Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Burkina Faso 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

AMTLICHE BEZEICHNUNG

Burkina Faso

STAATSOBERHAUPT

Ibrahim Traoré (löste im September 2022 Paul-Henri Sandaogo Damiba im Amt ab, der im Januar Roch Marc Christian Kaboré im Amt gefolgt war)

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF*IN

Apollinaire Kyélem de Tambèla (löste im Oktober 2022 Albert Ouédraogo im Amt ab, der im März Lassina Zerbo im Amt gefolgt war)

Stand:
1/2023

Sowohl bewaffnete Gruppen als auch Regierungsstreitkräfte verletzten das humanitäre Völkerrecht. Der bewaffnete Konflikt beeinträchtigte weiterhin die Rechte auf Nahrung, Wasser, Gesundheit und Bildung. Es kam zu willkürlichen Inhaftierungen und Verstößen gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung. Zwei Verfahren zu aufsehenerregenden Mordfällen wurden endgültig abgeschlossen, eines davon betraf die Ermordung von Präsident Thomas Sankara im Jahr 1987.

Hintergrund

In Burkina Faso kam es 2022 zu zwei Militärputschen. Der erste erfolgte im Januar und wurde von Oberstleutnant Paul-Henri Damiba angeführt. Dieser Militärputsch führte zum Sturz von Präsident Roch Marc Kaboré und seiner Regierung und zur Auflösung des Parlaments und aller kommunalen Volksvertretungen. Die Armee begründete den Putsch mit dem unzureichenden Regierungshandeln gegen die schlechte Sicherheitslage, die das Leben der Zivilbevölkerung weiterhin stark beeinträchtigte. Die Militärbehörden stellten Roch Marc Kaboré aus "Sicherheitsgründen" bis zum 7. April 2022 unter Hausarrest.

Im April wurde der Ausnahmezustand verlängert, nachdem er für zwei Monate ausgesetzt worden war. Die neue Regierung richtete im Norden und Osten des Landes Militärzonen ein und wies die Zivilbevölkerung an, diese Gebiete zu verlassen. Unter Vermittlung der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) wurde eine zweijährige Übergangszeit bis zur Abhaltung von Präsidentschaftswahlen ausgehandelt. Nach militärischen Rückschlägen im bewaffneten Konflikt wurde Oberstleutnant Paul-Henri Damiba im September von Militärs unter der Führung von Hauptmann Ibrahim Traoré gestürzt.

Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht

Bewaffnete Gruppen

Die Gruppe zur Unterstützung des Islams und der Muslime (Jama’at Nusrat al-Islam wal-Muslimin – JNIM) blockierte den Zugang und Güterverkehr zu mehreren Städten im Norden und Osten des Landes. Als Reaktion darauf, dass die Regierung den Personen- und Warenverkehr aus Djibo in die unter dem Einfluss der JNIM stehenden Gebiete verboten hatte, schnitt die JNIM im Februar 2022 den Zugang zur Stadt Djibo ab. Im Juli blockierte die JNIM die wichtigste Zugangsstraße in die Stadt Sebba, wo 30.000 Binnenvertriebene aus benachbarten Bezirken lebten. Die Blockaden beeinträchtigten die Ernährungssicherheit der Zivilbevölkerung und ihren Zugang zu Medikamenten und medizinischer Versorgung.

Im März 2022 griffen Bewaffnete in der seit 2019 belagerten Stadt Arbinda in der Provinz Soum Menschen an, die sich an einem öffentlichen Trinkreservoir mit Wasser versorgten. Sieben Menschen wurden getötet, darunter drei Zivilpersonen.

Nach Angaben des Norwegischen Flüchtlingsrats, einer unabhängigen humanitären Organisation, attackierte und zerstörte die JNIM in Djibo zivile Objekte wie z. B. Wasserinfrastruktur, wovon mehr als 300.000 Einwohner*innen betroffen waren. Händler*innen und andere Personen, die die Stadt mit Lebensmitteln versorgen wollten, wurden von bewaffneten Gruppen mit Gewalt bedroht. Die Regierung entsandte daraufhin bewaffneten Begleitschutz, um diesen Personen den Zugang zu Djibo zu ermöglichen. Am 26. September 2022 griffen Bewaffnete im Dorf Gaskindé einen vom Militär eskortierten zivilen Versorgungskonvoi mit 207 Fahrzeugen an, der auf dem Weg nach Djibo war. Nach dem Angriff galten 50 Personen als vermisst, und laut Regierungsangaben wurden die sterblichen Überreste von elf Soldaten gefunden.

Im Juni 2022 griffen Mitglieder der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat Provinz Sahel (IS Sahel) die Gemeinde Seytenga an und töteten mindestens 80 Menschen, überwiegend Zivilpersonen. Berichten zufolge gingen die Angreifer von Haus zu Haus und töteten Männer. Tausende Einwohner*innen wurden vertrieben; etwa 16.000 flohen in die regionale Hauptstadt Dori und 360 über die Grenze nach Niger.

