Berichtszeitraum: 1. Januar 2024 bis 31. Dezember 2024
Die Behörden unterdrückten die Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung, u. a. indem sie Menschenrechtsverteidiger*innen einschüchterten und den Internetzugang in der Region Amhara blockierten. Aktivist*innen, Menschenrechtler*innen, Journalist*innen und Künstler*innen wurden willkürlich festgenommen und inhaftiert. Notstandsgesetze wurden eingesetzt, um Andersdenkende zu verfolgen, weshalb einige Menschen aus dem Land flohen. Amnesty International dokumentierte während des bewaffneten Konflikts in der Region Amhara völkerrechtliche Verbrechen. Die äthiopische Armee war für rechtswidrige Tötungen verantwortlich, darunter auch außergerichtliche Hinrichtungen. Der Premierminister und seine Regierung stritten dies allerdings weiterhin ab, und es wurden keine wesentlichen Fortschritte im Hinblick auf eine Aufklärung dieser Verbrechen und eine Wiedergutmachung erzielt. Es gab immer mehr Berichte über sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Auch in Verbindung mit dem bewaffneten Konflikt kam es weiterhin zu sexualisierter Gewalt.
Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Aktivist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen und Künstler*innen berichteten über eine zunehmende Drangsalierung und Einschüchterung seitens der Behörden. Im August 2023 hatte die Regierung einen sechsmonatigen landesweiten Ausnahmezustand verhängt, nachdem es in der Region Amhara zu zahlreichen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Armee und amharischen Fano-Milizen gekommen war. Dieser wurde im Februar 2024 um vier Monate verlängert und lief am 2. Juni aus. Die Notstandsgesetze verliehen den Sicherheitskräften weitreichende Befugnisse und wurden von den Behörden dazu genutzt, gegen Andersdenkende vorzugehen und die Medien zu unterdrücken.
Während der Dauer des Ausnahmezustands wurden Menschen, die friedlich abweichende Meinungen vertraten, landesweit willkürlich und oftmals unter Verstoß gegen ihre Verfahrensrechte festgenommen (siehe "Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen"). Zahlreiche Menschenrechtler*innen und Journalist*innen sahen sich dadurch gezwungen, das Land zu verlassen.
Menschenrechtsverteidiger*innen, die für eine Zusammenarbeit mit internationalen Menschenrechtsgremien ins Ausland reisten, gaben an, von den Behörden bei ihrer Rückkehr drangsaliert und eingeschüchtert worden zu sein. Einige berichteten auch, im Ausland von äthiopischen Staatsbediensteten, u. a. Diplomat*innen, eingeschüchtert und schikaniert worden zu sein. Im November und Dezember 2024 entschieden die Behörden willkürlich, fünf prominente Menschenrechtsorganisationen vorübergehend zu schließen. Das Center for Advancement of Rights and Democracy (CARD), Lawyers for Human Rights und die Association for Human Rights in Ethiopia (AHRE) mussten im November ihre Arbeit einstellen, der Ethiopian Human Rights Council (EHRCO) und das Ethiopian Human Rights Defenders Center im darauffolgenden Monat. Im Dezember wurde die Schließung der AHRE wieder aufgehoben. Schließungen und Verbote dieser Art zeigen, dass der zivilgesellschaftliche Raum inmitten anhaltender bewaffneter Konflikte im Land weiter eingeschränkt wurde.
In der Region Amhara war das Internet bis Juli 2024 blockiert, nachdem knapp ein Jahr zuvor Zugangsbeschränkungen verhängt worden waren. Auch die telefonische Kommunikation wurde regelmäßig eingeschränkt.
Im August 2024 verbot die Polizei eine von Frauenrechtsaktivistinnen organisierte Mahnwache in der Hauptstadt Addis Abeba, bei der an Heaven Awot erinnert werden sollte, die einem sexualisierten Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war (siehe "Geschlechtsspezifische Gewalt").
Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen
Die Behörden nahmen im Jahr 2024 landesweit Hunderte Menschen auf Grundlage der Notstandsgesetze fest, die den Behörden übermäßige Befugnisse einräumten. Dabei missachteten die Behörden verfassungsrechtliche Bestimmungen wie z. B. die Vorschrift, die Namen der Festgenommenen sowie die Gründe für deren Festnahme innerhalb eines Monats mittels des für den Ausnahmezustand zuständigen Aufsichtsgremiums zu veröffentlichen. Vielerorts wurden Menschen ohne Haftbefehl festgenommen, und Inhaftierte durften ihre Rechte nicht wahrnehmen, z. B. die Rechte auf Zugang zu rechtlicher Vertretung und auf eine Anhörung vor Gericht.
Im September 2024 floh Belay Manaye, Mitbegründer und Moderator des Youtube-Nachrichtenkanals Ethio News, aus Äthiopien, nachdem er drei Monate zuvor aus dem berüchtigten Militärlager Awash Arba, wo er unter harten Bedingungen inhaftiert war, entlassen worden war. Belay Manaye war im November 2023 festgenommen worden und wurde nie vor Gericht gestellt. Er hatte während seiner Inhaftierung weder Zugang zur Gesundheitsversorgung noch zu einem Rechtsbeistand, und auch Familienbesuche wurden ihm regelmäßig verweigert.
