlichten Studie der Organisation Due Process of Law Foundation, die sich für das Rechtsstaatsprinzip in Lateinamerika stark macht, hatte die Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs zwischen März 2022 und März 2023 lediglich 1,6 Prozent der in Verbindung mit dem Ausnahmezustand eingereichten Anträge auf richterliche Haftprüfung zugelassen und diesen in nur 0,4 Prozent der Fälle stattgegeben. Laut der Studie kamen die unverhältnismäßigen Verzögerungen und unnötigen Formalitäten bei der Bearbeitung der Anträge faktisch einer Rechtsverweigerung gleich und erhöhten den Gefährdungsgrad der Inhaftierten.

Unmenschliche Haftbedingungen

In den Hafteinrichtungen herrschte auch 2024 extreme Überbelegung; die Auslastung lag laut lokalen NGOs bei 350 Prozent. Die Inhaftierungsquote El Salvadors war eine der höchsten weltweit. Laut der Interamerikanischen Menschenrechtskommission waren die Haftbedingungen unmenschlich. Es gab Berichte über Folter und andere Misshandlungen, fehlenden Zugang zu medizinischer Versorgung und unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch Gefängnispersonal.

Den spezifischen Bedürfnissen inhaftierter Frauen wurde weiterhin nicht nachgekommen, so fehlte es z. B. an Leistungen im Bereich der reproduktiven Gesundheit und an Maßnahmen zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt durch Gefängnispersonal.

Laut Berichten lokaler Organisationen wurden zwischen März 2022 (als der Ausnahmezustand ausgerufen wurde) und dem 15. Dezember 2024 mehr als 300 Todesfälle in staatlichem Gewahrsam registriert. Die Todesfälle gingen auf Folter und anderweitige Misshandlung sowie auf unzureichende medizinische Versorgung zurück.

Menschenrechtsorganisationen kritisierten, dass der Staat keine wirksamen Maßnahmen ergriff, um die Zustände in den Hafteinrichtungen zu verbessern. Sie forderten eine umgehende Überprüfung der sanitären Bedingungen in allen Gefängnissen und unverzügliche Maßnahmen zur Sicherstellung des Zugangs zu medizinischer Versorgung. Trotz wiederholter Handlungsaufforderungen blieb die Reaktion der Regierung unzureichend, und es gab das gesamte Jahr über immer wieder Berichte über Todesfälle in Gewahrsam. Gruppen, die sich vor Ort für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen einsetzten, äußerten sich angesichts der Lage in den Hafteinrichtungen sehr besorgt, was dazu führte, dass sich internationale Menschenrechtsmechanismen verstärkt mit der Behandlung von Gefangenen in El Salvador beschäftigten.

UN-Menschenrechtsmechanismen prangerten an, dass die Behörden in spezifischen Fällen die nötige Transparenz vermissen ließen, was Untersuchungen und die Rechenschaftslegung bei Vorwürfen von Misshandlung und fehlender medizinischer Versorgung anging. Die Regierung wurde aufgefordert, weitere Informationen zu diesen Fällen und den schlechten Haftbedingungen vorzulegen.

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Der anhaltende Ausnahmezustand führte auch 2024 zur Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Laut dem Journalist*innenverband von El Salvador (Asociación de Periodistas de El Salvador – APES) nahmen Angriffe auf Journalist*innen und Medienschaffende 2024 im Vergleich zu 2023 um 66 Prozent zu.

Journalist*innen wurden immer wieder zum Ziel von digitalen Überwachungsmaßnahmen und Angriffen in den Sozialen Medien. Laut APES waren Journalistinnen besonders gefährdet, da sie neben Schikanen auch digitaler Gewalt und sexueller Belästigung ausgesetzt waren.

Die Interamerikanische Pressevereinigung (Inter-American Press Association) und die US-Organisation "Komitee zum Schutz von Journalist*innen" (Committee to Protect Journalists) schlugen angesichts der eskalierenden Unterdrückung der unabhängigen Presse in El Salvador Alarm. Am 20. November 2022 reichte die salvadorianische Nachrichtenseite El Faro vor einem Bundesgericht in den USA Klage gegen das israelische Technologieunternehmen NSO Group wegen der mutmaßlichen Überwachung von mehr als 20 Journalist*innen mithilfe der Spionagesoftware Pegasus ein. Die Betroffenen zogen vor ein Gericht in den USA, weil sie in El Salvador keine Chance auf ein wirksames Verfahren sahen. Im Juli 2024 unterstützten Großkonzerne wie Google, Microsoft und LinkedIn ein von El Faro eingelegtes Rechtsmittel in Form von schriftlichen Stellungnahmen. In dem Rechtsmittelverfahren ging El Faro gegen die Entscheidung des Gerichts vor, die Klage abzuweisen, weil es die Zuständigkeit bei den Gerichten in El Salvador oder Israel sah.

