Document #2113344
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (Author)
1. Juli 2024
Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen, sowie gegebenenfalls auf Auskünften von Expert·innen und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.
Dieses Produkt stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar.
Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.
Kurzbeschreibungen zu den in dieser Anfragebeantwortung verwendeten Quellen sowie Ausschnitte mit Informationen aus diesen Quellen finden Sie im Anhang.
Zurücklegung der syrischen Staatsbürgerschaft nach Erhalt der österreichischen
Es konnten keine spezifischen Informationen zur Zurücklegung der syrischen Staatsbürgerschaft nach Erhalt der österreichischen gefunden werden. Zu der Fragestellung wurde die syrische Botschaft in Wien angeschrieben. Sollten wir eine Antwort erhalten, werden wir diese unverzüglich an Sie weiterleiten. Die folgenden Quellen enthalten allgemeine Informationen:
Das syrische Außenministerium erklärt auf seiner Webseite, dass syrische Staatsbürger·innen, die eine ausländische Staatsangehörigkeit erwerben, damit nicht ihre syrische Staatsbürgerschaft verlieren würden. Wenn syrische Staatsbürger·innen eine andere Staatsangehörigkeit erwerben möchten, die Zurücklegung der syrischen Staatsbürgerschaft beantragen und ein entsprechendes Dekret erlassen wurde, würden sie ihre Staatsangehörigkeit verlieren. Wenn sie sich jedoch ohne Erlass eines Dekrets einbürgern ließen, würden sie die syrische Staatangehörigkeit weiterhin in jeder Hinsicht und unter allen Umständen behalten, es sei denn, sie werde ihnen gemäß dem Gesetz entzogen (Ministry of Foreign Affairs and Expatriates, ohne Datum). Den genauen Wortlaut des Gesetzestexts des Gesetzesdekrets Nr. 276 von 1969 zur syrischen Staatsbürgerschaft finden Sie weiter unten.
Der Norwegian Refugee Council (NRC) und das Institute on Statelessness and Inclusion (ISI) schreiben in einem undatierten Beitrag auf ihrer Website, dass das syrische Staatsangehörigkeitsrecht Bürger·innen erlaube, ihre syrische Staatsangehörigkeit freiwillig aufzugeben, allerdings nur nach dem Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit (NRC & ISI, ohne Datum). (Dies widerspricht dem Gesetzestext des Gesetzesdekret Nr. 276 von 1969, siehe unten, Anmerkung ACCORD)
Der Syrian Observer übersetzt im Juli 2022 einen Artikel der regierungskritischen syrischen Medienorganisation Enab Baladi. Der Artikel zitiert Tamer Al-Jahmani, Anwalt bei der Verteidigungsbehörde für Gefangene aus Gewissensgründen in Syrien. Laut Al-Jahmani habe der Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit als der syrischen in Syrien keinerlei rechtlichen Wert. Nach syrischem Recht verliere man die syrische Staatsangehörigkeit nicht automatisch durch den Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit, selbst wenn das Gesetz des neuen Landes den Verzicht auf die syrische Staatsangehörigkeit vorsehe. Laut Al-Jahmani könne man die syrische Staatsangehörigkeit nur durch eine Entscheidung des Innenministers, der Regierung, oder durch eine gerichtliche Entscheidung verlieren (The Syrian Observer, 26. Juli 2022).
Allgemeine Informationen zur Möglichkeit der Zurücklegung der syrischen Staatsbürgerschaft
Den Verzicht der syrischen Staatsbürgerschaft regelt das fünfte Kapitel von Gesetzesdekret Nr. 276 von 1969 (Artikel 10 und 11). Laut Artikel 10 verlieren Syrer·innen ihre Staatsbürgerschaft, wenn sie eine ausländische Staatsangehörigkeit erwerben, vorausgesetzt, dass ein Dekret auf der Grundlage eines Antrags und der Zustimmung des/der Minister·in erlassen wurde, das ihnen erlaubt, auf die Staatsangehörigkeit zu verzichten, nachdem sie alle Pflichten gegenüber dem Staat erfüllt haben. Syrer·innen, die als Folge eines Antrags auf eine ausländische Staatsangehörigkeit eingebürgert wurden, bevor ihnen erlaubt wurde, auf ihre syrische Staatsangehörigkeit zu verzichten, sollen diese während ihres gesamten Lebens und unter allen Umständen weiterhin behalten, es sei denn es wird als notwendig erachtet, ihnen die Staatsangehörigkeit in Anwendung der Bestimmungen von Artikel 23 Absatz 10 zu entziehen. Personen in dieser Situation werden mit einer Freiheitsstrafe von ein bis drei Monaten und/oder einer Geldstrafe belegt. Eine diesbezügliche öffentliche Rechtsklage darf nur auf schriftlichen Antrag des/r Minister·in eingeleitet werden. Laut Artikel 11 verliert die Ehefrau eines syrischen Mannes, dem die Erlaubnis erteilt wurde, seine Staatsbürgerschaft aufzugeben auch ihre Staatsbürgerschaft, es sei denn, sie beantragt innerhalb eines Jahres nach dem Datum der Einbürgerung des Mannes (in einem anderen Land, Anmerkung ACCORD) ihre syrische Staatsbürgerschaft zu behalten. Auch minderjährige Kinder verlieren ihre Staatsangehörigkeit, wenn sie die neue Staatsangehörigkeit ihres Vaters erwerben. Sie können im Jahr nach Erreichen der Volljährigkeit die ursprüngliche Staatsangehörigkeit ihres Vaters wählen, wenn ihr gewöhnlicher Wohnsitz im Land liegt oder sie mit der Absicht zurückgekehrt sind, sich dauerhaft im Land niederzulassen. Dies bedarf eines Beschlusses des/der Minister·in (Gesetzesdekret Nr. 276 von 1969, Artikel 10 & 11).
