Amnesty International Report 2023/24; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Indien 2023

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Die nationalen Finanz- und Ermittlungsbehörden nahmen zivilgesellschaftlich engagierte Personen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Aktivist*innen, Journalist*innen und Kritiker*innen ins Visier und schränkten den zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum weiter ein. Regierungsangehörige, Politiker*innen und Anhänger*innen der Regierungspartei Bharatiya Janata Party (BJP) riefen ungestraft zu Hass und Gewalt gegen religiöse Minderheiten und insbesondere Muslim*innen auf, was zu einem Anstieg von Hassverbrechen führte. Bei lokalen religiösen Ausschreitungen kam es regelmäßig zur Zerstörung von überwiegend muslimischem Privateigentum. Die als Bestrafung gedachten Angriffe u. a. auf Häuser, Geschäfte und Gebetsstätten wurden nicht geahndet. Unzählige Menschen wurden dadurch vertrieben. Die Regierung verhängte weiterhin willkürliche und pauschale Einschränkungen über die Internetnutzung, teils kam es sogar zu Internetsperren. Auch wurden ohne Wahrung von Verfahrensgarantien die Accounts von Journalist*innen und zivilgesellschaftlichen Organisationen auf der Social-Media-Plattform X (vormals Twitter) blockiert. Dalits, Adivasi und andere Randgruppen waren weiterhin Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt. Speziell Frauen und Mädchen waren mit Angriffen auf ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung konfrontiert. Trotz eines offiziellen Verbots der manuellen Latrinenreinigung waren seit 2018 mehr als 300 Menschen bei der Reinigung von Abwasserkanälen und Klärgruben gestorben.

Hintergrund

Im September 2023 war Indien Gastgeber des 18. G20-Gipfels in der Hauptstadt Neu-Delhi. Im Rahmen der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung durch den UN-Menschenrechtsrat (UPR-Prozess) nahm Indien im März 221 der 339 Empfehlungen an, darunter diejenigen zur Beseitigung der Kastendiskriminierung, zur Gewährleistung der Meinungsfreiheit und zum Schutz der Rechte religiöser Minderheiten. Des Weiteren nahm Indien die Empfehlungen zur Kenntnis, das Gesetz über die Finanzierung aus dem Ausland (Foreign Contribution [Regulation] Act – FCRA), das Antiterrorgesetz (Unlawful [Activities] Prevention Act – UAPA) sowie die Gesetze über Aufruhr und strafbare Verleumdung aufzuheben, abzuändern oder mit internationalen Menschenrechtsstandards in Einklang zu bringen. Im November 2023 unterzog sich Indien der vierten gegenseitigen Evaluierung seiner Gesetze und Vorschriften zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung durch die internationale Financial Action Task Force. Die Regierung hatte die Empfehlungen des Gremiums in der Vergangenheit dazu genutzt, um gegen Menschenrechtler*innen, Aktivist*innen und Regierungskritiker*innen vorzugehen. Am 17. Oktober lehnte der Oberste Gerichtshof die rechtliche Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe ab und überließ es stattdessen dem Parlament, die erforderlichen Gesetze zu formulieren.

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Am 21. Dezember 2023 verabschiedete das indische Parlament ein neues Gesetz (Bharatiya Nagarik Suraksha Sanhita Act), mit dem die vom Obersten Gerichtshof 2022 vorübergehend außer Kraft gesetzten Bestimmungen zur "Aufwiegelung" wieder eingeführt und die mögliche Strafe für dieses Delikt von sieben Jahren auf lebenslänglich erhöht werden soll. Die Bestimmungen waren in der Vergangenheit von der Regierung instrumentalisiert worden, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Am 6. April 2023 veröffentlichte die Regierung drakonische Vorschriften zur Internetnutzung (Information Technology [Intermediary Guidelines and Digital Media Ethics Code] Amendment Rules, 2023), mit denen sie ihre Kontrolle über Online-Inhalte ausweitete. Durch diese Bestimmungen wird eine sogenannte Faktenprüfungseinheit der Zentralregierung ermächtigt, Online-Inhalte, die mit "irgendeiner Aktivität der Zentralregierung" in Verbindung stehen, als "gefälscht, falsch oder irreführend" zu identifizieren. Online-Dienstleister wie z. B. Social-Media-Unternehmen und Internetanbieter sind verpflichtet, derartige Inhalte zu entfernen, wenn sie nicht für Informationen Dritter, die auf ihrer Plattform gehostet werden, haftbar gemacht werden wollen.

