Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; China 2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Durch strenge Einschränkungen infolge der Coronapandemie wurde in einigen Fällen das Recht auf Gesundheit und angemessene Ernährung ausgehöhlt. Die Regierung unterband weiterhin jegliche Kritik an ihrer Politik und ihren Maßnahmen sowie die Diskussion über als heikel geltende Themen durch eine immer weiter um sich greifende Zensur des Internets. Regierungskritiker*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, für Demokratie eintretende Bürger*innen sowie Würdenträger*innen und Angehörige von Religionsgemeinschaften wurden willkürlich festgenommen und inhaftiert. Die systematische Unterdrückung ethnischer Minderheiten in Xinjiang und Tibet setzte sich fort. Die staatlichen Stellen versuchten, die Veröffentlichung eines Berichts des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) zu verhindern, in dem mutmaßliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere Straftaten gegen das Völkerrecht in Xinjiang dokumentiert wurden. Frauen waren nach wie vor sexueller Gewalt und Belästigung ausgesetzt und wurden auch in anderer Weise in ihren Rechten verletzt. Die Regierung von Hongkong ging unvermindert hart gegen die Demokratiebewegung vor. Unter anderem wurden Journalist*innen, Rundfunk- und Fernsehsender und Buchverleger*innen unter Berufung auf das Gesetz über nationale Sicherheit und andere repressive Rechtsvorschriften verfolgt und inhaftiert, während sowohl in Hongkong als auch im Ausland tätige zivilgesellschaftliche Organisationen wegen ihrer legitimen Aktivitäten angeklagt oder schikaniert wurden. Trotz einiger positiver politischer Zusagen, u. a. im Hinblick auf die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energiequellen, wurden Chinas CO2-Reduktionsziele als "in höchstem Maße unzureichend" eingestuft, und bei der Kohleproduktion war ein Anstieg zu verzeichnen.

Hintergrund

Die Regierung hielt fast das ganze Jahr 2022 über an ihrer "Null-Covid"-Politik fest, die weitreichende Aus- und Zugangsbeschränkungen und eine obligatorische Quarantäne vorsah. Ab Mitte November nahmen die lokalen Proteste gegen die strengen Bestimmungen an Heftigkeit zu. Nach einem Hochhausbrand in Urumqi, der Hauptstadt der Uigurischen Autonomen Region Xinjiang (Xinjiang), bei dem am 24. November mindestens zehn Menschen ums Leben kamen, weiteten sich die Demonstrationen auf mindestens 20 Städte aus. Die staatlichen Stellen bestritten, dass die Hausbewohner*innen durch verriegelte Türen an dem Verlassen des Gebäudes gehindert worden waren, kündigten jedoch an, die Beschränkungen zur Bekämpfung der Coronapandemie nach diesem Vorfall zu lockern.

Im Mai 2022 stattete die damalige UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, China einen sechstägigen Besuch ab, bei dem sie sich auch zwei Tage in Xinjiang aufhielt. Im Juni forderten 42 unabhängige UN-Menschenrechtsexpert*innen die chinesische Regierung auf, Vertreter*innen der Sonderverfahren und -mechanismen der Vereinten Nationen ungehinderten Zugang zu gewähren, damit Vorwürfe über schwere Menschenrechtsverletzungen im Land, insbesondere in Xinjiang, Tibet und Hongkong, geprüft werden könnten. Im August 2022 ratifizierte die Regierung die ILO-Übereinkommen Nr. 29 über Zwangsarbeit und Nr. 105 über die Abschaffung der Zwangsarbeit.

Im Oktober wurde auf dem 20. nationalen Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) die dritte Amtszeit von Präsident Xi Jinping als Generalsekretär der Partei verkündet, was Befürchtungen aufkommen ließ, dass sich die Menschenrechtslage nach einem Jahrzehnt eskalierender Repression unter seiner Führung noch weiter verschlechtern würde. China war im Februar 2022 Gastgeber der Olympischen Winterspiele.

Recht auf Gesundheit

Es gab Berichte über Lebensmittelknappheit und verzögerten oder verwehrten Zugang zu medizinischer Notversorgung in Gebieten, in denen Aus- und Zugangsbeschränkungen galten. Eine unbekannte Zahl von Menschen starb, nachdem ihnen die Aufnahme in ein Krankenhaus verweigert worden war. Die Bedingungen in den Quarantäneeinrichtungen, in denen positiv auf Covid-19 getestete Personen festgehalten wurden, waren häufig schlecht und unhygienisch. In einigen Fällen wurden Kinder während der Quarantäne von ihren Eltern getrennt untergebracht.

