Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Kroatien 2022

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Die Zahl der Menschen, die versuchten, durch das Nachbarland Bosnien und Herzegowina nach Kroatien zu gelangen, stieg 2022 im Vergleich zum Vorjahr an. Hilfsorganisationen dokumentierten weiterhin Pushbacks und Kollektivabschiebungen durch die kroatischen Behörden. Zivilgesellschaftliche Gruppen forderten eine wirksame Untersuchung der systematischen Menschenrechtsverletzungen an den Landesgrenzen.

Im Februar 2022 stellte die Europäische Bürgerbeauftragte fest, die Europäische Kommission habe nicht sichergestellt, dass die kroatischen Behörden bei EU-finanzierten Grenzeinsätzen die grundlegenden Menschenrechte achten.

Polizisten, die im Jahr 2021 dabei gefilmt worden waren, wie sie mehrere Asylsuchende verprügelten, wurden einer geringfügigen Pflichtverletzung für schuldig befunden und nahmen im Januar 2022 ihren Dienst wieder auf.

Im Juli 2022 kam der EU-finanzierte Unabhängige Überwachungsmechanismus für die Außengrenzen in Kroatien zu dem Schluss, dass bei Einsätzen an der Grenze keine erheblichen Unregelmäßigkeiten aufgetreten seien. Allerdings habe die Grenzpolizei potenzielle Asylsuchende, die in mutmaßlich verminten Grenzregionen aufgegriffen wurden, rechtswidrig nach Bosnien und Herzegowina abgeschoben. Zivilgesellschaftliche Gruppen und Menschenrechtsorganisationen kritisierten erneut, dass es dem Überwachungsmechanismus an Unabhängigkeit, einem robusten Mandat und ungehindertem Zugang zur Grenzregion mangele.

Im April 2022 wies der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein von Kroatien eingelegtes Rechtsmittel ab und bestätigte abschließend sein im Jahr 2021 gefälltes Urteil, demzufolge die kroatischen Behörden gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen hatten, als sie im Jahr 2017 eine afghanische Familie nach Serbien zurückschoben und deren sechsjährige Tochter Madina Hussiny dabei von einem Zug getötet wurde. Die kroatischen Behörden legten einen Aktionsplan zur Umsetzung des Urteils vor, doch die Qualität der darin enthaltenen Maßnahmen wurde von zivilgesellschaftlichen Organisationen angezweifelt.

Im Dezember 2022 beschloss der Rat der Europäischen Union den Schengen-Beitritt Kroatiens. Menschenrechtsorganisationen warfen den EU-Institutionen vor, die Augen vor den zahlreichen Nachweisen für Menschenrechtsverletzungen durch die kroatischen Behörden verschlossen zu haben.

Die Behörden gewährten mehr als 22.000 Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet waren, vorübergehenden Schutz und unterstützten sie bei Bedarf, indem sie Unterkünfte und Integrationsangebote bereitstellten. Die Anerkennungsquote für Asylsuchende aus nichteuropäischen Ländern war dagegen weiterhin niedrig. Bis Oktober 2022 erhielten lediglich 16 Personen internationalen Schutz.

Im Mai 2022 wurde die Aktivistin Aysoltan Niyazova von der Band Pussy Riot festgenommen, als sie für ein Konzert gegen den Krieg in der Ukraine nach Kroatien einreisen wollte. Die Behörden drohten, sie an Turkmenistan auszuliefern, ließen sie jedoch nach massiver Kritik von Menschenrechtsgruppen wieder frei.

Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit

Journalist*innen und Medien, die über organisiertes Verbrechen und Korruption berichteten, waren unvermindert Drohungen, Einschüchterungen und tätlichen Angriffen ausgesetzt. Politiker*innen und Unternehmen zeigten Journalist*innen regelmäßig wegen Verleumdung an, was nach wie vor einen Straftatbestand darstellte. Nach Angaben des kroatischen Journalist*innenverbands (Hrvatsko novinarsko društvo) waren 2022 mehr als 1.000 strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (Strategic Lawsuits against Public Participation –SLAPPs) anhängig, in denen es um insgesamt mehr als zehn Millionen Euro Schadensersatz ging. Der Verband bezeichnete diese Art der Klagen als "gerichtlichen Terror". Im März 2022 erklärte ein Zusammenschluss europäischer NGOs (Coalition against SLAPPs in Europe), Kroatien zähle zu den EU‑Ländern, in denen am häufigsten Klagen angestrengt würden, die darauf abzielten, Journalist*innen und Aktivist*innen mundtot zu machen.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Der Zugang zu Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit war 2022 nach wie vor eingeschränkt, weil zahlreiche Ärzt*innen und einige Kliniken aus Gewissensgründen keine Schwangerschaftsabbrüche vornahmen. Im Mai 2022 wurde der Fall einer Frau publik, die von vier Kliniken abgewiesen worden war, obwohl ihr Fötus einen aggressiven Hirntumor aufwies. Der Fall löste Proteste und kontroverse Diskussionen aus. Nachdem sich das Gesundheitsministerium eingeschaltet hatte, wurde der Schwangerschaftsabbruch schließlich vorgenommen. Die Ombudsfrau für Menschenrechte erklärte, das individuelle Verweigerungsrecht des medizinischen Personals dürfe einer angemessenen Gesundheitsversorgung nicht im Weg stehen.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Im September 2022 verabschiedete die Regierung eine Reihe von Maßnahmen, um den stark gestiegenen Lebenshaltungskosten entgegenzuwirken. Dazu zählten ein Preisdeckel für Strom, Gas und Grundnahrungsmittel sowie eine vorübergehende Anhebung der Sozialhilfe.

Diskriminierung

LGBTI+

Im Mai 2022 urteilte das Oberste Verwaltungsgericht abschließend, dass gleichgeschlechtliche Paare unter denselben Bedingungen ein Kind adoptieren können sollten wie heterosexuelle Paare.

Rom*nja

Trotz einiger Fortschritte wurden Rom*nja weiterhin in allen Lebensbereichen diskriminiert. Die Schulabbrecherquote von Kindern aus Rom*nja-Gemeinschaften lag weiterhin über dem allgemeinen Durchschnitt. Insbesondere Mädchen waren von Frühverheiratung betroffen und wurden häufig Opfer von Menschenhandel. Laut Behördenangaben brachten 50 Prozent von Rom*nja-Mädchen ihr erstes Kind als Minderjährige zur Welt. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes forderte die Behörden auf, Rom*nja-Kinder besser in das reguläre Bildungswesen zu integrieren und Hürden in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales zu beseitigen.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Die Behörden meldeten 2022 einen starken Anstieg häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt im Vergleich zum Vorjahr. Zivilgesellschaftliche Organisationen bemängelten, dass die Strafen für diese Verbrechen nach wie vor zu niedrig seien.

Die Regierung kündigte ein Maßnahmenpaket an, das härtere Strafen sowie einen besseren Schutz für die Opfer häuslicher Gewalt vorsah. So soll z. B. in allen Fällen eine standardisierte Risikobewertung erfolgen. Zudem sind Alternativen zu den bislang verfügten einstweiligen Maßnahmen geplant, weil diese sich als unwirksam erwiesen haben. Die Ombudsfrau für Geschlechtergleichstellung kritisierte, dass die Strafverfolgungsbehörden Betroffene weiterhin im Stich ließen, und forderte eine umfassende Reform einschließlich Präventions- und Aufklärungsprogrammen sowie der Resozialisierung von Personen, die straffällig geworden sind.

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