Berichtszeitraum: 1. Januar 2024 bis 31. Dezember 2024
Im Jahr 2024 hat Deutschland 28 Personen nach Afghanistan abgeschoben und damit gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen. Zudem gab es weiterhin Berichte über exzessive Gewaltanwendung durch die Polizei bei friedlichen Protesten von Klimaaktivist*innen und Unterstützenden der Rechte der Palästinenser*innen. Die Behörden setzten ihr hartes Vorgehen gegen Solidaritätsbekundungen für Palästinenser*innen fort. Im Oktober wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Leistungen für Asylsuchende unverhältnismäßig reduzierte und biometrische Überwachung sowie polizeiliche Kontrollen ohne den Standard eines begründeten Verdachts ausweitete. Dadurch wurde die Gefahr des Racial Profiling erhöht.
Diskriminierung
Im Januar 2024 deckten Journalist*innen rassistische Pläne für Massenabschiebungen auf, die als "Remigration" bezeichnet wurden und von rechtsextremen Politiker*innen, Geschäftsleuten und anderen Akteur*innen ausgearbeitet worden waren.
Im März 2024 ernannte Deutschland erstmals einen Bundespolizeibeauftragten. Aufgabe der neu geschaffenen Stelle ist es, Beschwerden über Diskriminierung und andere Missstände bei den Polizeibehörden des Bundes nachzugehen und diese zu bearbeiten. Dennoch behinderte das allgemeine Fehlen von wirksamen unabhängigen Beschwerdemechanismen sowie einer verpflichtenden Kennzeichnungspflicht für die Bundes- und Landespolizeibehörden weiterhin die Untersuchungen zu Missbrauchsvorwürfen.
Rassistische und migrationsfeindliche Rhetorik war das ganze Jahr über gegenwärtig, insbesondere nach den Messerangriffen im Mai in Mannheim und im August in Solingen, die mutmaßlich von Tätern aus Afghanistan bzw. Syrien verübt wurden.
Diese Rhetorik beeinflusste auch die Gesetzgebung. Im Oktober 2024 verabschiedete das Parlament ein neues "Sicherheitspaket" mit Regelungen, die Kriminalität mit rassistischen Zuschreibungen, ethnischer Zugehörigkeit und Nationalität verknüpften. Außerdem wurden auf Grundlage dieses "Sicherheitspakets" die Leistungen für Asylsuchende unverhältnismäßig reduziert und die biometrische Überwachung sowie polizeiliche Kontrollen ohne den Standard eines begründeten Verdachts ausgeweitet, wodurch das Risiko von Racial Profiling erhöht wurde.
Ernsthafte Besorgnis lösten Berichte über einen Anstieg antisemitischer, antimuslimischer und weiterer rassistischer Hassverbrechen sowie Hassverbrechen gegen LGBTI+ und andere marginalisierte Gruppen aus.
Lesbische, schwule, bisexuelle, trans und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+)
Im April 2024 verabschiedete der Bundestag das Selbstbestimmungsgesetz, welches es trans, nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen ermöglicht, durch eine einfache Erklärung beim Standesamt die rechtliche Anerkennung ihres Geschlechts zu erlangen. Das neue Gesetz, das im November in Kraft trat, ersetzte das sogenannte Transsexuellengesetz von 1980, das trans Menschen dazu verpflichtet hatte, sich diskriminierenden psychologischen Gutachten und einem Gerichtsverfahren zu unterziehen, um eine rechtliche Anerkennung ihres Geschlechts zu erwirken.
Trotz der erzielten Fortschritte beklagten Menschenrechtsgruppen, dass das neue Gesetz durch transfeindliche Narrative beeinflusst worden sei – z. B. durch eine Bestimmung, die es privaten Vertragspartner*innen erlaubt, nach eigenem Ermessen den Zugang zu geschlechtergetrennten Veranstaltungsorten zu verweigern – und den Fokus nicht ausreichend auf den Schutz von trans, nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen lege.
Geschlechtsspezifische Gewalt
Laut Angaben des Bundeskriminalamts vom November 2024 hatten geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten im Jahr 2023 zugenommen. Einen Anstieg gab es bei frauenfeindlichen Hassdelikten (+56,3 %), digitaler Gewalt (+25,0 %), Menschenhandel (+6,9 %), Sexualstraftaten (+6,2 %) und häuslicher Gewalt (+5,6 %); im Vergleich zum Vorjahr waren 16,5 % mehr Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet worden.
