Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Syrien 2022

 
 

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Der bewaffnete Konflikt in Syrien dauerte 2022 an, wenngleich das Ausmaß der Gewalt zurückging, während sich die wirtschaftliche und soziale Lage verschlechterte. Die Konfliktparteien begingen weiterhin schwere Verstöße gegen internationale Menschenrechtsnormen und das humanitäre Völkerrecht einschließlich Kriegsverbrechen, die nicht geahndet wurden. Syrische Regierungstruppen und bewaffnete Oppositionsgruppen sowie ihre Verbündeten verübten im Norden des Landes rechtswidrige Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Infrastruktur, wie z. B. Einrichtungen zur Wasserversorgung und Lager für Binnenvertriebene, durch Bombardierungen aus der Luft und Artilleriebeschuss. Sowohl die syrischen Regierungsbehörden als auch die von der Türkei unterstützte selbst ernannte Syrische Nationalarmee (SNA) und die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien nahmen Zivilpersonen willkürlich fest, entführten sie und ließen sie verschwinden. Präsident Bashar al-Assad erließ das erste syrische Anti-Folter-Gesetz, das jedoch weder Straflosigkeit bekämpfte noch Entschädigungen von Folteropfern und deren Familien vorsah, und ratifizierte ein neues Gesetz über Internetkriminalität, das im Internet geäußerte Kritik an den Behörden oder an der Verfassung mit langen Haftstrafen ahndet. Die bewaffnete Oppositionsgruppe Hay'at Tahrir al-Sham und die Autonomieverwaltung beschränkten weiterhin die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Die Regierung enthielt der Bevölkerung und den Binnenvertriebenen im Nordwesten erneut ihre wirtschaftlichen und sozialen Rechte vor, indem sie u. a. humanitäre Hilfslieferungen für Binnenvertriebene im Lager al-Rukban nahe der Grenze zu Jordanien blockierte.

Hintergrund

Im Februar 2022 protestierten in Sweida, einer Stadt mit drusischer Bevölkerungsmehrheit im Südwesten des Landes, Hunderte Menschen gegen die zunehmende Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen. Im Laufe des Jahres protestierten Lehrer*innen im Nordwesten Syriens, der von Hay'at Tahrir al-Sham kontrolliert wurde, gegen niedrige Löhne und forderten, langjährige ehrenamtliche Helfer*innen zu entlohnen.

Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) meldete im Februar 2022, es gebe "glaubwürdige Anzeichen" dafür, dass die syrische Regierung 2016 einen Chlorgasangriff auf die Ortschaft Kafr Zita in der Provinz Hama verübt habe. Am 30. März 2022 legte Russland im UN-Sicherheitsrat ein Veto gegen eine von den USA unterstützte Resolution ein, die es der OPCW erlaubt hätte, die Verantwortlichen für die Chemiewaffenangriffe in Syrien zu ermitteln.

Im April 2022 schätzte das Welternährungsprogramm, dass 55 Prozent der syrischen Bevölkerung nicht genug zu essen hatten. Die zunehmend schlechte wirtschaftliche und soziale Lage im ganzen Land führte dazu, dass 14,1 Millionen Menschen beim Zugang zu Nahrungsmitteln, Trinkwasser, Sanitäreinrichtungen, Gesundheit, Bildung und Unterkunft humanitäre Hilfe benötigten.

Am 10. Mai 2022 sagten die Europäische Union und andere internationale Geberinstitutionen lediglich 6,7 Mrd. US-Dollar für humanitäre Hilfe zu, obwohl die Vereinten Nationen 10,5 Mrd. US-Dollar erbeten hatten, um alle 14,1 Millionen Hilfsbedürftigen in Syrien versorgen zu können.

Die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien teilte am 27. Juli mit, sie habe ein Massengrab mit den sterblichen Überresten von mindestens 29 Menschen entdeckt, die möglicherweise vom Islamischen Staat (IS) getötet worden seien, als die bewaffnete Gruppe das Gebiet kontrollierte.

Am 10. September meldete das Gesundheitsministerium einen Cholera-Ausbruch in sechs Provinzen, darunter Aleppo und Deir ez-Zor.

