Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Saudi Arabien 2021

Amtliche Bezeichnung

Königreich Saudi-Arabien

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF_IN

Salman bin Abdulaziz al-Saud

Stand:

1|2022

Die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden auch 2021 massiv beschnitten. Das Sonderstrafgericht für terroristische Straftaten verhängte hohe Freiheitsstrafen gegen Personen, die sich für die Menschenrechte eingesetzt und abweichende Meinungen geäußert hatten. Zu denjenigen, die willkürlich inhaftiert, strafrechtlich verfolgt oder verurteilt wurden, gehörten Menschenrechtsverteidiger_innen, Regierungskritiker_innen und andere politische Aktivist_innen. Für Frauenrechtlerinnen, die unter Auflagen aus der Haft entlassen worden waren, galten gerichtlich angeordnete Reiseverbote.

Gerichte verhängten häufig Todesurteile, und Menschen wurden wegen einer Vielzahl von Straftaten hingerichtet. Arbeitsmigrant_innen liefen nach wie vor Gefahr, misshandelt und ausgebeutet zu werden, weil sie dem Sponsorensystem (Kafala) unterlagen, das sie stark von ihren Arbeitgeber_innen abhängig machte. Zehntausende Arbeitsmigrant_innen wurden willkürlich inhaftiert und anschließend abgeschoben. Die Strafvollzugsbehörden verletzten das Recht auf Gesundheit von Menschenrechtsverteidiger_innen und anderen Personen, die nach grob unfairen Gerichtsverfahren inhaftiert worden waren.

Hintergrund

Im Januar 2021 teilte der Außenminister mit, dass der 2017 ausgebrochene Streit, bei dem sich Saudi-Arabien, Bahrain und weitere Staaten gegen Katar verbündet hatten, beigelegt sei und sein Land die diplomatischen Beziehungen zu Katar wieder aufnehmen werde.

Im Juli 2021 verurteilte das Europäische Parlament die fortgesetzte Anwendung der Todesstrafe gegen zur Tatzeit Minderjährige aufs Schärfste und forderte die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Menschenrechtsverteidiger_innen. Am 27. September fand in Brüssel der erste Menschenrechtsdialog zwischen Saudi-Arabien und der Europäischen Union statt. Die EU äußerte ihre Besorgnis bezüglich des Rechts auf Meinungsfreiheit in Saudi-Arabien und brachte mehrere Einzelfälle saudi-arabischer Menschenrechtsverteidiger_innen zur Sprache.

In dem seit Jahren andauernden bewaffneten Konflikt im Jemen war die von Saudi-Arabien angeführte Militärallianz 2021 weiterhin an Kriegsverbrechen und anderen schweren Verstößen gegen das Völkerrecht beteiligt (siehe Länderkapitel Jemen).

Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit

Nachdem die strafrechtliche Verfolgung von Menschenrechtsverteidiger_innen und Andersdenkenden während des G20-Gipfels unter dem Vorsitz Saudi-Arabiens im November 2020 kurz nachgelassen hatte, leiteten die Behörden 2021 wieder Strafverfahren gegen Personen ein, die regierungskritische oder oppositionelle Positionen bezüglich der sozioökonomischen oder politischen Entwicklungen im Land vertraten, insbesondere vor dem Sonderstrafgericht für terroristische Straftaten. Das Gericht verurteilte mehrere Personen wegen ihrer Menschenrechtsarbeit oder kritische Meinungsäußerungen, z. B. auf Twitter, zu hohen Freiheitsstrafen. Außerdem verhängte es gegen Personen, die nach Verbüßung ihrer Strafe freigelassen wurden, restriktive Auflagen wie Reiseverbote oder die Schließung ihrer Social-Media-Accounts.

Im März 2021 erhöhte das Sonderstrafgericht die 14-jährige Gefängnisstrafe, die Mohammad al-Otaibi bereits verbüßte, um weitere drei Jahre. Das Gründungsmitglied der unabhängigen Menschenrechtsorganisation Union for Human Rights war allein wegen seiner Menschenrechtsarbeit und der Gründung dieser Organisation verurteilt worden.

