Berichtszeitraum: 1. Januar 2024 bis 31. Dezember 2024
Die Einflussnahme der Exekutive auf die Judikative nahm weiter zu. Bindende Entscheidungen des Verfassungsgerichts wurden in der Rechtsprechung ignoriert und Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in mehreren symbolträchtigen Fällen nicht umgesetzt. Nach wie vor mussten Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen, Oppositionspolitiker*innen und andere Personen mit unbegründeten Ermittlungen, strafrechtlicher Verfolgung und Schuldsprüchen rechnen. Die Rechte auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wurden rechtswidrig eingeschränkt. Gewalt gegen Frauen und Mädchen war noch immer weit verbreitet. Die Türkei beherbergte auch 2024 eine sehr hohe Anzahl an Flüchtlingen und Migrant*innen, von denen einige weiterhin von rechtswidriger Abschiebung bedroht waren. Staatsbedienstete, die Menschenrechtsverletzungen begingen, gingen nach wie vor straflos aus. Die Klimapolitik der Türkei wurde als "völlig unzureichend" erachtet.
Hintergrund
Die Lebenshaltungskosten stiegen in der Türkei 2024 immer weiter an. Zum Ende des Jahres lag die allgemeine Inflationsrate bei über 44 Prozent und die Nahrungsmittelinflation bei mehr als 43 Prozent.
Bei den Kommunalwahlen verzeichnete die größte Oppositionspartei bedeutende Gewinne. In einigen Bezirken missachteten Staatsbedienstete die offiziellen Wahlergebnisse jedoch, was zu Massenprotesten führte. Das Innenministerium enthob mehrere gewählte Bürgermeister*innen wegen terrorismusbezogener Vorwürfe ihres Amtes und ersetzte sie durch staatlich ernannte Vertreter*innen, die der Regierungspartei angehörten. Dies führte ebenfalls großflächig zu Demonstrationen.
Im Laufe des Jahres 2024 kam es zu mehreren Anschlägen durch bewaffnete Gruppen: In Istanbul wurde im Januar die Kirche Santa Maria attackiert und im Februar der Justizpalast. Im Oktober wurde in der Provinz Ankara ein bewaffneter Anschlag auf das Gelände des Türkischen Luft- und Raumfahrtunternehmens TUSAS in Kahramankazan verübt. Bei den Anschlägen wurden insgesamt elf Menschen getötet, darunter vier Angreifer*innen.
Recht auf ein faires Gerichtsverfahren
Die Behörden ignorierten weiterhin bindende Gerichtsentscheidungen zu Verletzungen der Standards für ein faires Gerichtsverfahren.
Im Januar 2024 reichte der inhaftierte Menschenrechtsverteidiger Osman Kavala eine neue Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein. Darin beklagte er anhaltende und neue Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention, seit der EGMR 2019 seine Freilassung angeordnet hatte, diese aber nicht erfolgt war. Auch 2024 wurde Osman Kavala nicht auf freien Fuß gesetzt, obwohl der Europarat im Februar 2022 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Türkei eingeleitet hatte, weil sie die Freilassung des Menschenrechtlers verweigerte. Zwei vor dem Verfassungsgericht eingelegte Rechtsmittel gegen die Verurteilung von Osman Kavala im Jahr 2022 und die Bestätigung seiner Verurteilung durch das Kassationsgericht im Jahr 2023 waren Ende 2024 noch anhängig.
Die ehemaligen Co-Vorsitzenden der Demokratischen Volkspartei (HDP), Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, befanden sich ebenfalls weiterhin in Haft.
Der Anwalt Can Atalay, dem der Status als Abgeordneter entzogen worden war, befand sich weiterhin als gewaltloser politischer Gefangener in Haft, obwohl das Verfassungsgericht in drei aufeinanderfolgenden Entscheidungen seine Freilassung angeordnet hatte.
