Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Jordanien 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

AMTLICHE BEZEICHNUNG

Haschemitisches Königreich Jordanien

STAATSOBERHAUPT

König Abdullah II. bin al-Hussein

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF*IN

Bisher Al-Khasawneh

Stand:
 1/2023

Die Behörden beschränkten weiterhin die Rechte auf Versammlungs-, Meinungs- und Vereinigungsfreiheit von Journalist*innen, politischen Aktivist*innen und Arbeitnehmer*innen, indem sie willkürliche Inhaftierungen vornahmen und auf repressive Gesetze zurückgriffen. Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen wurden gezielt überwacht. Frauen und Mädchen sahen sich in Gesetz und Praxis weiterhin Diskriminierungen gegenüber. Flüchtlinge hatten aufgrund von Kürzungen der internationalen Hilfe Schwierigkeiten beim Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen.

Hintergrund

Die zu Beginn der Coronapandemie im Jahr 2020 verhängte Notstandsgesetzgebung blieb das ganze Jahr über in Kraft, obwohl König Abdullah im Mai 2022 erklärt hatte, sie werde in den nächsten Monaten aufgehoben.

Der frühere Kronprinz Hamzah bin Hussein wurde durch einen Erlass des Königs in seiner Bewegungsfreiheit und seinen Kommunikationsmöglichkeiten mit der Außenwelt eingeschränkt. Hamzah bin Hussein war 2021 wegen mutmaßlicher Umsturzabsichten unter Hausarrest gestellt worden. Er hat diese Vorwürfe jedoch stets bestritten.

Im September 2022 verabschiedete das Parlament ein Gesetz über die Rechte der Kinder.

Willkürliche Inhaftierungen

Die lokalen Gouverneur*innen wandten auch 2022 das Gesetz über Verbrechensverhütung an, um Personen, die als "Gefahr für die Bevölkerung" angesehen wurden, ohne Anklage oder die Möglichkeit, ihre Inhaftierung vor einer zuständigen Justizbehörde anzufechten, in Verwaltungshaft zu nehmen. Im März 2022 nahmen die Behörden unter diesem Gesetz mindestens 150 Aktivist*innen, Journalist*innen, Lehrer*innen und andere Personen fest. Damit versuchten sie offenbar, die Betroffenen an der Ausrichtung mehrerer Protestaktionen zu hindern, darunter auch eine Veranstaltung zum Gedenken an die von Jugendlichen angeführten Proteste gegen die Regierung im März 2011. Alle Inhaftierten wurden kurz nach ihrer Festnahme wieder auf freien Fuß gesetzt.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Behörden griffen weiterhin auf das Gesetz über Internetkriminalität und auf strafrechtliche Bestimmungen über Verleumdung zurück, um das Recht auf freie Meinungsäußerung zu unterdrücken.

Im Februar 2022 nahmen die Behörden elf politische Aktivist*innen ohne Haftbefehl fest und verhörten sie unter dem Gesetz über Internetkriminalität und dem Strafgesetzbuch im Zusammenhang mit der "Verbreitung von Falschinformationen" und "Anstiftung zu konfessionellen und rassistischen Auseinandersetzungen".

Die Journalistin Taghreed Risheq und der Journalist Daoud Kuttab wurden am 6. bzw. 8. März auf dem internationalen Flughafen von Amman bei ihrer Einreise nach Jordanien festgenommen und unter Berufung auf das Gesetz über Internetkriminalität zu ihrer journalistischen Tätigkeit verhört. Taghreed Risheq kam noch am selben Tag gegen Kaution frei, während Daoud Kuttab zwar aus der Haft entlassen wurde, jedoch vor einem Gericht in der Hauptstadt Amman erscheinen musste, welches eine vorübergehende Aussetzung des Haftbefehls anordnete. Im selben Monat nahmen die Behörden nach Angaben der NGO Reporter ohne Grenzen drei Journalist*innen fest und klagten sie wegen "Verbreitung von Falschmeldungen" im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung über die Pandora Papers an. Die durchgesickerten Dokumente enthüllten Informationen über Offshore-Firmen, geheime Bankkonten und Luxusgüter von Geschäftsleuten, Politiker*innen und anderen Personen, darunter auch König Abdullah.

Am 15. August 2022 nahmen die Behörden den Schriftsteller und politischen Aktivisten Adnan al-Rousan fest und klagten ihn wegen "Verleumdung einer staatlichen Einrichtung" und "Verbreitung falscher und übertriebener Nachrichten, die das Ansehen des Staates untergraben" an.

Recht auf Privatsphäre

Im Januar 2022 stellte eine Untersuchung der Menschenrechtsorganisation Front Line Defenders fest, dass das Telefon von Hala Ahed Deeb, einer jordanischen Anwältin und Frauenrechtlerin, mit der Spionagesoftware Pegasus infiziert war. Im Juni deckten Front Line Defenders und das Citizen Lab der Universität Toronto auf, dass zwischen August 2019 und Dezember 2021 die Telefone von vier weiteren Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen in Jordanien mithilfe der Pegasus-Spionagesoftware gehackt worden waren. Laut den Untersuchungen von Front Line Defenders und Citizen Lab waren mutmaßlich Stellen der jordanischen Regierung dafür verantwortlich.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Die Behörden nahmen von geplanten Reformen des Vereinigungsgesetzes wieder Abstand. Das Gesetz schränkte die Tätigkeit von NGOs willkürlich ein und ermöglichte es der Regierung, sich in deren Arbeit einzumischen. NGOs hatten weiterhin Schwierigkeiten, die Genehmigung der Regierung für finanzielle Zuwendungen aus dem Ausland zu erhalten. Anfang 2022 beschloss die Regierung, einen 2019 eingeführten Mechanismus zur beschleunigten Bearbeitung von Anträgen auf ausländische Finanzierung durch NGOs neu aufleben zu lassen. Im September 2022 reichte die NGO Community Media Network beim unabhängigen Nationalen Menschenrechtszentrum eine Beschwerde darüber ein, dass die Behörden einen Zuschuss der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Höhe von etwa 32.700 Euro für eine Kampagne zum Thema Recycling zurückgewiesen hatten.

