Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Malaysia 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

AMTLICHE BEZEICHNUNG

Malaysia

STAATSOBERHAUPT

Al-Sultan Abdullah Ri'ayatuddin Al-Mustafa Billah Shah ibni Almarhum Sultan Haji Ahmad Shah Al-Musta'in Billah

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF*IN

Anwar Ibrahim (löste im November 2022 Ismail Sabri Yaakob im Amt ab)

Stand:

1/2023

Die Behörden nutzten repressive Gesetze, um das Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken. Friedliche Proteste wurden verhindert und die Organisator*innen strafrechtlich verfolgt. Flüchtlinge, Asylsuchende und Migrant*innen wurden auch weiterhin bestraft, indem sie z. B. unbefristet inhaftiert oder in Länder zurückgeschickt wurden, wo ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohten. Es gab erneut Todesfälle in Gewahrsam, u. a. in Hafteinrichtungen für Asylsuchende, ohne dass jemand dafür zur Rechenschaft gezogen wurde. Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) wurden nach wie vor verfolgt. 

Hintergrund

Nach den Parlamentswahlen im November 2022 wurde der langjährige Oppositionsführer Anwar Ibrahim Premierminister.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Behörden bedienten sich weiterhin repressiver Gesetze, um kritische Stimmen sowohl im Internet als auch im öffentlichen Raum zum Schweigen zu bringen. Laut Regierungsangaben führte die Polizei zwischen Januar 2020 und Juni 2022 auf der Grundlage des Kommunikations- und Multimediagesetzes 692 Ermittlungen durch. Diese führten zu 87 Strafverfahren, u. a. gegen Künstler*innen, Schauspieler*innen und politische Aktivist*innen. In den darauffolgenden Monaten wurden weitere Ermittlungen und Festnahmen unter dem Kommunikations- und Multimediagesetz gemeldet. Auch das Gesetz gegen staatsgefährdende Aktivitäten, das Gesetz zu Printmedien und Publikationen und das Filmzensurgesetz wurden herangezogen, um das Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken.

Im Februar 2022 nahm die Polizei den Aktivisten Fahmi Reza zwei Tage lang in Gewahrsam. Er hatte eine satirische Karikatur über einen Minister angefertigt und auf Twitter gepostet. Im Juli 2022 klagten Polizei und Religionsbehörden zwei Personen wegen Verstößen gegen das Kommunikations- und Multimediagesetz und andere Gesetze an, weil sie in einer Comedy-Show den Islam beleidigt haben sollen. Lokale Behörden ordneten die Schließung des Comedy-Clubs an. Im Oktober 2022 nahm die Polizei kurzzeitig den politischen Aktivisten Jay Jay Denis wegen eines Tweets in Haft, in dem er einen führenden Politiker des Fehlverhaltens beschuldigt haben soll.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Die meisten Gesetze, die zur Eindämmung der Coronapandemie erlassen und zur Verhinderung und Auflösung von Protesten eingesetzt worden waren, wurden zwar aufgehoben, dennoch blockierten die Behörden weiterhin friedliche Demonstrationen und gingen strafrechtlich gegen die Organisator*innen vor.

Im April 2022 verhörte die Polizei sieben Personen im Zusammenhang mit ihrer Teilnahme an friedlichen Mahnwachen, bei denen sie die Begnadigung des zum Tode verurteilten malaysischen Staatsbürgers Nagaenthran Dharmalingam gefordert hatten, der kurz darauf in Singapur hingerichtet wurde.

Im Juni 2022 hinderte die Polizei mehrere Hundert Anwält*innen der Anwaltskammer an einem Marsch zum Parlament, wo sie gegen die Einflussnahme der Regierung auf die Justiz protestieren wollten. Drei Sprecher*innen der Anwaltskammer wurden anschließend im Rahmen des Gesetzes über friedliche Versammlungen (Peaceful Assembly Act – PAA) verhört. Im August 2022 klagte die Polizei unter dem PAA vier Aktivist*innen wegen ihrer Beteiligung an der Organisation regierungskritischer Proteste in der Hauptstadt Kuala Lumpur an. Ihnen drohten im Falle einer Verurteilung Geldstrafen bis zu 10.000 Malaysischen Ringgit (etwa 2.000 Euro).

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Die staatlichen Stellen gingen weiterhin hart gegen Flüchtlinge und Asylsuchende vor, und es gab immer wieder Vorwürfe über Menschenrechtsverletzungen in Hafteinrichtungen für Asylsuchende. Im April 2022 starben bei einem Ausbruch von Rohingya-Flüchtlingen aus einer temporären Hafteinrichtung für Asylsuchende in Sungai Bakap im Bundesstaat Penang sechs Menschen. Ein 14-jähriges Mädchen erlag einige Tage später seinen Verletzungen. Obwohl die Regierung aufgefordert wurde, den Vorfall aufzuklären, blieb unklar, wer für die Todesfälle verantwortlich war.