Am 7. Dezember 2022 kündigte die Zentralregierung eine erhebliche Lockerung der Beschränkungen an und erklärte am 26. Dezember, dass die meisten Maßnahmen der "Null-Covid-Politik" ab dem 8. Januar 2023 weitgehend aufgehoben würden. In der Folge stiegen die Covid-19-Infektionen und damit zusammenhängende Todesfälle an, und aus mehreren Städten kamen Berichte über Krankenhäuser, die einer extremen Belastung ausgesetzt waren, und über akute Medikamentenknappheit.

Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Die Zensur im Internet wurde immer umfassender und ausgefeilter, um Kritik an der Regierung im Keim zu ersticken, wobei man diese rund um hochkarätige Veranstaltungen und Jahrestage noch weiter verschärfte.

Die staatlichen Stellen hielten sich nicht an ihre Zusicherungen, die sie als Gastgeber der Olympischen Winterspiele gemacht hatten, die Medienfreiheit vor und während der Spiele zu gewährleisten und Möglichkeiten für friedliche Proteste zu schaffen. Vor den Spielen warnten sie die Sportler*innen vor "jeglichem Verhalten oder Reden", die gegen "chinesische Gesetze und Vorschriften" verstießen. Namhafte Dissident*innen wurden mundtot gemacht und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Bei den Spielen akkreditierte Journalist*innen berichteten von wiederholten Eingriffen der Regierung in die Berichterstattung über die Vorbereitungen für die Sportveranstaltung und bei Interviews mit Athlet*innen und Einheimischen sowohl in als auch außerhalb der olympischen Austragungsorte.

Die Staatsorgane verstärkten ihre Bemühungen, Kritik an den Aus- und Zugangsbeschränkungen in den Sozialen Medien zu unterbinden, einschließlich der Hilferufe der in ihren Wohnvierteln oder Wohnungen eingesperrten Menschen und der Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen in den Quarantäneeinrichtungen. Die staatlichen Stellen haben die Corona-Tracking-App zur Anzeige des Gesundheitszustands, die erforderlich war, um Zutritt zu öffentlichen Gebäuden und Geschäften zu erhalten sowie öffentliche Verkehrsmittel benutzen und im Land reisen zu können, dazu missbraucht, die Bewegungsfreiheit und friedliche Versammlungen in unangemessener Weise einzuschränken. In der Provinz Henan gab es während der Demonstrationen gegen das Einfrieren von Spareinlagen durch die örtlichen Banken im Juni 2022 zahlreiche Berichte darüber, dass über die App plötzlich ein roter Alarmhinweis übermittelt wurde, in dem man die Nutzer aufforderte, sich für 14 Tage in Quarantäne zu begeben. Fünf örtliche Beamte wurden daraufhin wegen Manipulation der App mit verwaltungsrechtlichen Sanktionen belegt.

Im September 2022 startete die für die Regulierung des Internets in China zuständige Behörde im Vorfeld des nationalen Parteikongresses der KPCh eine dreimonatige Säuberungsaktion, die sich gegen "Gerüchte und Falschmeldungen" im Internet richtete. Zudem forderte sie die Technologieunternehmen auf, die Maßnahmen zur Überwachung, zur Rückverfolgung, zum Verbot und zur Sperrung von Accounts zu intensivieren. Es wurden auch neue Anstrengungen gemeldet, Instrumente zur Umgehung der Zensur wie virtuelle private Netzwerke (VPN) zu blockieren.

Am 13. Oktober 2022 nahm die Polizei Peng Lifa fest, nachdem er während des Parteikongresses auf einer Brücke in der Hauptstadt Peking Transparente entrollt hatte, auf denen er die "Null-Covid"-Politik der Regierung kritisierte und Präsident Xi einen Diktator nannte. Die Bilder des Protests verbreiteten sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Welt, wohingegen aus chinesischen Social-Media-Plattformen alle Bilder von der Protestaktion und die entsprechenden Schlüsselwörter entfernt wurden. Berichten zufolge nahmen Sicherheitskräfte mehrere Personen fest, weil sie Bilder des Protests im digitalen Raum weiterverbreitet hatten.