Gesetze, die im März 2024 verabschiedet wurden und gemeinhin als "8. Gesetzespaket" bekannt sind, setzten die Entscheidung des Verfassungsgerichts zu Paragraf 220/6 des türkischen Strafgesetzbuchs (Begehen einer Straftat im Namen einer Organisation) nicht angemessen um. Das Verfassungsgericht hatte entschieden, dass der Paragraf verfassungswidrig war und gestrichen werden sollte, da er willkürliche Strafverfolgung durch die Behörden nicht ausreichend verhinderte. Im Rahmen des 8. Gesetzespakets wurden jedoch lediglich Änderungen an dem Paragrafen vorgenommen, die einer willkürlichen Einflussnahme der Behörden nicht hinreichend entgegenwirkten.
Im September 2024 erhielt der Lehrer Yüksel Yalçınkaya ein Wiederaufnahmeverfahren und wurde erneut der "Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Organisation" für schuldig befunden. Er war ursprünglich im Nachgang des Putschversuchs von 2016 vor Gericht gestellt und verurteilt worden. Das Wiederaufnahmeverfahren ließ ein Urteil des EGMR aus dem Jahr 2023 unbeachtet, in dem festgestellt worden war, dass in dem ursprünglichen Verfahren gegen Yüksel Yalçınkaya gegen Artikel 6 (Recht auf ein faires Verfahren), Artikel 7 (Keine Strafe ohne Gesetz) und Artikel 11 (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen worden war. Ein Rechtsmittel, das Yüksel Yalçınkaya gegen seine erneute Verurteilung eingelegt hatte, war Ende 2024 noch anhängig.
Willkürliche Inhaftierungen und unfaire Gerichtsverfahren
Als Reaktion auf den Anschlag auf den Justizpalast in Istanbul im Februar 2024 (siehe "Hintergrund") führten die Behörden in Istanbul Razzien durch, bei denen 96 Personen willkürlich in Haft genommen wurden. Zu den Inhaftierten gehörten auch vier Anwältinnen der Kanzlei Halkın Hukuk Bürosu (Rechtsbüro des Volkes). Drei der vier Frauen, Didem Baydar Ünsal, Seda Şaraldı und Betül Vangölü Kozağaçlı, wurden ohne jegliche Beweise wegen "Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Organisation" angeklagt. Die vierte Anwältin, Berrak Çağlar, wurde auf freien Fuß gesetzt. Didem Baydar Ünsal wurde im Juni 2024 für die Dauer ihres Verfahrens freigelassen. Seda Şaraldı und Betül Vangölü Kozağaçlı befanden sich Ende des Jahres noch in Haft.
Im Mai 2024 wurden im sogenannten "Kobane-Prozess" 24 kurdische Politiker*innen aufgrund politisch motivierter konstruierter Anklagen zu Haftstrafen zwischen neun und 42 Jahren verurteilt. Unter anderem warf man ihnen "Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Organisation" vor. Die Verurteilung stützte sich auf Beiträge in den Sozialen Medien und Reden aus dem Jahr 2014, in denen die betroffenen Politiker*innen ihre Unterstützer*innen aufgefordert hatten, gegen die Belagerung der syrischen Stadt Kobane durch die bewaffnete Gruppe Islamischer Staat zu protestieren. Zwölf weitere Personen wurden freigesprochen.
Recht auf freie Meinungsäußerung
Im Juli 2024 verbot das Gouverneursamt von Beyoğlu eine Ausstellung mit dem Titel "Dreh dich um und schau zurück: Neubetrachtung von trans Revolutionen in der Türkei", die von einem Kunstkollektiv zur Feier der 10. Istanbuler Pride-Woche organisiert worden war. Depo, der Veranstaltungsort der Ausstellung, reichte eine Klage gegen das Verbot ein.
