Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Angola 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

AMTLICHE BEZEICHNUNG

Republik Angola

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF*IN

João Lourenço

Stand:
172023

Die Menschenrechtslage in Angola war auch im Jahr 2022 katastrophal. Der Zeitraum vor und nach den Wahlen war von zahlreichen Menschenrechtsverletzungen geprägt. So wurde u. a. das Recht auf friedliche Versammlung rigoros unterdrückt und Aktivist*innen wurden inhaftiert und gefoltert. Der Süden des Landes litt weiterhin unter extremen Wetterbedingungen, die auf den Klimawandel zurückzuführen waren und sich negativ auf die Rechte auf Nahrung und Wasser auswirkten. Es wurde nichts unternommen, um die damit einhergehende humanitäre Krise einzudämmen. Die rechtswidrige Besetzung von gemeinschaftlich bewirtschaftetem Weideland in dieser Region führte zu einer weiteren Verschlechterung der bereits katastrophalen Bedingungen, unter denen kleinbäuerliche Gemeinschaften lebten.

Hintergrund

Die Parlamentswahlen fanden am 24. August 2022 in einem Klima allgemeiner Unzufriedenheit über die hohen Lebenshaltungskosten statt. Die Regierung war zunehmend unbeliebt. Zu den unzufriedensten Gruppen in der Bevölkerung gehörten die jungen Leute, was u. a. an der steigenden Arbeitslosigkeit und der Nichteinhaltung des 2017 abgegebenen Wahlkampfversprechens, man werde 500.000 Arbeitsplätze schaffen, lag. Im Vorfeld der Wahl wurden friedliche Versammlungen und Proteste junger Menschen verstärkt niedergeschlagen. Das noch nie dagewesene Desinteresse der Wahlberechtigten, von denen nur 46 Prozent ihre Stimme abgaben, trug dazu bei, dass die Regierungspartei Movimento Popular de Libertação de Angola (MPLA) die Wahl mit nur 51 Prozent der Stimmen gewann, so knapp wie noch nie. Zum ersten Mal verlor die MPLA die Hauptstadt Luanda – den größten Wahlbezirk – an die Oppositionspartei União Nacional para a Independência Total de Angola (UNITA). Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten bei der Wahl stellten die Rechtmäßigkeit des MPLA-Wahlsiegs in Frage. Nichtsdestotrotz wurde Präsident Lourenço, begleitet von Demonstrationen militärischer Macht in Luandas Straßen und am Himmel über der Hauptstadt, vereidigt.

Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

Am Wahltag selbst wurden zwar keine Menschenrechtsverletzungen in den Wahllokalen gemeldet, vor und nach den Wahlen gab es jedoch zahlreiche Fälle, in denen Sicherheitskräfte hart gegen Menschen vorgingen, die ihre Rechte auf friedliche Versammlung, Protest und freie Meinungsäußerung wahrnahmen. Die Sicherheitskräfte wurden für die von ihnen verübten Menschenrechtsverletzungen nicht zur Rechenschaft gezogen.

Die Polizei hielt António Tuma, den stellvertretenden Informationsbeauftragten der Unabhängigkeitsbewegung von Cabinda (Movimento Independentista de Cabinda – MIC), weiterhin wegen Vorwürfen über "kriminelle Vereinigung und Rebellion" in Gewahrsam. Er und der MIC-Aktivist Alexandre Dunge waren in den frühen Morgenstunden des 6. Oktober 2021 zu Hause festgenommen worden. Anschließend waren sie im Zivilgefängnis von Cabinda festgehalten worden, bis das Bezirksgericht von Cabinda sie am 1. Juli 2022 freisprach und ihre Haftentlassung anordnete. António Tuma wurde jedoch nur wenige Stunden später erneut festgenommen, und zwar gemeinsam mit sechs weiteren MIC-Aktivisten, die sich versammelt hatten, um die Freilassung ihrer Mitstreiter zu feiern. Bei den sechs Männern handelte es sich um Sebestão Macaia Bungo, Joaquim do Nascimento Sita, Jorge Gomes, Teofilo Gomes, Marcos Futi Poba Polo und José Isamo. Die Kriminalpolizei (Serviço de Investigação Criminal – SIC) erklärte, die Festgenommenen hätten einen Protestmarsch geplant, um den öffentlichen Frieden zu stören.

Im März 2022 nahm die SIC zehn zivilgesellschaftliche Aktivisten fest, weil sie in der Agostinho-Neto-Grundschule in der Provinz Malanje ein Seminar über regionale nachhaltige Entwicklung geplant hatten. Angehörige der SIC folterten die Aktivisten in Gewahrsam.