Folter und andere Misshandlungen

Die Behörden leiteten keine umgehenden, unparteiischen und unabhängigen Untersuchungen zu Foltervorwürfen ein.

Am 6. September 2022 wurde die Familie von Zaid Sudqi Ali Dabash telefonisch von den Gefängnisbehörden in Marka, einem Vorort von Amman, über seinen Tod informiert. Nach Angaben des Anwalts der Familie wies die Leiche von Zaid Sudqi Ali Dabash Anzeichen von Folter auf, darunter blaue Flecken an Armen, Beinen, Rücken, Bauch und Ohren. Außerdem habe die Familie kein forensisches Gutachten erhalten. Der Fall wurde unter Verstoß gegen Menschenrechtsstandards zur Untersuchung an das Militärjustizsystem übergeben und nicht an das Ziviljustizsystem.

Arbeitnehmer*innenrechte

Nach Angaben der Weltbank hatte Jordanien weiterhin mit einer hohen Arbeitslosenquote zu kämpfen, insbesondere unter Frauen und Jugendlichen.

Am 27. März 2022 wurden Angehörige der "Bewegung der Arbeitslosen" festgenommen, nachdem sie 43 Tage lang vor einem Regierungsgebäude in Tafilah, einer Stadt 300 km südlich von Amman, mit einem Sitzstreik gegen den Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten protestiert hatten. Sie wurden alle am nächsten Tag wieder freigelassen.

Am 29. März 2022 wurden 163 Mitglieder der jordanischen Lehrer*innengewerkschaft festgenommen, als sie vor dem Bildungsministerium in Amman gegen die Auflösung der Gewerkschaft im Jahr 2020 protestierten. Alle kamen wieder frei. Am 26. Juni gab das erstinstanzliche Gericht von Amman einem Rechtsmittel statt, das forderte, die Strafverfolgung einiger im Jahr 2020 festgenommener Gewerkschaftsmitglieder wegen "illegaler Versammlung und Anstiftung zum Hass" einzustellen. Allerdings bestätigte das Gericht die Entscheidung, die Gewerkschaft aufzulösen.

Rechte von Frauen und Mädchen

Im Februar 2022 änderte der Senat Artikel 6 der Verfassung dahingehend, dass jordanische Männer und Frauen vor dem Gesetz gleich sind, und verbot die "Diskriminierung in Bezug auf ihre Rechte und Pflichten aus Gründen der ethnischen Herkunft, Sprache oder Religion". Es wurden jedoch keine Schritte unternommen, um Gesetze oder Verordnungen mit der Verfassungsänderung in Einklang zu bringen. So benötigten Frauen weiterhin die Erlaubnis eines männlichen Vormunds, wenn sie heiraten oder mit ihren Kindern ins Ausland reisen wollten, und liefen Gefahr, festgenommen zu werden, wenn sie aus ihrem Zuhause flohen.

Frauen und Mädchen waren weiterhin geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt, und die Behörden unternahmen nichts, um solche Straftaten angemessen zu untersuchen und Frauen besser zu schützen. Eine lokale Organisation meldete die Ermordung von elf Frauen und Mädchen, darunter fünf, die von Familienmitgliedern getötet worden waren. Das Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt aus dem Jahr 2008 enthält weder eine Definition von geschlechtsspezifischer Gewalt noch sind Vergewaltigung in der Ehe und andere Formen von Gewalt wie wirtschaftlicher Zwang und seelische Gewalt unter Strafe gestellt. Das Gesetz definiert zudem ehemalige Ehepartner*innen und unverheiratete Partner*innen nicht als Familienmitglieder.

Rechte von Flüchtlingen und Asylsuchenden

Am 30. September 2022 beherbergte Jordanien nach Angaben des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) 676.606 syrische, 65.818 irakische, 12.957 jemenitische, 5.522 sudanesische und 650 somalische Flüchtlinge. Außerdem beherbergte das Land 2 Mio. palästinensische Flüchtlinge, die das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) anerkannt hatte.

Flüchtlinge in Jordanien hatten nur eingeschränkten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Wasserversorgung, Sanitäreinrichtungen, Bildung und Gesundheitsfürsorge, da den Vereinten Nationen und ihren Durchführungspartnern und internationalen Organisationen nur unzureichende Mittel zur Verfügung standen und die nationalen Ressourcen begrenzt waren. Organisationen, die sich um die Genehmigung von Hilfsprojekten für jemenitische, irakische, sudanesische oder somalische Flüchtlinge bemühten, hatten besonders große Schwierigkeiten.

Im Januar 2022 verkündete der UNHCR, dass 62.000 syrische Flüchtlinge von den jordanischen Behörden eine Arbeitserlaubnis erhalten hatten, die höchste Zahl seit 2016, als die Arbeitserlaubnis für syrische Flüchtlinge eingeführt wurde.

Klimakrise

Die jordanische Regierung veröffentlichte keinen neuen nationalen Klimabeitrag (Nationally Determined Contribution – NDC). Im Jahr 2021 hatte die Regierung ihr makroökonomisches Ziel zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 von 14 Prozent auf 31 Prozent angehoben.

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