Recht auf Versammlungsfreiheit
Am 21. Mai 2024 erhob die Staatsanwaltschaft Neuruppin Anklage gemäß Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs gegen fünf Mitglieder der Klimaaktivist*innengruppe Letzte Generation und beschuldigte sie der "Bildung einer kriminellen Vereinigung". Dies trug zu einer weiteren Kriminalisierung der Klimabewegung bei.
Im Laufe des Jahres tauchten Berichte über exzessive Gewaltanwendung – einschließlich Schmerzgriffe – bei der Überwachung friedlicher Proteste von Klimaaktivist*innen und Unterstützer*innen der Rechte der Palästinenser*innen auf. Im September 2024 wurde ein junger Mann bei einem friedlichen Palästina-solidarischen Protest von der Polizei bewusstlos geschlagen. Zivilgesellschaftliche Organisationen äußerten sich besorgt über die Rolle, die Rassismus, einschließlich antiarabischer und antipalästinensischer Gesinnungen, bei der Reaktion der Behörden auf Palästina-solidarische Proteste spielte.
Am 12. April 2024 verbot die Berliner Polizei den sogenannten "Palästina-Kongress" und löste ihn kurz nach Beginn auf. Gegen mehrere eingeladene Redner*innen wurden unverhältnismäßige Einreise- und Tätigkeitsverbote verhängt.
Am 26. April 2024 verbot die Polizei im Berliner Regierungsviertel ein Protestcamp gegen Waffenlieferungen an Israel unter Verweis darauf, dass es eine "Gefahr für die öffentliche Sicherheit" darstelle, ohne dies ausreichend zu begründen. Berichten zufolge setzte sie unmittelbar danach übermäßige Gewalt ein, um das Camp aufzulösen.
Im selben Monat errichteten Studierende Protestcamps an zwei Berliner Universitäten. Beide Lager wurden von der Polizei geräumt, offenbar unter Einsatz übermäßiger Gewalt und in einem Fall gegen den ausdrücklichen Wunsch der Universitätsleitung. Mehrere Studierende wurden wegen ihrer Teilnahme an dem Protest strafrechtlich verfolgt.
Recht auf freie Meinungsäußerung
Die Behörden versuchten weiterhin, den Slogan "From the river to the sea" zu kriminalisieren, der 2023 als vermeintliches "Symbol der Hamas" verboten wurde. Am 6. Juni 2024 verurteilte ein Berliner Amtsgericht einen Aktivisten nach Paragraf 140 des Strafgesetzbuchs, weil er den Slogan während einer Protestkundgebung im Oktober 2023 verwendet hatte. Am 8. November 2024 verurteilte das Landgericht Berlin eine Frau nach Paragraf 86 des Strafgesetzbuchs, weil sie den Slogan in den Sozialen Medien gepostet hatte, und entschied dabei, dass der Slogan an sich bereits die Verwendung eines Zeichens einer terroristischen Vereinigung darstelle.
Im Mai 2024 leitete das Bundesministerium für Bildung und Forschung eine interne Prüfung ein, um zu klären, ob Akademiker*innen, die sich öffentlich gegen die gewaltsame Räumung propalästinensischer Studierendenproteste an der Freien Universität Berlin aussprachen, die staatliche Finanzierung verweigert werden könnte.
Am 7. November 2024 verabschiedete der Bundestag eine Resolution, in der die Definition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) als Maßstab für Maßnahmen wie die Vergabe staatlicher Mittel oder die Verschärfung des Straf- und Asylrechts festgelegt wurde. Die IHRA-Definition wurde von zivilgesellschaftlichen Gruppen und prominenten Rechtswissenschaftler*innen als unvereinbar mit internationalen Standards zur Meinungsfreiheit angesehen. Die Resolution schuf somit Rechtsunsicherheit und weckte Befürchtungen hinsichtlich der Verletzung der Meinungs-, der Wissenschafts- und der Kunstfreiheit.
Recht auf Privatsphäre
Durch eine parlamentarische Anfrage und eine Reihe von Berichten investigativer Journalist*innen wurde aufgedeckt, dass die Polizei in mindestens sechs Bundesländern Gesichtserkennungstechnologien ohne eine ausreichende Rechtsgrundlage eingesetzt hatte.
Sexuelle und reproduktive Rechte
Im April 2024 legte eine von der Regierung eingesetzte Expert*innenkommission zum Thema "Reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" Vorschläge zur Entkriminalisierung und Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs vor. Die vorläufigen Ergebnisse eines mehrjährigen Forschungsprojekts über "Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung" unterstrichen die Notwendigkeit, die Vorschriften mit internationalen Menschenrechtsstandards und den WHO-Leitlinien für eine sichere Abtreibungsversorgung in Einklang zu bringen. Im Dezember 2024 brachten Parlamentarier*innen einen Gesetzentwurf ein, der Schwangerschaftsabbrüche teilweise legalisieren sollte, doch blieben sie weiterhin kriminalisiert.
