Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Katar 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Trotz Reformen waren Arbeitsmigrant*innen, darunter auch Hausangestellte, weiterhin zahlreichen Verstößen wie Lohndiebstahl, Zwangsarbeit, Ausbeutung und Misshandlungen ausgesetzt. Die Behörden unterdrückten das Recht auf Meinungsfreiheit, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Frauen wurden durch Gesetze und im alltäglichen Leben weiterhin diskriminiert und benötigten die Erlaubnis eines männlichen Vormunds, wenn sie studieren, reisen oder heiraten wollten. Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) wurden weiterhin durch Gesetze diskriminiert und liefen daher Gefahr, festgenommen und gefoltert zu werden.

Hintergrund

Katar war vom 20. November bis zum 18. Dezember 2022 Gastgeber der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft.

Im November forderte das Europäische Parlament den Weltfußballverband FIFA und Katar eindringlich auf, Arbeitsmigrant*innen zu entschädigen und den Fonds für die Unterstützung und Versicherung von Arbeitskräften auszuweiten, damit alle Opfer seit Beginn der Arbeiten im Zusammenhang mit der FIFA-Weltmeisterschaft 2022 einbezogen werden, einschließlich aller Todesfälle und anderer Verstöße gegen die Menschenrechte von Arbeiter*innen.

Rechte von Arbeitsmigrant*innen

Trotz der kontinuierlichen Bemühungen der Regierung, den Arbeitsmarkt zu reformieren, waren Tausende Arbeitsmigrant*innen weiterhin von miserablen Arbeitsbedingungen betroffen.

Im August 2022 erklärte die Regierung, seit einer Reform im Oktober 2020 sei es mehr als 300.000 Arbeitsmigrant*innen möglich, ihren Arbeitsplatz zu wechseln, ohne ihre aktuellen Arbeitgeber*innen um Erlaubnis fragen zu müssen. Doch mussten einige Arbeitsmigrant*innen, die einen Arbeitsplatzwechsel beantragten, weiterhin Hindernisse oder Vergeltungsmaßnahmen seitens ihrer Arbeitgeber*innen befürchten, wie z. B. Annullierungen von Aufenthaltsgenehmigungen oder Anzeigen bei der Polizei wegen "Weglaufens" (unerlaubtem Verlassen des Arbeitsplatzes).

Arbeitsmigrant*innen wurden nach wie vor häufig von Arbeitgeber*innen um ihren Lohn betrogen, obwohl die Regierung versucht hatte, dagegen vorzugehen, indem sie u. a. das System zur Überwachung von Lohnzahlungen ausgebaut, Schlichtungsstellen eingerichtet und einen Unterstützungsfonds zur Auszahlung ausstehender Löhne geschaffen hatte. Im August 2022 protestierten Hunderte Arbeitnehmer in der Hauptstadt Doha gegen ihre Arbeitgeber, die ihnen bis zu sechs Monatslöhne schuldeten. Noch im selben Monat wurden viele Protestteilnehmer festgenommen. Hunderte von ihnen bekamen zwar schließlich ihre ausstehenden Löhne, wurden anschließend jedoch in ihre Heimatländer abgeschoben. Nachdem der staatliche Unterstützungsfonds jahrelang nur schlecht funktioniert hatte, soll er von Oktober 2020 bis September 2022 mehr als 320 Mio. US-Dollar (etwa 297 Mio. Euro) an ausstehenden Löhnen und zusätzlichen Leistungen ausgezahlt haben. Viele Arbeitnehmer*innen, die Anspruch auf Zahlungen hatten, wurden jedoch nicht berücksichtigt oder erhielten nur eine reduzierte Entschädigungszahlung.

Die Behörden unterließen es weiterhin, den Tod Tausender Arbeitsmigrant*innen gründlich zu untersuchen, die in den vergangenen Jahren plötzlich und unerwartet gestorben waren, und Arbeitgeber*innen oder Behörden zur Rechenschaft zu ziehen. Es ließ sich deshalb nicht feststellen, ob ihr Tod in Zusammenhang mit ihren Arbeitsbedingungen stand. Außerdem blieb den Hinterbliebenen dadurch die Möglichkeit verwehrt, von den Arbeitgeber*innen oder den katarischen Behörden eine Entschädigung zu erhalten.

Hausangestellte, zumeist Frauen, waren nach wie vor besonders harten Arbeitsbedingungen sowie verbalen, körperlichen und sexualisierten Übergriffen und Misshandlungen ausgesetzt. Die Behörden setzten das 2017 eingeführte Gesetz für Hausangestellte nicht um, das Schutzmechanismen für deren Arbeitsrechte enthält. Für Hausangestellte, denen es gelang, ihren ausbeuterischen Arbeitgeber*innen zu entkommen, gab es keine sicheren Zufluchtsstätten. Im Oktober 2022 wurde jedoch eine Unterkunft für Betroffene von Menschenhandel (Qatari House for Human Care) wieder geöffnet, die nach dem Ausbruch der Coronapandemie geschlossen worden war. Das Haus bot betroffenen Frauen die dringend benötigte Zuflucht, konnte aber offenbar nur mit Überweisung aufgesucht werden.

Die Behörden untersagten Arbeitsmigrant*innen weiterhin, Gewerkschaften zu gründen oder ihnen beizutreten, während katarischen Staatsangehörigen dieses Recht zustand.

Viele Arbeitsmigrant*innen wurden aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, Nationalität oder Sprache diskriminiert. So berichteten Mitarbeiter von Sicherheitsdiensten, die Amnesty International befragte, dass das Management ihrer Unternehmen die Beschäftigten je nach Nationalität, ethnischer Herkunft oder Sprache unterschiedlich behandele, z. B. bezüglich der Höhe des Lohns, der Arbeitsbedingungen oder der Einsatzorte.

