Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Burundi 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

AMTLICHE BEZEICHNUNG

Republik Burundi

STAATSOBERHAUPT

Evariste Ndayishimiye

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF*IN

Gervais Ndirakobuca (löste im September 2022 Alain Guillaume Bunyoni im Amt ab)

Stand:
1/2023

Die Regierung kam ihrer Pflicht zur Gewährleistung der Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit nicht nach. Zahlreichen unabhängigen Menschenrechtsorganisationen wurde die Arbeit untersagt, und viele zivilgesellschaftliche Akteur*innen befanden sich nach wie vor im Exil. Die Sicherheitskräfte und die Jugendorganisation der Regierungspartei Imbonerakure führten weiterhin gezielte Angriffe auf Regierungskritiker*innen und Oppositionelle durch, einschließlich willkürlicher Festnahmen und Inhaftierungen sowie Verschwindenlassen. Die Rechte von Inhaftierten wurden verletzt. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission sah sich dem Vorwurf der Voreingenommenheit ausgesetzt. Die Regierung ergriff keinerlei Maßnahmen, um das Problem der Treibstoffknappheit zu lösen. Dies und die unüberlegte Entscheidung, Fahrräder, Dreiradkraftfahrzeuge und Motorräder aus dem Stadtzentrum von Bujumbura zu verbannen, wirkte sich negativ auf die Lebenshaltungskosten aus und beeinträchtigte die Bürger*innen in der Wahrnehmung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Rechte. Einige nach Burundi zurückgekehrte Flüchtlinge waren Schikanen, Einschüchterung und Angriffen ausgesetzt.

Hintergrund

Im Februar 2022 hob die EU die Sanktionen auf, die im Jahr 2016 gemäß Artikel 96 des Partnerschaftsabkommens zwischen der EU und der Gruppe der Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (Cotonou-Abkommen) gegen Burundi verhängt worden waren. Die Beziehungen zum Nachbarland Ruanda verbesserten sich weiter. Im März überbrachte der ruandische Verteidigungsminister dem burundischen Präsidenten ein Ersuchen seines Präsidenten um eine Normalisierung der bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Im Mai stattete der Präsident der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) Burundi einen offiziellen Besuch ab. Der Besuch fand vor dem Hintergrund bestehender Bedenken hinsichtlich militärischer Operationen der burundischen Armee und der Imbonerakure gegen bewaffnete burundische Gruppen innerhalb der DR Kongo statt.

Die burundischen Behörden verweigerten regionalen und internationalen Menschenrechtsmechanismen weiterhin den Zugang zu ihrem Land und lehnten eine Zusammenarbeit mit ihnen ab. Dies betraf u. a. die Afrikanische Kommission für Menschenrechte und die Rechte der Völker (ACHPR) und den UN-Menschenrechtsrat.

Nach Angaben des UN-Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten benötigten 1,8 Millionen der insgesamt 13 Millionen Einwohner*innen des Landes im Jahr 2022 humanitäre Hilfe.

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Die Regierung kam ihrer Pflicht, die Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit zu gewährleisten, nicht nach.

Im März 2022 beendeten Ordnungskräfte vorzeitig eine Pressekonferenz, die von den zivilgesellschaftlichen Organisationen Parole et Action pour le Réveil des Consciences et l’Evolution des Mentalités (PARCEM) und L’Observatoire de Lutte contre la Corruption et les Malversations Economiques (OLUCOME) organisiert worden war. Während der Konferenz hatten die Teilnehmer*innen die Maßnahmen des Innenministeriums zum Verbot von Fahrrädern, Dreiradkraftfahrzeugen und Motorrädern in der Innenstadt von Bujumbura angeprangert.

Ebenfalls im März schlug die Wahrheits- und Versöhnungskommission von Burundi ein Gesetz gegen die Leugnung des Genozids vor. Der Gesetzentwurf sah Strafen für Personen vor, die den im Jahr 1972 in Burundi verübten Völkermord an den Hutu leugnen. Sollte das Gesetz in Kraft treten, besteht die Gefahr, dass der ohnehin immer enger werdende Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft und das Recht auf freie Meinungsäußerung noch weiter eingeschränkt werden.

Im Juni 2022 wurden die Feierlichkeiten anlässlich des dritten Jahrestags der Gründung der wichtigsten Oppositionspartei Congrès National pour la Liberté (CNL) in mehreren Provinzen verboten. Sicherheitskräfte und Mitglieder der Imbonerakure unterbrachen mehrere CNL-Versammlungen. So störte im Juli in der Provinz Gitega eine Gruppe mutmaßlicher Imbonerakure-Mitglieder, die von örtlichen Behördenvertreter*innen begleitet wurden, ein Treffen der CNL und beschuldigte die Anwesenden, eine geheime und nicht genehmigte Versammlung abzuhalten. Zwei CNL-Büros in der Provinz Ruyigi wurden niedergebrannt, zahlreiche weitere beschädigt. Versuche der CNL, eine parlamentarische Oppositionsgruppe zu bilden, stießen zunächst auf den Widerstand des Präsidenten der Nationalversammlung.

