Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Türkei 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Nach wie vor mussten Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen, Oppositionspolitiker*innen und andere Personen mit unbegründeten Ermittlungen, strafrechtlicher Verfolgung und Schuldsprüchen rechnen. Das Parlament führte drakonische Änderungen an bestehenden Gesetzen ein, die das Recht auf freie Meinungsäußerung im Internet weiter einschränkten. In mehreren Provinzen inhaftierte die Polizei unter Einsatz von rechtswidriger Gewalt Hunderte Teilnehmer*innen verbotener Pride-Märsche. Das Recht auf friedliche Versammlung war weiterhin stark eingeschränkt. Der Staatsrat, das oberste Verwaltungsgericht der Türkei, lehnte es ab, den 2021 getroffenen Beschluss des Präsidenten, aus der Istanbul-Konvention auszutreten, aufzuheben. Die Türkei beherbergte zwar weiterhin die weltweit größte Zahl von Flüchtlingen, doch die flüchtlingsfeindliche rassistische Rhetorik in Politik und Medien nahm zu. Zudem kam es bei der gewaltsamen summarischen Abschiebung von afghanischen und anderen Staatsangehörigen zu Todesfällen und schweren Verletzungen. Es wurden schwerwiegende und glaubwürdige Vorwürfe über Folter und anderweitige Misshandlungen erhoben.

Hintergrund

Im März 2022 stellte der Europäische Ausschuss für soziale Rechte fest, dass es in der Türkei "kein angemessenes und koordiniertes Gesamtkonzept zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung" gebe. Am Jahresende lag die offizielle Inflationsrate bei 64,27 Prozent, was für Millionen Menschen noch höhere Lebenshaltungskosten bedeutete.

Am 13. November 2022 wurden bei einem Bombenanschlag in Istanbul sechs Menschen getötet und über 80 verletzt. Die türkischen Behörden machten die Kurdische Arbeiterpartei PKK und die in Syrien aktive kurdische Miliz YPG für das Attentat verantwortlich. Am 20. November verübte die Türkei Luftangriffe auf Syrien und den Nordirak, die als Vergeltungsmaßnahme für den Bombenanschlag gerechtfertigt wurden.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im Mai 2022 wurde die Entscheidung des Staatsrats rechtskräftig, den Erlass aufzuheben, mit dem es Journalist*innen und Bürger*innen verboten worden war, bei öffentlichen Demonstrationen Filmaufnahmen zu machen.

Sechzehn Journalist*innen von drei Medienhäusern und der Ko-Vorsitzende der Journalist*innenvereinigung Dicle Fırat wurden im Juni 2022 in Diyarbakır in Untersuchungshaft genommen und der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" beschuldigt. Eine Anklageschrift lag zum Jahresende noch nicht vor.

Im August 2022 wurde die Popsängerin Gülşen wegen "Aufstachelung der Öffentlichkeit zu Hass und Feindschaft" in Untersuchungshaft genommen. Ihre Inhaftierung stand im Zusammenhang mit einem in den Sozialen Medien verbreiteten Video, das einen scherzhaften Dialog zwischen ihr und einem Bandmitglied im April zeigte. Nach drei Tagen wurde sie aus der Haft entlassen und unter Hausarrest gestellt. Zwei Wochen später wurde diese Maßnahme wieder aufgehoben, die Ermittlungen gegen die Sängerin liefen am Jahresende jedoch weiter.

Im September 2022 hob das regionale Berufungsgericht in Ankara die Verurteilung von elf Mitgliedern des Vorstands der türkischen Ärzt*innenkammer wegen "terroristischer Propaganda und Aufstachelung zum Hass" aus dem Jahr 2019 auf. Der Staatsanwalt legte im Oktober beim Kassationsgericht Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ein. Der Fall war zum Jahresende noch anhängig.

Im Oktober 2022 brachte das Parlament ein von der Opposition als "Zensurgesetz" bezeichnetes Paket von mehreren Gesetzesänderungen ein. Mit den neuen Bestimmungen wurde u. a. der Straftatbestand der "Verbreitung von Desinformationen" eingeführt. Dieser räumte der Behörde für Informations- und Kommunikationstechnologien mehr Möglichkeiten ein, Social-Media-Unternehmen unter Androhung von Geldstrafen und einer gravierenden Drosselung der Internet-Bandbreite zum Löschen von Inhalten und der Herausgabe von Nutzer*innendaten zu zwingen. Darüber hinaus wurden die bestehenden strengen Anforderungen an Social-Media-Unternehmen durch neue strafrechtliche, verwaltungsrechtliche und finanzielle Haftungsregelungen weiter verschärft. Im Dezember 2022 wurde der Journalist Sinan Aygül aus Bitlis als erste Person auf der Grundlage des neuen Straftatbestands in Untersuchungshaft genommen. Grund dafür war ein Tweet, den er geteilt hatte und der unbestätigte Anschuldigungen über sexualisierten Missbrauch enthielt. Er wurde zwölf Tage später, am 22. Dezember, wieder freigelassen.