Zwangsarbeit und andere Verstöße

Zwangsarbeit und andere Verstöße waren nach wie vor weit verbreitet, insbesondere bei Beschäftigungen in Privathaushalten und bei privaten Sicherheitsdiensten.

Amnesty International dokumentierte die Arbeitsbedingungen von Arbeitsmigrant*innen in verschiedenen Bereichen des privaten Sicherheitssektors, einschließlich des Wachpersonals, das in den Stadien der Fußballweltmeisterschaft und bei anderen großen Sportveranstaltungen eingesetzt wurde. Die befragten Wachleute berichteten über eine Vielzahl von Missständen, wie z. B. überlange Arbeitszeiten, fehlende Ruhetage, willkürliche oder unverhältnismäßige Geldstrafen und die nicht ordnungsgemäße Abrechnung von Überstunden. Die geschilderten Bedingungen kamen Zwangsarbeit gleich. Viele der Befragten wiesen auf gefährliche Arbeitsbedingungen hin. So wurden sie z. B. für längere Zeit in sengender Hitze im Freien eingesetzt und kehrten nach der Arbeit in die von den Unternehmen bereitgestellten minderwertigen und oft unhygienischen Unterkünfte zurück, in denen sie häufig auf Etagenbetten in überfüllten Räumen schliefen. Alle Befragten schilderten Auswirkungen dieser schlechten Behandlung, wie z. B. körperliche und psychische Erschöpfung, Schmerzen und Ängste. Im August 2022 teilte das Kommunikationsbüro der Regierung Amnesty International mit, von Oktober 2021 bis August 2022 habe man 230 Verstöße bezüglich übermäßig langer Arbeitszeiten aufgedeckt.

Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Die Behörden schränkten das Recht auf freie Meinungsäußerung 2022 weiter ein und nutzten vage formulierte Gesetze, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Am 10. Mai 2022 verurteilte das Strafgericht in Doha die Brüder Hazza und Rashed bin Ali Abu Shurayda al-Marri, die beide als Rechtsanwälte tätig waren, in erster Instanz zu lebenslanger Haft. Ihnen wurde u. a. vorgeworfen, sie hätten vom Emir ratifizierte Gesetze kritisiert, den Emir in den Sozialen Medien "bedroht", die Unabhängigkeit des Staates gefährdet, nicht genehmigte öffentliche Versammlungen organisiert und soziale Werte im Internet verletzt. Zwei weitere Männer wurden wegen derselben Straftaten in Abwesenheit verurteilt, einer zu lebenslanger Haft, der andere zu 15 Jahren Gefängnis.

Die Behörden unterdrückten weiterhin die Pressefreiheit, indem sie Sendeanstalten Beschränkungen auferlegten und ihnen u. a. verboten, an Orten wie Regierungsgebäuden, Krankenhäusern, Universitäten, Unterkünften von Arbeitsmigrant*innen und Privathäusern zu filmen.

Während der FIFA-Weltmeisterschaft schikanierten die Sicherheitskräfte Fußballfans, die ihre Solidarität mit den Protesten im Iran zum Ausdruck brachten, indem sie z. B. deren Flaggen und Transparente konfiszierten.

Rechte von Frauen und Mädchen

Frauen wurden durch Gesetze und im täglichen Leben weiterhin diskriminiert. Aufgrund des Vormundschaftssystems benötigten sie nach wie vor die Erlaubnis ihres männlichen Vormunds – in der Regel war dies ihr Ehemann, Vater, Bruder, Großvater oder Onkel –, wenn sie heiraten, mit einem staatlichen Stipendium im Ausland studieren, im öffentlichen Dienst arbeiten oder Dienstleistungen im Bereich der reproduktiven Gesundheit in Anspruch nehmen wollten. Wenn sie unter 25 Jahre alt waren, galt dies auch für Reisen ins Ausland.

Das Familienrecht diskriminierte Frauen u. a. dadurch, dass es für sie viel schwieriger war als für Männer, eine Scheidung zu beantragen. Zudem waren sie wirtschaftlich stark benachteiligt, wenn sie eine Scheidung beantragten oder von ihrem Mann verlassen wurden.

Zwar hatten Frauen laut Gesetz das Recht, von ihren Ehemännern nicht körperlich verletzt zu werden, doch waren sie weiterhin nur unzureichend gegen häusliche Gewalt durch andere Familienmitglieder geschützt, da es kein Gesetz bezüglich häuslicher Gewalt gab.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen wurden weiterhin gesetzlich diskriminiert. Laut Strafgesetzbuch waren eine Reihe einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen strafbar. Nach Paragraf 296 wurde mit Freiheitsentzug bestraft, wer "einen Mann in irgendeiner Weise zu Unzucht oder Ausschweifung verleitet, anstiftet oder verführt" (Absatz 3) oder "einen Mann oder eine Frau in irgendeiner Weise zu verbotenen oder unmoralischen Handlungen verleitet oder verführt" (Absatz 4).

Aktivist*innen berichteten, dass Sicherheitskräfte sechs Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung willkürlich festnahmen, folterten und anderweitig misshandelten.

Trotz vager Zusicherungen der WM-Organisator*innen, dass alle Menschen in Katar willkommen seien, wurden den Spielern Sanktionen angedroht, sollten sie auf dem Spielfeld Armbinden tragen, die Unterstützung für LGBTI-Rechte zum Ausdruck brachten. Regenbogenflaggen und ähnliche Fanartikel wurden beschlagnahmt. Medienschaffende, die Solidarität mit LGBTI+ zeigten, erlebten Schikanen.

Klimakrise

Die Regierung hatte 2022 immer noch keinen neuen nationalen Klimabeitrag (Nationally Determined Contribution – NDC) zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen vorgelegt.

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