Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Griechenland 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

AMTLICHE BEZEICHNUNG

Hellenische Republik

STAATSOBERHAUPT

Katerina Sakellaropoulou

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF*IN

Kyriakos Mitsotakis

Stand:
1/2023

Auch 2022 gab es Berichte über rechtswidrige Gewaltanwendung gegen friedlich Demonstrierende. Pushbacks von Flüchtlingen und Migrant*innen dauerten an. Die Behörden gingen weiterhin hart gegen NGOs vor, die Flüchtlinge und Migrant*innen unterstützten. Das Parlament verabschiedete ein umstrittenes Gesetz, das keine ausreichenden Schutzvorkehrungen für überwachte Personen vorsah. Die Rechte von Militärdienstverweigerern wurden nach wie vor verletzt. Eine beim Europäischen Ausschuss für soziale Rechte eingereichte Kollektivbeschwerde wies auf die katastrophalen Auswirkungen von Sparmaßnahmen auf das Gesundheitswesen hin.

Exzessive Gewaltanwendung

Es gab 2022 mehrfach Berichte darüber, dass die Sicherheitskräfte bei Demonstrationen unnötige und unverhältnismäßige Gewalt anwendeten. Im Mai ging die Bereitschaftspolizei Berichten zufolge mit Blendgranaten und anderen rechtswidrigen Mitteln gegen Studierende der Universität von Thessaloniki vor, die friedlich demonstrierten. Dabei erlitt der Student Yiannis Dousakis schwere Verletzungen an Mund und Kiefer.

Indem es ein Rechtsmittel der Behörden gegen das erstinstanzliche Urteil zurückwies, bestätigte ein Gericht im November 2022, dass der griechische Staat für die schwere Verletzung verantwortlich war, die der Journalist Manolis Kypreos 2011 bei einem Polizeieinsatz erlitten hatte.

Recht auf Leben

Im Zusammenhang mit dem Tod des LGBTI-Aktivisten Zak Kostopoulos im Jahr 2018 befand ein Gericht im Mai 2022 zwei Männer der Körperverletzung mit Todesfolge für schuldig. Vier Polizisten, die ebenfalls in Verbindung mit dem Tod des LGBTI-Aktivisten angeklagt waren, wurden freigesprochen, was Kritik im Hinblick auf Straflosigkeit auslöste.

Im September 2022 empfahl die Staatsanwaltschaft, im Zusammenhang mit dem Tod von Nikos Sambanis sieben Polizisten wegen Tötung mit möglichem Vorsatz vor Gericht zu stellen. Der unbewaffnete 18-jährige Rom war im Oktober 2021 nach tödlichen Schüssen der Polizei gestorben.

Im Dezember 2022 wurde der 16-jährige Rom Kostas Frangoulis (auch Fragoulis) bei einer Verfolgungsjagd durch die Polizei in den Kopf geschossen. Er starb acht Tage später in einem Krankenhaus. Die Staatsanwaltschaft erhob gegen einen Polizisten Anklage wegen Tötung mit möglichem Vorsatz und rechtswidrigem Schusswaffeneinsatz. Der Polizist wurde gegen Kaution und unter Auflagen aus der Haft entlassen.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Im Jahr 2022 trafen mehr als 18.000 Flüchtlinge und Migrant*innen auf dem See- und dem Landweg in Griechenland ein. Im Vorjahr hatte die Zahl bei etwa 9.000 gelegen. Die Zahl der Toten und Vermissten stieg 2022 drastisch an: Sie wurde auf 326 geschätzt, nachdem sie im Jahr zuvor bei 115 lag. Als tragische Schiffsunglücke im Oktober und November zu zahlreichen Toten und Vermissten führten, forderten das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge und die Internationale Organisation für Migration sichere Fluchtwege.

Auf der Insel Samos befanden sich einige Asylsuchende, die in dem von der EU finanzierten "geschlossenen Zentrum mit kontrolliertem Zugang" untergebracht waren, rechtswidrig in Haft, weil die Behörden ihnen verwehrten, die Einrichtung zu verlassen.

Pushbacks

NGOs und Medien berichteten auch 2022 über Pushbacks und andere Verstöße gegen die Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen an Land und auf See. Mehrfach saßen Gestrandete unter entsetzlichen Bedingungen auf kleinen Inseln im Grenzfluss Evros fest. Obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einstweilige Maßnahmen zugunsten der Betroffenen anordnete und Griechenland aufforderte, die Geflüchteten nicht abzuschieben, ergriffen die Behörden Berichten zufolge in einigen Fällen erst sehr spät Rettungsmaßnahmen oder schoben die Menschen zurück.

