Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Indien 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Gesetze und politische Maßnahmen, die ohne angemessene Konsultation der Öffentlichkeit und des Parlaments verabschiedet wurden, untergruben die Rechte von Menschenrechtsverteidiger*innen und religiösen Minderheiten. Die Regierung ging gezielt und brutal gegen bestimmte religiöse Minderheiten vor. Regelmäßig riefen politische Führungspersönlichkeiten und Staatsbedienstete ausdrücklich zu Hass gegen diese Minderheiten auf und gingen dabei straffrei aus. Häuser und Geschäfte muslimischer Familien wurden rechtswidrig demoliert, ohne dass jemand zur Rechenschaft gezogen wurde. Friedliche Demonstrierende, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzten, wurden als Gefahr für die öffentliche Ordnung dargestellt und dementsprechend behandelt. Repressive Gesetze, einschließlich der Antiterrorgesetze, wurden routinemäßig angewendet, um Andersdenkende zum Schweigen zu bringen. Die Behörden setzten digitale Technologien ein, um Menschenrechtsverteidiger*innen einzuschüchtern, u. a. in Form von rechtswidrigen Überwachungsmaßnahmen. Adivasi und marginalisierte Gemeinschaften wie die Dalits waren weiterhin Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt.

Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit

In einem begrüßenswerten Schritt setzte der Oberste Gerichtshof am 11. Mai 2022 die Durchsetzung von Paragraf 124A des Strafgesetzbuchs bis zu einer erneuten Überprüfung durch die Regierung aus. Der Paragraf war vor 152 Jahren eingeführt worden, um "Aufwiegelung" unter Strafe zu stellen.

Zivilgesellschaftliche Organisationen und Menschenrechtsverteidiger*innen wurden 2022 weiterhin systematisch mittels rechtswidriger und politisch motivierter Beschränkungen schikaniert und eingeschüchtert. Davon betroffen waren u. a. Aktivist*innen, Journalist*innen, Studierende und Akademiker*innen.

Am 14. Juli 2022 untersagte das Unterhaus des Parlaments die Verwendung von einer Reihe gebräuchlicher Begriffe während der Parlamentsdebatten, darunter "korrupt", "sexualisierte Belästigung", "kriminell", "Augenwischerei", "inkompetent" und "Heuchelei". Das Verbot war ein Versuch, Oppositionelle im Parlament in ihrer Redefreiheit einzuschränken.

Am 7. September 2022 führte das Einkommensteueramt in den Büros von NGOs wie Oxfam, der Independent and Public-Spirited Media Foundation und dem Centre for Policy Research koordinierte Durchsuchungen durch. Begründet wurden diese als "Begutachtungen" bezeichneten Razzien mit mutmaßlichen Verstößen gegen das Gesetz über die Finanzierung aus dem Ausland (Foreign Contribution Regulation Act).

Am 27. und 28. September 2022 wurden in ganz Indien Razzien gegen die NGO Popular Front of India (PFI) und gegen mit ihr verbundene Gruppen durchgeführt. Mehr als 300 leitende Angestellte und Mitglieder der Organisation wurden festgenommen. Kurz danach erklärte das Innenministerium die PFI zu einer "rechtswidrigen Vereinigung" gemäß dem Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (Unlawful [Activities] Prevention Act – UAPA), einem Antiterrorgesetz. Begründet wurde dieser Schritt mit der mutmaßlichen Beteiligung der Organisation an der "Finanzierung von Terrorismus und terroristischen Aktivitäten". Gegen die Festgenommen wurden jedoch weder entsprechende Anklagen erhoben noch Gerichtsverfahren eingeleitet.

Am 27. Juli 2022 bestätigte der Oberste Gerichtshof einige Bestimmungen des Gesetzes zur Verhinderung von Geldwäsche von 2002 (Prevention of Money Laundering Act), die Indiens wichtigster Ermittlungsbehörde zu Finanzdelikten Befugnisse zur Durchsuchung und Festnahme sowie zur Beschlagnahme von Eigentum einräumten. Diese Befugnisse waren wiederholt zur Unterdrückung der Zivilgesellschaft und abweichender Meinungen missbraucht worden.