Am 18. März 2023 verhängten die Behörden im Bundesstaat Punjab eine pauschale Internetsperre, was bedeutete, dass 27 Mio. Menschen mindestens fünf Tage lang keinen Zugang zum Internet hatten. Am 3. Mai wurde im Bundesstaat Manipur das Internet für längere Zeit abgeschaltet, nur gelegentlich erlaubten die Behörden für kurze Zeit den Zugang. Nach Angaben der Organisation für digitale Rechte Access Now hatte Indien im Jahr 2022 insgesamt 84 Internetsperren verhängt, was das fünfte Jahr in Folge die höchste Zahl weltweit darstellte.

Im April 2023 wurden im Bundesstaat Uttarakhand gegen den Comedian Yash Rathi und im Bundesstaat Maharashtra gegen die Rapper Raj Mungase und Umesh Khade polizeiliche Ermittlungen wegen mutmaßlicher Verleumdung und Anstiftung zur Feindschaft zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen eingeleitet. Die Männer wurden u. a. beschuldigt, in einer Comedy-Show beleidigende Bemerkungen über den Hindu-Gott Rama gemacht und Lieder gesungen zu haben, in denen die Armut und Korruption in Indien thematisiert wurden.

Am 31. Oktober 2023 wurden einige Oppositionsführer*innen und Journalist*innen vom Technologieunternehmen Apple darüber informiert, dass sie auf der Liste bedrohter Personen stünden und ihre iPhones möglicherweise Ziel "staatlich geförderter Angriffe" geworden seien.

Menschenrechtsverteidiger*innen

Die Behörden bedienten sich der zentralen Finanz- und Ermittlungsbehörden, um auf der Grundlage von Steuer-, Geldwäsche-, Auslandsspenden- und Antiterrorgesetzen gegen zivilgesellschaftliche Organisationen und Menschenrechtsverteidiger*innen vorzugehen. Am 14. Februar 2023 führten die Steuerbehörden in den Büros der BBC in Delhi und Mumbai als "Umfragen" deklarierte koordinierte Razzien durch, nachdem die BBC einen Dokumentarfilm ausgestrahlt hatte, in dem Premierminister Narendra Modi kritisiert wurde. Das Innenministerium entzog im Februar 2023 dem Centre for Policy Research die FCRA-Lizenz und setzte im Juni die Lizenz des Centre for Equity Studies, einer von dem bekannten Menschenrechtler Harsh Mander geleiteten gemeinnützigen Organisation, für sechs Monate aus. Dadurch hatten die Organisationen und Aktivist*innen keinen Zugang zu wichtigen Geldmitteln. Am 20. März empfahl das Innenministerium eine Untersuchung der ebenfalls von Harsh Mander geleiteten Organisation Aman Biradari durch die Ermittlungsbehörde Central Bureau of Investigation. Im Juli und September 2023 wurde den Organisationen Centre for Policy Research, Oxfam India und CARE India der Status der Steuerbefreiung entzogen.

Journalist*innen

Menschenrechtsverteidiger*innen, Aktivist*innen und Journalist*innen wurden Beschränkungen im digitalen Raum auferlegt. Am 20. März 2023 blockierten die Behörden im Zuge einer Suchaktion nach Amritpal Singh, dem Leiter der Organisation Waris Punjab De, die X-Accounts (vormals Twitter-Accounts) von prominenten Journalist*innen, Politiker*innen und Angehörigen der pandschabischen Diaspora. Im Juni 2023 wurde Sabrina Siddiqui, eine Journalistin des Wall Street Journal, auf Online-Plattformen von führenden Politiker*innen und BJP-Anhänger*innen beschimpft, weil sie Premierminister Narendra Modi während seines USA-Besuchs zur sich verschlechternden Menschenrechtslage für religiöse Minderheiten in Indien befragt hatte. Aufgrund ihrer muslimischen Religionszugehörigkeit und ihrer pakistanischen Herkunft wurde sie zur Zielscheibe von Online-Trollen.

Am 3. Oktober 2023 führte eine Sondereinheit der Polizei von Delhi auf der Grundlage des Antiterrorgesetzes UAPA Razzien in den Wohnungen von mindestens 46 Journalist*innen durch, die mit der Medienorganisation NewsClick in Verbindung stehen. Ihnen wurde u. a. vorgeworfen, Mittel für terroristische Zwecke beschafft, Feindschaft zwischen verschiedenen Gruppen gefördert und sich zu einer Straftat verabredet zu haben.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Im Bundesstaat Maharashtra befanden sich acht Menschenrechtler*innen weiterhin auf der Grundlage des UAPA ohne Gerichtsverfahren in Haft. Es handelte sich um die Wissenschaftlerin Shoma Sen und den Wissenschaftler Hany Babu, den Dichter Sudhir Dhawale, den Anwalt Surendra Gadling, den Bürgerrechtler Rona Wilson und drei Mitglieder der Kulturgruppe Kabir Kala Manch: Ramesh Gaichor, Jyoti Jagtap und Sagar Gorkhe. Sie alle waren zwischen 2018 und 2020 von Indiens Antiterroreinheit (National Investigation Agency) wegen mutmaßlicher Beteiligung an gewaltsamen Ausschreitungen während der Bhima-Koregaon-Feierlichkeiten in der Nähe der Stadt Pune im Jahr 2018 festgenommen worden.

