Document #2119367
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (Author)
6. Dezember 2024
Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen, sowie gegebenenfalls auf Auskünften von Expert·innen und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.
Dieses Produkt stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar.
Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.
Kurzbeschreibungen zu den in dieser Anfragebeantwortung verwendeten Quellen sowie Ausschnitte mit Informationen aus diesen Quellen finden Sie im Anhang.
Die folgenden Informationen beruhen zum Großteil auf vom Danish Immigration Service (DIS) Anfang 2022 und im Frühling 2024 geführten Interviews.
Länge des Selbstverteidigungsdienstes 2022
Das Danish Immigration Service (DIS) erklärt in seinem Bericht über Rekrutierung in der Provinz Hasakah vom Juni 2022, dass die Länge des Selbstverteidigungsdienstes ursprünglich sechs Monate betragen habe. Im Jänner 2016 sei der Dienst mit einer Gesetzesänderung auf neun Monate verlängert worden. Seit Juni 2022 dauere der Selbstverteidigungsdienst laut Artikel 2 des geltenden Gesetzes ein Jahr (DIS, Juni 2022, S. 14).
2024 bestätigt DIS, dass mit der Einführung von Artikel 2 des Selbstverteidigungsgesetzes im Juni 2022, die Dauer von neun Monaten auf ein Jahr verlängert worden sei (DIS, Juni 2024, S. 18; siehe auch: Law concerning the Self-Defense Forces, 2019, Artikel 2).
Im Artikel 1 des Selbstverteidigungsgesetzes finden sich Definitionen für eine Einbehaltung im Selbstverteidigungsdienst sowie für Reservisten. Einbehaltung wird beschrieben als Verlängerung der Dienstpflicht aufgrund dringender Erfordernisse, Reservisten werden definiert als Bürger, die ihre Pflicht zur Selbstverteidigung erfüllt haben und nach Bedarf zum Reservedienst herangezogen werden können (Law concerning the Self-Defense Forces, 2019, Artikel 1). Das DIS erkennt hier einen Hinweis darauf, dass die Dienstpflicht über ein Jahr hinaus verlängert werden könne. (DIS, Juni 2024, S. 18) Das Gesetz enthält über die Definitionen in Artikel 1 hinaus keine Regelungen bezüglich Einbehaltung oder Reservedienst.
Urlaub nach 45 Tagen Selbstverteidigungsdienst
Drei Bürger aus der Provinz Hasakah hätten gegenüber DIS im Februar 2022 angegeben, dass die Grundausbildung des Selbstverteidigungsdienste 45 Tage dauere (DIS, Juni 2022, S. 61). Laut der Vertretung der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) in der Region Kurdistan Irak sei es Rekruten mit Jänner 2022 erlaubt gewesen nach dem Abschluss der 45-tägigen Ausbildung sieben Tage Urlaub pro Monat zu beantragen und zu erhalten (DIS, Juni 2022, S. 57). Den genannten drei Bürgern seien Fälle bekannt, in denen Personen nach Abschluss der Grundausbildung aus dem Selbstverteidigungsdienst desertiert seien. Zwei der drei Bürger hätten gegenüber DIS erklärt, dass sie zu Beginn ihrer Ausbildung einer Gruppe von etwa 1.200 Rekruten des Selbstverteidigungsdienstes angehört hätten. Nach Abschluss der Grundausbildung hätten viele um einen kurzen Urlaub angesucht, um ihre Familien zu besuchen. Nur 500 seien zum Dienst zurückgekehrt. Der Rest sei desertiert (DIS, Juni 2022, S. 64).
Ein weiterer ehemaliger Wehrpflichtiger des Selbstverteidigungsdienstes aus Malikiya berichtet gegenüber DIS im Mai 2024, dass die Grundausbildung in etwa zwei Monate dauere. Während dieser Ausbildungszeit sei kein Urlaub erlaubt. Nach Abschluss der Ausbildung würden Wehrpflichtige acht bis zehn Tage Urlaub erhalten (DIS, Juni 2024, S. 56).