Im Laufe des Jahres 2022 verhängten die Behörden immer wieder internationale Reiseverbote, um unabhängige Stimmen zu unterdrücken. Derartige Verbote ergingen u. a. gegen den Menschenrechtler und ehemaligen Direktor des indischen Büros von Amnesty International, Aakar Patel, die Journalistin Rana Ayyub und mindestens zwei Journalist*innen aus Kaschmir, die bei Veranstaltungen im Ausland über die Menschenrechtslage in Indien sprechen sollten.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Willkürliche Festnahmen

Die Regierung griff auf drakonische und repressive Gesetze zurück, um mit willkürlichen Festnahmen gegen Kritiker*innen vorzugehen, die oftmals kein ordnungsgemäßes Verfahren erhielten.

Am 25. April 2022 wurde Jignesh Mevani, Dalit und unabhängiges Mitglied der gesetzgebenden Versammlung von Gujarat, erneut festgenommen, kurz nachdem er von einem Gericht im Bundesstaat Assam gegen Kaution freigelassen worden war. Seine erste Festnahme war erfolgt, nachdem er auf Twitter Premierminister Narendra Modi aufgefordert hatte, den Frieden im Bundesstaat Gujarat zu wahren, in dem es zu Gewalt zwischen Religionsgruppen gekommen war.

Am 25. Juni 2022 wurden die bekannte Menschenrechtsverteidigerin Teesta Setalvad und die ehemaligen Polizisten Sanjeev Bhatt und RB Sreekumar wegen Fälschung von Beweismitteln und anderen Anklagen in Haft genommen. Die Vorwürfe schienen eine Vergeltungsmaßnahme für ihre Arbeit mit den Betroffenen der Unruhen in Gujarat im Jahr 2002 zu sein.

Am 28. Juni 2022 wurde Mohammed Zubair in der Hauptstadt Neu-Delhi von der Polizei festgenommen. Dem Mitbegründer einer unabhängigen Website, die das Aufdecken von Falschnachrichten zum Ziel hat (ALT News), wurde das "Verletzen religiöser Gefühle" und die "Förderung von Feindschaft" vorgeworfen, weil er auf Twitter die Diskriminierung von Minderheiten angeprangert und die zunehmende Zensur kritisiert hatte.

Am 10. Juni 2022 inhaftierte die Polizei den Menschenrechtler Javed Mohammed, seine Frau und seine Tochter sowie zahlreiche andere Personen. Sie wurden beschuldigt, die "Hauptverschwörer" des lokalen Gewaltausbruchs in Prayagraj im Bundesstaat Uttar Pradesh zu sein.

Unangemessen lange Inhaftierung

Im Bundesstaat Maharashtra befanden sich elf Menschenrechtsverteidiger*innen auf Grundlage des Antiterrorgesetzes UAPA noch immer ohne Gerichtsverfahren in Haft. Es handelte sich dabei um die Wissenschaftlerin Shoma Sen und den Wissenschaftler Hany Babu, den Aktivisten für Adivasi-Rechte Mahesh Raut, den Dichter Sudhir Dhawale, den Anwalt Surendra Gadling, die Bürgerrechtsaktivisten Rona Wilson, Arun Ferreira und Vernon Gonsalves sowie die drei Mitglieder der Kulturgruppe Kabir Kala Manch Ramesh Gaichor, Jyoti Jagtap und Sagar Gorkhe. Sie waren zwischen 2018 und 2020 von Indiens Antiterroreinheit (National Investigation Agency) wegen mutmaßlicher Beteiligung an gewaltsamen Ausschreitungen während der Bhima-Koregaon-Feierlichkeiten in der Nähe der Stadt Pune im Jahr 2018 festgenommen worden.

