Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Mali 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Im Zuge des bewaffneten Konflikts töteten die Streitkräfte und bewaffnete Gruppen Hunderte Zivilpersonen, u. a. bei außergerichtlichen Hinrichtungen. Menschen wurden weiterhin Opfer von Gewalt und Diskriminierung aufgrund ihres sozialen Status. Regierungskritiker*innen und Journalist*innen waren Drohungen, Einschüchterung, willkürlicher Haft und Strafverfolgung ausgesetzt. Inhaftierten wurde die medizinische Behandlung verweigert.

Hintergrund

Die Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS) verhängte im Januar 2022 Sanktionen gegen Mali, weil die Regierung ohne Absprache entschieden hatte, die seit dem Staatsstreich im Jahr 2020 herrschende politische Übergangsphase zu verlängern. Im Juli 2022 hob die ECOWAS die Sanktionen wieder auf, nachdem die Übergangsregierung einen neuen Zeitplan vorgelegt hatte, der eine Präsidentschaftswahl für März 2024 vorsah.

Die EU und andere Akteure übten scharfe Kritik am Einsatz ausländischen Militärpersonals, bei dem es sich Berichten zufolge um Söldner des privaten russischen Militärunternehmens Wagner-Gruppe handelte. Die malischen Behörden bezeichneten diese Kräfte hingegen als "Militärausbilder". Die EU setzte im Mai 2022 ihre Ausbildungsmission in Mali vorerst aus. Im Juni trat Mali aus der Regionalorganisation G5-Sahel aus. Frankreich beendete im August seinen Militäreinsatz "Operation Barkhane" nach neun Jahren.

Im Mai 2022 erklärten die Behörden, sie hätten einen Staatsstreich vereitelt und in diesem Zusammenhang zehn hochrangige Politiker und Militärs festgenommen. Im Juli wurden 49 ivorische Armeeangehörige, die das deutsche Kontingent der Mehrdimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) unterstützen sollten, festgenommen und wegen "versuchter Untergrabung der Staatssicherheit" angeklagt.

Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht

Bewaffnete Gruppen

Im März 2022 begann die bewaffnete Gruppe Islamischer Staat Provinz Sahel (IS Sahel) in den Regionen Ménaka und Gao eine Offensive gegen die bewaffneten Gruppen Mouvement pour le Salut de l’Azawad (MSA) und Groupe d’Autodéfense Touareg Imghad et Alliés (GATIA), bei der zahlreiche Menschen getötet wurden. Die wahllosen Angriffe des IS Sahel auf die Dörfer Tamalat, Inchinane, Emis-Emis und Anderamboukane galten sowohl den konkurrierenden bewaffneten Gruppen als auch der Zivilbevölkerung. Kämpfer des IS Sahel töteten Hunderte Zivilpersonen. Nach UN-Angaben flohen bis Oktober mehr als 73.000 Menschen in die Stadt Ménaka.

Die bewaffnete Gruppe Katiba Serma blockierte von Mai bis September 2022 die Verbindungsstraße zwischen den Städten Boni, Douentza, Hombori und Gossi, um die lokale Bevölkerung davon abzuhalten, mit der Armee zu "kollaborieren". Aufgrund der Blockade waren Händler*innen, die Waren transportieren wollten, auf Militäreskorten angewiesen. Am 2. August 2022 überfiel Katiba Serma in Hombori 19 mit Waren beladene Lastwagen, die auf eine Militäreskorte warteten, und steckte sie in Brand.

Am 18. Juni 2022 griffen mutmaßliche Mitglieder der bewaffneten Gruppe zur Unterstützung des Islams und der Muslime (Jama’at Nusrat al-Islam wal-Muslimin – JNIM) die Dörfer Diallassagou, Dianweli und Dessagou im Kreis Bankass an und töteten nach Behördenangaben etwa 130 Menschen, die meisten von ihnen Zivilpersonen.