Im Oktober 2024 entzog die türkische Rundfunkaufsichtsbehörde RTÜK dem in Istanbul ansässigen unabhängigen Radiosender Açık Radyo die Sendelizenz. Die RTÜK hatte zuvor ein Bußgeld gegen den Radiosender verhängt und die Einstellung der morgendlichen Nachrichtensendung für fünf Tage angeordnet. Grund dafür war der Kommentar eines Zuhörers, der während einer Sendung am 24. April 2024, dem jährlichen Gedenktag an die Massenmorde an Armenier*innen im Jahr 1915, von einem "Genozid gegen Armenier*innen" gesprochen hatte. Açık Radyo bezahlte das Bußgeld, hielt sich aber nicht an die fünftägige Sendesperre. Ein Rechtsmittel des Radiosenders war Ende des Jahres noch anhängig.
Recht auf friedliche Versammlung
Im Januar 2024 entschied das regionale Berufungsgericht in Istanbul, dass das von den Gouverneursämtern von Beyoğlu und Istanbul ausgesprochene Verbot eines für den 8. März 2022 geplanten nächtlichen Protestmarschs für Frauenrechte rechtswidrig war. Das Gericht sah in dem Verbot eine Verletzung des Rechts auf friedliche Versammlung, das auch das Recht der Organisator*innen einschließe, den für den Anlass des Protests passendsten Veranstaltungsort auszuwählen.
In den Städten Van und Bitlis wurde ein zweiwöchiges Demonstrationsverbot verhängt, nachdem dem Bürgermeisterkandidaten der "Partei der Völker für Gleichberechtigung und Demokratie" (Halkların Eşitlik ve Demokrasi Partisi – DEM Parti) in der Metropolregion Van im April 2024 der Wahlsieg aberkannt worden war. In Van wurden 264 Personen, darunter zehn Rechtsbeistände und 15 Minderjährige, in Gewahrsam genommen. 27 Personen wurden u. a. der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation" beschuldigt und willkürlich in Untersuchungshaft genommen.
Im April 2024 verboten die Behörden Solidaritätsbekundungen anlässlich des Maifeiertags auf dem Taksim-Platz in Istanbul. Sie hinderten Menschen daran, sich zu versammeln, und nahmen mindestens 82 Personen in Gewahrsam. Das Verbot erfolgte ungeachtet eines erst 2023 ergangenen Urteils des Verfassungsgerichts, wonach das Verbot und die gewaltsame Auflösung von Protesten durch Ordnungskräfte während der Feierlichkeiten zu den Maifeiertagen 2014 und 2015 gegen das Recht auf friedliche Versammlung des Gewerkschaftszusammenschlusses DİSK (Türkiye Devrimci İşçi Sendikaları Konfederasyonu) verstoßen hatten.
Die wöchentlichen Mahnwachen der Samstagsmütter/-menschen, einer Gruppe von Menschenrechtsverteidiger*innen und Angehörigen von Opfern des Verschwindenlassens, wurden weiterhin durch Einschränkungen behindert. Beispielsweise durften sie sich maximal zu zehnt versammeln. Für die 1000. Mahnwache im Mai 2024 wurden diese Einschränkungen ausnahmsweise aufgehoben. Im Oktober 2024 sprach ein erstinstanzliches Gericht 20 Personen frei, die während der 950. Mahnwache der Samstagsmütter/-menschen im Juni 2023 willkürlich inhaftiert und wegen "Verstoßes gegen das Versammlungs- und Demonstrationsgesetz" strafrechtlich verfolgt worden waren.
Die Türkei erließ weiterhin rechtswidrige Verbote gegen LGBTI-Pride-Veranstaltungen, und Ordnungskräfte gingen mit exzessiver Gewalt gegen Teilnehmende vor. Insgesamt 27 Menschen wurden bei den Pride-Märschen in Istanbul, Antalya und Eskişehir willkürlich in Gewahrsam genommen.