Ebenfalls auf der Grundlage des UAPA waren mindestens sieben muslimische Studierende, Gemeinderatsmitglieder und Menschenrechtsverteidiger*innen seit 2020 noch immer ohne Gerichtsverfahren in Haft. Ihnen wurde das Herbeiführen der religiösen Ausschreitungen in Delhi im Februar 2020 vorgeworfen, bei denen mindestens 53 Menschen ums Leben gekommen waren, überwiegend Muslim*innen.

Der Akademiker und Menschenrechtsverteidiger GN Saibaba, der 2017 inhaftiert worden war, befand sich trotz seines prekären Gesundheitszustands weiterhin in Gewahrsam.

Am 28. Mai 2023 nahm die Polizei in Delhi Ringerinnen und ihre Unterstützer*innen fest, weil sie einen Marsch zum neuen Parlamentsgebäude organisiert hatten. Sie forderten die Festnahme des ehemaligen Präsidenten des indischen Ringer*innenverbandes, dem vorgeworfen wurde, mehrere Ringerinnen sexuell belästigt zu haben.

Am 3. Oktober 2023 nahm die Spezialeinheit der Polizei von Delhi den NewsClick-Gründer Prabir Purkayastha und seinen Personalchef Amit Chakraborty auf der Grundlage des UAPA fest, weil sie Mittel für terroristische Aktivitäten beschafft haben sollen. Die Männer befanden sich Ende des Jahres noch in Haft.

Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit

Die Hasspropaganda gegen Muslim*innen nahm 2023 immer mehr zu. Die Organisation Hindutva Watch mit Sitz in den USA dokumentierte in der ersten Jahreshälfte insgesamt 255 Fälle von Anstiftung zu Hass und Gewalt gegen Muslime. In einem anschaulichen Fall beleidigte ein hinduistischer Parlamentsabgeordneter am 22. September einen muslimischen Amtskollegen aufgrund von dessen religiöser Identität. Er entschuldigte sich später und kam mit einer Verwarnung davon.

Frauen und Mädchen

Angriffe auf das Recht auf Religionsfreiheit betrafen vor allem Frauen und Mädchen und führten dazu, dass sie noch stärker ausgegrenzt wurden.

In einem begrüßenswerten Schritt gab die neue Regierung des Bundesstaats Karnataka am 15. Juni 2023 die Aufhebung des 2022 eingeführten "Anti-Konversions-Gesetzes" bekannt. Das drakonische und diskriminierende bundesstaatliche Gesetz hatte Eheschließungen unter Strafe gestellt, bei denen es laut den Angaben von Verwandten oder Kolleg*innen einer geehelichten Person zu einem Religionswechsel unter Zwang gekommen war. Solche mutmaßlichen Zwangskonversionen wurden mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft. Das Kopftuchverbot in den Schulen und Hochschulen des Bundesstaats blieb jedoch in Kraft, was die wirksame Teilhabe von Frauen und Mädchen an der indischen Gesellschaft behinderte und ihren Zugang zu Bildung einschränkte.

Am 23. Januar 2023 kündigte die Regierung des Bundesstaats Assam eine harte Linie gegen Personen an, die in den vergangenen sieben Jahren "an Kinderehen beteiligt" waren. In der Folge wurden mehr als 3.000 Personen, überwiegend Muslim*innen, festgenommen. Der zunehmende Druck aufgrund des harten Durchgreifens führte dazu, dass mindestens vier Frauen Suizid begingen. Viele Frauen aus sozial und wirtschaftlich benachteiligten Gemeinschaften suchten keine öffentlichen Gesundheitseinrichtungen mehr auf und setzten damit ihre Gesundheit noch weiter aufs Spiel, weil sie befürchteten, andernfalls ihre Familienangehörigen der Gefahr einer Festnahme auszusetzen.