Ebenfalls im Dezember 2022 verurteilte ein Gericht in Istanbul den Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu in einem politisch motivierten Verfahren wegen "Beamtenbeleidigung" und verhängte ein Politikverbot gegen ihn. Die Anklage war gegen ihn erhoben worden, nachdem er 2019 Mitglieder der türkischen Wahlbehörde in Kommentaren gegenüber den Medien als "Idioten" bezeichnet haben soll. Rechtsmittel gegen das Urteil waren Ende des Jahres noch anhängig.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Die Behörden verwehrten den "Samstagsmüttern/-leuten" auch 2022 das Recht auf friedliche Versammlung auf dem Galatasaray-Platz, wo sie sich regelmäßig samstags versammelt und Proteste zum Gedenken an die Opfer des Verschwindenlassens in den 1980er- und 1990er-Jahren abgehalten hatten. Im Juni verhinderte die Bereitschaftspolizei die 900. friedliche Mahnwache der Gruppe und nahm den Menschenrechtsanwalt Öztürk Türkdoğan, die Menschenrechtsanwältin Eren Keskin sowie mehrere Angehörige von Opfern des Verschwindenlassens fest. Im August verhinderte die Polizei eine friedliche Demonstration der "Samstagsmütter/-leute" anlässlich des Internationalen Tages der Verschwundenen auf dem Friedhof von Altınşehir und nahm 14 Personen fest. Das haltlose Verfahren gegen 46 Personen wegen ihrer Teilnahme an der 700. Mahnwache im August 2018 wurde fortgesetzt. Im September hinderte die Polizei Angehörige der "Samstagsmütter/-leute" daran, vor der fünften Anhörung des Verfahrens vor dem Gericht in Çağlayan (Istanbul) eine Erklärung gegenüber der Presse abzugeben. 16 Personen wurden festgenommen, darunter drei Rechtsanwält*innen.

Pride-Märsche wurden weiterhin rechtswidrig eingeschränkt. Organisationen, die sich für die Rechte von LGBTI+ einsetzten, dokumentierten während des Veranstaltungszeitraums 2022 das Verbot von insgesamt zehn Pride-Veranstaltungen im ganzen Land und mehr als 530 Festnahmen – mehr als die Gesamtzahl aller Festnahmen seit dem ersten Verbot der Istanbul Pride im Jahr 2015. Am 10. Juni verhinderte die Polizei die studentische Pride-Parade auf dem Campus der Middle East Technical University in Ankara und nahm 38 Studierende fest. Das Rektorat der Universität hatte die Veranstaltung drei Tage zuvor in einer E-Mail an alle Studierenden "kategorisch untersagt".

Im Juni 2022 erließen die Behörden ein willkürliches Verbot gegen alle Veranstaltungen der Pride Week in Istanbul. Am 26. Juni löste die Polizei eine Kundgebung von LGBTI-Aktivist*innen auf, die sich trotz des Verbots auf der Istiklal-Straße versammelt hatten. Es kamen Tränengas und Plastikgeschosse zum Einsatz, und mindestens 370 Teilnehmer*innen wurden willkürlich festgenommen.

Obwohl keine Beweise für eine mögliche Straftat vorgelegt werden konnten, beantragte die Staatsanwaltschaft im Oktober die Verurteilung von vier der acht Studierenden der Boğaziçi-Universität, die wegen "Beschädigung öffentlichen Eigentums" während eines Protests im Januar 2021 angeklagt worden waren. Bei einem Schuldspruch drohte ihnen eine Haftstrafe von bis zu vier Jahren. Im November wurden 70 Studierende der Boğaziçi-Universität, die während des Pride-Marschs im Mai 2022 auf dem Campus festgenommen worden waren, wegen "Missachtung einer Anordnung zur Auflösung" angeklagt.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Die Türkei stand noch immer auf der "grauen Liste" der Financial Action Task Force, des wichtigsten internationalen Gremiums zur Bekämpfung und Verhinderung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und Proliferationsfinanzierung, und nutzte dessen Empfehlungen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung als Vorwand, um NGOs zu schikanieren. Darüber hinaus verstärkten die Behörden die unverhältnismäßige Überprüfung von NGOs unter Berufung auf das Gesetz zur Verhinderung der Finanzierung von Massenvernichtungswaffen.