Im März 2022 erklärte die Nationale Transparenzbehörde, die von der Regierung damit beauftragt worden war, Pushback-Fälle zu untersuchen, sie habe das Vorgehen der Behörden geprüft und dabei keine Unregelmäßigkeiten festgestellt. NGOs forderten eine vollständige Veröffentlichung des Berichts der Behörde, pochten auf Rechenschaftspflicht und Transparenz und erklärten zum wiederholten Mal, die Behörde könne nicht als unabhängig gelten.

Der EGMR fällte im Juli 2022 ein Grundsatzurteil, das sich auf ein Bootsunglück vor der Küste der Insel Farmakonisi im Jahr 2014 bezog, bei dem elf der 27 Passagiere ertrunken waren. Nach Auffassung der Kläger war das Boot gesunken, weil die griechische Küstenwache gefährliche Manöver vollführte, um es zurück in türkische Gewässer zu drängen. Der EGMR befand, Griechenland habe u. a. das Recht auf Leben verletzt, weil der Rettungseinsatz und die Untersuchung des Falls nicht in der erforderlichen Weise erfolgt seien. Ende 2022 lagen dem EGMR und dem UN-Menschenrechtsausschuss noch mehrere Fälle vor, die Pushbacks betrafen.

Im Oktober 2022 veröffentlichten Medien einen vertraulichen Bericht des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung über schwere Vorwürfe gegen die Europäische Grenzschutzagentur Frontex in Griechenland wie z. B. "mögliche Beteiligung an illegalen Pushbacks und/oder deren Vertuschung". Der Bericht stellte fest, dass der Umgang von Frontex mit diesen Vorfällen schwerwiegende Fehler aufweise und grundsätzliche rechtliche Fragen aufwerfe.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Im Februar 2022 kündigten die Behörden die Beendigung des EU-finanzierten städtischen Wohnungsprogramms für besonders schutzbedürftige Asylsuchende (ESTIA) an und reduzierten die Zahl der Unterbringungsplätze. NGOs kritisierten, dass die Betroffenen kurzfristig aus ihren Wohnungen geholt und in abgelegene Lager gebracht wurden, in denen es an grundlegenden Versorgungsleistungen mangelte.

Nach Angaben von NGOs hatten anerkannte Flüchtlinge, die auf Grundlage der Dublin-II-Verordnung aus anderen EU-Mitgliedstaaten nach Griechenland zurückgeschickt wurden, Probleme, die notwendigen Ausweisdokumente zu bekommen, die Voraussetzung waren für den Zugang zu Gesundheitsversorgung, Unterkunft und anderen Diensten.

Menschenrechtsverteidiger*innen

Im Juni 2022 beanstandete die UN-Sonderberichterstatterin über die Lage von Menschenrechtsverteidiger*innen die Kriminalisierung der humanitären Unterstützung von Migrant*innen und Flüchtlingen und die aufwändigen Registrierungsanforderungen für Organisationen, die in diesem Bereich arbeiteten.

Das Strafverfahren gegen die Menschenrechtsverteidiger*innen Sara Mardini und Séan Binder, das sich auf ihren Einsatz zur Rettung und Unterstützung von Flüchtlingen und Migrant*innen bezog, lief weiter.

Der Gründer der Menschenrechtsorganisation Greek Helsinki Monitor, Panayote Dimitras, gegen den aufgrund seiner Arbeit für die Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen strafrechtliche Ermittlungen liefen, musste im Dezember 2022 wegen Verstößen in Verbindung mit seinem Engagement für Asylsuchende vor Gericht erscheinen. Ihm drohten Hausarrest und ein Verbot, weiter für die Organisation zu arbeiten.

Recht auf Privatsphäre

Im April 2022 enthüllten Medienberichte, dass das Telefon des griechischen Journalisten Thanasis Koukakis zwischen Juli und September 2021 mit der Spionagesoftware Predator infiziert war und dass ihn außerdem der griechische Inlandsgeheimdienst im Jahr 2020 abgehört hatte. Die Spionagesoftware kam demnach auch zum Einsatz, um den Abgeordneten des Europaparlaments und Vorsitzenden der Oppositionspartei PASOK-KINAL, Nikos Androulakis, sowie Christos Spirtzis, einen ehemaligen Minister der Oppositionspartei SYRIZA, auszuspähen. Darüber hinaus wurde das Telefon von Nikos Androulakis vom Inlandsgeheimdienst abgehört. Im April begann eine richterliche Untersuchung zu den Vorwürfen. Eine weitere richterliche Untersuchung wurde im November eingeleitet, nachdem eine Zeitung eine Liste prominenter Personen veröffentlicht hatte, die ebenfalls mit Predator ausgespäht bzw. vom Inlandsgeheimdienst abgehört worden sein sollen. Im Dezember 2022 verabschiedete das Parlament ein umstrittenes Gesetz, das den Einsatz von Spionagesoftware durch die Behörden für rechtens erklärt und keine ausreichenden Schutzvorkehrungen für überwachte Personen vorsieht.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im Februar 2022 wurden die Menschenrechtsverteidiger*innen Panayote Dimitras und Andrea Gilbert wegen "Falschanschuldigung" schuldig gesprochen, nachdem sie eine Beschwerde gegen einen ranghohen Bischof der griechisch-orthodoxen Kirche eingereicht hatten, weil dieser sich ihrer Ansicht nach 2017 antisemitisch und diskriminierend geäußert hatte.