Im April nahm die Polizei in Luanda 22 junge Aktivist*innen fest und inhaftierte sie. Ihnen wurde vorgeworfen, an einer "nicht genehmigten Kundgebung unter Missachtung der Bestimmungen des Gesetzes über das Versammlungs- und Demonstrationsrecht" teilgenommen zu haben. Die Aktivist*innen wollten gegen das Unternehmen Indra, das mit der Logistik der Wahlen beauftragt worden war, protestieren und die Freilassung politischer Gefangener fordern. Zwanzig von ihnen wurden in Schnellverfahren freigesprochen; zwei erhielten Geldstrafen als Ersatz für eine 40-tägige Haftstrafe.

Die Behörden verschärften ihre Maßnahmen zur Einschränkung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit, indem sie im Vorfeld der Parlamentswahlen zivilgesellschaftliche Zusammenkünfte verhinderten. Am 21. Mai 2022 hinderte die Polizei die Menschenrechtsorganisationen OMUNGA und Associação para Desenvolvimento da Cultura e Direitos Humanos daran, eine Tagung zur Friedensförderung abzuhalten.

Nach der Wahl kam es zu Massenfestnahmen. Am 26. August 2022 gingen zahlreiche junge Menschen, unter ihnen auch Minderjährige, in Lobito, einer Stadt in der Provinz Benguela, auf die Straße, um friedlich gegen die vorläufigen Wahlergebnisse zu protestieren. Die Nationalpolizei löste den Protest unter Einsatz von Tränengas und Schusswaffen auf und nahm acht Aktivist*innen und elf Unbeteiligte fest. Am Tag darauf wurde eine Gruppe junger Menschen von der Polizei auseinandergetrieben, als sie versuchte, friedlich gegen die vorläufigen Wahlergebnisse zu demonstrieren. Zwanzig Personen wurden festgenommen, unter ihnen die Aktivist*innen Avisto Mbota, Albino Elavoko, António Gomes, Maria Do Carmo Correia und Mário Hulunda Raúl. Die Polizei hatte das Haus, in dem sie sich versammelt hatten, gestürmt, dabei Schüsse abgefeuert und Anwesende geschlagen. Bis zum 29. August 2022 mussten sich insgesamt 40 junge Menschen vor dem Bezirksgericht von Lobito wegen "öffentlichen Ungehorsams" verantworten. Die an der Festnahme beteiligten Polizist*innen erschienen nicht vor Gericht und das Verfahren wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Am 15. September 2022, dem Tag der Vereidigung von Präsident Lourenço, hielt die Polizei den Bürgerrechtler Osvaldo Caholo sieben Stunden lang fest und ließ ihn dann ohne Anklage wieder frei. Drei Tage zuvor hatte er dem Auslandssender Deutsche Welle ein Interview gegeben, in dem er sagte, dass die MPLA Angola in den nächsten fünf Jahren in einen terroristischen Staat verwandeln werde, der sich gegen die eigene Bevölkerung wenden wird. Ebenfalls im September wurden zwölf Bürgerrechtler in der Zentrale der SIC in Luanda inhaftiert. Man warf ihnen vor, Videos in den Sozialen Medien veröffentlicht zu haben, um "Unsicherheit, Hass und Panik zu säen". Am 28. September, vier Tage nach ihrer Inhaftierung, wurden sie ohne Anklageerhebung freigelassen.

Nachdem ein Gast in einer Sendung des Radiomoderators Claudio Emmanuel die Geheimdienste kritisiert hatte, drangen maskierte Männer am 20. September 2022 in das Haus von Claudio Emmanuel in Luanda ein und nahmen seine Familie als Geisel. Die Männer folterten die Frau des Radiomoderators, fesselten sie, schlugen sie und fügten ihr mit einem heißen Messer mehr als 30 Schnitte an Armen und Beinen zu. Sie drohten damit, ihr Baby zu töten, sollte sie schreien. Obwohl der Vorfall bei der Polizei angezeigt wurde, die später das Haus von Claudio Emmanuel aufsuchte, wurde niemand zur Rechenschaft gezogen.

Am 29. September ergingen gegen zivilgesellschaftliche Aktivist*innen und ihre Familien Morddrohungen, weil sie Proteste gegen die Wahlergebnisse organisiert hatten. So erhielten beispielsweise Hermenegildo Victor, Koordinator der Bürgerbewegung Mudei, und Basílio da Fonseca, Sprecher der Bürgerorganisation Resistência Malanjina, anonyme Morddrohungen auf ihre Mobiltelefone.