Im Oktober berichtete die Nachrichtenagentur Associated Press, die Vertreterin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Syrien sei für Missmanagement und Korruption verantwortlich. Die Nachrichtenagentur berief sich dabei auf Quellen, die der WHO-Vertreterin vorwarfen, sie habe "Fehlverhalten an den Tag gelegt, Beschäftigte unter Druck gesetzt, Verträge mit hochrangigen syrischen Funktionär*innen zu unterzeichnen, und Zuwendungen der WHO und anderer Institutionen systematisch zweckentfremdet". Die WHO erklärte, die Vorfälle würden intern untersucht.

Israel setzte seine Luftangriffe auf syrische Regierungstruppen sowie auf iranische Kräfte und Stellungen der Hisbollah in Syrien fort. Die israelische Besetzung der Golanhöhen jährte sich im Juni 2022 zum 55. Mal.

Rechtswidrige Angriffe

Die Konfliktparteien und ihre Verbündeten verübten 2022 weiterhin rechtswidrige Boden- und Luftangriffe auf Zivilpersonen und zivile Einrichtungen im Norden des Landes, bei denen zahlreiche Zivilpersonen getötet und verletzt wurden.

Syrische Regierung und ihr Verbündeter Russland

Die syrische Regierung unternahm mit Unterstützung Russlands wahllose und gezielte Angriffe auf Einrichtungen der Wasserversorgung, Lager für Binnenvertriebene, Geflügelfarmen und Wohngebiete im Nordwesten des Landes. Bei einer Reihe von Boden- und Luftangriffen auf einen Wald in der Nähe von Vertriebenenlagern in Kafr Jalis im Nordwesten des Landes wurden am 6. November 2022 vier Binnenvertriebene getötet und mehr als 70 Zivilpersonen verletzt.

Nach Angaben der vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzten Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission für die Arabische Republik Syrien griffen Truppen der syrischen Regierung und Russlands auch mehrfach Zivilpersonen und zivile Objekte im Nordosten des Landes aus der Luft und mit Artillerie an. Ein Luftangriff auf das Wasserwerk Arashani, das die Stadt Idlib versorgt, verletzte am 2. Januar einen Zivilisten und unterbrach die Wasserversorgung von mindestens 300.000 Menschen. Bei Luftangriffen auf zwei Geflügelfarmen in der Provinz Idlib wurden am 3. Januar eine Frau und ihr achtjähriger Sohn sowie am 12. Mai ein Mann verletzt. Die Untersuchungskommission befand, es gebe "glaubwürdige Anzeichen" dafür, dass die regierungsnahen Kräfte "absichtlich Objekte ins Visier nahmen, die für das Überleben der Bevölkerung unerlässlich sind".

Bewaffnete syrische Oppositionsgruppen und ihr Verbündeter Türkei

Bewaffnete syrische Oppositionsgruppen und die mit ihnen verbündete Türkei verübten wahllose Boden- und Luftangriffe, u. a. mit Drohnen, die Wohngebiete, eine Schule und ein Lager für Binnenvertriebene in Nordsyrien trafen.

Am 24. Februar 2022 stürzte eine Drohne der türkischen Truppen, die ein militärisches Ziel treffen sollte, auf der Straße von Amuda nach Qamischli in Nordostsyrien in der Nähe eines zivilen Reisebusses ab und verletzte mindestens vier Zivilpersonen.

Die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission teilte mit, dass bei einem Angriff auf eine Schule in einem Dorf nahe der nordsyrischen Stadt Afrin, bei dem elf Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren verletzt wurden, sehr wahrscheinlich schwere Maschinengewehre zum Einsatz kamen. Das Gebiet war von der Türkei besetzt und wurde von der SNA kontrolliert.

Willkürliche Inhaftierung und Verschwindenlassen

Syrische Regierung

Zehntausende Menschen waren 2022 weiterhin Opfer des Verschwindenlassens, darunter Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Rechtsanwält*innen und politische Aktivist*innen. Viele von ihnen waren bereits seit mehr als zehn Jahren verschwunden.

Die Behörden gaben im Februar und April gewisse Informationen zum Schicksal von 1.056 Personen preis, die seit Beginn des Konflikts dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen waren, indem sie Angaben bei den Standesämtern aktualisierten und Sterbeurkunden ausstellten. Daraus ließ sich das Sterbedatum der verschwundenen Person entnehmen, nicht aber die Umstände, unter denen diese gestorben war. Die Behörden übergaben die sterblichen Überreste nicht an die Angehörigen.