Nach dem Brand in einem Wohnhaus in Urumqi, bei dem im November Tote zu beklagen waren, wurden zahlreiche Menschen festgenommen, weil sie sich an friedlichen Protesten gegen die Beschränkungen im Rahmen der "Null-Covid"-Politik beteiligt hatten. Unklar blieb, wie viele von ihnen sich Ende des Jahres noch in Haft befanden. Im Internet kursierende Videos zeigten, wie die Polizei Demonstrierende bei der Festnahme schlug.

Jegliche Diskussionen über und jedes Gedenken an die Opfer der blutigen Niederschlagung der prodemokratischen Proteste von 1989 blieben verboten. Am Vorabend des 4. Juni, dem Jahrestag der Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens durch das chinesische Militär, wurde der Livestream eines bekannten Influencers abgeschaltet, weil darin eine Eiskremtorte zu sehen war, deren Form einem Panzer ähnelte.

Menschenrechtsverteidiger*innen

Die Staatsorgane inhaftierten weiterhin Menschenrechtsverteidiger*innen, darunter sich journalistisch betätigende Bürger*innen und Menschenrechtsanwält*innen. Die Festgenommenen wurden unter sehr schlechten Bedingungen in Gewahrsam gehalten und waren der Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt.

Am 1. März wurde der Menschenrechtsanwalt Yu Wensheng freigelassen, nachdem er eine vierjährige Haftstrafe wegen "Untergrabung der staatlichen Ordnung" verbüßt hatte, weil er den Staatspräsidenten kritisiert haben soll. Yu Wensheng gab an, dass er mit Pfefferspray besprüht und gezwungen wurde, auf einem Metallstuhl zu sitzen, bis er zeitweilig das Bewusstsein verlor, und dass er während seiner Untersuchungshaft nicht ausreichend mit Nahrung versorgt wurde.

Im Januar 2022 beendete Zhang Zhan, die im Jahr 2020 wegen "Provokation von Streit und Sabotage der gesellschaftlichen Ordnung" zu vier Jahren Haft verurteilt worden war, weil sie über den Ausbruch der Coronapandemie in China berichtet hatte, ihren Hungerstreik, um die staatlichen Stellen von weiteren Zwangsernährungsmaßnahmen abzuhalten. Es war unklar, ob Zhang Zhan, deren Gesundheitszustand sich während ihres Hungerstreiks verschlechtert hatte, Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung gewährt wurde.

Im April 2022 gab es Berichte über eine ernsthafte Verschlechterung des Gesundheitszustands von Huang Qi, dem inhaftierten Gründer und Leiter der in der Provinz Sichuan ansässigen Menschenrechtswebsite 6/4 Tianwang. Huang Qi, der wegen seiner Berichte über Menschenrechtsverletzungen eine zwölfjährige Haftstrafe verbüßte, hatte Berichten zufolge keinen Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung. Zudem wurde ihm der Zugriff auf ein Bankkonto verwehrt, auf dem Freund*innen und Familienangehörige Geld für ihn eingezahlt hatten, damit er Medikamente und andere Dinge für sich kaufen konnte. Seit 2020 wird ihm jeglicher Kontakt zu seiner Familie verweigert.

Viele Anwält*innen verbüßten weiterhin Gefängnisstrafen oder standen unter strenger Überwachung. Dazu gehörten der Rechtswissenschaftler Xu Zhiyong und der Menschenrechtsanwalt Ding Jiaxi, die im Juni 2022 in einem Geheimprozess vor Gericht gestellt wurden, nachdem sie im Oktober 2021 wegen "Untergrabung der staatlichen Ordnung" angeklagt worden waren. Die beiden Männer sind prominente Mitglieder der Neuen Bürgerbewegung, eines Netzwerks politisch engagierter Bürger*innen, das sich für eine transparente Regierung und die Aufdeckung von Korruptionsfällen einsetzt. Beide hatten in den Monaten vor ihrem jeweiligen Prozess keinen Zugang zu Rechtsbeiständen.

Im April 2022 forderte die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen die chinesischen Staatsorgane auf, Wang Jianbing, der sich für die Rechte von Arbeitnehmer*innen eingesetzt hatte, unverzüglich freizulassen. Er war im September 2021 zusammen mit der #MeToo-Aktivistin Sophia Huang Xueqin in der Stadt Kanton festgenommen und wegen "Anstiftung zur Untergrabung der staatlichen Ordnung" angeklagt worden, weil sie an privaten Versammlungen in Wang Jianbings Haus teilgenommen hatten, um über den schrumpfenden Raum für die Zivilgesellschaft zu diskutieren. Beide wurden nach ihrer Festnahme ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten und misshandelt.

Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit

Die Drangsalierung und Inhaftierung von Personen wegen der Ausübung ihrer Religion oder ihres Glaubens hielt unvermindert an. Würdenträger*innen und Angehörige von Religionsgemeinschaften, darunter Mitglieder von Hauskirchen, uigurische Imame, tibetische Mönche buddhistischen Glaubens und Falun-Gong-Anhänger*innen, waren im Jahr 2022 Opfer willkürlicher Festnahmen und Inhaftierungen.

Autonome Regionen Xinjiang und Tibet

Die systematische Unterdrückung ethnischer Minderheiten in Xinjiang und Tibet wurde unter dem Deckmantel des "Vorgehens gegen Separatismus und Extremismus" und der "Bekämpfung des Terrorismus" fortgesetzt. Der Zugang zu beiden Regionen war stark eingeschränkt, was die Dokumentation von und Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen praktisch unmöglich machte. Die allgegenwärtige Überwachung hinderte die dort lebenden Menschen daran, Informationen über Menschenrechtsverletzungen weiterzuleiten.

Xinjiang

Die Regierung setzte weiterhin weitreichende politische Maßnahmen um, mit denen die Freiheiten von Uigur*innen, Kasach*innen und Angehörigen anderer überwiegend muslimischer ethnischer Minderheiten in Xinjiang stark eingeschränkt wurden, wodurch ihre religiöse und kulturelle Identität ausgelöscht zu werden drohte.

Während ihres Besuchs in der Region im Mai 2022 durften die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte und ihr Team weder Häftlinge noch deren Familien besuchen, und sie wurden stets von Behördenvertreter*innen begleitet. Das OHCHR hat zwar die schweren Menschenrechtsverletzungen in dem Land während des Besuchs nicht bestätigt, es veröffentlichte aber im August einen lang erwarteten Bericht, in dem frühere Erkenntnisse von Amnesty International und anderen Organisationen untermauert wurden, wonach die willkürliche und diskriminierende Inhaftierung von Uigur*innen und anderen in Xinjiang lebenden Menschen in ihrem Ausmaß zu den Straftaten gegen das Völkerrecht, insbesondere Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gezählt werden könnte. In dem Bericht werden außerdem Vorwürfe wegen Folter oder anderer Misshandlungen, Fälle von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt, Zwangsarbeit und Verschwindenlassen sowie anderen schweren Menschenrechtsverletzungen dokumentiert.

Die chinesische Regierung versuchte, den Bericht zu verhindern, u. a. indem sie andere Regierungen dafür einspannte, gegen die Veröffentlichung Lobbyarbeit zu betreiben. Trotz der Erkenntnisse und der Forderung zahlreicher unabhängiger UN-Expert*innen an den UN-Menschenrechtsrat, eine Sondersitzung zu China einzuberufen, stimmte der Menschenrechtsrat am 6. Oktober 2022 mehrheitlich gegen eine Resolution mit der Forderung, auf seiner nächsten Sitzung eine Debatte über die Zustände in Xinjiang zu führen.

Im November 2022 forderte der UN-Ausschuss für die Beseitigung von rassistischer Diskriminierung (CERD) die chinesische Regierung auf, alle Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen unverzüglich zu untersuchen und alle Personen freizulassen, die in Xinjiang willkürlich ihrer Freiheit beraubt wurden. Trotz der Behauptungen der Regierung, dass Internierungslager, die sie als "Ausbildungseinrichtungen" oder "Bildungsstätten" bezeichneten, geschlossen worden seien, war davon auszugehen, dass viele Tausende Männer und Frauen immer noch willkürlich in Internierungslagern, Gefängnissen oder anderen Einrichtungen festgehalten wurden, in denen zahlreichen Berichten zufolge politische Indoktrination, körperliche und seelische Folter und andere Formen der Misshandlung an der Tagesordnung waren.

Die chinesischen staatlichen Stellen nahmen weiterhin Uigur*innen und andere aus Xinjiang stammende Personen, die sich einige Zeit im Ausland aufgehalten hatten, ins Visier und setzten Regierungen anderer Länder unter Druck, im Ausland lebende Uiguir*innen nach China zurückzuführen.