Nachdem die bewaffnete Gruppe IS Sahel die rivalisierenden bewaffneten Gruppen GATIA und MSA im September aus der Ortschaft Talataye (Region Gao) vertrieben hatte, tötete sie Medienberichten zufolge zahlreiche Zivilpersonen und brannte Häuser und den lokalen Markt nieder, was Kriegsverbrechen gleichkam. Der Ort wurde völlig verwüstet.

Streitkräfte und ihre Verbündeten

Die MINUSMA, Medien und NGOs dokumentierten Hunderte außergerichtliche Hinrichtungen, die die malische Armee und ihre Verbündeten ab Januar 2022 im Zuge der "Operation Keletigui" verübten.

Berichten zufolge töteten die Streitkräfte am 3. Januar 2022 bei einer "Säuberungsaktion" in Guiré (Region Nara) sieben mauretanische Zivilpersonen. Im März leiteten die malischen und mauretanischen Behörden eine gemeinsame Untersuchung des Vorfalls ein.

Am 27. Januar 2022 nahmen Armeeangehörige in Tonou (Region Mopti) den Dorfvorsteher und 13 weitere Einwohner fest und richteten sie außergerichtlich hin, nachdem in der Nähe des Ortes ein selbst gebauter Sprengsatz explodiert war, der zwei Soldaten getötet und fünf weitere verletzt hatte.

Im Februar "verschwanden" in der Stadt Niono (Region Ségou) 21 Händler nach einer Militärpatrouille. Am 2. März fanden Dorfbewohner*innen 36 verbrannte Leichen nahe der Ortschaft Danguèrè Wotoro bei Niono. Einige waren gefesselt und hatten die Augen verbunden. Lokale Gruppen und zivilgesellschaftliche Organisationen machten die Armee für die Tötungen verantwortlich.

Nach einem Gefecht mit Mitgliedern der bewaffneten Gruppe JNIM belagerte die Armee, unterstützt von ausländischem Militärpersonal, vom 27. bis zum 31. März 2022 die Stadt Moura (Region Mopti). Hunderte Männer aus Moura und den umliegenden Ortschaften, die den wöchentlichen Viehmarkt besuchten, wurden in Gruppen eingeteilt und verhört. Anschließend wurden mehrere Hundert Männer außergerichtlich hingerichtet. Am 1. April erklärte die Regierung unter Bezugnahme auf den Vorfall, bei einer Operation in Moura seien 203 "Dschihadisten" getötet und 51 Personen festgenommen worden. Einige Tage später teilte sie mit, das Militärgericht von Mopti werde den Vorfall untersuchen. Die Armee verweigerte Ermittler*innen der MINUSMA den Zugang zu Moura.

Am 19. April 2022 töteten Armeeangehörige in Begleitung ausländischen Militärpersonals am Markttag in Hombori mindestens 50 Zivilpersonen und nahmen etwa 611 weitere fest, nachdem ein selbst gebauter Sprengsatz einen Soldaten getötet und zwei weitere verletzt hatte. Nach Angaben der MINUSMA wurden die Festgenommenen im Militärlager von Hombori inhaftiert und dort Berichten zufolge gefoltert und anderweitig misshandelt. Tage später ließ die Armee 548 der Festgenommenen frei und brachte 36 andere zum Militärstützpunkt in Sévaré. Nach Angaben der Streitkräfte und der MINUSMA wurden 20 der 27 in Hombori verbliebenen Inhaftierten von einem Soldaten außergerichtlich hingerichtet, nachdem bewaffnete Gruppen die Militärlager in Sévaré, Niono und Bapho angegriffen hatten.

Im September 2022 griff die Armee die Dörfer Nia Ouro, Tandiama und Kankele in der Region Mopti an. Sie soll dabei von ausländischem Militärpersonal und Jägern der Dozo unterstützt worden sein. Nach Angaben von MINUSMA wurden mindestens zwölf Frauen aus Nia Ouro vergewaltigt. Außerdem hätten ausländische Kämpfer Frauen gezwungen, sich nackt auszuziehen, und sie dann fotografiert.