Rechtswidrige Angriffe und Tötungen

Im Bundesstaat Manipur hielt die Gewalt zwischen Bevölkerungsgruppen 2023 weiter an, da weder die nationalen noch die bundesstaatlichen Behörden ethnische Minderheiten vor Gewalt oder Vertreibung schützten. Am stärksten betroffen war die mehrheitlich christliche Gemeinschaft der Kuki, die Gewalt seitens der Mehrheitsgemeinschaft der überwiegend hinduistischen Meitei ausgesetzt war. Mehr als 200 Menschen wurden getötet – etwa zwei Drittel von ihnen Kuki – und mehr als 50.000 Menschen vertrieben.

Am 31. Juli 2023 erschoss ein hinduistischer Angehöriger der Bahnpolizei vier Männer, die auf dem Weg nach Mumbai waren; drei der Getöteten waren Muslime.

Im August 2023 kam es in der Kleinstadt Nuh im Bundesstaat Haryana zu Ausschreitungen, nachdem eine von den hindu-nationalistischen Gruppen Bajrang Dal und Vishwa Hindu Parishad organisierte Kundgebung durch die überwiegend muslimischen Viertel von Nuh gezogen war. Die Gewalt führte zu sieben Getöteten und mindestens 200 Verletzten.

Auch 2023 kam es zu Lynchmorden, die in der Regel straffrei blieben. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres in den Bundesstaaten Assam, Bihar, Delhi, Haryana, Jharkhand, Karnataka, Madhya Pradesh, Maharashtra und Westbengalen mindestens 32 muslimische Männer und eine Frau von Bürgerwehren und radikalen Hindu-Gruppen getötet.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Rechtswidrige Zwangsräumungen

Im Vorfeld des 18. G20-Gipfels in Neu-Delhi wurden auf behördliche Anordnung hin in verschiedenen Teilen der Metropolregion Delhi informelle Siedlungen abgerissen, vorgeblich zur "Verschönerung" der Stadt, zum Schutz der Umwelt und um die Ausweitung der Siedlungen auf andere Grundstücke zu verhindern. Medienberichten zufolge wurden zwischen Februar und April 2023 in den Stadtteilen Mehrauli, Tughlaqabad, Moolchand Basti und den Yamuna-Auen mindestens 1.425 Gebäude abgerissen, wodurch mehr als 260.800 Menschen ihren Wohnraum verloren.

Im August 2023 wurden auf Veranlassung der Eisenbahnbehörde in Nai Basti, einem überwiegend muslimischen Viertel der Stadt Mathura in Uttar Pradesh, mindestens 90 Häuser mit der Begründung abgerissen, sie seien auf öffentlichem Land errichtet worden. Die Behörde hatte die Bewohner*innen weder mit angemessenem Vorlauf informiert, noch bot sie ihnen alternative Unterkünfte an, sodass die Maßnahme einer rechtswidrigen Zwangsräumung gleichkam.

Nach den Unruhen in der Stadt Nuh ließen die Behörden des Bundesstaats Haryana mindestens 300 Häuser abreißen, die überwiegend Muslim*innen gehörten. Das Hohe Gericht von Punjab und Haryana ordnete die Einstellung der Abrissarbeiten an und äußerte sich besorgt über den fehlenden Rechtsweg und die von der Regierung des Bundesstaats durchgeführte "ethnische Säuberung".

Diskriminierung

Hassverbrechen aufgrund der Kastenzugehörigkeit

Hassverbrechen wie gewalttätige Übergriffe gegen Dalits und Adivasi wurden weiterhin begangen, ohne dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden. Nach den jüngsten Zahlen der Behörde für Kriminalstatistik wurden mehr als 50.000 mutmaßliche Straftaten gegen Dalits (sogenannte Scheduled Castes) und mehr als 8.000 Straftaten gegen Adivasi (sogenannte Scheduled Tribes) gemeldet. Zahlen aus dem Jahr 2021 zeigten, dass Dalits und Adivasi insgesamt 24 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten, jedoch mit 32 Prozent überproportional in den Gefängnissen vertreten waren.

Obwohl die manuelle Latrinenreinigung offiziell verboten war, starben im Zeitraum von 2018 bis 2023 insgesamt 339 Menschen bei der Reinigung von Abwasserkanälen und Klärgruben, neun von ihnen zwischen Januar und Juni 2023. Dies war vor allem auf die mangelhafte Umsetzung des Gesetzes von 1993 über das Verbot der manuellen Entleerung und Reinigung von Trockentoiletten zurückzuführen.