Auf der Grundlage desselben Gesetzes waren mindestens acht muslimische Studierende, Gemeinderatsmitglieder und Menschenrechtsverteidiger*innen noch immer ohne Gerichtsverfahren in Haft. Ihnen wurde das Herbeiführen der religiösen Ausschreitungen in Delhi im Februar 2020 vorgeworfen, bei denen mindestens 53 Menschen, überwiegend Muslim*innen, ums Leben gekommen waren.

Der Journalist Siddique Kappan und drei weitere Personen wurden auf Grundlage von Gesetzen gegen Aufwiegelung und unter dem UAPA weiter in Haft gehalten. Siddique Kappan war im Oktober 2020 festgenommen worden, als er auf dem Weg in den Bezirk Hathras in Uttar Pradesh war, wo er über die Gruppenvergewaltigung und den Mord an einer jungen Dalit-Frau berichten wollte.

Rechtswidrige Angriffe und Tötungen

Zwischen April und Juni 2022 kam es in Gujarat, Madhya Pradesh, Jharkhand, Delhi, Rajasthan und Westbengalen während der Feste Ram Navami (Geburtstag Ramas) und Ramzan (Ramadan) zu lokalen Gewaltausbrüchen. Kurz nach den Ausschreitungen drohten in Madhya Pradesh verschiedene führende Politiker*innen und Staatsbedienstete – unter ihnen der stellvertretende Generalinspekteur der Polizei von Khargone sowie der Polizeipräsident und der Innenminister von Madhya Pradesh – mit der Zerstörung des Eigentums der Demonstrierenden. Letzterer wurde mit den Worten zitiert: "Wir werden dafür sorgen, dass die Häuser der Steinewerfer selbst zu Steinhaufen werden". Danach zerstörten die Behörden in Madhya Pradesh, Gujarat, Delhi und Uttar Pradesh rechtswidrig Privateigentum von Personen, die der Beteiligung an den Unruhen verdächtigt wurden. Berichten zufolge wurde dies weder fristgerecht angekündigt noch wurden andere rechtsstaatliche Grundsätze eingehalten. Die meisten der zerstörten Gebäude gehörten wirtschaftlich benachteiligten Muslim*innen.

Am 10. Juni 2022 berichteten die Medien über einen Vorfall, bei dem Polizeikräfte während einer Protestveranstaltung in Ranchi im Bundesstaat Jharkhand Schlagstöcke gegen Demonstrierende einsetzten, mit Steinen auf diese warfen und auf Unbeteiligte schossen. Ein Passant, der sich auf dem Rückweg vom Markt befand, erlitt sechs Schusswunden. Ein 15-Jähriger sowie ein weiterer Demonstrant erlitten tödliche Schussverletzungen am Kopf.

Versammlungsfreiheit

Beschränkungen des Rechts auf Protest

Die Behörden verhängten neue Einschränkungen der Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung. Am 3. März 2022 bestätigte das Hohe Gericht (High Court) des Bundesstaats Karnataka eine staatliche Anordnung, mit der alle Protestkundgebungen auf ein bestimmtes Gebiet in Bengaluru, der Hauptstadt des Bundesstaats, beschränkt wurden.

Am 26. September 2022 nahm die Polizei des Bundesstaats Gujarat den Menschenrechtler Sandeep Pandey zusammen mit sieben weiteren Personen fest. Sie wollten an einem Protestmarsch teilnehmen, bei dem eine öffentliche Entschuldigung bei Bilkis Bano gefordert wurde, die eine Gruppenvergewaltigung überlebt hatte. Die der Vergewaltigung für schuldig befundenen Täter waren von der Regierung des Bundesstaats Gujarat aus dem Gefängnis entlassen worden.

Exzessive Gewaltanwendung

Die Polizei wandte rechtswidrige Gewalt an und beging andere Menschenrechtsverletzungen wie die missbräuchliche Anwendung von Gesetzen, um Menschen einzuschüchtern und Andersdenkende zum Schweigen zu bringen.