Strafen für Personen, die zum kurdischen Selbstverteidigungsdienst eingezogen werden und desertieren
Das geltende Selbstverteidigungsgesetz von 2019 nennt keine spezifischen Konsequenzen für Deserteure (Law concerning the Self-Defense Forces, 2019; siehe auch: DIS, Juni 2024, S. 22).
Laut Ciwan Isso, einem Rechtsanwalt mit Sitz in Syrien, würden die Behörden bei Desertionsfällen eine Untersuchung der betreffenden Person und ihrer Motive durchführen. Laut Isso seien die Ergebnisse und möglichen Konsequenzen oder Strafen im Zusammenhang mit diesen Untersuchungen nicht bekannt (DIS, Juni 2024, S. 41).
Ein syrischer Kurd·innenexperte in Europa habe im April 2024 gegenüber DIS ausgesagt, dass Desertion Konsequenzen haben könne, jedoch unklar sei, wie genau diese aussehen würden. Es gebe von Zeit zu Zeit Amnestien für Deserteure (DIS, Juni 2024, S. 53).
Auch die von DIS Anfang 2022 interviewten Expert·innen äußerten keine einstimmige Meinung über die Konsequenzen einer Desertion aus dem Selbstverteidigungsdienst:
Laut Fabrice Balanche, Assistance Professor und Forschungsdirektor an der Universität von Lyon, würden Deserteure vor Gericht gestellt und mit Gefängnis bestraft. Er kenne jedoch keine Fälle, in denen Deserteure vor Gericht gestellt worden seien (DIS, Juni 2022, S. 42). Ein syrisch-kurdischer Journalist aus Erbil habe ebenfalls ausgesagt, dass Deserteure festgenommen werden könnten, ihm jedoch keine Fälle bekannt seien, in denen Deserteure tatsächlich gefasst und festgenommen worden seien (DIS, Juni 2022, S. 59).
Laut den von DIS interviewten Bürgern könnten Deserteure zu zwei Monaten Gefängnis verurteil werden. Es gebe immer wieder Amnestien für Deserteure (DIS, Juni 2022, S. 64).
Ein nicht namentlich genannter Journalist und Schriftsteller aus Erbil habe angegeben, dass Deserteure nicht verhaftet würden, sondern direkt zu den Selbstverteidigungskräften gebracht würden, um ihren Dienst zu leisten. Der Pflichtdienst eines Deserteurs werde verlängert. Die genaue Dauer hänge von den Umständen der Desertion ab (DIS, Juni 2022, S. 49-50). Ein Universitätsprofessor aus Erbil habe ebenfalls berichtet, dass Deserteure, die von den Behörden gefasst werden, gezwungen würden ihren Selbstverteidigungspflichtdienst wieder aufzunehmen und zu Ende zu führen (DIS, Juni 2022, S. 66).
Laut der Vertretung der DAANES in der Region Kurdistan Irak könnten Deserteure, je nach den Umständen der Desertion, vor ein Militärgericht gestellt werden. Wenn durch eine Desertion ein schwerer Schaden verursacht worden sei, könne der Deserteur bestraft werden, andernfalls müsse er lediglich seinen Dienst ableisten. Das Gesetz sehe keine bestimmte Strafe für Desertion vor, diese werde vom Militärgericht entschieden. Wenn das Militärgericht entscheide, dass ein Deserteur beispielsweise 15 Tage in Untersuchungshaft genommen werde, würden diese 15 Tage nicht der verbleibenden Dienstzeit angerechnet (DIS, Juni 2022, S. 57).
Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 6. Dezember 2024)
· DIS - Danish Immigration Service: Syria: Military recruitment in Hasakah Governorate, Juni 2022
https://www.ecoi.net/en/file/local/2075255/syria_fmm_rappport_military_recruitment_hasakah_governorate_june2022.pdf
· DIS - Danish Immigration Service: Syria Military recruitment in North and East Syria, Juni 2024
https://www.ecoi.net/en/file/local/2112078/ffm-report-military-recruitment-in-nes-final.pdf
· Law concerning the Self-Defense Forces, and the bylaws of the Self-Defense Office in North and East Syria, 22. Juni 2019, übersetzt und veröffentlicht von Rojava Information Center, 10. Juni 2020
https://rojavainformationcenter.org/2020/06/translation-law-concerning-military-service-in-north-and-east-syria/#:~:text='Self%2Ddefence%20duty'%20is,also%20a%20number%20of%20exemptions.
Anhang: Quellenbeschreibungen und Informationen aus ausgewählten Quellen
Das Danish Immigration Service (DIS) ist die in Dänemark für Einwanderung, Einreise und Aufenthalt von Ausländer·innen zuständige Behörde des Ministeriums für Einwanderung und Integration.
· DIS - Danish Immigration Service: Syria: Military recruitment in Hasakah Governorate, Juni 2022
https://www.ecoi.net/en/file/local/2075255/syria_fmm_rappport_military_recruitment_hasakah_governorate_june2022.pdf
„2.1.3. Length of the Self-Defence Duty
The Self-Defence Duty had an initial duration of six months. The period was extended to nine months following amendments of the law in January 2016. As of June 2022, Article 2 in the law sets the conscription period to one year. Generally, people will be discharged after having served for one year.“ (DIS, Juni 2022, S. 14)
„Skype meeting with Fabrice Balanche, 9 February 2022 […]
Deserters will be trialled and punished with imprisonment; however, the source have not heard of specific cases of deserters being trialled.” (DIS, Juni 2022, S. 42)
„Meeting with a journalist and writer, Erbil, 27 January 2022 […]
A person caught by the AANES [Autonomous Administration of North and East Syria] authorities for having evaded or deserted from his Self-Defence Duty will not be detained irrespective of whether his is a draft evader or a deserter. Instead he will be taken to the HXP [Self-Defense Forces] to serve his Self-Defence Duty. A draft evader will be asked to serve his Self-Defence Duty for an additional month, while a deserter will also be asked to serve longer – the exact length will depend on the circumstances of his desertion. The source has not heard of mistreatment of draft evaders or deserters during their service because of their evasion or desertion.” (DIS, Juni 2022, S. 49-50)
„Meeting with Representation of the Autonomous Administration of North and East Syria (AANES) in the Kurdistan Region of Iraq, Suleimania, 29 January 2022 […]
As regards deserters caught by the authorities, depending on the conditions of desertion, the deserter may be brought before the military court. If his desertion has caused serious damages, he might be punished; otherwise, he will merely be required to complete his service. The law does not stipulate a certain punishment for desertion; it only says that the military court decides about the punishment. If the military court decides that a deserter should be detained, for instance, for 15 days, these 15 days will not count as a part of the remaining duty period. […]
The Self-Defence conscripts stay at the HXP [Self-Defense Forces] headquarters in the area they service. After completing the initial 45 days training, conscripts can request and be granted leaves for seven days per month to go home. During the training period, conscripts are not allowed to leave their training camp.“ (DIS, Juni 2022, S. 57)
„Meeting with a Syrian Kurdish journalist, Erbil, 31 January 2022 […]
A deserter could be detained. However, the Syrian Kurdish journalist did not know of any cases where a deserter was actually caught and detained.“ (DIS, Juni 2022, S. 59)
„Skype group meeting with three local residents, 1 February 2022 […]
At the beginning of Self-Defence Duty, one receives 45 days of training, which consists of classes in politics and ideology, physical training and military training.“ (DIS, Juni 2022, S. 61)
„The sources knew of many cases of persons who deserted from their Self-Defence Duty upon completing the initial training. As an example, source 2 and 3 mentioned that when they started their Self-Defence Duty training, they were part of a group of around 1,200 conscripts. After completing the training, many asked for a short leave to visit their families. However, there were only 500 who returned to their duties; the rest had deserted. Whilst some deserters, particularly in Arab populated areas, go to their villages and stay with their families until they are caught, others flee the area and leave the country. There are formal penalties for deserters who are caught, and they may be sentenced to two months imprisonment. However, the authorities at certain occasions, e.g. Nawrooz (the Kurdish new year), issue amnesties lifting the punishment against deserters. There are also amnesties addressing evaders or deserters who are not caught yet. In such cases, the authorities forgive evasion or desertion if the evaders or deserters in turn enlist for the Self-Defence Duty within a given deadline.” (DIS, Juni 2022, S. 64)
„Meeting with a university professor, Erbil, 28 January 2022 […]
Deserters will be forced to resume their Self-Defence Duty and complete it in the event they are caught by the authorities.” (DIS, Juni 2022, S. 66)
· DIS - Danish Immigration Service: Syria Military recruitment in North and East Syria, Juni 2024
https://www.ecoi.net/en/file/local/2112078/ffm-report-military-recruitment-in-nes-final.pdf
„2.3. Length of the Self-Defence Duty
The introduction of Article 2 in the Self-Defence Duty Law in June 2022 extended the duration of the Self-Defence Duty from nine months to one year. This remains the current standard duration of the Self-Defence Duty.