Im Juni 2022 teilten die Staatsorgane der Familie des 25-jährigen uigurischen Studenten Zulyar Yasin mit, dass man ihn wegen "Separatismus" zu einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren verurteilen werde. Zulyar Yasin, der von 2014 bis 2016 in der Türkei an der Universität Istanbul Finanzwissenschaften studiert hatte, wurde im Dezember 2021 in Urumqi festgenommen und sollte am 28. Juni 2022 vor Gericht gestellt werden, was jedoch aufgrund der Aus- und Zugangsbeschränkungen infolge der Coronapandemie zweimal verschoben und schließlich auf Anfang 2023 verlegt wurde.

Vier Uigur*innen waren in Gefahr, von Saudi-Arabien nach China abgeschoben zu werden, wo ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohten. Die saudischen Behörden haben Buheliqiemu Abula und ihre 13-jährige Tochter am 31. März 2022 festgenommen. Nuermaimaiti Ruze, der Ex-Ehemann der Frau, und der Religionsgelehrte Aimidoula Waili befanden sich bereits seit November 2020 ohne Anklage in Haft. Aimidoula Waili war zuvor von 2013 bis 2016 in China inhaftiert gewesen und berichtete Amnesty International, in der Haft wiederholt gefoltert worden zu sein.

Idris Hasan, ein uigurischer Grafikdesigner, der im Juli 2021 in Marokko festgenommen worden war, befand sich dort weiterhin in Haft. Ihm drohte die Zwangsrückführung nach China, und dies obwohl Interpol die "Rotecke" (Ersuchen zur Festnahme und Auslieferung), die der Grund für seine Festnahme gewesen war, inzwischen aufgehoben hatte und der UN-Ausschuss gegen Folter und andere Sonderverfahren an die Behörden Marokkos appellierten, ihn nicht auszuliefern.

Tibet

Angehörige der tibetischen Volksgruppe wurden weiterhin diskriminiert und in ihren Rechten auf Religions- und Glaubensfreiheit, Meinungs- und Vereinigungsfreiheit sowie friedliche Versammlung beschnitten. Die Proteste gegen die Repressionen der chinesischen Regierung hielten jedoch an.

Im September 2022 verurteilte das Mittlere Volksgericht von Garzê in der Provinz Sichuan sechs tibetische Publizist*innen und Aktivist*innen wegen "Anstiftung zum Separatismus" und "Gefährdung der staatlichen Sicherheit" zu Haftstrafen von vier bis 14 Jahren. Gangkye Drupa Kyab, Seynam, Gangbu Yudrum, Tsering Dolma und Samdup waren im März oder April 2021 verhaftet worden. Pema Rinchen hatte man bereits Ende 2020 festgenommen und bis zu seinem Prozess ohne Kontakt zur Außenwelt in Gewahrsam gehalten. Alle sechs waren in der Vergangenheit im Zusammenhang mit ihren Schriften oder Protesten gegen die chinesischen staatlichen Stellen willkürlich inhaftiert worden. Einige von ihnen litten unter gesundheitlichen Beschwerden infolge von Schlägen, schlechten Haftbedingungen und anderen Misshandlungen, denen sie ausgesetzt gewesen waren.

Dem tibetischen Mönch Rinchen Tsultrim wurde seit seiner Inhaftierung im August 2019 trotz wiederholter Gesuche seiner Familie, ihn besuchen zu dürfen, weiterhin jeglicher Kontakt zu seiner Familie und der Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigert. Er war im November 2020 nach einem unfairen Verfahren zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden.

Todesstrafe

China ist nach wie vor das Land mit den meisten Hinrichtungen in der ganzen Welt, wobei die Regierung die Zahl der vollstreckten und verhängten Todesurteile immer noch als "Staatsgeheimnis" unter Verschluss hält. Die Todesstrafe wurde weiterhin bei 46 Straftaten verhängt, darunter auch Straftaten ohne Todesfolge, die nach dem Völkerrecht und internationalen Standards nicht als "schwerste Verbrechen" gelten.

Frauenrechte

Am 30. Oktober 2022 verabschiedete das oberste Gesetzgebungsorgan des Landes das geänderte Gesetz über den Schutz der Rechte und Interessen von Frauen. Das überarbeitete Gesetz, das am 1. Januar 2023 in Kraft treten sollte, enthält neue Bestimmungen zur Stärkung des Schutzes von Frauen am Arbeitsplatz, einschließlich der Verpflichtung für Arbeitgeber, geschlechtsspezifische Diskriminierung bei Einstellungsverfahren zu beseitigen und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu verhindern.

Gewalt gegen Frauen, einschließlich sexualisierter Gewalt und sexueller Belästigung, war weiterhin weit verbreitet, und die Behörden unterbanden die öffentliche Diskussion darüber.