Im April 2021 verurteilte das Sonderstrafgericht Abdulrahman al-Sadhan, der in der Hauptstadt Riad für die Hilfsorganisation Roter Halbmond arbeitete, zu 20 Jahren Haft und einem anschließenden 20-jährigen Reiseverbot. Die gegen ihn vorgelegten Beweise bestanden aus humoristischen und kritischen Twitternachrichten über die Wirtschaftspolitik und Regierungsführung. Man warf ihm deshalb u. a. vor, er habe Inhalte "erstellt, gespeichert und versendet, die die öffentliche Ordnung und die religiösen Werte beeinträchtigen könnten" sowie "Einrichtungen und Bedienstete des Staats beleidigt und falsche Gerüchte über sie verbreitet".

Menschenrechtsverteidiger_innen

Menschenrechtsverteidiger_innen wurden weiterhin willkürlich inhaftiert, nach grob unfairen Verfahren verurteilt oder durften sich nach ihrer bedingten Freilassung nicht öffentlich äußern.

Im Februar 2021 wurde die bekannte Menschenrechtsverteidigerin Loujain al-Hathloul nach Verbüßung ihrer Haftstrafe unter Auflagen freigelassen. Im Juni kamen die Menschenrechtsverteidigerinnen Nassima al-Sada und Samar Badawi ebenfalls unter Auflagen frei. Den drei Frauen war es u. a. gerichtlich untersagt, zu reisen, sich öffentlich zu äußern, ihre Menschenrechtsarbeit wieder aufzunehmen und Soziale Medien zu nutzen, was gegen ihre Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sowie auf Freizügigkeit verstieß.

Von Januar bis Juli 2021 verurteilte das Sonderstrafgericht fünf Menschenrechtsverteidiger_innen nach unfairen Prozessen zu Haftstrafen zwischen sechs und 20 Jahren. Einige von ihnen waren erst kurz zuvor freigekommen, nachdem sie längere Haftstrafen aus früheren Verfahren mit ähnlichen Anklagen verbüßt hatten, die sich ebenfalls lediglich auf die friedliche Ausübung ihrer Menschenrechte bezogen hatten. So verurteilte das Sonderstrafgericht im April 2021 den Schriftsteller und Menschenrechtsverteidiger Mohammad al-Rabiah, der sich entschieden für Frauenrechte eingesetzt hatte, zu sechs Jahren Gefängnis und einem anschließenden sechsjährigen Reiseverbot, obwohl er bereits fast drei Jahre im Gefängnis verbüßt hatte, nachdem man ihn im Mai 2018 im Zuge des harten Vorgehens gegen Frauenrechtler_innen festgenommen hatte.

Todesstrafe

Im Januar 2021 kündigten die Behörden größere Reformen bezüglich der Todesstrafe an, u. a. ein Moratorium für Hinrichtungen wegen Drogendelikten, unternahmen aber keine konkreten Schritte, um das Drogen- und Betäubungsmittelgesetz zu ändern, und machten keine näheren Angaben zum Status des Moratoriums, das offenbar bereits seit 2020 besteht.

Im Februar 2021 gab es positive Entwicklungen bezüglich der Fälle von Ali al-Nimr, Abdullah al-Zaher und Dawood al-Marhoun, die 2012 als Minderjährige festgenommen worden waren und denen die Hinrichtung gedroht hatte. Das Sonderstrafgericht wandelte ihre Todesurteile in zehnjährige Haftstrafen um, unter Anrechnung ihrer bereits verbüßten Haftzeit. Die Entscheidung erfolgte, nachdem die Staatsanwaltschaft im August 2020 angeordnet hatte, die Todesurteile gegen die drei jungen Männer zu überprüfen. Ali al-Nimr und Abdullah al-Zaher wurden im Oktober bzw. November nach dem Ende ihrer zehnjährigen Haftstrafen freigelassen.

