Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Aserbaidschan 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

AMTLICHE BEZEICHNUNG

Republik Aserbaidschan

STAATSOBERHAUPT

Ilham Aliyev

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF*IN

Ali Asadov

Stand:
1/2023

Auch im Jahr 2022 wurden Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht gemeldet. Bei der Untersuchung mutmaßlicher Kriegsverbrechen während des Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan im Jahr 2020 gab es keine nennenswerten Fortschritte. Die Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit waren weiterhin stark eingeschränkt. So gingen die Behörden mit willkürlichen Festnahmen und politisch motivierter Strafverfolgung gegen zivilgesellschaftlich engagierte Personen vor, schlugen friedliche Proteste nieder und behinderten die Arbeit unabhängiger Organisationen und Medien. Frauen und Mädchen wurden weiterhin diskriminiert.

Hintergrund

Aserbaidschans Bedeutung für die Bereitstellung und Durchleitung von Energieträgern wuchs 2022. Die Regierung verfolgte eine zunehmend selbstbewusste Wirtschafts- und Militärpolitik, insbesondere, nachdem der Einfluss Russlands in der Region nach dem Einmarsch in die Ukraine und den darauf folgenden Sanktionen des Westens abgenommen hatte.

Die Sicherheitslage entlang der armenisch-aserbaidschanischen Grenze war weiterhin fragil. Nach einem erneuten Aufflammen des Konflikts zwischen dem 12. und 14. September 2022 wurden durch aserbaidschanischen Beschuss in den armenischen Provinzen Syunik, Gegharkunik und Vayots Dzor mehrere Zivilpersonen getötet. Im Oktober stimmten Aserbaidschan und Armenien der befristeten Entsendung einer EU-Beobachtermission entlang ihrer Grenze zu.

Der Latschin-Korridor, die einzige Straße, die die Region Bergkarabach mit Armenien verbindet, war seit dem 12. Dezember 2022 blockiert und auch am Jahresende noch geschlossen. Zahlreiche aserbaidschanische Demonstrierende hatten die Straße blockiert und ein Ende des mutmaßlich illegalen Bergbaus in dem Gebiet sowie die erneute Übernahme der Kontrolle des Korridors durch Aserbaidschan gefordert. Russische Friedenstruppen verbarrikadierten daraufhin die Straße, um eine Eskalation der Spannungen zu verhindern. Dadurch war der Zugang zu grundlegenden Gütern und Dienstleistungen für die in Bergkarabach lebenden ethnischen Armenier*innen unterbrochen, und Hunderte Menschen saßen fest.

Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht

Am 2. Oktober 2022 leitete die Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen zu einem Video ein, das kurz zuvor im Internet aufgetaucht war. Es zeigte eine Gruppe von Männern in aserbaidschanischen Militäruniformen, die mindestens sechs armenische Soldaten zusammentrieben und erschossen. Die Ermittlungen dauerten am Jahresende noch an, ohne dass Fortschritte bei der Identifizierung der Verantwortlichen gemeldet wurden. Auch bei der Untersuchung von Kriegsverbrechen und anderen Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht während des Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan im Jahr 2020 und unmittelbar danach wurden keine nennenswerten Fortschritte erzielt. Gleiches galt für das Ausfindigmachen und die strafrechtliche Verfolgung mutmaßlicher Verantwortlicher.

Laut einem im August 2022 veröffentlichten Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz waren das Schicksal und der Verbleib von über 300 Armenier*innen, die auf aserbaidschanischem Gebiet vermisst wurden, weiterhin ungeklärt.

Es gab nach wie vor Tote und Verletzte durch Minen, die aserbaidschanischen Angaben zufolge weiterhin von armenischen Kräften in dem von Aserbaidschan im Jahr 2020 zurückeroberten und international anerkannten Territorium verlegt wurden. Die aserbaidschanischen Behörden machten zudem geltend, dass die von Armenien vorgelegten Minenkarten nicht zuverlässig seien. Im Oktober meldeten die aserbaidschanischen Behörden, dass seit dem Konflikt 45 Personen durch Minen getötet und 221 verletzt wurden.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Medien unterlagen nach wie vor strengen Beschränkungen: Websites, die politisch abweichende Meinungen veröffentlichten, wurden blockiert, und Personen, die in den Sozialen Medien Kritik äußerten, willkürlich mit Strafen belegt und strafrechtlich verfolgt. Nachdem die Behörden die meisten unabhängigen Medien des Landes zum Schweigen gebracht hatten, nahmen sie kritische Medienanstalten ins Visier, die vom Ausland aus über Aserbaidschan berichteten.