Am 10. Juni 2022 schlugen Polizist*innen in Saharanpur im Bundesstaat Uttar Pradesh wiederholt mit Schlagstöcken auf inhaftierte Demonstranten ein. Einer der Inhaftierten gab an, dass er dabei einen Armbruch erlitten habe. Ein Video des Vorfalls wurde über mehrere Medien verbreitet. Die Gewaltanwendung wurde nicht kritisiert, sondern von ehemaligen Polizisten und Politikern der regierenden Bharatiya Janata Party in den Sozialen Medien gelobt.

Am 4. Oktober fesselten Polizeikräfte des Bundesstaats Gujarat in der Stadt Kheda neun Männer an einen Pfahl, weil sie auf einem Hindufest Steine geworfen haben sollen. Die Sicherheitskräfte schlugen daraufhin öffentlich und unter dem Jubel von Zuschauer*innen mit Schlagstöcken (lathis) auf die gefesselten Männer ein.

Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit

Die Strafgesetze wurden 2022 in unverhältnismäßiger Weise gegen religiöse Minderheiten eingesetzt, insbesondere gegen Muslim*innen. Diese wurden regelmäßig wegen mutmaßlicher "Förderung von Feindschaft zwischen Gruppen" und "Verletzung religiöser Gefühle" festgenommen, u. a., weil sie das Stundengebet Namaz verrichteten, legitime Geschäfte tätigten, einvernehmlich Ehen mit Hindu-Frauen eingingen oder Rindfleisch aßen.

Im Mai, Juli und August 2022 wurden zahlreiche Muslim*innen strafrechtlich belangt oder mit Verwaltungsstrafen belegt, weil sie auf öffentlichen Plätzen oder in Privathäusern das Namaz gebetet hatten.

In den Bundesstaaten Haryana, Uttar Pradesh, Madhya Pradesh, Kerala und Gujarat riefen einige Hindu-Gruppen öffentlich zum Boykott muslimischer Unternehmen auf. Am 23. März 2022 erklärte der Justizminister des Bundesstaats Karnataka, dass Nicht-Hindus in der Nähe von Hindu-Tempeln und Hindu-Einrichtungen keinen Handel treiben dürften. In Karnataka wurde auch zum Boykott von muslimischen Metzgereien während des Hindufests Dussehra aufgerufen. Am 4. April ordnete der Bürgermeister von Süd-Delhi an, dass während des Hindu-Fests Navratri alle Metzgereien geschlossen bleiben müssten – die meisten von ihnen befanden sich in muslimischem Besitz.

In Uttar Pradesh und Delhi riefen Hindu-Priester ungestraft zu Gewalt gegen Muslim*innen auf, u. a. zur Vergewaltigung und Tötung muslimischer Frauen.

Am 17. Mai 2022 verabschiedete die Regierung des Bundesstaats Karnataka ohne öffentliche oder legislative Konsultation ein Gesetz, das Eheschließungen unter Strafe stellt, wenn Verwandte oder Kolleg*innen einer geehelichten Person angeben, dass ein Religionswechsel erzwungen wurde. Solche Zwangskonversionen wurden durch das neue Gesetz mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft. Am 11. November wurden in Karnataka fünf Männer unter dem Vorwurf der Zwangskonversion festgenommen. In Uttar Pradesh, wo ein ähnliches Gesetz bereits 2021 verabschiedet worden war, kam es zu Angriffen und Gewalt gegen Christ*innen wegen mutmaßlicher erzwungener Religionswechsel.

Diskriminierung

Hassverbrechen aufgrund der Kastenzugehörigkeit

Hassverbrechen wie gewalttätige Übergriffe gegen Dalits und Adivasi wurden weiterhin begangen, ohne dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden. Für das Jahr 2021 wurden mehr als 50.000 mutmaßliche Straftaten gegen Dalits (sogenannte Scheduled Castes) und mehr als 9.000 Straftaten gegen Adivasi (sogenannte Scheduled Tribes) gemeldet. Mehr als drei Viertel der indischen Gefängnisinsass*innen befanden sich in Untersuchungshaft, wobei Dalits, Adivasi und Angehörige anderer benachteiligter Gruppen überproportional vertreten waren.