Am 30. April 2022 erließ Präsident al-Assad die Gesetzesverordnung Nr. 7, die eine Generalamnestie für "terroristische" Straftaten vorsah, wenn diese nicht zum Tod von Personen geführt hatten. Die Behörden gaben nicht bekannt, wie viele Gefangene daraufhin freigelassen wurden, syrische Organisationen schätzten jedoch, dass mindestens 150 Personen von der Amnestie profitierten.

Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien

Die Autonomieverwaltung hielt weiterhin rund 17.000 Frauen und 37.000 Minderjährige syrischer, irakischer und anderer Herkunft rechtswidrig in den Lagern Al-Hol und Roj im Nordosten des Landes unter erbärmlichen Bedingungen und ohne Zugang zu einem ordnungsgemäßen Verfahren fest. Polizeikräfte der Autonomieverwaltung (Asayish) töteten mindestens ein Kind und verletzten drei Frauen und drei Kinder, als sie am 7. Februar 2022 im Lager Al-Hol das Feuer eröffneten.

Hunderte Kinder, die im Ghwairan-Gefängnis, einer Haftanstalt für Erwachsene in al-Hasaka, festgehalten wurden, waren ab dem 20. Januar 2022 zehn Tage lang ohne Nahrungsmittel und medizinische Versorgung, während sich die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die den militärischen Arm der Autonomieverwaltung bildeten, Gefechte mit dem IS lieferten. Minderjährige wurden weiterhin unter katastrophalen Bedingungen in Haftanstalten festgehalten, was einen Verstoß gegen das UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes darstellte.

Von der Türkei unterstützte Syrische Nationalarmee

Im Juli 2022 meldete Hevdesti-Synergy, ein Verein für Konfliktopfer in Nordsyrien, die SNA und ihr nahestehende bewaffnete Gruppen hätten in den türkisch besetzten Regionen Afrin, Ras al-Ain und Tall Abjad 79 Personen festgenommen, denen vorgeworfen wurde, mit der Autonomieverwaltung zu sympathisieren, ohne gültige Papiere in die Türkei eingereist zu sein oder kurdisch zu sein. Andere wurden festgenommen, um von ihren Familien Lösegeld für ihre Freilassung zu erpressen. 13 Personen wurden freigelassen, während das Schicksal der übrigen Inhaftierten ungeklärt blieb.

Die syrische Organisation Syrians for Truth and Justice dokumentierte in der ersten Hälfte des Jahres 2022 311 willkürliche Festnahmen in Afrin, einer hauptsächlich von Kurd*innen bewohnten Stadt im Norden des Landes. Laut einem im August 2022 veröffentlichten Bericht der Organisation wurden die Betroffenen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder zur Erpressung eines Lösegeldes festgenommen. 282 der Festgenommenen kamen wieder frei.

Nach Angaben der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission hielt die SNA Personen zwischen drei Monaten und drei Jahren ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft, untersagte ihnen den Kontakt zu einem Rechtsbeistand, bedrohte oder inhaftierte Familienangehörige, die sich nach dem Schicksal und dem Verbleib der Inhaftierten erkundigten, oder erlaubte ihnen den Kontakt nur, wenn sie Bestechungsgelder zahlten.

Folter und andere Misshandlungen

Am 30. März 2022 erließ Präsident al-Assad das erste syrische Gesetz, das Folter unter Strafe stellt. Das Gesetz Nr. 16/2022 bekämpfte jedoch weder die Straflosigkeit, die für Angehörige der Sicherheitskräfte galt, noch sah es eine Entschädigung für Folteropfer vor. Es enthielt auch keine Schutzmaßnahmen für Zeug*innen oder Folterüberlebende und machte keine Angaben dazu, ob Folteropfer oder – im Falle ihres Todes – deren Familien eine Entschädigung erhalten würden.

Die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission teilte mit, dass die syrischen Regierungsbehörden Gefangene weiterhin folterten und in anderer Weise misshandelten, u. a. durch Elektroschocks und das Verbrennen von Körperteilen, oder indem man sie in einen Autoreifen zwängte (dulab) oder für längere Zeit an einzelnen Gliedmaßen aufhängte (shabeh). Häufig wurden die Betroffenen dabei mit Stöcken, Kabeln oder anderen Gegenständen geschlagen.

Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

Syrische Regierung

Auf die zunehmende Kritik an ihrer Wirtschaftspolitik reagierte die Regierung, indem sie im April 2022 ein neues Gesetz über Internetkriminalität erließ, das hohe Haft- und Geldstrafen für alle vorsah, die im Internet die Behörden oder die Verfassung des Landes kritisierten. Die Paragrafen 24 und 25 verbieten "elektronische Verleumdung", die laut Gesetz dann vorliegt, wenn zwei Personen verleumderische oder erniedrigende Informationen über andere Personen austauschen, selbst wenn dies im privaten Rahmen geschieht. Noch höhere Geld- und Haftstrafen drohen, wenn es sich bei den mutmaßlich von Verleumdung betroffenen Personen um Beschäftigte des öffentlichen Diensts handelt. Laut den Paragrafen 27, 28 und 29 sind für die Veröffentlichung von Onlinebeiträgen, die "dem Ansehen des Staates schaden", "die Staatsfinanzen untergraben" oder "eine widerrechtliche Änderung der Verfassung bezwecken oder dazu aufrufen", Haftstrafen von drei bis 15 Jahren vorgesehen.

Im Juni 2022 erklärte der Innenminister, auf Grundlage des Gesetzes über Internetkriminalität seien elf Personen festgenommen worden, die auf Facebook "falsche Informationen" verbreitet hätten.

Hay'at Tahrir al-Sham

Die bewaffnete Gruppe Hay'at Tahrir al-Sham unterdrückte weiterhin das Recht auf freie Meinungsäußerung, indem sie Journalist*innen, Aktivist*innen und andere Personen, die ihre Herrschaft kritisierten, willkürlich inhaftierte, ohne ihnen Kontakt zu einem Rechtsbeistand oder Familienangehörigen zu ermöglichen.

Lokale Organisationen berichteten Amnesty International, dass Hay'at Tahrir al-Sham die Aktivitäten humanitärer Organisationen einschränkte oder diese dazu zwang, sich mit der bewaffneten Gruppe abzustimmen, was wiederum Geberinstitutionen veranlasste, ihre Finanzhilfe vorübergehend oder dauerhaft einzustellen.

Autonomieverwaltung

Im Januar 2022 schossen Angehörige der SDF in der Provinz Rakka mit scharfer Munition auf Menschen, die gegen die Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage und den Mangel an grundlegenden Versorgungsleistungen protestierten. Dabei wurden mindestens 50 Menschen verletzt.

Am 5. Februar entzog die Autonomieverwaltung dem Medienunternehmen Rudaw Media Network, das seinen Sitz in der Autonomen Region Kurdistan-Irak hat, die Lizenz für den Nordosten Syriens mit der Begründung, es habe Falschinformationen verbreitet und zum Hass angestachelt.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Einige europäische Länder leiteten auf Grundlage des Weltrechtsprinzips strafrechtliche Maßnahmen gegen Personen ein, die im Verdacht standen, in Syrien völkerrechtliche Verbrechen verübt zu haben.

Am 13. Januar 2022 verurteilte das Oberlandesgericht Koblenz einen ehemaligen Angehörigen des Syrischen Allgemeinen Geheimdiensts wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft.

Am 19. Januar 2022 begann in Frankfurt am Main der Prozess gegen einen syrischen Arzt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Anklage wirft ihm vor, in den Jahren 2011 und 2012 in Militärkrankenhäusern in Homs und in der Hauptstadt Damaskus in 18 Fällen Menschen gefoltert und eine Person anschließend getötet zu haben. Die deutsche Polizei hatte den Arzt im Juni 2020 festgenommen.

Am 4. April 2022 entschied das Pariser Berufungsgericht, dass der syrische Staatsangehörige Islam Alloush, ein ehemaliger Anführer einer bewaffneten Oppositionsgruppe im Umland von Damaskus, wegen Folter und anderer Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgt werden könne. Er war 2020 in Paris festgenommen worden.