Ein Verfahren aus dem Jahr 2021 über ein Verbot der zweitgrößten Oppositionspartei, der Demokratischen Volkspartei (HDP), und ein fünfjähriges Politikverbot für 451 ihrer Führungskräfte und Mitglieder, war Ende 2022 noch anhängig. Im November 2022 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass die Türkei gegen die Rechte der ehemaligen Ko-Vorsitzenden der Partei, Figen Yüksekdağ, und 13 weiterer ehemaliger Parlamentsabgeordneter verstoßen hatte. Der Gerichtshof stellte u. a. einen Verstoß gegen Artikel 18 der Europäischen Menschenrechtskonvention fest, welcher die Möglichkeiten der Staaten zur Einschränkung von Menschenrechten begrenzt.

Im April 2022 eröffnete das Istanbuler Zivilgericht erster Instanz Nr. 13 das Verfahren zur Auflösung der NGO Kadın Cinayetlerini Durduracağız Platformu, die sich gegen Femizide einsetzte. Der NGO wurde vorgeworfen, sie habe "unter dem Deckmantel des Schutzes der Frauenrechte illegale und unmoralische Aktivitäten zur Schädigung der türkischen Familienstruktur" betrieben.

Im Mai 2022 begann ein Gerichtsverfahren zur Schließung des Tarlabaşı-Gemeinschaftszentrums in Istanbul. Dem Zentrum wurde vorgeworfen, "die Sexualität von in der Gesellschaft als LGBTI bezeichneten Einzelpersonen zu normalisieren" und dadurch die "Beeinflussung der sexuellen Orientierung von Kindern anzustreben". Das Verfahren war zum Jahresende noch nicht abgeschlossen. Ein separater Gerichtsbeschluss vom Februar 2022, der ein Ende der Aktivitäten des Zentrums zur Folge gehabt hätte, war im April wieder aufgehoben worden.

Straflosigkeit

Im April unterbrach ein Istanbuler Gericht einen Prozess, der wegen des Mordes an dem Journalisten Jamal Khashoggi im Jahr 2018 in Abwesenheit gegen 26 saudische Staatsangehörige geführt worden war. Das Gericht entschied, das Verfahren an Saudi-Arabien zu übergeben. In der Folge verbesserten sich die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern.

Der Prozess gegen drei Polizisten und ein mutmaßliches PKK-Mitglied, denen die Tötung des Menschenrechtsanwalts Tahir Elçi im Jahr 2015 vorgeworfen wird, war auch zwei Jahre nach Beginn noch nicht beendet.

Auch das Verfahren gegen 13 Polizisten, die im Jahr 2020 wegen des Todes von Metin Lokumcu während einer Demonstration in der Stadt Hopa im Jahr 2011 angeklagt worden waren, ging weiter.

Menschenrechtsverteidiger*innen

Gegen den Ko-Vorsitzenden des türkischen Menschenrechtsvereins IHD, Öztürk Türkdoğan, wurden im Laufe des Jahres insgesamt drei Anklagen erhoben: wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung", "Beamtenbeleidigung" und "Verunglimpfung der türkischen Nation". Zwar wurde er in den ersten beiden Anklagepunkten freigesprochen, doch waren Ende 2022 in beiden Fällen noch Rechtsmittelverfahren vor dem regionalen Berufungsgericht in Ankara anhängig. Das Verfahren zum dritten Anklagepunkt dauerte Ende des Jahres noch an.

Die türkischen Gerichte setzten die Urteile des EGMR in den Fällen Osman Kavala und Selahattin Demirtaş nicht um. Der Präsident und andere hochrangige Regierungsmitglieder behaupteten fälschlicherweise, dass derartige Entscheidungen für die Türkei nicht bindend seien. Da Osman Kavala nicht gemäß einer entsprechenden Anordnung von 2019 aus der Haft entlassen worden war, leitete der Europarat im Februar 2022 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Türkei ein. Dies war erst das zweite Mal überhaupt, dass ein solches Verfahren gegen einen Mitgliedstaat eingeleitet wurde.