In Article 1 of the Self-Defence Duty law, two concepts are introduced, which indicate that the length of duty can be extended beyond one year:
1. Retention (in Arabic Ehtefaz): The extension of the Self-Defence Duty service based on crucial needs.
2. Reserve (in Arabic Ehtiat): Any person who has completed the Self-Defence Duty service and is called up based on compelling needs to join the reserve service.“ (DIS, Juni 2024, S. 18)
„WhatsApp meeting with a previous Mandatory Self-Defence Duty conscript residing in Malikiyah (Derek), Syria, 1 May 2024 […]
10. No leave was allowed during the training period. Upon completing the training, conscripts were given 8-10 days leave. After this leave, conscripts went back to the training center where they were assigned to different tasks. When conscripts started doing the tasks they were assigned to, there were one free day after every 10 days of service.
Duties during the service
11. After about two months training in a military training center in Hasakah, conscripts were assigned to different duties based on their educational and professional background and skills.“ (DIS, Juni 2024, S. 56)
„The law does not stipulate any specific repercussions regarding deserters.“ (DIS, Juni 2024, S. 22)
„WhatsApp meeting with Ciwan Isso, lawyer based in Syria, 2 May 2024 […]
In desertion cases, the authorities will conduct an investigation regarding the individual in question, and his motives for desertion. The source is unaware of the outcome and possible consequences/punishment related to this type of investigation.“ (DIS, Juni 2024, S. 41)
„WhatsApp meeting with a Syrian Kurdish expert based in Europe, 30. April 2024 […]
Deserters generally leave the region, as their desertion might have consequences, but these consequences are not clear. From time to time, an amnesty is being issued for those evaders and deserters, if they return to their duty. The last amnesty was issued in early May 2024.“ (DIS, Juni 2024, S. 53)
Law concerning the Self-Defense Forces ist das Gesetz über die Selbstverteidigungskräfte von Nordost-Syrien.
· Law concerning the Self-Defense Forces, and the bylaws of the Self-Defense Office in North and East Syria, 22. Juni 2019, übersetzt und veröffentlicht von Rojava Information Center, 10. Juni 2020
https://rojavainformationcenter.org/2020/06/translation-law-concerning-military-service-in-north-and-east-syria/#:~:text='Self%2Ddefence%20duty'%20is,also%20a%20number%20of%20exemptions.
„Article (1):
Labels and definitions:
The law is called the Self-Defense Duty Law, and this law adopts the following definitions:
[…] R-Retention: The extension of Self-Defense Duty, based on necessity.
S-Reserves: Every citizen who has completed their Self-Defense Duty, and may be called upon according to need to join the reserve service. […]
Article (2):
The period of service for Self-Defense Duty in North and East Syria is twelve full Gregorian months, starting from the date of enrollment.“ (Law concerning the Self-Defense Forces, 2019, Artikel 1 und 2)