Die Untersuchungen zu den meisten der von der Armee seit 2019 an der Zivilbevölkerung verübten Verbrechen kamen nicht voran.

Diskriminierung

Im Juli 2022 wurde die verstümmelte Leiche von Diogou Sidibé auf ihrem Ackerland im Dorf Lany Mody (Region Kayes) gefunden. Die Tötung der 69-Jährigen wurde damit in Verbindung gebracht, dass sie sich gegen die Diskriminierung ihrer Person und anderer Menschen aufgrund ihrer Arbeit und ihrer Abstammung gewehrt hatte. Im August wurden 18 Personen wegen des Mordes festgenommen.

Willkürliche Inhaftierung

Die hochrangigen Staatsbediensteten Kalilou Doumbia und Moustapha Diakité blieben inhaftiert, obwohl ein Untersuchungsrichter im Juni 2022 alle Anklagen gegen sie abgewiesen hatte. Sie waren nach ihrer Festnahme im September 2021 dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen. Berichten zufolge befanden sie sich zwei Monate lang in Gewahrsam des Geheimdiensts und wurden in illegalen Hafteinrichtungen festgehalten.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im Januar 2022 wurde der Wirtschaftswissenschaftler Etienne Fakaba Sissoko, der der Übergangsregierung kritisch gegenüberstand, festgenommen, nachdem er sich im Fernsehen zu den gegen Mali verhängten ECOWAS-Sanktionen geäußert hatte. Er wurde im Juni vorläufig freigelassen und durfte das Land nicht verlassen.

Im März 2022 belegten die Behörden die Sender Radio France Internationale und France 24 mit einem Sendeverbot, nachdem diese über Folter und rechtswidrige Tötungen durch die Streitkräfte berichtet hatten.

Im April 2022 beschuldigten die Behörden den Politiker Oumar Mariko der Verleumdung der Streitkräfte, nachdem er außergerichtliche Hinrichtungen in Moura angeprangert hatte. Nachdem er monatelang untergetaucht war, meldete er sich aus Moskau und warf der malischen Regierung vor, sie habe versucht, ihn zu ermorden.

Im Mai 2022 wurden Sara Yara und die Schwestern Faty und Amy Cissé festgenommen und beschuldigt, sich auf Facebook verleumderisch über den Direktor des Geheimdiensts geäußert zu haben. Am 3. September wurden sie vorläufig aus dem Gefängnis von Bollé entlassen.

Der Journalist Malick Konaté war im Juni und November mit Drohungen, Einschüchterung und Sachbeschädigung durch Unbekannte konfrontiert. Hintergrund waren offenbar seine Äußerungen über die Übergangsregierung und seine Recherchen zu Menschenrechtsverstößen der Wagner-Gruppe.

Im November 2022 sperrte die Medienkontrollbehörde den Fernsehsender Joliba TV wegen "schwerwiegender und wiederholter Verstöße gegen den Ethikkodex für Journalisten" für zwei Monate. Der Sender hatte die Übergangsregierung kritisiert und der Medienkontrollbehörde vorgeworfen, nicht auf die Drangsalierung und Einschüchterung von Journalisten zu reagieren.

Unmenschliche Haftbedingungen

Der ehemalige Regierungschef Soumeylou Boubeye Maiga, der im August 2021 wegen mutmaßlicher Korruption festgenommen worden war, starb im März 2022 in der Haft. Zuvor hatten die Behörden wiederholte Aufforderungen seiner Familie und seines Arztes ignoriert, ihn zur medizinischen Behandlung ins Ausland zu bringen. Die Behörden lehnten es auch ab, nach seinem Tod eine Autopsie vorzunehmen.

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