Im April 2022 befand das Gericht für Schwere Strafsachen Nr. 13 in Istanbul Osman Kavala und sieben weitere Personen im Wiederaufnahmeverfahren des Gezi-Park-Prozesses für schuldig, obwohl keinerlei Beweise vorgebracht worden waren. Osman Kavala [AR1] wurde wegen "versuchten Umsturzes der Regierung" zu lebenslanger Haft ohne Möglichkeit der Bewährung verurteilt. Seine Mitangeklagten Mücella Yapıcı, Tayfun Kahraman, Can Atalay, Mine Özerden, Çiğdem Mater, Hakan Altınay und Yiğit Ekmekçi erhielten wegen mutmaßlicher Unterstützung von Osman Kavala jeweils 18 Jahre Haft. Alle Angeklagten legten gegen ihre Verurteilung Rechtsmittel ein. Die Verfahren waren zum Jahresende vor dem regionalen Berufungsgericht anhängig.

Ebenfalls im April bestätigte das regionale Berufungsgericht in Istanbul die Verurteilung der Menschenrechtsanwältin Eren Keskin wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung". Sie war 2021 im Hauptverfahren gegen die kurdische Zeitung Özgür Gündem, die nach dem gescheiterten Putsch 2016 geschlossen worden war, zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden. Ende 2022 belief sich die Gefängnisstrafe, zu der Eren Keskin in verschiedenen Verfahren im Zusammenhang mit ihrer Rolle als symbolische Chefredakteurin von Özgür Gündem verurteilt worden war, auf insgesamt 26 Jahre und neun Monate. Beim Kassationsgericht waren mehrere Rechtsmittel anhängig.

Im Mai 2022 urteilte der EGMR, dass mit der Untersuchungshaft des ehemaligen Vorsitzenden von Amnesty International Türkei, Taner Kılıç, in den Jahren 2017 und 2018 gegen seine Rechte auf Freiheit, Sicherheit und Meinungsfreiheit verstoßen worden sei, da es keinen begründeten Verdacht für die ihm vorgeworfene Straftat gegeben habe. Im November hob das Kassationsgericht die ungerechtfertigte Verurteilung von Taner Kılıç wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" unter Verweis auf "unvollständige Ermittlungen" auf. Auch die Verurteilungen der drei anderen Menschenrechtsverteidiger*innen wegen "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" wurden aufgrund "mangelnder Beweise" in dem langjährigen Büyükada-Verfahren vom Kassationsgericht aufgehoben.

Im September wurden 23 Personen, darunter mindestens 15 Mitglieder, Beschäftigte und Vorstandsmitglieder der Organisation Göç İzleme Derneği (GÖÇ-İZDER), wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" angeklagt. Die Organisation setzte sich für die Rechte von Migrant*innen und insbesondere für Opfer von erzwungener Migration ein. Die Staatsanwaltschaft brachte vor, dass drei von der Organisation veröffentlichte Berichte darauf abgezielt hätten, "Werbung für eine terroristische Vereinigung zu machen". Zudem warf sie den Angeklagten vor, Gelder aus verschiedenen ausländischen Quellen an eine bewaffnete Gruppe weitergeleitet zu haben. Die erste Anhörung in diesem Verfahren fand am 13. Dezember 2022 statt.

Im Oktober 2022 wurde Professor Şebnem Korur Fincancı, Vorsitzende der türkischen Ärzt*innenkammer, wegen des Vorwurfs der "Werbung für eine terroristische Vereinigung" in Untersuchungshaft genommen. Sie hatte öffentlich eine unabhängige Untersuchung von Vorwürfen gefordert, denen zufolge in der irakischen Region Kurdistan chemische Waffen gegen die PKK eingesetzt worden seien. Das Gericht für Schwere Strafsachen Nr. 24 in Istanbul ließ die Anklage im Dezember zu. Die erste Anhörung in ihrem Verfahren fand am 23. Dezember 2022 statt.

Diskriminierung

Frauenrechte

Im Mai 2022 trat ein Gesetz zum Schutz von Frauen und medizinischem Personal vor Gewalt in Kraft. Das Gesetz definierte anhaltendes Stalking als separaten Straftatbestand, führte Beschränkungen des Ermessensspielraums der Gerichte bei der Reduzierung der Strafen für die Täter*innen ein und legte längere Haftstrafen fest, insbesondere wenn die Straftat gegen ein Kind oder die getrennt lebende bzw. geschiedene Ehepartnerin gerichtet war.