Die Justiz verhängte erneut Todesurteile gegen Menschen, die Straftaten begangen hatten, für die das islamische Recht (Scharia) keine bestimmte Strafe, d. h. auch nicht die Todesstrafe, vorsieht (sog. Tazir-Straftaten). Am 15. Juni richteten die Behörden Mustafa al-Darwish hin, einen jungen Mann, der zur schiitischen Minderheit gehörte und wegen seiner mutmaßlichen Teilnahme an gewaltsamen Protesten gegen die Regierung für schuldig befunden worden war.

Rechte von Migrant_innen

Das Arbeitsministerium führte im März 2021 begrenzte Reformen des Kafala-Systems ein, die es einigen Arbeitsmigrant_innen unter bestimmten Bedingungen erleichterten, ihren Arbeitsplatz auch ohne Erlaubnis ihrer Arbeitgeber_innen zu wechseln. Die Erleichterungen setzten voraus, dass die Arbeitsmigrant_innen in drei aufeinanderfolgenden Monaten keinen Lohn erhalten hatten, ihre Arbeitserlaubnis ablief oder ihre Arbeitgeber_innen im Fall eines Arbeitskonflikts zweimal nicht zu Schlichtungsterminen erschienen waren.

Die Reformen sahen zudem vor, dass Arbeitsmigrant_innen auch ohne Zustimmung ihrer Arbeitgeber_innen eine Ausreiseerlaubnis beantragen durften. Nicht abgeschafft wurde das Prinzip, dass eine Ausreiseerlaubnis erforderlich war. Unter diesen Bedingungen waren Arbeitsmigrant_innen weiterhin eng an ihre Arbeitgeber_innen gebunden, die ihre Rechte und ihre Freizügigkeit weitgehend kontrollierten. Für Migrant_innen, die als Hausangestellte arbeiteten, galten die Schutzvorschriften des saudi-arabischen Arbeitsrechts nach wie vor nicht.

Das gesamte Jahr über nahmen die Behörden massenhaft und willkürlich Arbeitsmigrant_innen fest, denen sie vorwarfen, gegen Gesetze und Bestimmungen verstoßen zu haben, die das Aufenthaltsrecht, das Arbeitsrecht oder den Grenzschutz betrafen. Nach Angaben des Innenministeriums inhaftierten die Behörden allein im November und Dezember 2021 mindestens 117.000 Personen wegen entsprechender Verstöße und mehr als 2.400 Personen, überwiegend aus Äthiopien und dem Jemen, weil sie ohne gültiges Visum eingereist waren. Etwa 73.000 Menschen wurden in der Folge in ihr Herkunftsland abgeschoben.

Im April 2021 machte Amnesty International öffentlich, dass mindestens 41 Arbeitsmigrantinnen aus Sri Lanka, die als Hausangestellte tätig waren, teilweise bereits seit 18 Monaten im Abschiebegefängnis Exit 18 in Riad inhaftiert waren, um auf ihre Rückführung zu warten. Bei vielen der Frauen war die Inhaftierung eine Konsequenz des Kafala-Systems, das ihren Aufenthaltsstatus bestimmte. Gründe für die Haft waren z. B., dass ihre Arbeitserlaubnis abgelaufen war, dass ihre Arbeitgeber_innen keine Ausreiseerlaubnis erteilt oder beantragt hatten oder dass die Frauen versucht hatten, vor Misshandlungen durch ihre Arbeitgeber_innen zu fliehen und ohne Ausreiseerlaubnis nach Sri Lanka zurückzukehren. Nachdem die Fälle in Saudi-Arabien und im Ausland Aufsehen erregt hatten, wurden alle Frauen bis Mai in ihr Heimatland zurückgeführt.