Am 8. Februar 2022 erließ der Präsident ein neues Mediengesetz, das die Eigentümer*innen von Medienanstalten, die aserbaidschanische Zielgruppen bedienten, dazu verpflichtete, einen ständigen Sitz im Land zu unterhalten. In der Folge waren sie anfällig für Zensur und Verfolgung. Mit dem neuen Gesetz verstärkte sich die staatliche Kontrolle über die aserbaidschanischen Medien noch weiter. Unter anderem wurden alle Journalist*innen verpflichtet, sich offiziell registrieren zu lassen und "objektiv" zu berichten, ohne dass das Gesetz klar definierte, was als "objektiv" betrachtet wird.

Die Behörden setzten zivilgesellschaftlich engagierte Personen und unabhängige Medien weiterhin willkürlichen Festnahmen und anderen Formen von Drangsalierung aus. Im September berichteten aserbaidschanische Menschenrechtsorganisationen, dass sich 99 Personen aufgrund politisch motivierter Anklagen im Gefängnis befanden.

Die Behörden schienen besonders oft gegen Journalistinnen vorzugehen. Am 15. Februar 2022 wurden die beiden Journalistinnen Fatima Movlamli und Sevinj Sadigova von der Polizei festgenommen, geschlagen und beleidigt, als sie über Proteste von Müttern verstorbener aserbaidschanischer Soldat*innen berichteten. Die Journalistin Ayten Mammedova erlitt leichte Verletzungen, als sie am 8. Mai in einem Aufzug von einem Unbekannten mit einem Messer attackiert wurde. Seine Drohungen machten deutlich, dass der Angriff mit ihrer Arbeit zusammenhing.

Am 23. April 2022 berichtete der ehemalige gewaltlose politische Gefangene und prominente Menschenrechtler Bakhtiyar Hajiyev, dass er von maskierten Männern entführt, geschlagen und gewarnt worden sei, den Innenminister nicht weiter zu kritisieren. Am 9. Dezember ordnete ein Gericht in Baku nach einem privaten Streit 50 Tage Untersuchungshaft gegen Bakhtiyar Hajiyev wegen politisch motivierter Vorwürfe wie "Rowdytum" und "Missachtung des Gerichts" an. Menschenrechtsverteidiger*innen und andere Personen mit von der Regierungslinie abweichenden Ansichten über den aserbaidschanisch-armenischen Konflikt wurden zur Zielscheibe einer Online-Hetzkampagne, die Berichten zufolge über regierungsnahe Profile in den Soziale Medien orchestriert wurde.

Am 20. September 2022 kam Ahmad Mammadli, Aktivist und Leiter der NGO Democracy 1918 Movement, für 30 Tage in Haft, weil er Präsident Alijev nach dem Aufflammen des Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan kritisiert hatte. Im November wurden zwei weitere Aktivisten der NGO ebenfalls zu jeweils 30 Tagen Haft verurteilt, weil man ihnen vorwarf, polizeiliche Anweisungen nicht befolgt zu haben.

Am 11. September 2022 wurden Avaz Zeynali, Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenmagazins Xural, und Elchin Sadigov, prominenter Rechtsanwalt für Oppositionelle, festgenommen. Gegen sie wurden politisch motivierte Anklagen wegen Bestechlichkeit bzw. Förderung von Korruption erhoben. Am 20. September wurde Elchin Sadigov per Gerichtsbeschluss in den Hausarrest überführt, während sich Avaz Zeynali zum Jahresende weiterhin in Untersuchungshaft befand.

Mindestens sechs regierungskritische Aktivisten wurden in getrennten Fällen wegen offenbar konstruierter Anklagen im Zusammenhang mit Drogendelikten festgenommen, nachdem Deutschland ihre Asylanträge abgelehnt und sie nach Aserbaidschan abgeschoben hatte.

Rechte auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

Das Recht auf Vereinigungsfreiheit wurde auch 2022 beschnitten, und die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger*innen und NGOs weiterhin durch exzessive Einschränkungen in Gesetz und Praxis behindert.

Die Behörden schränkten das Recht auf friedliche Versammlung weiterhin willkürlich ein. Zwischen Mai und November löste die Polizei mindestens drei Mal friedliche regierungskritische Kundgebungen in der Hauptstadt Baku auf. Friedliche Demonstrierende wurden dabei zusammengetrieben, geschlagen und willkürlich inhaftiert. Die meisten von ihnen kamen kurz darauf wieder frei, ohne dass Anklage gegen sie erhoben wurde.

Rechte von Frauen und Mädchen

Am 4. Juli 2022 äußerte der Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW) seine Besorgnis darüber, dass binnenvertriebene Frauen und Mädchen nur eingeschränkten Zugang zu Bildung, Arbeit, Gesundheitsversorgung und Wohnraum hatten. Der Ausschuss empfahl Aserbaidschan, bestimmte Beschränkungen im Arbeitsgesetzbuch des Landes aufzuheben, die Frauen die Tätigkeit in 204 Berufen untersagten.

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