Im Laufe des Jahres 2022 veröffentlichte Medienberichte ließen erkennen, dass die Unterdrückung und Gewalt gegenüber Angehörigen der Dalit-Gemeinschaft, auch gegen Kinder, durch Angehörige der herrschenden Kasten weiter zunahm. So mussten Dalits sogar um ihr Leben fürchten, wenn sie ihre Grundrechte wahrnahmen und beispielsweise Wasser aus einem öffentlichen Brunnen tranken.

Obwohl die manuelle Latrinenreinigung offiziell verboten war, erstickten mindestens 19 Arbeiter*innen, die von Privatunternehmen, führenden Politiker*innen und der Polizei gezwungen worden waren, Abwasserkanäle und Klärgruben zu reinigen. Fast drei Viertel der Beschäftigten in der Abwasserentsorgung in ganz Indien waren Dalits.

Rechte indigener Gemeinschaften

Am 28. Juni 2022 verabschiedete das Ministerium für Umwelt, Forstwirtschaft und Klimawandel neue Walderhaltungsvorschriften, die privaten Unternehmen das Abholzen von Wäldern erlauben, ohne dass sie vorher die freie und informierte Zustimmung der Bewohner*innen des betroffenen Gebiets einholen müssen. Dies betraf auch die Adivasi, die sich selbst als indigene Gemeinschaft verstehen.

Am 17. Juli 2022 nahm die Polizei des Bundesstaats Jharkhand den unabhängigen Journalisten Rupesh Kumar Singh willkürlich fest, weil er ausführlich über die Rechte der Adivasi im Bezirk Giridih berichtet hatte.

Im Laufe des Jahres wurden mehr als 60 in Waldgebieten lebende Menschen, Umweltschützer*innen und Adivasi festgenommen, weil sie gegen ein Projekt des Unternehmens Jindal Steel Works im Dorf Dhinkia im Bundesstaat Odisha protestiert hatten. Die Regierung hatte das Projekt zum Bau eines Stahlwerks auf der Grundlage einer gefälschten Umweltverträglichkeitsprüfung genehmigt.

Jammu und Kaschmir

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Freizügigkeit im Bundestaat Jammu und Kaschmir waren weiterhin stark eingeschränkt. Mehrere Journalisten aus Kaschmir, darunter Fahad Shah, Aasif Sultan und Sajad Gul, wurden, kurz nachdem sie von örtlichen Gerichten gegen Kaution freigelassen worden waren, unter Rückgriff auf das Antiterrorgesetz UAPA erneut festgenommen. Die Einwanderungsbehörde untersagte den Journalist*innen Aakash Hassan und Sanna Irshad Mattoo die Ausreise, ohne einen entsprechenden Gerichtsbeschluss, eine richterliche Anordnung oder auch nur eine schriftliche Erklärung vorzulegen. Der Menschenrechtsverteidiger Khurram Parvez, der im November 2021 inhaftiert worden war, befand sich weiterhin ohne Gerichtsverfahren auf Grundlage des UAPA in Haft.

Rechtswidrige Tötungen

Offiziellen Angaben zufolge verzeichnete Jammu und Kaschmir zwischen April 2020 und März 2022 den höchsten Anteil an Todesfällen mit Polizeibeteiligung in ganz Indien.

Medienberichten zufolge töteten bewaffnete Gruppen im Jahr 2022 mindestens 19 Zivilpersonen, von denen sieben der regionalen Hindu-Minderheit angehörten.