Die deutsche Staatsministerin beim Bundeskanzler, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, zugleich Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus Reem Alabali-Radovan veröffentlicht auf einem undatierten Beitrag ihrer Webseite folgende Informationen über die Möglichkeit der Zurücklegung der syrischen Staatsbürgerschaft:
„Manchmal lässt das Recht des Herkunftslandes keine Möglichkeit zu, die bisherige Nationalität abzulegen. Zudem gibt es Staaten, die ihren Bürgerinnen und Bürgern regelmäßig die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit verweigern. In diesen Fällen können sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit beibehalten.
Menschen aus folgenden Staaten können nach aktueller Rechtslage ihre Staatsangehörigkeit nicht aufgeben: […] Syrien, Thailand, Tunesien und Uruguay. Stammen Sie aus einem dieser Staaten, kann Ihre alte Staatsangehörigkeit bei der Einbürgerung bestehen bleiben.“ (Integrationsbeauftragte, ohne Datum)
Imke Harbers und Abbey Steele erklären in ihrem Artikel vom April 2023, dass es nicht die Möglichkeit gebe, die syrische Staatsangehörigkeit aufzugeben. In europäischen Demokratien hätten Doppelstaatsbürger·innen syrischer sowie anderer Abstammungen in ähnlicher Situation darauf aufmerksam gemacht, wie sich die aufgezwungene doppelte Staatsangehörigkeit auf ihr Leben auswirke. Für Bürger im wehrfähigen Alter sei eine Zurücklegung der syrischen Staatsbürgerschaft [rechtlich] verboten. Für andere sei es theoretisch möglich. Es bedürfe jedoch der Genehmigung des Innenministeriums. Das Verfahren sei bereits vor dem Bürgerkrieg so kompliziert gewesen, dass Behörden davon abgeraten hätten, dies überhaupt zu versuchen. Syrien sei somit ein Land, das den Verzicht der Staatsbürgerschaft de facto verbiete (auch, wenn es de jure möglich sei) (Harbers & Steele, 19. April 2023).
Prozedere des Antrags auf Zurücklegung der syrischen Staatsbürgerschaft
Gesetzesdekret Nr. 276 von 1969 erklärt in seinen Ausführungsanweisungen, dass syrische Staatsbürger·innen für die Zurücklegung ihrer Staatsbürgerschaft einen schriftlichen Antrag bei den zuständigen Behörden Syriens einreichen müssen, in dem der Wunsch des Erwerbs der neuen Staatsbürgerschaft zum Ausdruck gebracht wird. Das bedeutet, dass die ausländische Staatsbürgerschaft nicht vorgeschrieben werden darf. Der Antrag auf Verzicht und die Erlaubnis zum Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit geht an die zuständigen Mitarbeiter·innen der Einwanderungs- und Passbehörde und ihre Zweigstellen oder an eine syrische Botschaft oder ein syrisches Konsulat im Ausland. Der Antrag wird in weiterer Folge an mehrere Stellen zur Bearbeitung weitergeleitet: Sicherheitsdienst, Wehrpflichtdirektion, Standesamt sowie Finanzministerium (Gesetzesdekret Nr. 276 von 1969, Ausführungsanweisungen, Absatz 6 & 7).
Es konnten keine weiteren Informationen zum Prozedere des Antrags auf Zurücklegung der syrischen Staatsbürgerschaft gefunden werden. Zu der Fragestellung wurde die syrische Botschaft in Wien angeschrieben. Sollten wir eine Antwort erhalten werden wir diese unverzüglich an Sie weiterleiten.
Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 1. Juli 2024)
· Gesetzesdekret Nr. 276 von 1969 Syrisch-Arabische Staatsangehörigkeit + Ausführungsanweisungen [Arabisch], 24. November 1969
http://parliament.gov.sy/arabic/index.php?node=201&nid=8182&RID=-1&Last=1&First=0&CurrentPage=0&Vld=-1&Mode=-1&Service=-1&Loc1=0&Key1=&SDate=&EDate=&Year=1969&Country=&Num=276&Dep=-1&
· Harbers, Imke & Steele, Abbey: Permanent Membership: The Prohibition of Citizenship Renunciation, International Migration Review, 19. April 2023
https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/01979183231165508
· Integrationsbeauftragte: Ausnahmen, in denen Sie Ihre bisherige Staatsangehörigkeit behalten können, ohne Datum
https://www.integrationsbeauftragte.de/ib-de/ich-moechte-mehr-wissen-ueber/einbuergerung/ausnahmen-in-denen-sie-ihre-bisherige-staatsangehoerigkeit-behalten-koennen-1865126
· Ministry of Foreign Affairs and Expatriates, Syrian Arab Republic: Bestimmungen zur Staatsangehörigkeit [Arabisch], ohne Datum
http://mofaex.gov.sy/ar/pages109/%D8%A3%D8%AD%D9%83%D8%A7%D9%85-%D8%AE%D8%A7%D8%B5%D8%A9-%D8%A8%D8%A7%D9%84%D8%AC%D9%86%D8%B3%D9%8A%D8%A9-
· NRC – Norwegian Refugee Council & ISI – Institute on Statelessness and Inclusion: Nationality, documentation and statelessness in Syria, ohne Datum
https://www.syrianationality.org/index.php?id=18#:~:text=Syrian%20nationality%20law%20allows%20a,acquisition%20of%20a%20different%20nationality.
· The Syrian Observer: Regime Obliges Syrians Naturalized in Turkey to Review Security Branches, 26. Juli 2022
https://syrianobserver.com/foreign-actors/regime-obliges-syrians-naturalized-in-turkey-to-review-security-branches.html
Anhang: Quellenbeschreibungen und Informationen aus ausgewählten Quellen
Imke Harbers und Abbey Steele waren beide zum Zeitpunkt des Erscheinens des untenstehenden Artikels mit der Universität von Amsterdam affiliiert.
· Harbers, Imke & Steele, Abbey: Permanent Membership: The Prohibition of Citizenship Renunciation, International Migration Review, 19. April 2023
https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/01979183231165508
„Syrian nationality is also passed down through the paternal line without a possibility of renunciation, and following years of civil war, almost half of the country's population resides outside its borders. […]
The stakes of membership are particularly high if countries prohibiting renunciation pursue intrusive policies to engage overseas diasporas, or if they have tense relations with the country of second citizenship. In European democracies, dual nationals of Moroccan, Iranian, and Syrian descent have begun to mobilize and call attention to the ways in which imposed dual citizenship impacts their lives. […]
Syrian nationals are in a similar position. Renunciation is prohibited for citizens of military service age, but theoretically possible for others. Release requires approval by the minister of internal affairs — yet even prior to the civil war the procedure was so complicated that authorities have advised against even attempting it (United States Office of Personnel Management 2001, 192). Some countries thus allow renunciation in theory, but do not actually process or facilitate renunciation requests. In other cases, the requirements imposed are extremely onerous, or the guidelines on whether or not to grant requests are so vague as to make the decision arbitrary. […]
The list of countries prohibiting renunciation in de facto terms is more expansive and allows us to identify 18 additional countries. Notably, it includes the countries that were missing from the de jure list (e.g., Iran and Syria).“ (Harbers & Steele, 19. April 2023)
Der Norwegian Refugee Council (NRC) ist eine humanitäre Nichtregierungsorganisation mit Hauptsitz in Oslo, die sich für den Schutz der Rechte von Menschen einsetzt, die zur Flucht gezwungen wurden.
Das Institute on Statelessness and Inclusion (ISI) ist eine Menschenrechts-NGO, die sich weltweit für die Rechte von Staatenlosen einsetzt.
· NRC – Norwegian Refugee Council & ISI – Institute on Statelessness and Inclusion: Nationality, documentation and statelessness in Syria, ohne Datum
https://www.syrianationality.org/index.php?id=18#:~:text=Syrian%20nationality%20law%20allows%20a,acquisition%20of%20a%20different%20nationality.
„Syrian nationality law allows a citizen to renounce their Syrian nationality voluntarily, but only following acquisition of a different nationality.“ (NRC & ISI, ohne Datum)
Der Syrian Observer ist eine von der Konrad Adenauer Stiftung und dem Schweizer Außenamt finanzierte Online-Publikation, die sich Großteils der Übersetzung von syrischen Nachrichtenartikeln widmet.
· The Syrian Observer: Regime Obliges Syrians Naturalized in Turkey to Review Security Branches, 26. Juli 2022
https://syrianobserver.com/foreign-actors/regime-obliges-syrians-naturalized-in-turkey-to-review-security-branches.html
„Jahmani said that obtaining any nationality other than Syrian nationality has no legal value inside Syria.
Syrian law does not forfeit the Syrian nationality simply by obtaining another nationality, even if the law of the new country stipulates the renunciation of the Syrian nationality.
According to Jahmani, Syrian citizenship is dropped only by a decision of the interior minister in the regime’s government or by a judicial decision.“ (The Syrian Observer, 26. Juli 2022)