Rechte auf Nahrung und Wasser

Extreme Wetterbedingungen, die auf den Klimawandel zurückzuführen waren, beeinträchtigten weiterhin das Leben der Menschen im Süden Angolas. So waren die Provinzen Cunene, Huíla, Kwando Kubango und Namibe in den vergangenen Jahren von einer beispiellosen Dürre betroffen, was zu Nahrungsmittel- und Wasserknappheit führte, an deren Folgen zahlreiche Menschen und Rinder starben.

Laut der Integrated Food Security Phase Qualification (IPC), die fünf Phasen zur Klassifizierung des Ausmaßes und der Schwere von Nahrungsmittelknappheit definiert hat, herrscht in kaum einer anderen Region der Welt eine so schlimme Ernährungsunsicherheit wie in den angolanischen Provinzen Cunene, Huíla und Namibe. Dort litten 2022 rund 1,58 Millionen Menschen unter Ernährungsunsicherheit, von denen sich 43 Prozent laut IPC in Phase 3, "Akuter Hunger", und 15 Prozent in Phase 4, "Hungersnot", befanden. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF und das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten schätzten, dass im Jahr 2022 rund 400.000 Minderjährige akut unterernährt waren. In manchen Fällen mussten Erwachsene und Kinder Gras essen, um zu überleben. Infolge der Dürre und der damit einhergehenden Futterknappheit kam es zu massenhaftem Sterben von Vieh, was die Ernährungsunsicherheit für die traditionellen Viehzüchter*innen weiter verschärfte. Gleichzeitig trieb der Krieg in der Ukraine nach Angaben der Afrikanischen Entwicklungsbank die Weizenpreise in Afrika um 45 Prozent in die Höhe, was eine noch größere Nahrungsmittelknappheit zur Folge hatte.

Flüchtlinge und Migrant*innen

Die Dürre, das massenhafte Verenden von Rindern und die Missernten führten dazu, dass Menschen auf ihrer verzweifelten Suche nach Nahrung und Wasser auch im Jahr 2022 im Nachbarland Namibia Zuflucht suchten, weil sie keine andere Möglichkeit sahen. Tausende Menschen machten sich zu Fuß auf den Weg nach Namibia, ohne Nahrung und Wasser, einige krank und unterernährt. Viele von ihnen starben unterwegs. In Namibia suchten sie Schutz unter Pappkartons und Plastiktüten oder schliefen ohne jeglichen Schutz im Freien auf dem Boden.

Während es für die in Angola verbliebenen Menschen kaum staatliche Hilfe gab, unternahmen die namibische Regierung und das Rote Kreuz sichtbare Anstrengungen, um den Flüchtlingen zu helfen. Der Hunger zwang viele, die nach Angola zurückgebracht worden waren, erneut zur Flucht nach Namibia.

Rechtswidrige Zwangsräumungen

Im Süden Angolas wurde weiterhin gemeinschaftlich bewirtschaftetes Weideland für die kommerzielle Viehzucht enteignet, obwohl lokale und internationale Menschenrechtsorganisationen dazu aufgerufen hatten, diese Praxis zu beenden. Diese Landübertragungen von kleinbäuerlichen Gemeinschaften an kommerzielle Viehzüchter*innen verschärften die Nahrungsmittel- und Wasserknappheit, da der Zugang der Gemeinschaften zu Ackerland in der Folge einschränkt war und sie ihr Vieh nicht mehr entsprechend den Jahreszeiten auf andere Weideflächen treiben konnten. Die Grundstückstransfers erfolgten häufig ohne die freie, vorherige und informierte Zustimmung der kleinbäuerlichen Viehhalter*innen, zu denen auch indigene und in Stämmen lebende Gemeinschaften gehörten. Sowohl die Behörden als auch die kommerziellen Viehzüchter*innen verletzten verfahrensrechtliche und politische Rechte der kleinbäuerlichen Viehzüchter*innen, so z. B. ihre Rechte auf angemessene Entschädigung, Anhörung der Gemeinschaft, Umweltverträglichkeitsprüfung und Neuansiedlung. Am 12. Oktober 2022 versuchte die Polizei beispielsweise, die Mucubai-Gemeinschaft von ihrem Land in Ndamba am Rande der Stadt Moçâmedes (Provinz Namibe) zu vertreiben, um die Landübertragung an einen kommerziellen Viehzüchter zu ermöglichen. Die Polizei steckte 16 Häuser sowie persönliche Gegenstände wie Decken, Kleidung und Wasserbehälter in Brand. Im Zuge des gewaltsamen Vorgehens verschwand ein fünfjähriger Junge. Die Bewohner*innen befürchteten, dass er in einem der Häuser bei lebendigem Leib verbrannt sein könnte.

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