Recht auf Privatsphäre

Am 6. April 2022 verabschiedete das Parlament ein neues Gesetz (Criminal Procedure [Identification] Act), das es Polizist*innen ermöglicht, von allen verurteilten, festgenommenen und in Verwaltungshaft befindlichen Personen Unterschriften, Handschriftproben und biologische Proben wie Blut, Sperma, Haare, Abstriche und DNA-Analysen zu fordern bzw. aufzubewahren. Laut dem Gesetz dürfen die zusammengetragenen Informationen und Materialien bis zu 75 Jahre lang in einer zentralen Datenbank gespeichert werden, ohne dass hierfür datenschutzrechtliche Regelungen existieren.

Am 25. August 2022 lehnte der Oberste Gerichtshof die Veröffentlichung eines von ihm selbst in Auftrag gegebenen Untersuchungsberichts ab, in dem es um den Vorwurf der rechtswidrigen Überwachung der Mobilgeräte von Journalist*innen, Politiker*innen, Wissenschaftler*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen durch Regierungsbehörden unter Verwendung der Spionagesoftware Pegasus ging.

Frauenrechte

Sexualisierte und häusliche Gewalt wurde nach wie vor nur selten geahndet.

Die Regierung des Bundesstaats Karnataka untersagte das Tragen des Kopftuchs (Hidschab) in öffentlichen Schulen. Im März wurde dieses Verbot von dem Hohen Gericht von Karnataka bestätigt. Bei einer anschließenden Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof im Oktober gelangte dieser nicht zu einem eindeutigen Urteil und verwies den Fall an ein größeres Gremium von Richter*innen. Unterdessen blieb das Verbot weiter in Kraft, was zu anhaltenden Schikanen gegen muslimische Frauen und Mädchen führte.

Es gab jedoch auch einige Fortschritte in Bezug auf die Rechte von Frauen. Am 26. Mai 2022 bestätigte der Oberste Gerichtshof das Recht von Sexarbeiterinnen und ihren Kindern auf ein Leben in Würde und wies Polizeikräfte an, sie weder verbal noch tätlich anzugreifen. Am 29. September 2022 legte der Oberste Gerichtshof das Gesetz über medizinische Schwangerschaftsabbrüche (Medical Termination of Pregnancy Act – MTP) aus dem Jahr 1971 fortschrittlich aus und gewährte allen Frauen das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch, unabhängig von ihrem Familienstand. Nachdem sich die indische Regierung zuvor geweigert hatte, Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen, erkannte der Gerichtshof in seinem Urteil auf Grundlage des MTP das Vorkommen von Vergewaltigung in der Ehe an. Dies wiederum war ein positiver Schritt hin zu der Anerkennung von Vergewaltigung in der Ehe als einer Form von Gewalt gegen Frauen.

Klimakrise

Im August aktualisierte Indien seine nationalen Klimaschutzbeiträge (Nationally Determined Contributions – NDC) und steckte sich höhere Ziele hinsichtlich der Reduzierung von Treibhausgasemissionen bis 2030. Der Climate Action Tracker, ein unabhängiger internationaler Mechanismus zur Analyse der Klimapolitik der Länder, stufte Indiens Klimaziele und -politik jedoch als "höchst unzureichend" ein.

Umweltzerstörung

Die Regierung sorgte weder für einen angemessenen Katastrophenschutz noch reagierte sie wirksam auf Überschwemmungen und Luftverschmutzung. Im nordöstlichen Bundesstaat Assam kam es auch 2022 zu schweren Überschwemmungen, von denen im Juli mehr als 4,8 Millionen Menschen betroffen waren. Ab April lagen die Durchschnittstemperaturen in Indien um bis zu 4,5 oC über dem Normalbereich, worunter vor allem in Armut lebende Menschen und Angehörige bestimmter Berufe wie Tagelöhner*innen, Bäuer*innen und Straßenverkäufer*innen litten. Durch das Abbrennen von Stoppelfeldern, das Zünden von Feuerwerkskörpern während des Diwali-Fests und die Emissionen von Kraftfahrzeugen verschlechterte sich die Luftqualität in Delhi ab Oktober erheblich. Dadurch wurden die Rechte auf Leben und Gesundheit der dort lebenden Menschen verletzt.

Associated documents