Die Staatsorgane zensierten schon nach kurzer Zeit Diskussionen über einen Vorfall im Juni, bei dem eine Gruppe von Männern mehrere Frauen in einem Restaurant in Tangshan in der Provinz Hebei tätlich angegriffen hatte. Zudem verboten die Behörden die Verbreitung der von Überwachungskameras aufgezeichneten Videoaufnahmen über Social-Media-Kanäle. Wegen ihrer Beteiligung an dem Angriff wurden 28 Personen zu Gefängnisstrafen verurteilt. Mao Huibin, ein Journalist, der Videomaterial und einen Artikel über den Vorfall veröffentlicht hatte, wurde im Juli 2022 festgenommen und muss mit bis zu fünf Jahren Gefängnis wegen "Provokation von Streit und Sabotage der gesellschaftlichen Ordnung" rechnen.

Im August 2022 wies das Volksgericht des Pekinger Stadtbezirks Haidian ein Rechtsmittel von Zhou Xiaoxuan gegen ein Gerichtsurteil zurück, mit dem ihre Forderung nach einer Entschuldigung und Schadensersatz an Zhu Jun, einen bekannten Moderator im staatlichen Fernsehen, abgewiesen wurde, der sie ihren Angaben zufolge 2014, als sie Praktikantin bei dem Fernsehsender gewesen war, berührt und gegen ihren Willen geküsst hatte. Zhou Xiaoxuans öffentliches Eintreten gegen sexuelle Belästigung führte dazu, dass sie zum Ziel von Mobbing im Internet und staatlicher Zensur wurde.

Im Januar 2022 verbreitete sich ein Video im Internet, das eine Frau in schlechtem geistigem und körperlichem Zustand zeigte, die in Xuzhou in der Provinz Jiangsu auf einer Toilette angekettet war, was im ganzen Land öffentliche Empörung auslöste. Mindestens vier engagierte Bürgerinnen und Bürger wurden festgenommen, weil sie den Fall untersucht und publik gemacht sowie die Frau unterstützt hatten, von der sie annahmen, dass sie ein Opfer des Menschenhandels war. Dies wurde von den örtlichen Behörden jedoch zunächst bestritten. Wie bekannt geworden ist, hat man dann gegen eine der Personen, Wu Yi, ein geheimes Gerichtsverfahren wegen "Provokation von Streit und Sabotage der gesellschaftlichen Ordnung" eingeleitet. Einzelheiten über ihre Verurteilung und ihren Aufenthaltsort sind jedoch nicht nach außen gedrungen. Medienberichten vom Februar zufolge wurden 17 lokale Beamte im Zusammenhang mit dem Fall bestraft, oder es wurde gegen sie ermittelt. Im März kündigte das Ministerium für öffentliche Sicherheit eine einjährige Kampagne zur Untersuchung des Frauen- und Kinderhandels an.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Das aktive Eintreten für die Rechte und Interessen von LGBTI+ wurde sowohl im herkömmlichen öffentlichen Raum als auch im Internet stark eingeschränkt. Zahlreiche Social-Media-Konten von LGBTI-Gruppen blieben aufgrund der allgegenwärtigen Zensur geschlossen. Die staatlichen Stellen zensierten auch Fernsehprogramme und Filme, indem Inhalte mit Bezug zu LGBTI+ entfernt wurden.

Im Juli 2022 erteilte die Tsinghua-Universität in Peking zwei Studentinnen eine offizielle Verwarnung, weil sie "ohne Genehmigung Material mit politischen Botschaften verteilt" hatten. Sie wurden von Überwachungskameras dabei gefilmt, wie sie Regenbogenfahnen an bestimmten Stellen auf dem Campus platziert hatten. Im November 2022 billigte das Amt der Pekinger Erziehungskommission das Vorgehen der Universität gegen die Studentinnen. Diskussionen im Internet über den Vorfall wurden von staatlicher Seite unterbunden.

Klimakrise

Gemäß seinem 2021 vorgelegten nationalen Klimaschutzbeitrag (Nationally Determined Contribution – NDC) verpflichtete sich China, die CO2-Emissionen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt bis 2030 um mehr als 65 Prozent gegenüber dem Stand von 2005 zu senken, den Höchststand an Kohlendioxidemissionen bis 2030 zu passieren und "vor 2060" CO2-neutral zu werden. Im November wurden Chinas Ziele, Strategien und Maßnahmen vom Climate Action Tracker, einem unabhängigen internationalen Mechanismus zur Analyse der Klimapolitik der Länder, als "in höchstem Maße unzureichend" eingestuft, da sie nicht mit der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C vereinbar seien.

