Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Kamerun 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

AMTLICHE BEZEICHNUNG

Republik Kamerun

STAATSOBERHAUPT

Paul Biya

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF*IN

Joseph Dion Ngute

Stand:
 1/2023

Die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit waren nach wie vor eingeschränkt. Zahlreiche Anhänger*innen der Opposition und führende Vertreter*innen der englischsprachigen Gebiete des Landes waren weiterhin willkürlich inhaftiert. In den Regionen North-West und South-West begingen separatistische Gruppen schwere Straftaten und die Armee Menschenrechtsverletzungen. In der Region Extrême-Nord verübten bewaffnete Gruppen nach wie vor tödliche Überfälle auf Dörfer. Der Zugang zu humanitärer Hilfe war beeinträchtigt.

Hintergrund

In den englischsprachigen Regionen North-West und South-West hielten die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Armee und bewaffneten separatistischen Gruppen auch 2022 an. Auch der bewaffnete Konflikt in der Region Extrême-Nord, in der die bewaffneten Gruppen Boko Haram und Islamischer Staat Provinz Westafrika (Islamic State West Africa Province – ISWAP) aktiv waren, wütete weiter. Im Mai 2022 führten die Einwohner*innen von Tourou im Bezirk Mayo-Tsanaga eine Demonstration in der Unterpräfektur Mokolo durch, bei der sie die prekäre Sicherheitslage anprangerten und mehr Schutz von den Behörden forderten.

Am 30. November 2022 gab es in der Region Extrême-Nord aufgrund des Konflikts 385.000 Binnenvertriebene. Bis Dezember waren aufgrund der gewaltsamen Auseinandersetzungen in den Regionen North-West und South-West mehr als 620.000 Menschen aus ihrer Heimat vertrieben worden, und 87.000 Personen waren nach Nigeria geflohen.

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Menschenrechtsverteidiger*innen und Aktivist*innen mehrerer Organisationen wurden mit dem Tod bedroht, schikaniert oder eingeschüchtert, weil sie Menschenrechtsverletzungen in den beiden anglophonen Regionen aufgedeckt hatten. Am 22. April 2022 wandten sich vier UN-Sonderberichterstatter*innen mit Zuständigkeit für Menschenrechtsverteidiger*innen, außergerichtliche Hinrichtungen, das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Vereinigungsfreiheit in einem Schreiben an den kamerunischen Präsidenten Paul Biya. Darin äußerten sie ihre Besorgnis über die wiederholten Morddrohungen, die der Präsident und der Anwalt der NGO Organic Farming for Gorillas seit 2015 erhalten hatten. Die Organisation hatte illegale Landnahme durch Unternehmen in der Region North-West aufgedeckt.

Laut Berichten der Organisation sehbehinderter und blinder Menschen Kameruns (Collectif des Aveugles et Malvoyants Indignés du Cameroun) und der Medien löste die Polizei am 27., 28. und 30. Juni 2022 in der Hauptstadt Jaunde friedliche Proteste auf, die von Menschen mit Sehbehinderungen organisiert worden waren. 27 Demonstrierende wurden mehrere Stunden lang im zentralen Polizeirevier von Jaunde in Gewahrsam gehalten, bevor sie wieder freikamen. Andere wurden geschlagen, beleidigt, auf Fahrzeuge verladen und an verschiedenen Orten weitab vom Zentrum von Jaunde zurückgelassen.

Am 1. August 2022 wurde Mohamadou Bouba Sarki, Präsident der Vereinigung solidarischer Jugendverbände von Kamerun (Confédération des Associations des Jeunes Solidaires du Cameroun), in der Stadt Garoua in der Region Nord von Angehörigen der Polizei und Gendarmerie festgenommen und eine Nacht lang in Gewahrsam gehalten. Er hatte versucht, einen friedlichen Protestmarsch zu organisieren, um die Freilassung mehrerer Inhaftierter zu fordern.

Willkürliche Inhaftierungen

Mancho Bibixy Tse und Tsi Conrad, die in den Jahren 2016 und 2017 in den anglophonen Regionen North-West und South-West friedliche Proteste angeführt hatten, befanden sich auch 2022 weiterhin willkürlich in Haft. Sie waren wegen "terroristischer Handlungen, Sezession, Verbreitung falscher Informationen und Missachtung öffentlicher Einrichtungen und Staatsbediensteter" vor einem Militärgericht in Jaunde zu Freiheitsstrafen von 15 Jahren verurteilt worden. In den Jahren 2019 und 2021 hatte die UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen in zwei Stellungnahmen die Freilassung der beiden Männer gefordert.

Im Dezember 2022 befanden sich mindestens 62 Mitglieder und Unterstützer*innen der Oppositionspartei MRC (Mouvement pour la Renaissance du Cameroun) nach wie vor willkürlich in Jaunde und Douala in Haft. Militärgerichte hatten sie wegen versuchter Revolution, Rebellion, Zusammenrottung oder Beteiligung an der Organisation einer nicht angemeldeten öffentlichen Versammlung verurteilt. Die Vorwürfe bezogen sich auf ihren Aktivismus bzw. ihre Teilnahme an verbotenen Protesten im September 2020. Unter ihnen befanden sich Olivier Bibou Nissack, Sprecher des MRC-Vorsitzenden Maurice Kamto, und Alain Fogué Tedom, Kassenwart des MRC, die beide Freiheitsstrafen von jeweils sieben Jahren erhielten. Außerdem auch Dorgelesse Nguessan, eine alleinerziehende Mutter, die sich im September 2020 erstmals an einer Demonstration beteiligt hatte und dafür zu fünf Jahren Haft verurteilt worden war.

