Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Kuba 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Im gesamten Jahr kam es häufig zu Lebensmittelknappheit und Stromausfällen. Hunderte Personen, die bei der Niederschlagung der Proteste im Juli 2021 festgenommen worden waren, befanden sich 2022 weiterhin im Gefängnis, darunter auch drei von Amnesty International als gewaltlose politische Gefangene anerkannte Personen. Nach dem Wirbelsturm "Ian" setzten die Behörden Militärkadett*innen ein, um großflächige Proteste gegen Stromausfälle zu unterdrücken, und blockierten das Internet.

Hintergrund

Nach einem Referendum im September 2022 reformierte Kuba das Familienrecht und führte u. a. die Ehe und das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare ein.

Offiziellen US-Statistiken zufolge machten sich von Oktober 2021 bis September 2022 mehr als 224.000 Kubaner*innen auf den Weg in die USA. Dies waren wesentlich mehr als im vergleichbaren Zeitraum 2020/21, als nur gut 39.000 Kubaner*innen in den USA eintrafen. Viele wählten die gefährliche Route durch den Urwald von Darién an der Grenze zwischen Kolumbien und Panama. Andere riskierten die direkte Überfahrt per Boot.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Das gesamte Jahr über gab es immer wieder Lebensmittelengpässe, und die Bevölkerung musste stundenlang für Grundnahrungsmittel anstehen. Außerdem fiel in Teilen der Insel häufig der Strom aus. Die Behörden machten vor allem das US-Wirtschaftsembargo für die schlechte wirtschaftliche Situation verantwortlich und ignorierten ihre Pflicht, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu verwirklichen.

Unterdrückung Andersdenkender

Nach Angaben des Rechtsberatungszentrums Cubalex waren Ende 2022 noch Hunderte Personen in Haft, die bei der Niederschlagung der Proteste im Juli 2021 festgenommen worden waren.

Im März 2022 forderte Amnesty International Zugang zum Land, um die Prozesse gegen die Inhaftierten beobachten zu können. Die Behörden ließen jedoch keinerlei internationale Beobachtung zu. Sie veröffentlichten allerdings im März mindestens sechs Urteile gegen etwa 129 Personen. Die Veröffentlichung der Urteile war ungewöhnlich, weil Strafverteidiger*innen in Kuba streng kontrolliert werden und Akteneinsicht nur selten möglich ist. Unter den 129 Verurteilten befanden sich auch einige Jugendliche, denen man wegen ihrer Teilnahme an den Protesten im Juli 2021 schwerere Vergehen vorwarf. Ihnen wurde hauptsächlich vorgeworfen, Steine und Flaschen auf Polizeikräfte geworfen zu haben. Einige von ihnen wurden zu Haftstrafen von bis zu 30 Jahren verurteilt.

Nach dem Hurrikan "Ian" kam es im September und Oktober 2022 auf der ganzen Insel zu Protesten gegen die großflächigen Stromausfälle. In Berichten war die Rede davon, dass die Behörden Militärkadett*innen einsetzten, um die Proteste zu unterdrücken, und dass sie willkürliche Inhaftierungen vornahmen. Offenbar blockierten die Behörden nach dem Hurrikan auch absichtlich das Internet. Es handelte sich dabei um eine Taktik, die immer häufiger angewendet wird, um die Kommunikation in politisch heiklen Situationen zu erschweren. Weil das Internet nach dem Sturm in mindestens zwei Nächten hintereinander nicht zugänglich war, konnten Familienmitglieder nur mit Mühe Kontakt zueinander aufnehmen. Auch die Journalist*innen der unabhängigen Online-Zeitung 14 y medio hatten keinen Internetzugang, was ihre Berichterstattung erschwerte.

Am 2. Oktober 2022 versuchte Präsident Díaz-Canel das Ausmaß der Proteste herunterzuspielen, indem er erklärte, eine Minderheit von "konterrevolutionären Personen" mit Verbindungen ins Ausland habe "Akte des Vandalismus wie Straßenblockaden und Steinwürfe" verübt. Außerdem kündigte er an, mit der "ganzen Härte des Gesetzes" gegen sie vorzugehen.

Im Dezember 2022 trat ein neues Strafgesetzbuch in Kraft, das die bereits bestehenden Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit noch weiter zu verschärfen drohte. Für unabhängige Journalist*innen, Aktivist*innen und jegliche Kritiker*innen der Regierung waren dies düstere Aussichten.

Rechte von Frauen und Mädchen

Menschenrechtsverteidiger*innen spielten 2022 im Kampf gegen die Repression eine zentrale Rolle. Mütter forderten lautstark, ihre im Zusammenhang mit den Protesten im Juli 2021 inhaftierten, teilweise noch minderjährigen Kinder freizulassen.

Das Parlament nahm Femizid nicht als Straftatbestand in das neue Strafgesetzbuch auf, obwohl Frauenrechtler*innen dies gefordert hatten.

Menschenrechtsverteidiger*innen

Ende 2022 befanden sich der Künstler Luis Manuel Otero Alcántara, der Musiker Maykel Castillo Pérez und der Vorsitzende der informellen politischen Oppositionsgruppe Unión Patriótica de Cuba, José Daniel Ferrer García, immer noch in Haft. Die drei gewaltlosen politischen Gefangenen waren bei der Niederschlagung der Proteste im Juli 2021 festgenommen worden.

Luis Manuel Otero Alcántara und Maykel Castillo Pérez wurden im Juni 2022 von einem Gericht in Havanna zu fünf bzw. neun Jahren Haft verurteilt. Zu den Anklagepunkten zählten "Störung der öffentlichen Ordnung", "Missachtung von Amtspersonen" und "Verunglimpfung nationaler Symbole". Alle drei werden von der Justiz regelmäßig herangezogen, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Monate zuvor, im Januar 2022, hatte die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen festgestellt, dass Maykel Castillo Pérez willkürlich inhaftiert worden war, und seine sofortige Freilassung gefordert. Der Musiker war Mitverfasser des regierungskritischen Liedes "Patria y Vida" ("Vaterland und Leben"), das sich zu einer populären Protesthymne entwickelt hatte.

Im Juli 2022 berichtete die Familie von José Daniel Ferrer García, dass der Aktivist ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten werde und damit der Gefahr von Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt sei. Im Oktober teilte seine Familie mit, er befinde sich in Einzelhaft ohne Umgang mit anderen Gefangenen und habe nur eingeschränkten Kontakt zur Außenwelt.

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