Amtlichen Statistiken zufolge wurden in den ersten zehn Monaten des Jahres 2022 mindestens 225 Frauen Opfer eines Femizids, andere Quellen gaben jedoch weitaus höhere Zahlen an. So meldete die türkische Frauenrechtsorganisation Kadın Cinayetlerini Durduracağız Platformu die Tötung von 393 Frauen.

Im März 2022 wurden drei führende Frauen der in Diyarbakır ansässigen Frauenrechtsorganisation Rosa Kadın Derneği in Polizeigewahrsam genommen und der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" beschuldigt. Die Staatsanwaltschaft stellte die haltlose Behauptung auf, die Aktivitäten der Organisation zum Internationalen Frauentag und zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen seien auf Anweisung einer bewaffneten Gruppe durchgeführt worden.

Im Juli 2022 lehnte der Staatsrat, das höchste Verwaltungsgericht der Türkei, die Anträge von Dutzenden von Frauenorganisationen, Anwaltsverbänden und anderen ab, den Beschluss des Präsidenten aus dem Jahr 2021 über den Austritt aus dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) für nichtig zu erklären. Mit dieser Entscheidung wurde der einseitige Austritt aus diesem Vertrag faktisch abgesegnet. Ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Rats, die Anträge abzulehnen, war noch anhängig, und über mehrere separate Anträge von Frauenrechtsorganisationen war zum Jahresende noch nicht entschieden worden.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Politiker*innen und Regierungsbedienstete hielten regelmäßig Hassreden gegen lebische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen und starteten Verleumdungskampagnen gegen sie, wobei bestimmte Medien eine verstärkende Rolle spielten. Diskriminierung, Einschüchterung und Gewalt waren besonders in der Zeit der Pride-Paraden zu beobachten, in der die Polizei friedliche Veranstaltungen gewaltsam aufzulösen versuchte und zahlreiche Teilnehmer*innen festnahm.

Im September 2022 unterstützte die türkische Rundfunkaufsichtsbehörde RTÜK einen Werbespot, in dem LGBTI+ als "Virus" bezeichnet und beschuldigt wurden, die "Zerrüttung von Familien" zu verursachen. Der Beitrag warb für eine Demonstration gegen die Rechte von LGBTI+ in Istanbul.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Die türkischen Behörden setzten rechtswidrige Gewalt einschließlich scharfer Munition ein, um Tausende schutzsuchende Afghan*innen summarisch in den Iran abzuschieben. Sie machten u. a. rechtswidrig Gebrauch von Schusswaffen gegen afghanische Staatsangehörige, die den Versuch unternahmen, die Grenze zur Türkei zu überqueren. Dabei kam es in einigen Fällen zur Verletzung oder Tötung von Menschen. Unter dem Deckmantel der "freiwilligen Rückkehr" wurden einige Personen rechtswidrig auf dem Luftweg nach Afghanistan abgeschoben.

Im Juli 2022 urteilte der EGMR in der Rechtssache Akkad gegen die Türkei, dass die Abschiebung eines Syrers, der sich rechtmäßig in der Türkei aufgehalten hatte, durch Rückgriff auf eine Anordnung zur "freiwilligen Rückkehr" dessen Menschenrechte verletzt hatte. Die Maßnahme verstieß laut EGMR gegen den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung sowie das Recht des Betroffenen auf einen Rechtsbehelf und das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Zudem sah der Gerichtshof in den Umständen der Abschiebung einen Verstoß gegen das Verbot von erniedrigender Behandlung. Menschenrechtsorganisationen dokumentierten zwischen Februar und Juli 2022 Hunderte willkürliche Festnahmen, Inhaftierungen und rechtswidrige Abschiebungen von syrischen Flüchtlingen durch die türkischen Behörden.

Folter und andere Misshandlungen

Augenzeugenberichten zufolge schlugen im April 2022 zahlreiche Wärter im Istanbuler Marmara-Gefängnis (ehemals Silivri-Gefängnis) auf Insassen ein und versuchten sie in den Selbstmord zu treiben. Der Häftling Ferhan Yılmaz starb im April im Krankenhaus, nachdem er mutmaßlich von Gefängniswärtern gefoltert und misshandelt worden war. Zehn weitere Gefangene sollen in verschiedene Gefängnisse im ganzen Land verlegt worden sein, nachdem auch sie angegeben hatten, dass Gefängniswärter sie geschlagen hätten. Die Generalstaatsanwaltschaft des Bezirks Silivri kündigte eine Untersuchung der Vorwürfe an. Die Ergebnisse waren Ende des Jahres noch nicht bekannt.

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