Am 20. Dezember 2022 wurde der ehemalige Direktor der staatlichen Sendeanstalt Cameroon Radio and Television (CRTV) Amadou Vamoulké zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem sein Verfahren mehr als 130 Mal vertagt worden war. Die UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen hatte zuvor seine sechsjährige Untersuchungshaft als willkürlich bezeichnet.

Rechte von Inhaftierten

Das Ministerium für öffentliche Gesundheit dokumentierte in einem Bericht beinahe 15.000 gemeldete Cholerafälle und 298 Todesfälle in verschiedenen Regionen. Im Gefängnis New Bell in Douala kam es sogar zu zwei Cholera-Ausbrüchen. Beim ersten Ausbruch, der im Februar 2022 begann, starben mindestens sechs Inhaftierte an Cholera. Einer von ihnen, Rodrigue Ndagueho Koufet, der am 7. April starb, war seit September 2020 willkürlich inhaftiert, weil er an einer friedlichen Protestveranstaltung teilgenommen hatte. Nach Angaben nichtstaatlicher Medien führte der zweite Ausbruch ab August zum Tod von mindestens zehn Gefangenen. Die Gefängnisverwaltung ergriff Desinfektionsmaßnahmen und verstärkte die bestehenden Hygienemaßnahmen. Das regionale Gesundheitszentrum für die Region Littoral stellte Impfstoffe zur Verfügung und unterstützte die Versorgung von Patient*innen, die in öffentliche Krankenhäuser evakuiert wurden.

Rechtswidrige Tötungen

Das Verteidigungsministerium räumte am 7. Juni 2022 ein, dass die kamerunische Armee am Abend des 1. Juni in der Stadt Missong im Bezirk Menchum in der Region North-West neun Menschen getötet hatte. Es erklärte, dies sei eine "unangemessene, den Umständen nicht entsprechende und eindeutig unverhältnismäßige Reaktion auf die Kooperationsverweigerung seitens der feindseligen Dorfbewohner" gewesen.

Recht auf Leben

Regionen North-West und South-West

Separatistische Gruppen verübten in den Regionen North-West und South-West schwere Straftaten und griffen Menschen, Gesundheitseinrichtungen und Schulen an. Die Behörden ergriffen keine ausreichenden Schutzmaßnahmen.

Am 8. und 11. Februar 2022 brannten diese Gruppen in der Region South-West die Grundschule von Molyko in Buea und die katholische Queen-of-Rosary-Schule in Mamfe nieder.

Am 26. Februar 2022 wurden eine für eine medizinische NGO arbeitende Krankenpflegerin getötet und zwei weitere medizinische Fachkräfte verletzt, als ihr Auto von einer separatistischen Gruppe an einem Kontrollpunkt am Rande von Bamenda in der Region North-West beschossen wurde.

Am 13. April 2022 gab die Regierung bekannt, dass der für die Region North-West zuständige regionale Justizvollzugsbeauftragte und drei seiner Mitarbeitenden am 12. April bei einem Angriff auf ihr Fahrzeug getötet worden waren.

Laut Berichten des UN-Amtes für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten wurden 13 Schüler*innen und drei Lehrer*innen bei vier verschiedenen Vorfällen entführt und nach Zahlung eines Lösegeldes wieder freigelassen. Am 4. und 6. April 2022 verübten unbekannte Bewaffnete Brandanschläge auf zwei Schulen in Buea.

Menschenrechtsverstöße bewaffneter Gruppen

Region Extrême-Nord

Bewaffnete Gruppen verübten weiterhin Überfälle auf Dörfer, bei denen sie zahlreiche Zivilpersonen töteten oder entführten. Das Mada-Krankenhaus im Bezirk Logone-et-Chari musste nach einem am 2. Juli 2022 erfolgten Angriff, bei dem zwei Zivilpersonen getötet worden waren, für mehrere Monate geschlossen werden. In der Folge hatten Tausende Menschen keinen Zugang mehr zu Gesundheitsleistungen.

Eingeschränkter Zugang für Hilfsorganisationen

Am 5. April 2022 kündigte die NGO Ärzte ohne Grenzen die Aussetzung aller medizinischen Aktivitäten in der Region South-West an, nachdem vier Mitarbeiter*innen der NGO festgenommen und inhaftiert worden waren. Laut Ärzte ohne Grenzen war zuvor wegen "Beihilfe zur Sezession" gegen die vier ermittelt worden, obwohl sie lediglich ihre medizinischen Pflichten erfüllten. Vom 15. bis 21. Mai 2022 wurden humanitäre Maßnahmen in den Regionen North-West und South-West vorübergehend eingestellt, nachdem bewaffnete separatistische Gruppen zu Lockdowns aufgerufen hatten.

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