Im März 2022 veröffentlichte die Regierung ein neues Strategiepapier zur Initiative der neuen Seidenstraße, einem 72 Länder umfassenden Infrastrukturprojekt. In dem Dokument wurde bekräftigt, dass im Rahmen dieser Initiative keine neuen Kohlekraftwerke gebaut würden und man bei bereits begonnenen Kohlekraftwerksprojekten "umsichtig vorgehen" würde.

Im Jahr 2022 wurden neue Zielvorgaben für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen festgelegt, die eine Steigerung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen um etwa 35 Prozent bis 2025 gegenüber dem Stand von 2020 vorsahen. Die heimische Kohleproduktion stieg jedoch trotz der Verpflichtung, den Kohleverbrauch bis 2025 zu deckeln und danach schrittweise auf null zu reduzieren, weiter an.

Sonderverwaltungsregion Hongkong

Die staatlichen Stellen in Hongkong gingen auch 2022 scharf gegen Anhänger*innen der Demokratiebewegung, Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und andere Bürger*innen vor. Das Gesetz über nationale Sicherheit aus dem Jahr 2020 und andere repressive Gesetze wurden in großem Umfang dazu eingesetzt, um gegen Menschen vorzugehen, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit wahrgenommen haben. Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen forderte die Regierung Hongkongs nachdrücklich auf, das Gesetz über nationale Sicherheit und die Bestimmungen der Verordnung über Straftaten (Crimes Ordinance) in Bezug auf staatsgefährdende Handlungen aufzuheben und bis dahin von ihrer Anwendung abzusehen.

Im Juli 2022 übernahm John Lee, der ehemalige Sicherheitschef von Hongkong, der die Niederschlagung der Proteste von 2019 durch die Polizei und die Umsetzung des Gesetzes über nationale Sicherheit beaufsichtigt hatte, das Amt des Verwaltungschefs von Hongkong, nachdem er von der Zentralregierung in Peking als einziger Kandidat bei den Wahlen im Mai ausgewählt worden war.

Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Mindestens elf Personen wurden im Laufe des Jahres 2022 aufgrund von Gesetzen über staatsgefährdende Handlungen aus der britischen Kolonialzeit wegen gewaltfreier Meinungsäußerung zu Haftstrafen verurteilt.

Im September wurden fünf Sprachtherapeut*innen zu je 19 Monaten Haft verurteilt, nachdem sie der Volksverhetzung für schuldig befunden worden waren, weil sie Kinderbücher veröffentlicht hatten, in denen die Niederschlagung der Proteste der Demokratiebewegung von 2019 und andere Sachverhalte thematisiert wurden.

Im Oktober wurde der Radiomoderator und politische Kommentator Edmund Wan, der unter seinem Spitznamen Giggs bekannt ist, wegen "Aufwiegelung" und "Geldwäsche" zu zwei Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt, weil er die Regierung kritisiert und eine Spendenaktion für junge Menschen aus Hongkong ausgerichtet hatte, die nach den Protesten von 2019 nach Taiwan geflohen waren. Giggs, der vor seiner Verurteilung ein Jahr und sieben Monate lang inhaftiert war, wurde am 18. November freigelassen, musste den Erlös aus der Spendensammlung aber der Regierung übergeben.

Politisch engagierte Bürger*innen, Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen sowie andere Personen, die unter Berufung auf das Gesetz über nationale Sicherheit angeklagt worden waren, wurden über einen längeren Zeitraum in Untersuchungshaft gehalten. Bis zum 31. Oktober 2022 hatte man seit Inkrafttreten des Gesetzes über nationale Sicherheit im Jahr 2020 mindestens 230 Personen unter Berufung auf dieses Gesetz verhaftet.