Die Wahlbeobachtungsmission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) berichtete über Ungleichheiten und Herausforderungen bei den Wahlen in El Salvador im Februar und März 2024. Die Mängel gingen auf eine Reihe von Gesetzesreformen und Einschränkungen der Grundfreiheiten unter dem Ausnahmezustand zurück. Insgesamt herrschte dadurch ein Klima der Selbstzensur, das eine offene politische Beteiligung unmöglich machte.

Die Behörden schränkten den Zugang der Öffentlichkeit zu genauen und zeitnahen Informationen stark ein, u. a. indem sie die Berichterstattung beschnitten. Auch machten sie öffentliche Informationen, die sich in staatlichen Händen befanden, nur eingeschränkt zugänglich.

Im Oktober 2024 berichteten Medien, dass Sicherheitskräfte die Bewegungsfreiheit von Demonstrierenden, die gegen die für 2025 geplanten Haushaltskürzungen im Bildungs- und Gesundheitswesen auf die Straße gegangen waren, beschränkt und sie so an der Wahrnehmung ihrer Rechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit gehindert hätten. Örtliche Organisationen dokumentierten in der Folge zahlreiche Entlassungen von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, wobei es sich in der Mehrzahl um Organisator*innen und Teilnehmende der Proteste handelte. Mindestens 66 Angestellte im Bildungs- und Gesundheitswesen verloren aufgrund der Teilnahme an den Protesten ihren Job. Gewerkschaften sahen in den Entlassungen Vergeltungsmaßnahmen gegen die Protestierenden. Bis Ende 2024 berichteten lokale Medien über mehr als 3.000 Entlassungen öffentlicher Angestellter, von denen viele an den Protesten teilgenommen haben sollen. Die Regierung erklärte die Entlassungen mit generellen Haushaltskürzungen, die verschiedene staatliche Institutionen beträfen.

Menschenrechtsverteidiger*innen

Die Lage für Menschenrechtsverteidiger*innen verschlechterte sich 2024 unter dem anhaltenden Ausnahmezustand beträchtlich. Laut Angaben eines lokalen Menschenrechtsbündnisses stieg die Zahl der Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger*innen zwischen 2022 und 2023 um 24,2 Prozent. Diese Angriffe wurden meist von staatlichen Akteur*innen durchgeführt und richteten sich gegen Frauenrechtsaktivist*innen, Journalist*innen und Organisationen, die sich für die Meinungsfreiheit, Frauenrechte und Umweltschutz einsetzten. Auch Menschen, die sich für die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans und intergeschlechtlichen Menschen (LGBTI+) und indigenen Gemeinschaften einsetzten, erlitten Menschenrechtsverletzungen.

Die Schikanen gegen Menschenrechtsverteidiger*innen äußerten sich u. a. in Form von polizeilichen Überwachungsmaßnahmen, Drohungen und willkürlichen Inhaftierungen. Menschenrechtsorganisationen berichteten über den Einsatz verdeckter Ermittler*innen sowie Verleumdungskampagnen in den Sozialen Medien gegen Personen, die sich für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen während des Ausnahmezustands einsetzten.

Die Regierung versuchte weiterhin, kritische Stimmen durch Kriminalisierung und Unterdrückung zum Schweigen zu bringen. Davon waren insbesondere Personen betroffen, die sich für die Rechte von willkürlich inhaftierten Personen, Umweltschützer*innen und Landrechtsverteidiger*innen einsetzten.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Schwangerschaftsabbrüche waren weiterhin unter allen Umständen verboten. Im Januar 2024 wurde die letzte von 17 Frauen freigelassen, die im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen wegen Mordes zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren und für deren Freilassung sich eine globale Kampagne (Las 17 y más) eingesetzt hatte. Gegen die Frau war eine 30-jährige Haftstrafe ergangen, von der sie acht Jahre abgeleistet hatte. Laut der "Bürgerlichen Vereinigung für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs" (Agrupación Ciudadana por la Despenalización del Aborto) standen 2024 sieben Frauen wegen gynäkologischer Notfälle vor Gericht. Sie befanden sich Ende des Jahres noch auf freiem Fuß.

Am 20. Dezember 2024 tadelte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte El Salvador im Fall Beatriz und andere gegen El Salvador. Der jungen Frau aus El Salvador war 2013 gegen ihren ausdrücklichen Willen ein zeitnaher Schwangerschaftsabbruch verwehrt worden, obwohl ihr Leben durch die Schwangerschaft gefährdet war und eine Untersuchung des Fötus ergeben hatte, dass er aufgrund einer schweren Missbildung nach der Geburt nicht überlebensfähig sein würde.

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