Im November 2024 trat ein Gesetz in Kraft, das Schwangere vor Belästigungen außerhalb von Abtreibungskliniken und Pflichtberatungsstellen schützen soll (sog. Gehsteigbelästigungen). Das Gesetz verbietet Handlungen wie die absichtliche Behinderung des Zugangs zu den Einrichtungen, die Ausübung von Druck auf Schwangere oder die Konfrontation mit unwahren oder beunruhigenden Informationen.
Recht auf eine gesunde Umwelt
Am 16. Mai 2024 urteilte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, dass die Bundesregierung entgegen dem Klimaschutzgesetz in mehreren Sektoren keine ausreichenden Maßnahmen vorgelegt hatte, um die bindenden Emissionsziele des Klimaschutzgesetzes zu erreichen.
Am 17. Juli 2024 trat das novellierte Klimaschutzgesetz in Kraft, wodurch die Rechtsgrundlage dieses Urteils entfiel. In der Neufassung des Gesetzes blieben die übergreifenden Emissionsziele erhalten, die bindenden Ziele für einzelne Sektoren sowie die Verpflichtung, bei Verfehlung solcher Ziele Sofortprogramme vorzulegen, wurden jedoch gestrichen.
Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen
Im Januar verabschiedete das Parlament das "Rückführungsverbesserungsgesetz", das die Befugnisse für das Betreten von Räumlichkeiten, Durchsuchungen und Inhaftierungen erweiterte und damit das Risiko rechtswidriger Inhaftierungen für abgelehnte Asylsuchende in Deutschland weiter erhöhte.
Im Juni 2024 kündigte die Regierung Pläne zur Aufnahme von Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien an. Im August schob Deutschland 28 Personen nach Afghanistan ab und verletzte damit den Grundsatz der Nichtzurückweisung.
Am 16. September 2024 wurden flächendeckende Binnengrenzkontrollen ohne Notwendigkeit eines begründeten Verdachts als Grund für Polizeikontrollen eingeführt. Dadurch wurde das Risiko von Racial Profiling, Refoulement und willkürlicher Inhaftierung erhöht.
Im Oktober 2024 führte das Parlament im Rahmen seines "Sicherheitspakets" neue Regelungen ein, die einen Leistungsausschluss für Asylsuchende vorsehen, für die gemäß der Dublin-III-Verordnung ein anderer EU-Mitgliedstaat zuständig ist. Betroffene erhalten lediglich für zwei Wochen Überbrückungsleistungen, Ausnahmen sind nur in eng begrenzten Fällen möglich.
Im Rahmen des humanitären Aufnahmeprogramms für Afghanistan – ursprünglich im Oktober 2022 für die Aufnahme von 1.000 Personen pro Monat begonnen – waren bis Ende 2024 insgesamt nur 1.093 Afghan*innen nach Deutschland eingereist. Die Bundesregierung hat das Programm vorzeitig ausgesetzt. Rund 2.000 Afghan*innen, die bereits eine Aufnahmezusage erhalten hatten, befanden sich weiterhin in der Region und warteten auf ihre Einreise nach Deutschland.
Am 9. Dezember 2024 setzte das Bundesamt für Flüchtlingsschutz (BAMF) die Bearbeitung von Asylanträgen für Syrer*innen aus, was fast 50.000 Asylsuchende einer weiteren Prekarisierung und zusätzlicher rechtlicher Unsicherheit aussetzte und in der Praxis mit Wohnsitzauflagen, Residenzpflicht, der Verpflichtung zum Verbleib in Aufnahmeeinrichtungen, Arbeitsverboten, eingeschränktem Zugang zu Gesundheitsleistungen und der Unmöglichkeit, einen Antrag auf Familienzusammenführung zu stellen, einherging.
Unverantwortliche Rüstungsexporte
Im Juni 2024 forderten UN-Sachverständige die Staaten auf, alle Lieferungen von Rüstungsgütern an Israel einzustellen, um das Risiko einer Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden. Obwohl die Zahl der Genehmigungen für derartige Exporte aus Deutschland nach Israel zurückging, wurden weiterhin einige Genehmigungen erteilt. Außerdem genehmigte Deutschland Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Saudi-Arabien, trotz mangelnder Rechenschaft für die schweren Verletzungen von Menschenrechten und des humanitären Völkerrechts im Jemen-Konflikt.