Der Handlungsspielraum für friedliche Proteste blieb stark eingeschränkt, und diejenigen, die an Demonstrationen teilnahmen oder andere dazu ermutigten, riskierten, strafrechtlich verfolgt zu werden. Im Januar 2022 wurde Chow Hang-tung wegen "Anstiftung zur Teilnahme an einer nicht genehmigten Versammlung" zu 15 Monaten Haft verurteilt. Sie hatte 2021 einen Beitrag in den Sozialen Medien veröffentlicht, in dem sie dazu aufrief, der blutigen Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking von 1989 zu gedenken. Im Dezember bekam Chow Hang-tung in der Berufungsinstanz gegen das Urteil recht, wurde aber nicht aus dem Gefängnis entlassen, sondern wartete auf ihren Prozess wegen ähnlicher Anklagen gemäß dem Gesetz über nationale Sicherheit, die mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden können.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Die staatlichen Stellen fuhren damit fort, rechtmäßige Aktivitäten der Zivilgesellschaft zu kriminalisieren oder anderweitig zu unterbinden. Repressive Gesetze, darunter das Gesetz über nationale Sicherheit und die Verordnung über Vereine (Societies Ordinance), die der Polizei übermäßige Befugnisse einräumen, um die Registrierung eines Vereins zu verweigern, rückgängig zu machen oder diesen zu verbieten, wurden mit massiven Folgen für zivilgesellschaftliche Organisationen angewandt. Mehr als 100 Organisationen der Zivilgesellschaft sahen sich seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über nationale Sicherheit im Juli 2020 gezwungen, sich aufzulösen oder Hongkong zu verlassen.

Kleineren, eher informellen Bürgerinitiativen wurden Einschränkungen auferlegt. Im Juni stellte die Polizei dem Vernehmen nach mindestens fünf kleinen zivilgesellschaftlichen Vereinigungen, darunter informelle Facebook-Gruppen und religiöse Netzwerke, Schreiben mit der Aufforderung zu, sich registrieren zu lassen, da sie sonst gegen die Verordnung über Vereine verstoßen würden.

Fünf ehemalige Treuhänder*innen des 612 Humanitarian Relief Support Fund zur Unterstützung der Teilnehmenden der Proteste von 2019 bei den Anwaltskosten und anderen Ausgaben, der 2021 geschlossen wurde, hat man im Mai sowie den ehemaligen Sekretär des Unterstützungsfonds im November wegen "Kollaboration mit ausländischen Kräften" gemäß dem Gesetz über nationale Sicherheit festgenommen. Ihnen drohten Haftstrafen von bis zu zehn Jahren. Im Dezember wurden alle sechs für schuldig befunden, den Fonds nicht gemäß der Verordnung über Vereine registriert zu haben, und zu Geldstrafen zwischen 2.500 und 4.000 Hongkong-Dollar (umgerechnet etwa 300 bis 500 Euro) verurteilt.

Auch die Angriffe auf Gruppen, die außerhalb Hongkongs tätig sind, nahmen zu. Im März 2022 bezichtigte die Nationale Sicherheitspolizei von Hongkong die in Großbritannien ansässige Organisation Hong Kong Watch in einem Schreiben an deren Leiter, "die nationale Sicherheit zu gefährden", da sie sich "im Ausland für die Verhängung von Sanktionen" einsetze und "andere feindselige Handlungen" begehe. Der Organisation wurde vorgeworfen, gegen Paragraf 29 des Gesetzes über nationale Sicherheit verstoßen zu haben, in dem die "Kollaboration mit ausländischen Kräften" unter Strafe gestellt und eine extraterritoriale Gerichtsbarkeit beansprucht wird. Die Polizei hat zudem die Website von Hong Kong Watch in Hongkong gesperrt.

Zivilgesellschaftliche Organisationen übten sich in Selbstzensur, um weiter tätig sein und Spenden sammeln zu können. Örtliche Zahlungs- und Crowdfunding-Plattformen sperrten die Spendenkonten von zwei Gruppierungen. Eine der Plattformen teilte einer der betroffenen Gruppierungen mit, dass sie diese Maßnahme wegen "allzu großer Risiken" ergriffen habe, die mit der Führung des Kontos verbunden seien. In einem anderen Fall berichteten drei politisch engagierte Bürger*innen, die die Hongkonger Polizei wegen Misshandlung während eines Protests im Zusammenhang mit Landrechten aus dem Jahr 2014 verklagt hatten, dass ihr Konto von einer internationalen Crowdfunding-Plattform entfernt worden war, weil es für das Unternehmen als zu riskant angesehen wurde.

Rechte von LGBTI+

Die Regierung von Hongkong kam bei der Ausarbeitung eines Gesetzes zur Anerkennung des sozialen Geschlechts nicht voran, obwohl bereits im Jahr 2014 eine entsprechende Arbeitsgruppe unter Beteiligung mehrerer Behörden eingerichtet worden war und es 2017 eine entsprechende Konsultierung gegeben hatte.

Veröffentlichungen von Amnesty International

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