Bei den 2024 landesweit stattfindenden Massendemonstrationen in Solidarität mit Palästinenser*innen kam es nur in wenigen Fällen zu übermäßigen Einschränkungen. Ordnungskräfte verhinderten allerdings Protestveranstaltungen, bei denen die türkischen Behörden zu einer Einstellung der Handelsbeziehungen zu Israel aufgefordert werden sollten. Am 6. April 2024 setzten Ordnungskräfte bei einem Protest vor der Provinzdirektion für Handel in Istanbul (İstanbul Ticaret İl Müdürlüğü) rechtswidrige Gewalt gegen Protestierende ein und nahmen willkürlich 43 Mitglieder einer Jugendbewegung in Gewahrsam, die sich für die Befreiung Palästinas einsetzte (Filistin İçin 1000 Genç). Ihnen wurde "Verstoß gegen das Versammlungs- und Demonstrationsgesetz" vorgeworfen. Am 29. November 2024 wurden wegen einer friedlichen Demonstration während des jährlich vom türkischen Sender TRT World organisierten TRT World Forums, auf dem Präsident Erdoğan im Kongresszentrum in Istanbul eine Rede hielt, neun Personen willkürlich festgenommen. Ihnen wurde "Verstoß gegen das Versammlungs- und Demonstrationsgesetz" sowie "Beleidigung des Präsidenten" vorgeworfen, und sie wurden zehn Tage lang in Untersuchungshaft gehalten.
Der Gouverneur von Istanbul verbot einen Nachtmarsch, der am 25. November 2024 anlässlich des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen stattfinden sollte. Ordnungskräfte setzten unverhältnismäßige Gewalt gegen jene ein, die sich trotz des Verbots versammelten, und nahmen mindestens 169 Menschen willkürlich in Gewahrsam, darunter auch mehrere Unbeteiligte, zwei Protestbeobachter*innen und drei ausländische Staatsangehörige.
Am 21. Dezember 2024 hinderten die Behörden Journalist*innen und andere Personen daran, in Istanbul eine Presseerklärung zu verlesen, nachdem es Berichte über einen türkischen Drohnenangriff im Nordosten Syriens gegeben hatte, bei dem ein Journalist und eine Journalistin getötet wurden. Beide waren türkische Staatsangehörige mit kurdischer Herkunft. Neun Personen, darunter sieben Journalist*innen, wurden wegen mutmaßlicher "Propaganda für eine terroristische Organisation" in Untersuchungshaft genommen, nachdem sie Fotos der beiden Getöteten gezeigt hatten.
Recht auf Vereinigungsfreiheit
Im Juni 2024 strich die Financial Action Task Force (FATF), ein zwischenstaatliches Gremium, das den Auftrag hat, auf internationaler Ebene Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu bekämpfen, die Türkei von ihrer "grauen Liste", weil das Land entsprechende Empfehlungen der FATF weitgehend umgesetzt hatte. Allerdings waren gemeinnützige Organisationen in der Türkei aufgrund von Gesetz Nr. 7262, das 2020 als Reaktion auf Empfehlungen der FATF verabschiedet worden war, unverhältnismäßigen Sanktionen und übermäßiger Kontrolle ausgesetzt.
Im Februar 2024 sprach das Istanbuler Gericht Nr. 26 für schwere Strafsachen 24 Mitglieder der Organisation Göç İzleme Derneği (GÖÇ-İZDER), die sich für die Rechte von Migrant*innen und insbesondere für Opfer von erzwungener Migration einsetzte, frei. Ihnen war "Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Organisation" vorgeworfen worden. Im August 2024 wurde im Amtsblatt der Regierung veröffentlicht, dass sowohl der Finanz- als auch der Innenminister entschieden hatten, die Vermögenswerte von GÖÇ-İZDER wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) einzufrieren, und zwar gemäß dem Gesetz zur Verhinderung der Terrorismusfinanzierung (Gesetz Nr. 6415). Im Dezember ordnete das erstinstanzliche Zivilgericht Nr. 15 in Bakırköy die Schließung von GÖÇ-İZDER an – wegen mutmaßlicher "Handlungen, die den Zielen einer bewaffneten terroristischen Organisation dienen". Die Organisation legte gegen beide Entscheidungen Rechtsmittel ein.