In der Region Amhara nahmen Angehörige der Streit- und Sicherheitskräfte Ende September 2024 in einer gezielten Aktion Tausende Menschen willkürlich fest. Ab dem 28. September wurden innerhalb von vier Tagen massenhaft Zivilpersonen, darunter zahlreiche Akademiker*innen, ohne Durchsuchungs- oder Haftbefehle festgenommen. Die Festgenommenen wurden größtenteils nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen 48-Stunden-Frist vor Gericht gestellt.
Rechtswidrige Angriffe und Tötungen
In dem anhaltenden bewaffneten Konflikt in der Region Amhara wurden Berichten zufolge auch 2024 Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und internationale Menschenrechtsnormen begangen. Das Ausmaß dieser Verstöße, zu denen auch völkerrechtliche Verbrechen zählen, dürfte weitaus größer sein, als es die öffentlich dokumentierten Zahlen vermuten lassen. Da die Internet- und Telefonkommunikation über längere Zeiträume hinweg eingeschränkt war und die Regierung Menschenrechtsorganisationen den Zugang zum Land verweigerte, war es nur schwer möglich, über völkerrechtliche Verbrechen und andere Verstöße zu berichten. Darüber hinaus führte die Androhung von Repressalien bei vielen Zivilpersonen vermutlich dazu, dass sie sich nicht öffentlich äußerten, und hielt Menschenrechtler*innen und Journalist*innen davon ab, über diese Themen zu berichten.
In der Region Amhara wurden rechtswidrige Tötungen an Zivilpersonen dokumentiert, darunter auch außergerichtliche Hinrichtungen. Nach bewaffneten Zusammenstößen zwischen der Armee und amharischen Fano-Milizen in der Stadt Merawi am 29. Januar 2024 wurden laut Augenzeugenberichten zivile Männer von Militärangehörigen aus Häusern, Geschäften und von der Straße geholt und zu Dutzenden erschossen. Nach Angaben der Bewohner*innen begannen die Tötungen, als sich die Fano-Milizionäre bereits aus Merawi zurückgezogen hatten. Augenzeug*innen schilderten, wie sie am darauffolgenden Tag die Leichen ihrer Angehörigen auf der Straße fanden. Drei Personen gaben an, dass Armeeangehörige elf dreirädrige Fahrzeuge (Bajajs) und ein Motorrad in Brand gesteckt hatten.
Das Aufsichtsgremium für den Ausnahmezustand gab im Februar 2024 bekannt, dass es die Tötungen untersuchen wolle, doch trotz anhaltender alarmierender Berichte über Menschenrechtsverstöße lagen Ende des Jahres noch keine weiteren öffentlichen Informationen vor. Auch hatten die Behörden noch keine Untersuchung gegen die Armee eingeleitet, u. a. wegen möglicher Kriegsverbrechen.
Straflosigkeit
Die Behörden unternahmen keine nennenswerten Anstrengungen, um Personen, die für Verbrechen unter dem Völkerrecht verantwortlich gemacht wurden, zur Rechenschaft zu ziehen. Den Betroffenen wurde dadurch ihr Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit vorenthalten. Die Behörden leugneten weiterhin Verbrechen, die von Menschenrechtsorganisationen dokumentiert worden waren, so auch die Tötungen in Merawi (siehe "Rechtswidrige Angriffe und Tötungen"). Ministerpräsident Abiy Ahmed sagte in einer im Fernsehen übertragenen Rede vor dem Parlament, dass die Armee "keine Massaker begeht". Seine Rede fiel zeitlich mit der Umsetzung des Konzepts einer "Übergangsjustiz" durch die Regierung zusammen. Dieser Prozess zielte eher auf Versöhnung ab als auf Rechenschaftspflicht und Gerechtigkeit für die Opfer und Überlebenden. Fast zwei Jahre waren seit Beginn der Debatten über diesen Prozess vergangen, doch die Zusagen der Regierung, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, blieben auch 2024 unerfüllt. Es handelte sich im Wesentlichen um reine Symbolpolitik, und der Prozess war von erheblichen Mängeln gekennzeichnet. So wurden im Vorfeld keine inklusiven Konsultationsverfahren durchgeführt und wichtige internationale Richtlinien zur Verantwortlichkeit missachtet. Die Beiträge einer begrenzten Anzahl von Opfern und Überlebenden, die zu den Entwürfen für entscheidende Rechenschaftsmaßnahmen befragt worden waren, blieben weitgehend unberücksichtigt.
Geschlechtsspezifische Gewalt
Die Zahl der Berichte über Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Mädchen stieg 2024 stark an. Im August 2023 war die siebenjährige Heaven Awot in Bahir Dar, der Hauptstadt der Region Amhara, vergewaltigt und ermordet worden. Der Fall wurde erst 2024 publik und rief im ganzen Land große Empörung hervor. Der Täter verstümmelte den Körper des Mädchens schwer und ließ es tot vor dem Haus zurück, in dem es gelebt hatte. Der Fall war beispielhaft für das Ausmaß sexualisierter Gewalt im ganzen Land.
In der Region Tigray wurde ein hohes Maß an sexualisierter Gewalt dokumentiert, die zum Teil mit dem dort herrschenden Konflikt in Zusammenhang stand und 2024 zu Protesten in der gesamten Region führte.
Aus einem Bericht der äthiopischen Menschenrechtsorganisation CARD vom Juni 2024 ging hervor, dass Frauen und Mädchen in der Zone Guji in der Region Oromia sexualisierter Gewalt durch Regierungstruppen und Angehörige der Oromo-Befreiungsarmee (Oromo Liberation Army) ausgesetzt waren. Alle diese Fälle blieben straflos.