Im September 2022 forderte der Vorsitzende der ACHPR in einem Schreiben an Präsident Ndayishimiye vorläufige Schutzmaßnahmen für zwölf Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalisten*innen (Marguerite Barankitse, Dieudonné Bashirashize, Arcade Havyarimana, Patrick Mitabaro, Innocent Muhozi, Patrick Nduwimana, Pacifique Nininahazwe, Armel Niyongere, Gilbert Niyonkuru, Anne Niyuhire, Vital Nshimirimana und Bob Rugurika), die alle im Exil lebten. Gegen sie war ungerechtfertigt der Vorwurf erhoben worden, am gescheiterten Putschversuch vom Mai 2015 beteiligt gewesen zu sein. Bereits im Juni 2020 hatte der Oberste Gerichtshof sie in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt, das Urteil war jedoch erst im Februar 2021 bekannt gegeben worden.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Die Behörden und Angehörige der Imbonerakure nahmen weiterhin Mitglieder der CNL ins Visier, misshandelten sie, nahmen sie fest und hielten sie rechtswidrig in Haft.

Im April 2022 wurde Christophe Sahabo, geschäftsführender Direktor des Kira-Krankenhauses in Bujumbura, zusammen mit dem französischen Staatsangehörigen Jean-David Pillot, Vorstandsvorsitzender des Krankenhauses, festgenommen. Jean-David Pillot kam nach einer Nacht in Gewahrsam wieder frei. Christophe Sahabo blieb jedoch länger in Haft, ohne dass er Zugang zu seiner Familie oder Rechtsbeiständen seiner Wahl hatte. Er wurde mehr als 30 Tage lang in einer Zelle des Nationalen Geheimdiensts (Service National de Renseignement – SNR) festgehalten, bevor er einem Richter vorgeführt und ins Mpimba-Gefängnis gebracht wurde. Am 29. September 2022 wurde er dann in das etwa 160 Kilometer von Bujumbura entfernte Ruyigi-Gefängnis verlegt, wo sein Fall registriert wurde. Seine Familie und seine Rechtsbeistände gaben an, dass er unter Druck gesetzt und wegen unbegründeter Vorwürfe über Betrug, Geldwäsche und Urkundenfälschung gezwungen worden sei, von seiner Stelle im Kira-Krankenhaus zurückzutreten. Einer seiner Rechtsbeistände berichtete, dass bei einer kurz zuvor durchgeführten Finanzprüfung, die von der Interimsleitung des Kira-Krankenhauses beauftragt worden war, keinerlei Fehlverhalten von Christophe Sahabo festgestellt worden sei.

Am 27. September wurden sein Bruder Etienne Sahabo und seine Anwältin Sandra Ndayizeye, Tochter des ehemaligen Präsidenten Domitien Ndayizeye, festgenommen. Die Generalstaatsanwaltschaft beschuldigte die beiden, das Protokoll der Vollversammlung des Kira-Krankenhauses gefälscht zu haben, in der Christophe Sahabo wieder als Direktor eingesetzt worden war. Sandra Ndayizeye kam am 7. Oktober wieder frei, nachdem sie die rechtliche Vertretung von Christophe Sahabo niedergelegt hatte. Auch Etienne Sahabo wurde am selben Tag aus der Haft entlassen.

Im Dezember 2022 hob der Oberste Gerichtshof die fünfjährige Haftstrafe des Anwalts Tony Germain Nkina auf, die 2021 wegen "Kollaboration mit Rebellen, die Burundi angegriffen haben" gegen ihn ergangen war. Zudem ordnete der Gerichtshof eine Neuverhandlung seines Verfahrens an. Eine Woche später kam er aus der Haft frei, nachdem das Berufungsgericht von Ngozi ihn freigesprochen hatte. Tony Germain Nkina war 2020 festgenommen und wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit angeklagt worden.

Rechte von Inhaftierten

Die Behörden verletzten weiterhin die Rechte von Inhaftierten. Die Haftbedingungen entsprachen nicht den internationalen Menschenrechtsstandards. Die Hafteinrichtungen waren stark überbelegt, und die Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser sowie die medizinische Betreuung waren unzureichend. Inhaftierte und Menschenrechtsverteidiger*innen prangerten die von den Gefängnisbehörden ab Juli 2022 verhängte Kürzung der Lebensmittelrationen an. Die Situation verschlimmerte sich zudem durch den anhaltenden Anstieg der Zahl der Gefängnisinsass*innen. Nach Angaben des Menschenrechtsverteidigers Pierre Claver Mbonimpa stellten die Behörden Lebensmittel für nur 4.294 Personen bereit, während die tatsächliche Anzahl der Häftlinge auf über 12.000 geschätzt wurde.