Regierungsstreitkräfte

Im Februar 2022 töteten französische Streitkräfte, die die nationale Armee unterstützten, vier Zivilpersonen bei einem Luftangriff auf die bewaffnete Gruppe Ansaroul Islam. Es wurde keine Untersuchung zur Rechtmäßigkeit des Angriffs in die Wege geleitet.

Im April 2022 wurden Medienberichten zufolge bei Militäreinsätzen gegen bewaffnete Gruppen in den Dörfern Sokoundou, Wassakoré und Tin-Rhassan in der Provinz Oudalan nahe der Grenze zu Mali zahlreiche Zivilpersonen getötet. Auch zu diesen Angriffen wurden keine Ermittlungen eingeleitet.

Im August 2022 räumten die Behörden ihre Verantwortung für den Tod "mehrerer" Zivilpersonen bei Luftangriffen auf bewaffnete Gruppen in der Nähe von Kompienga/Pognoa nahe der Grenze zu Togo ein. Medienberichten zufolge wurden bei dem Angriff rund 30 Zivilpersonen getötet, die meisten von ihnen Frauen.

Am 30. Dezember attackierte eine regierungsnahe Miliz zwei mehrheitlich von Angehörigen der ethnischen Gruppe der Fulani bewohnte Bezirke in der Stadt Nouna (Provinz Kossi). Quellen vor Ort berichteten über mindestens 86 Getötete. Die Staatsanwaltschaft von Nouna kündigte eine Untersuchung der Tötungen an.

Recht auf Nahrung

Konfliktbedingte Preissteigerungen bei Konsumgütern sowie Klimaschwankungen beeinträchtigten die Ernährungssicherheit stark. Nach Angaben des Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) waren im September 4,9 Mio. Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen, darunter viele Binnenvertriebene, die aufgrund des Konflikts aus ihren Heimatorten geflohen waren und ihre Lebensgrundlage verloren hatten. Rund 180.000 Kinder waren laut OCHA chronisch unterernährt. Besonders akut war die Lage in den Regionen Nord, Sahel und Est, in denen die bewaffneten Gruppen hauptsächlich aktiv waren.

Recht auf Bildung

Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF berichtete Ende September 2022, dass 4.258 Schulen aufgrund des Konflikts geschlossen bzw. nicht funktionsfähig waren. Von UNICEF unterstützte Behördenstellen sowie andere Organisationen entwickelten pädagogische Rundfunkprogramme, die sich an Kinder richteten, die durch den Konflikt vertrieben worden waren oder aus anderen Gründen nicht zur Schule gehen konnten. Laut Angaben von UNICEF hatten diese Radioprogramme im September etwa 292.860 Kinder erreicht.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im März 2022 wurde der ehemalige Präsident der Nationalversammlung Alassane Bala Sakandé festgenommen, inhaftiert und von der Gendarmerie verhört, bevor er am selben Tag ohne Anklage wieder freikam. Vor seiner Festnahme und Inhaftierung hatte er am 24. März eine Presseerklärung abgegeben, in der er ein Ende der rechtswidrigen Inhaftierung des abgesetzten Präsidenten Roch Marc Kaboré forderte.

Am 19. Mai 2022 wurde der für den Fernsehsender BF1 arbeitende Journalist Luc Pagbelguem in der Hauptstadt Ouagadougou von einer Sicherheitskraft des Übergangspremierministers Albert Ouédraogo angegriffen, als er über eine Veranstaltung berichtete. Daraufhin gaben verschiedene Medienorganisationen am 26. Mai eine Erklärung ab, in der sie den Übergriff auf Luc Pagbelguem und die Einschüchterung mehrerer anderer Journalist*innen in Burkina Faso verurteilten.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Im April 2022 befand ein Militärgericht in der Hauptstadt Ouagadougou den früheren Präsidenten Blaise Compaoré und seinen Sicherheitschef Hyacinthe Kafando des Mordes an Präsident Thomas Sankara und zwölf weiteren Regierungsmitgliedern im Jahr 1987 für schuldig. Sie wurden zusammen mit General Gilbert Diendéré in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Im selben Fall wurden acht weitere Angeklagte zu Freiheitsstrafen zwischen drei und 20 Jahren verurteilt; drei Angeklagte wurden freigesprochen. Im Mai 2022 ordnete das Militärgericht an, dass Blaise Compaoré und neun der anderen Verurteilten insgesamt 800 Mio. CFA-Francs (etwa 1,2 Mio. Euro) als Entschädigung an die Familie von Thomas Sankara und die Familien der übrigen zwölf Opfer zahlen müssen.

Im Mai 2022 wurde General Gilbert Diendéré außerdem der Mittäterschaft bei der rechtswidrigen Festnahme und Entführung von Boukary Dabo im Jahr 1990 für schuldig befunden und vom Obersten Gerichtshof in Ouagadougou zu 20 Jahren Haft und einer Geldstrafe von 1 Mio. CFA-Francs (etwa 1.450 Euro) verurteilt. Boukary Dabo, Sprecher einer Studierendenvereinigung, war an den Folgen der gegen ihn verübten Taten gestorben. Zwei weitere Angeklagte wurden in demselben Fall zu zehn bzw. 30 Jahren Haft und zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt.

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