Wirtschaftliche und soziale Rechte

Die Zahl der Binnenvertriebenen in Syrien stieg 2022 auf 6,9 Millionen Menschen an. Von den rund 4 Millionen Menschen, die im Nordwesten des Landes lebten, der von bewaffneten Oppositionsgruppen kontrolliert wurde, waren 2,8 Millionen Binnenvertriebene. Weil die Regierung grundlegende Versorgungsleistungen für die Menschen in dieser Region weiterhin behinderte oder verweigerte, waren diese vollkommen abhängig von humanitärer Hilfe, die von den Vereinten Nationen koordiniert wurde. Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete im Juli 2022 eine Resolution, mit der das Mandat für humanitäre Hilfslieferungen von der Türkei aus über den Grenzübergang Bab al-Hawa in den Nordwesten Syriens um sechs Monate verlängert wurde. Russland hatte zuvor ein Veto gegen eine Verlängerung um zwölf Monate eingelegt.

Etwa 1,7 Millionen der Binnenvertriebenen im Nordwesten Syriens lebten in Lagern, davon waren 58 Prozent Minderjährige und 22 Prozent Frauen. Die überwiegende Mehrheit war in Zelten untergebracht, die kaum Privatsphäre boten und nicht ausreichend gegen extreme Hitze, Kälte und Regen schützten. Trinkwasser, sanitäre Einrichtungen und medizinische Versorgung waren nur teilweise oder überhaupt nicht vorhanden. Nur 40 Prozent der Lagerbewohner*innen hatten Zugang zu funktionierenden Latrinen.

Der häusliche Bedarf an Wasser zum Trinken, Kochen und für die Körperhygiene war nicht gedeckt, und die Lagerbewohner*innen waren vollständig davon abhängig, dass humanitäre Organisationen die Wassertanks auffüllten.

Mehr als 8.000 vertriebene Syrer*innen lebten weiterhin unter katastrophalen Bedingungen im Lager al-Rukban im "Berm", einem isolierten Wüstengebiet an der syrisch-jordanischen Grenze, weil die syrische Regierung nach wie vor die Lieferung lebenswichtiger Güter wie Nahrungsmittel, Trinkwasser und Medikamente blockierte.

Besetzte Golanhöhen

Die Golanhöhen waren weiterhin von Israel besetzt und rechtswidrig annektiert. Die syrische Menschenrechtsorganisation Al-Marsad mit Sitz auf den Golanhöhen teilte mit, dass die Zahl der jüdisch-israelischen Siedler*innen, die in 35 rechtswidrigen Siedlungen auf den Golanhöhen lebten, im Jahr 2022 auf 29.000 angestiegen sei und damit die Zahl der syrischen Einwohner*innen des Gebiets übertreffe, die bei 28.000 liege. Im Juli genehmigte der Nationale Planungs- und Baurat Israels zwei neue Siedlungen mit jeweils 2.000 Wohnungen. Sie waren Teil eines im Dezember 2021 angekündigten Regierungsplans, der 293 Mio. US-Dollar (etwa 276 Mio. Euro) bereitstellte, um die Zahl der jüdischen Siedler*innen auf den Golanhöhen zu verdoppeln. Gleichzeitig wurden die syrischen Einwohner*innen des Gebiets diskriminiert, was Wohnraum und die Verteilung natürlicher Ressourcen wie Wasser betraf.

Rechte von Flüchtlingen

Seit Beginn des bewaffneten Konflikts im Jahr 2011 bis zum Jahresende 2022 waren 5,6 Millionen Menschen ins Ausland geflohen.

Da sich im Nachbarland Libanon die wirtschaftliche Lage verschlechterte und die dortigen Behörden restriktive Richtlinien erließen, gab es weiterhin Flüchtlinge, die sich für eine Rückkehr nach Syrien entschieden. Einige von ihnen wurden nach ihrer Rückkehr inhaftiert, erlitten Folter und andere Misshandlungen und wurden Opfer des Verschwindenlassens (siehe Länderkapitel Libanon). Die türkischen Behörden nahmen zwischen Februar und Juli Hunderte geflüchtete syrische Männer und Jungen willkürlich fest, inhaftierten sie und schoben sie rechtswidrig ab (siehe Länderkapitel Türkei).

Klimakrise

Die syrische Regierung legte keinen nationalen Klimabeitrag (Nationally Determined Contribution – NDC) fest. Die Regierung hatte sich im Jahr 2018 verpflichtet, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung bis 2030 auf 10 Prozent zu erhöhen, sofern internationale Geber dies finanziell unterstützten, doch gab es keine öffentlich zugänglichen Informationen darüber, ob diesbezüglich Fortschritte erzielt wurden.

 

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