Die Behörden hatten noch immer keine wirksame Untersuchung des im Dezember 2021 im Gefängnis von Gitega ausgebrochenen Brandes durchgeführt, bei dem offiziellen Angaben zufolge mindestens 38 Menschen ums Leben gekommen waren. In dem Gefängnis, das für 400 Häftlinge ausgelegt ist, waren mehr als 1.200 Menschen untergebracht. Entsprechend der von Präsident Ndayishimiye im Jahr 2021 gegebenen Anweisung zur Reduzierung der Überbelegung ordnete der Generalstaatsanwalt das gesamte Jahr über die Entlassung von Gefangenen an, denen nur geringfügige Vergehen vorgeworfen wurden. Offiziellen Angaben zufolge wurden in der Hafteinrichtung der Hauptstadt Gitega bis Juni 2022 mindestens 60 Gefangene entlassen. Aus dem Mpimba-Gefängnis in Bujumbura wurden im Juni 111 Häftlinge unter Auflagen freigelassen. Im November forderte die Justizministerin in einer internen Mitteilung zur Überbelegung der Gefängnisse alle Behörden auf, die Anweisung des Präsidenten zur Freilassung von Untersuchungshäftlingen, denen geringfügige Verstöße vorgeworfen werden, umzusetzen.

André Ndagijimana, Mitglied der CNL, starb im Juli im Krankenhaus von Ngozi, während er sich in Polizeigewahrsam befand. Ihm war der Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung verwehrt worden.

Verschwindenlassen

Zwar ging die Zahl der Fälle von Verschwindenlassen zurück, Kritiker*innen der Regierung und der Regierungspartei waren jedoch weiterhin stark gefährdet, Opfer solcher Verbrechen zu werden.

Von CNL-Mitglied Jean de Dieu Ndasabira fehlte seit Juni 2022 jede Spur. Lokale Organisationen, die seinen Fall dokumentierten, nahmen an, dass er an seinem Arbeitsplatz in Bujumbura von SNR-Angehörigen mitgenommen worden war. Die Behörden hatten bis zum Jahresende keine Informationen über Untersuchungen zu seinem "Verschwinden" vorgelegt.

Recht auf Leben

Burundische Menschenrechtsorganisationen berichteten weiterhin von Leichenfunden in Flüssen im ganzen Land. Es wurde angenommen, dass die Sicherheitskräfte und Angehörige der Imbonerakure für die Tötungen verantwortlich waren. Die Behörden leiteten keine Untersuchungen zu diesen Vorwürfen ein.

Im Juni 2022 wurde Jean Claude Ntirampeba, lokaler Jugendfunktionär der CNL, in der Nähe des Flusses Rusizi tot aufgefunden. Seine Leiche wies deutliche Anzeichen einer gewaltsamen Todesursache auf.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Der Wahrheits- und Versöhnungskommission wurde seit Langem Voreingenommenheit vorgeworfen. Menschenrechtsgruppen kritisierten weiterhin die Methodik und Vorgehensweise der Kommission bei der Exhumierung von Leichen. Viele burundische und internationale Akteur*innen sahen das Vorgehen als Unterstützung des Narrativs der Regierungspartei an. Diese stellte die Hutu als die alleinigen Opfer der Massaker von 1972 dar, ohne die Gräueltaten gegen andere Bevölkerungsgruppen untersuchen zu lassen.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Seit August 2021 gelang es den Behörden nicht mehr, die Treibstoffversorgung sicherzustellen, wodurch wirtschaftliche Aktivitäten gelähmt wurden, die Inflation stark anstieg, sich die Lebensmittel verteuerten und der öffentliche Personenverkehr in den Großstädten eingeschränkt wurde. In der Folge war es zahlreichen medizinischen Fachkräften, Studierenden, öffentlich Bediensteten und Beschäftigten des Privatsektors nicht möglich, zur Arbeit zu kommen. Die Krise im öffentlichen Verkehr verschärfte sich durch das vom Innenministerium im März 2022 verhängte Verbot von Fahrrädern, Dreiradkraftfahrzeugen und Motorrädern im Stadtzentrum von Bujumbura noch weiter (siehe "Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit").

Lokale Medien berichteten, dass Mitglieder der Imbonerakure, lokale Staatsbedienstete und Sicherheitskräfte Autofahrer*innen erpressten; diese mussten Geld zahlen, wenn sie lange Warteschlangen beim Tanken vermeiden wollten.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Nach Angaben des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) lebten 258.272 burundische Flüchtlinge in den Nachbarländern und mehr als 80.000 Binnenvertriebene in Burundi. Der UNHCR unterstützte die Rückkehr von 16.621 burundischen Flüchtlingen – vor allem aus der DR Kongo, Ruanda und Tansania – nach Burundi. Lokale Medien und Menschenrechtsorganisationen berichteten weiterhin über Fälle von Schikanen und gezielten Angriffen gegen Rückkehrer*innen durch Mitglieder der Imbonerakure und lokale Staatsbedienstete.

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