Im Oktober 2024 schloss das Gouverneursamt von Beyoğlu das Büro des Tarlabaşı Community Center (TTM), einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die sich für ausgegrenzte Personengruppen vor Ort einsetzte, unter dem Vorwurf der "Gewerbstätigkeit ohne Lizenz". Ein Rechtsstreit, mit dem das Gouverneursamt von Istanbul eine "Nichtigerklärung" von TTM anstrebte, war zuvor im Mai 2024 vor dem Istanbuler Friedensgericht Nr. 8 zugunsten von TTM entschieden worden. Ein separates Verwaltungsverfahren, das zum Ziel hatte, TTM aufzulösen, lief Ende 2024 noch.
Im Rahmen eines Gesetzespakets vom Oktober 2024 wurden die Gesetze gegen Spionage erweitert und Handlungen unter Strafe gestellt, die sich "entsprechend den strategischen Interessen oder Anweisungen eines ausländischen Staates oder einer ausländischen Organisation" gegen die "Sicherheitsinteressen bzw. die nationalen oder internationalen politischen Interessen des Staates" richten. Nach breiter öffentlicher Kritik wurde die Änderung jedoch wieder zurückgenommen. Der Gesetzentwurf war unverhältnismäßig breit auslegbar und vage formuliert und hätte die Handlungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft untergraben.
Menschenrechtsverteidiger*innen
Das Wiederaufnahmeverfahren von Hakan Altınay, Yiğit Ekmekçi und Mücella Yapıcı, die wegen Verstoßes gegen das Versammlungs- und Demonstrationsgesetz angeklagt waren, wurde 2024 fortgeführt. 2023 hatte das Kassationsgericht die 2022 ergangenen Verurteilungen der drei wegen "Beihilfe zu versuchtem Sturz der Regierung" in Verbindung mit den Gezi-Park-Protesten im Jahr 2013 aufgehoben.
Im Oktober 2024 wurde Hatice Onaran, Mitglied des Gefängnisausschusses des türkischen Menschenrechtsvereins İHD, gemäß dem Gesetz Nr. 6415 zu vier Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Grund dafür war, dass sie acht Personen, die sich wegen terrorismusbezogener Straftaten in Haft befanden, kleinere Geldsummen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse überwiesen hatte.
Ebenfalls im Oktober 2024 entschied ein erstinstanzliches Zivilgericht in Ankara zugunsten des Verteidigungsministeriums, das von der renommierten Gerichtsmedizinerin und Professorin Şebnem Korur Fincancı eine Entschädigung für ideelle Schäden gefordert hatte. Das Gericht wies sie an, 50.000 türkische Lira (etwa 1.300 Euro) zu zahlen, weil sie 2022 in einer Live-TV-Sendung eine unabhängige Untersuchung der Vorwürfe über einen möglichen Einsatz chemischer Waffen in der irakischen Region Kurdistan gefordert hatte. Prof. Şebnem Korur Fincancı war wegen derselben Äußerungen 2023 in einem Strafverfahren wegen "Propaganda für eine terroristische Organisation" schuldig gesprochen und zu zwei Jahren, acht Monaten und 15 Tagen Haft verurteilt worden. Gegen ihren Schuldspruch und ihr Strafmaß eingelegte Rechtsmittel waren Ende 2024 noch vor dem Kassationsgericht anhängig.
Am 26. November 2024 wurde die Menschenrechtsverteidigerin Nimet Tanrıkulu in Untersuchungshaft genommen und im Dezember wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation" angeklagt. Die Anklage stützte sich auf ihr Reiseverhalten, ihre Teilnahme an zivilgesellschaftlichen Veranstaltungen zu Menschenrechtsfragen in den kurdischen Gebieten, Zeug*innenaussagen sowie Signale von ihrem Handy, die vom selben Ort gesendet wurden wie die weiterer Verdächtiger. Keiner der gegen Nimet Tanrıkulu erhobenen Vorwürfe konnte als Beleg für eine Verbindung zu einer bewaffneten Gruppe angesehen werden.