Im Juni 2022 berichtete eine Organisation für die Rechte von Migrant*innen, dass zwischen Januar 2021 und Juni 2022 insgesamt 149 indonesische Staatsangehörige in Haftanstalten für Asylsuchende im Bundesstaat Sabah aufgrund von Misshandlungen und schlechten Haftbedingungen gestorben seien. Die Regierung stritt die Vorwürfe ab und unternahm keine Schritte, um diese zu untersuchen.

Die Behörden schoben Tausende Menschen, darunter auch Asylsuchende, nach Myanmar ab, obwohl international großes Entsetzen wegen der dort stattfindenden schweren Menschenrechtsverletzungen herrschte. Im Oktober 2022 sorgte der Vorschlag der Regierung, die Flüchtlings- und Asylkoordination vom UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) zu übernehmen, für Bedenken hinsichtlich der künftigen Behandlung von Flüchtlingen und Asylsuchenden.

Folter und andere Misshandlungen

Mindestens 21 Personen starben 2022 in Polizeigewahrsam.

Im Juli 2022 verabschiedete das Parlament ein Gesetz über eine unabhängige Polizeiaufsichtskommission, mit dem ein Kontrollgremium für die Polizei geschaffen wurde. Allerdings fehlte es diesem an Unabhängigkeit und den nötigen Ermittlungsbefugnissen, um Fehlverhalten seitens der Polizei, auch im Zusammenhang mit Todesfällen in Gewahrsam, wirksam zu untersuchen. Für Kritik sorgten auch Bestimmungen, die die Berufung von Polizist*innen in die Aufsichtskommission erlauben, sowie die Vorschrift, dass Besuche auf Polizeiwachen und in anderen Polizeieinrichtungen vorher angemeldet werden müssen.

Ebenfalls im Juli billigte das Parlament eine Erweiterung der Untersuchungshaftklausel des Sicherheitsgesetzes (Security Offences [Special Measures] Act) von 2012, die eine Inhaftierung ohne Zugang zu Gerichten und/oder Rechtsbeiständen für bis zu 28 Tage ermöglicht.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

LGBTI+ wurden in Gesetz und Praxis nach wie vor systemisch verfolgt und diskriminiert. Die Behörden zensierten kulturelle Inhalte, die ihnen zufolge "LGBTI-Elemente" enthielten, u. a. in Filmen. Dies führte dazu, dass Filmverleihe zensierte Filme in lokalen Kinos aus dem Programm nahmen. Im Oktober 2022 führten Religionsbehörden und Polizei auf einer Halloween-Party in Kuala Lumpur eine Razzia durch und hielten 20 Personen über Nacht fest, darunter auch trans Personen und Drag-Künstler*innen. Ihnen wurde vorgeworfen, gegen islamische Gesetze in Bezug auf Crossdressing verstoßen zu haben.

Im Dezember 2022 wurden im Bundesstaat Terengganu Änderungen der Scharia-Gesetzgebung verabschiedet, um versuchte "Unzucht" (liwat) und "das Sich-Ausgeben von Frauen als Männer" unter Strafe zu stellen. "Unzucht" blieb auch nach dem nationalen Strafgesetzbuch strafbar.

Rechte indigener Gemeinschaften

Im Juli 2022 protestierten rund 200 Indigene im Bundesstaat Perak vor der gesetzgebenden Versammlung des Bundesstaats, weil die Regierung ihr angestammtes Land nicht vor Abholzung schützte. Im Oktober siedelten die Behörden mehr als 300 Angehörige einer indigenen Gemeinschaft in Nenggiri im Bundesstaat Kelantan gegen ihren Willen um. Ihr Land war für den Bau eines Staudamms beschlagnahmt worden, obwohl sie sich gegen das Projekt ausgesprochen hatten.

Todesstrafe

Im Oktober 2022 brachte die Regierung Gesetzesänderungen im Parlament ein, die darauf abzielten, die obligatorische Todesstrafe für Drogendelikte und zehn weitere Straftaten abzuschaffen. Allerdings schlug sie alternativ grausame und unmenschliche Strafen wie Auspeitschungen vor. Aufgrund der Wahlen machten die Gesetzesänderungen keine Fortschritte. Das Hinrichtungsmoratorium blieb bestehen.

Klimakrise

Der nationale Klimabeitrag (Nationally Determined Contribution – NDC) der Regierung vom Juli 2021, der eine Verringerung der Emissionen um 45 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 2005 vorsah und von einigen Gruppen als zu ambitionslos kritisiert wurde, blieb in Kraft.

Angesichts der immer verheerenderen Überschwemmungen und der daraus resultierenden Evakuierung lokaler Gemeinden, u. a. in den Distrikten Klang Valley und Kuala Langat, kündigte die Regierung im Juni 2022 die Ausarbeitung eines nationalen Anpassungsplans an, um Strategien gegen die Folgen des Klimawandels festzulegen. Der Plan lag zum Jahresende noch nicht vor.

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