Im Mai 2022 verhandelte ein Gericht in Athen gegen die Journalistin Stavroula Poulimeni und die unabhängige Medienkooperative Alterthess. Ihnen wurde vorgeworfen, gegen Datenschutzgesetze verstoßen zu haben, als sie darüber berichteten, dass eine Führungskraft eines Goldbergbauunternehmens wegen Umweltschäden verurteilt worden war.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Im September 2022 wurde die Präsidentin der Föderation der griechischen Krankenhausärzt*innenverbände vor Gericht gestellt, nachdem man sie auf Grundlage eines umstrittenen Gesetzes angeklagt hatte, das öffentliche Versammlungen im Freien betraf. Ihr wurde zur Last gelegt, sie habe sich bei einem Protest des Gesundheitspersonals im September 2020 den Anweisungen der Polizeikräfte widersetzt und den Verkehr behindert.

Die strafrechtliche Verfolgung von zwei Mitgliedern von Amnesty International, die nach einer Protestaktion im November 2022 festgenommen und wegen diverser Vergehen angeklagt worden waren, bot Anlass zur Sorge.

Diskriminierung

Im April 2022 meldete das Netzwerk zur Aufzeichnung rassistischer Gewalt für das Vorjahr 72 Fälle rassistisch motivierter Gewalt.

Im Juni begann das Berufungsverfahren im Fall der rechtsextremen Partei "Goldene Morgenröte". Das erstinstanzliche Gericht hatte in einer richtungsweisenden Entscheidung im Oktober 2020 u. a. geurteilt, die politische Führung der Partei, deren Mitglieder mehrere Gewaltverbrechen verübt hatten, u. a. an Migrant*innen und Flüchtlingen, betreibe eine kriminelle Vereinigung.

Recht auf Militärdienstverweigerung

Die Rechte von Militärdienstverweigerern wurden weiterhin massiv verletzt, z. B. durch Verfahren vor Militärgerichten und wiederholte Bestrafung. Offiziellen Angaben zufolge, die 2022 veröffentlicht wurden, wurde im Jahr 2021 kein einziger Antrag auf Militärdienstverweigerung anerkannt, der sich auf nichtreligiöse Gründe berief. Ende 2022 waren beim Obersten Verwaltungsgericht noch mehrere Rechtsmittelverfahren anhängig, die die diskriminierende Ablehnung von Anträgen auf Militärdienstverweigerung betrafen. Im Dezember 2022 wurde eine rückschrittliche Gesetzesänderung vorgeschlagen, die vorsah, die Zahl der Militärangehörigen in dem Ausschuss, der die entsprechenden Anträge prüft, zu erhöhen. Im Fall des Militärdienstverweigerers Lazaros Petromelidis hatte Griechenland noch nicht auf die Entscheidung des UN-Menschenrechtsausschusses reagiert, der 2021 mehrere Verstöße gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte festgestellt hatte.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Im Jahr 2022 wurden in Griechenland 17 Frauen von ihren Partnern oder ehemaligen Partnern getötet.

Im Oktober berichtete eine 19-Jährige, sie sei auf der Omónia-Polizeiwache in Athen von zwei Polizisten vergewaltigt worden. Die beiden Polizisten wurden wegen Gruppenvergewaltigung angeklagt und gegen Kaution und unter Auflagen freigelassen. Ein dritter Polizist wurde wegen Beihilfe angeklagt. Die Ermittlungen waren Ende 2022 noch nicht abgeschlossen.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Im November 2022 reichte Amnesty International beim Europäischen Ausschuss für soziale Rechte des Europarats eine Kollektivbeschwerde ein. Darin wurde dokumentiert, dass die griechischen Behörden die Rechte auf Gesundheit und Nicht-Diskriminierung verletzten, indem sie nach der Wirtschaftskrise von 2009/2010 Sparmaßnahmen einführten, die das Gesundheitswesen beeinträchtigten und dazu führten, dass keine angemessene Reaktion auf die Coronapandemie möglich war.

Rechte von Inhaftierten

Im Oktober 2022 äußerten zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Sorge, dass neue gesetzliche Regelungen zum Strafvollzug die Rechte von Inhaftierten, wie z. B. das Recht auf vorübergehende Entlassung, weiter einschränken und die chronische Überbelegung der Gefängnisse noch verschärfen könnten.

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