Gewalt gegen Frauen und Mädchen
Im Jahr 2024 wurden laut der türkischen Frauenrechtsorganisation Kadın Cinayetlerini Durduracağız Platformu 394 Femizide begangen. 259 weitere Frauen starben laut der NGO unter verdächtigen Umständen.
Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen
Flüchtlinge und Migrant*innen wurden auch 2024 rechtswidrig nach Syrien und Afghanistan abgeschoben, wo ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohten. Stand September 2024 waren etwa 300 Menschen aus Eritrea in ihr Herkunftsland abgeschoben worden, die zuvor ohne angemessenen Zugang zu Kommunikationsmöglichkeiten oder rechtlicher Unterstützung festgehalten worden waren. Vielen weiteren Menschen drohte die Abschiebung nach Eritrea.
Folter und andere Misshandlungen
Im August 2024 äußerte sich der UN-Ausschuss gegen Folter besorgt über die gestiegene Zahl von Vorwürfen über Folter und andere Formen der Misshandlung seit dem Putschversuch 2016 sowie nach dem Erdbeben im Südosten des Landes im Februar 2023 und im Zusammenhang mit Antiterroreinsätzen.
Straflosigkeit
Im Mai 2024 bestätigte ein regionales Berufungsgericht den Freispruch von Soldaten und sogenannten Dorfschützern in einem Verfahren gegen Angehörige der JİTEM in der Stadt Dargeçit (Provinz Mardin). Bei der JİTEM handelt es sich um eine Spezialeinheit der Gendarmerie für Nachrichtenbeschaffung und Terrorabwehr. Die Freigesprochenen waren im Zusammenhang mit dem Verschwindenlassen von acht Personen, darunter drei Kinder, in den Jahren 1995 und 1996 vor Gericht gestellt worden. Ein gegen die Entscheidung eingelegtes Rechtsmittel war Ende 2024 noch vor dem Kassationsgericht anhängig.
Im Juni 2024 sprach das Gericht Nr. 10 für schwere Strafsachen in Diyarbakır drei Polizisten frei, denen "grobe Fahrlässigkeit mit Todesfolge" im Zusammenhang mit der Tötung des Menschenrechtsanwalts Tahir Elçi im Jahr 2015 vorgeworfen worden war. Das Gericht sah es als nicht erwiesen an, dass die drei Polizisten die Straftat begangen hatten.
Im Oktober 2024 bestätigte das Kassationsgericht den Freispruch von 16 Männern, die in einem Verfahren gegen JİTEM in Ankara wegen "vorsätzlicher Tötung im Rahmen von Handlungen einer bewaffneten Organisation, die zur Begehung einer Straftat gegründet wurde" angeklagt worden waren. Unter den Freigesprochenen befanden sich auch ehemalige Staatsbedienstete. Der Fall bezog sich auf Fälle des Verschwindenlassens und außergerichtliche Hinrichtungen zwischen 1993 und 1996.
Recht auf eine gesunde Umwelt
- Türkiye: Uphold human rights in responding to the armed attack outside Istanbul’s courthouse, 14 February
- Türkiye: New judicial package leaves people at continued risk of human rights violations, 29 February
- Türkiye: Unlawful ban on May Day celebrations in Istanbul must be lifted, 30 April
- Türkiye: Acquittal of three police officers for involvement in killing of human rights lawyer a huge blow to justice, 12 June
- Türkiye: Eritreans at imminent risk of forced return, 6 September
- Türkiye: Human rights defender imprisoned: Nimet Tanrıkulu, 18 December
- Türkiye: Activists remain defiant despite chilling effect of unlawful bans of Prides, 19 December
- Türkiye: Stop the crackdown on peaceful dissent, 26 December