Rechte indigener Gemeinschaften

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt

Das ganze Jahr über berichteten die Medien über sexualisierte Gewalt gegen Adivasi-Frauen durch Angehörige der herrschenden Kasten, die häufig ungestraft blieb. Im Mai 2023 wurden in Manipur zwei indigene Kuki-Frauen von Dutzenden Männern, die der Meitei-Gemeinschaft angehörten, nackt durch die Straßen getrieben; eine von ihnen wurde danach vergewaltigt. Erst zwei Monate später, nachdem ein Video des Vorfalls in den Sozialen Medien aufgetaucht war und für öffentliche Empörung gesorgt hatte, wurde Anzeige bei der Polizei erstattet.

Im September 2023 begrapschten zwei angehende Schneider an einer von über 250 Adivasi-Kindern besuchten Schule im Bundesstaat Uttarakhand mehr als 100 Mädchen. Bis zum Jahresende war noch niemand in Verbindung mit der Tat festgenommen worden.

Landrechte

Im Widerspruch zu einem Urteil des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 1996 verabschiedete das Parlament am 4. August 2023 eine Änderung des Waldschutzgesetzes, durch die private Wälder sowie Waldstücke im Besitz indigener Gemeinschaften von dem Geltungsbereich des ursprünglichen Waldschutzgesetzes aus dem Jahr 1980 ausgenommen werden. Die Änderungen befreiten private Unternehmen von der Verpflichtung, Entwaldung und den Bau von Industrieanlagen von der Regierung genehmigen zu lassen.

Jammu und Kaschmir

In einem begrüßenswerten Schritt gewährte das für Jammu und Kaschmir und für Ladakh zuständige Oberste Gericht dem Journalisten Fahad Shah am 18. November 2023 die Freilassung gegen Kaution. Er war im Februar 2022 unter Rückgriff auf das Antiterrorgesetz UAPA wegen seiner legitimen journalistischen Aktivitäten inhaftiert worden. Dasselbe Gericht hob am 9. November 2023 die Haftanordnung gegen den Journalisten Sajad Gul auf und erklärte am 11. Dezember die Haftanordnung gegen den Menschenrechtsverteidiger Asif Sultan für nichtig. Auf der Grundlage des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit in Jammu und Kaschmir, das Verwaltungshaft ohne Anklage oder Gerichtsverfahren ermöglicht, hatten sich die beiden Männer seit Januar 2022 bzw. August 2018 in Gewahrsam befunden. Der Menschenrechtsverteidiger Khurram Parvez hingegen, der 2021 auf der Grundlage des Gesetzes über illegale Aktivitäten inhaftiert worden war, blieb weiter in Haft.

Am 19. August 2023 sperrten die indischen Behörden den Zugang zu Fahad Shahs Online-Nachrichtenportal The Kashmir Walla und dessen Konten auf Facebook und X (vormals Twitter).

Am 4. und 5. Februar 2023 ließen die Kommunal- und Steuerbehörden des Unionsterritoriums Jammu und Kaschmir in mindestens vier Distrikten (Srinagar, Budgam, Anantnag und Baramulla) die Häuser und anderes Eigentum von Bewohner*innen demolieren.

Am 11. Dezember 2023 bestätigte der Oberste Gerichtshof Indiens die Verfassungsmäßigkeit der Aufhebung von Artikel 370 der indischen Verfassung durch die Regierung am 5. August 2019. Der Artikel verlieh dem Unionsterritorium Jammu und Kaschmir weitreichende Befugnisse in einer Vielzahl von Bereichen, ausgenommen Außenbeziehungen, Verteidigung und Kommunikation. Das Gericht empfahl außerdem die Einrichtung einer unabhängigen Wahrheits- und Versöhnungskommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverstößen durch staatliche und nichtstaatliche Akteure in der Region und wies die indische Regierung an, bis spätestens September 2024 in diesem Unionsterritorium Wahlen für die gesetzgebende Versammlung abzuhalten.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Die Regierung verfügte über keine angemessenen Katastrophenschutzpläne und konnte nicht wirksam auf die durch den Klimawandel verstärkten Überschwemmungen und die gestiegene Luftverschmutzung reagieren. In der Himalaya-Region kam es nach wie vor zu schweren Überschwemmungen, bei denen im August 2023 mindestens 72 Menschen zu Tode kamen.

Ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen, die von Hitzewellen betroffen waren, erhielten von den Behörden keine angemessene Unterstützung, wodurch in den Bundesstaaten Uttar Pradesh und Bihar mindestens 96 Menschen ums Leben kamen.

Im November 2023 erreichte der Luftqualitätsindex in Delhi den schlechtesten Wert von 500 – dies überstieg den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als gesund ausgewiesenen Wert um das 100-fache.

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