Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Guinea 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

AMTLICHE BEZEICHNUNG

Republik Guinea

STAATSOBERHAUPT

Mamady Doumbouya

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF*IN

Bernard Goumou (löste im Juli 2022 Mohamed Béavogui im Amt ab)

Stand:
1/2023

Die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden im Berichtsjahr 2022 verletzt. Angehörige der Zivilgesellschaft, die Kritik an der langen politischen Übergangsphase äußerten, wurden willkürlich festgenommen und inhaftiert. Verteidigungs- und Sicherheitskräfte töteten Demonstrierende. Dreizehn Jahre nach dem Massaker vom 28. September 2009 begann ein Prozess gegen die mutmaßlich Verantwortlichen. Überlebende sexualisierter Gewalt erhielten weiterhin keine angemessene medizinische und psychologische Betreuung und hatten große Mühe, Gerechtigkeit zu erlangen.

Hintergrund

Im Oktober 2022 vereinbarte das Nationale Komitee für Einheit und Entwicklung (Comité National du Rassemblement pour le Développement – CNRD), das am 5. September 2021 durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen war, mit der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS) eine zweijährige Übergangsphase, um die verfassungsmäßige Ordnung wieder herzustellen. Es war allerdings umstritten, wann diese Übergangsphase beginnen würde.

Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

Die Behörden verletzten die Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Am 13. Mai 2022 verbot das CNRD "alle Demonstrationen auf öffentlichen Straßen, die den sozialen Frieden und die korrekte Durchführung der im Zeitplan vorgesehenen Aktivitäten gefährden könnten" zunächst bis zum Beginn des Wahlkampfs.

Am 8. August 2022 lösten die Übergangsbehörden den Front National pour la Défense de la Constitution (FNDC) auf, ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen und politischer Parteien, das die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung gefordert hatte. Am 15. August erklärte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, dass "eine solche Maßnahme eine schwerwiegende Verletzung der Rechte auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit darstellt", und forderte die Behörden auf, die Entscheidung rückgängig zu machen.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Am 5. Juli 2022 nahm die Polizei die führenden FNDC-Vertreter Oumar Sylla, Mamadou Billo Bah und Djanii Alfa fest, als diese in den Räumlichkeiten des Bündnisses in der Hauptstadt Conakry eine Pressekonferenz abhielten. Nachdem man sie unter der Anschuldigung der "öffentlichen Beleidigung, Missachtung des Gerichts und Störung der öffentlichen Ordnung sowie der öffentlichen Sicherheit" im Gefängnis von Conakry festgehalten hatte, wurden sie am 8. Juli ohne Anklage freigelassen.

Am 29. Juli 2022 leiteten die Behörden gerichtliche Schritte gegen Organisator*innen und Teilnehmer*innen einer verbotenen Demonstration ein, die am Vortag stattgefunden hatte und bei der nach Gewaltausbrüchen fünf Menschen getötet worden waren. Am 30. Juli wurden die FNDC-Vertreter Oumar Sylla und Ibrahima Diallo sowie Saïkou Yaya Barry, der Generalsekretär der Partei Union des forces républicaines, festgenommen und am 1. August wegen "illegalen Protests, Zerstörung öffentlicher und privater Gebäude, Aufwiegelung einer Menschenmenge, tätlichen Angriffs und Körperverletzung, krimineller Vereinigung, Behinderung der Bewegungsfreiheit und Mittäterschaft" angeklagt. Saïkou Yaya Barry kam am 12. Oktober unter Auflagen frei, nachdem sich sein Gesundheitszustand in der Haft verschlechtert hatte. Oumar Sylla und Ibrahima Diallo befanden sich weiterhin im Gefängnis von Conakry und traten im November 2022 in den Hungerstreik, um gegen ihre Inhaftierung zu protestieren und ein faires Verfahren zu fordern.

Rechtswidrige Tötungen

Bei einem Protest gegen steigende Kraftstoffpreise in Conakry töteten Sicherheitskräfte am 1. Juni 2022 den 19-jährigen Thierno Mamadou Diallo. Die Staatsanwaltschaft gab am 13. Juni bekannt, ein Polizist sei wegen mutmaßlichen Mordes angeklagt und inhaftiert worden. Vier weitere Angehörige der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte seien wegen Pflichtverletzung angeklagt worden, weil sie eine Straftat nicht verhindert hätten.

Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen erschossen mutmaßliche Angehörige der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte im Juli, August und Oktober bei Demonstrationen, die eine Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung forderten, 13 Menschen. Das Justizministerium kündigte an, die Vorfälle zu untersuchen, doch lagen am Jahresende keine neuen Erkenntnisse vor.

Am 6. September 2022 wurden in Kondiaran (Region Kankan) bei gewaltsamen Protesten gegen ein Bergbauunternehmen, dem vorgeworfen wurde, nicht genug für die Verbesserung der Lebensbedingungen der örtlichen Bevölkerung zu tun, zwei Menschen erschossen. Auch in diesem Fall versprach das Justizministerium Ermittlungen, doch wurden keine Ergebnisse bekannt.

Am 17. September 2022 wurde in Kipé, einem Vorort von Conakry, bei einem Einsatz zur Drogenbekämpfung ein Ladenbesitzer erschossen. Der Minister für Justiz und Menschenrechte ordnete noch am selben Tag die Einleitung eines Verfahrens gegen einen Polizeikommandanten wegen "Totschlags" sowie gegen zehn weitere Polizisten wegen "Beihilfe zum Totschlag" an.

Rechte von Inhaftierten

In einer Mitteilung an die Leitungen der Gerichte und Staatsanwaltschaften beklagte der Minister für Justiz und Menschenrechte am 24. Juni 2022 "schreckliche Zustände, insbesondere in den Gerichten und Gefängnissen", die einen Verstoß gegen die Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung der Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln) darstellten. Der Minister verwies u. a. auf "29 Fälle schwerer Unterernährung und neun Fälle psychischer Erkrankungen" in einem Gefängnis, auf die unzureichende und schlechte Qualität von Nahrung und Wasser sowie auf Gefangene, die "bis auf die Knochen abgemagert oder gelähmt sind oder sogar im Sterben liegen".

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Der Generalstaatsanwalt des Berufungsgerichts von Conakry ordnete am 4. Mai 2022 ein Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten Alpha Condé und 26 weitere Personen an, die während Condés Präsidentschaft an der Macht waren. Gegenstand des Verfahrens sind mutmaßliche Straftaten, die 2020 im Zusammenhang mit dem Verfassungsreferendum und der Präsidentschaftswahl verübt wurden, darunter "vorsätzliche Angriffe auf das menschliche Leben, insbesondere Mord, Totschlag und Mittäterschaft bei Mord und Totschlag".

Am 28. September 2022 begann endlich ein Prozess gegen Angeklagte, denen das Massaker vom 28. September 2009 zur Last gelegt wird, bei dem mehr als 150 Demonstrierende getötet wurden und mehr als 100 Frauen sexualisierte Gewalt erlitten. Die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs stellte daraufhin ihre diesbezüglichen Vorermittlungen nach 13 Jahren ein.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Überlebende von Vergewaltigung machten weiterhin die Erfahrung, dass sie nicht ausreichend geschützt wurden und medizinische Versorgung, sexuelle und reproduktive Gesundheitsdienste, psychologische Unterstützung sowie rechtliche und soziale Hilfen kaum existierten bzw. schlecht erreichbar waren. Trotz mehrerer Sensibilisierungskampagnen gelang es der Regierung nicht, Vergewaltigungen zu verhindern. Auf den Betroffenen und ihren Familien lastete weiterhin ein hoher "soziokultureller Druck". Oft wurden sie zum Schweigen oder zu einer außergerichtlichen Einigung mit dem Täter gezwungen oder stigmatisiert.

Umweltzerstörung

Behörden und NGOs berichteten über schwerwiegende Umweltverschmutzungen sowie drohende Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen infolge der Bergbauaktivitäten in mehreren Regionen des Landes.

Am 31. Januar 2022 besuchte Premierminister Mohamed Béavogui die Stadt Fria (Region Kindia), um sich über die sozioökonomische Lage der Arbeiter*innen zu informieren und Berichten über Umweltverschmutzung in der Stadt nachzugehen, in der das russische Bauxitunternehmen Rusal tätig ist. Nach seinem Besuch wies er die Unternehmensleitung von Rusal an, ab dem 1. Mai 2022 internationale Umweltschutzstandards einzuhalten.

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