Im Juli 2021 meldete ein staatsnahes Medium, die vom Ministerium für Humanressourcen betriebene Plattform Qiwa habe eine Höchstquote für die Beschäftigung indischer, bangladeschischer, jemenitischer und äthiopischer Staatsangehöriger festgelegt. Den Angaben zufolge sollte dies nur für Neueinstellungen und für Arbeitsmigrant_innen gelten, die ihre Arbeitsgenehmigung auf eine neue Firma übertragen wollten. Die Nachrichtenagentur Reuters und die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichteten jedoch, dass die saudi-arabischen Behörden auch zahlreiche Verträge jemenitischer Staatsangehöriger, die bereits bei Firmen im Land beschäftigt waren, faktisch gekündigt oder nicht mehr verlängert hätten.

Rechte von Frauen und Mädchen

Am 8. Februar 2021 kündigte Kronprinz Mohammed bin Salman über die staatliche Presseagentur bedeutende Gesetzesreformen an, darunter auch ein neues Personenstandsgesetz. Die Behörden machten jedoch keine näheren Angaben zu dieser Reform, und es blieb unklar, wann das neue Gesetz in Kraft treten würde. Frauen wurden weiterhin massiv diskriminiert, vor allem was Heirat, Scheidung, Erbschaftsangelegenheiten und das Sorgerecht für ihre Kinder betraf.

Im Mai berichtete ein staatsnahes Medium, der Schura-Rat berate erneut darüber, das Gesetz über die Staatsangehörigkeit dahingehend zu ändern, dass Kinder saudi-arabischer Frauen, die mit ausländischen Staatsangehörigen verheiratet sind, ohne Gebühren und langwierige Verfahren eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung erhalten könnten.

Recht auf Gesundheit

Bis September 2021 wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums mindestens 42 Mio. Impfstoffdosen gegen das Coronavirus verabreicht. Laut der Nachrichtenagentur Reuters lag die Impfquote der Bevölkerung demnach bei etwa 61 Prozent, unter der Annahme, dass jede geimpfte Person zwei Dosen erhalten hatte.

Ein staatsnahes Medium berichtete, dass bis April etwa 68 Prozent der Häftlinge in den staatlichen Sicherheitsgefängnissen geimpft worden seien und die Impfung der übrigen Häftlinge, die ihre Zustimmung erteilt hätten, fortgesetzt werde. Die Gefängnisbehörden verlegten Inhaftierte nach einem positiven Coronatest in Einzelzellen und untersagten ihnen während der Isolation auch den Kontakt zu ihren Familien. Der inhaftierte Menschenrechtsverteidiger Mohammad al-Qahtani, ein Gründungsmitglied der inzwischen aufgelösten Menschenrechtsorganisation Saudi Civil and Political Rights Association (ACPRA), hatte nach einem positiven Test im April 14 Tage lang keinen Kontakt zur Außenwelt und durfte nicht mit seiner Familie sprechen.

Personen, die dringend medizinische Hilfe benötigten, blieben weiterhin inhaftiert, ohne eine angemessene medizinische Versorgung oder Behandlung zu erhalten.

Die Gefängnisbehörden verweigerten dem palästinensischen Politiker, Schriftsteller und Chirurgen Mohammad al-Khudari eine angemessene medizinische Behandlung, obwohl sich sein Gesundheitszustand in der Haft rapide verschlechterte. Der 83-Jährige litt u. a. unter Prostatakrebs, Inkontinenz, Bandscheibenvorfällen und Osteoporose und war insgesamt sehr gebrechlich. Das Sonderstrafgericht verurteilte ihn am 8. August in einem Massenprozess zu 15 Jahren Gefängnis, wobei ihm die Hälfte der Haftzeit aufgrund seines Alters erlassen wurde. Das Urteil wurde nach einer Berufungsverhandlung am 28. Dezember 2021 auf sechs Jahre Gefängnis reduziert (davon wurden ihm drei Jahre erlassen). Der Prozess gegen insgesamt 68 Personen, zu denen auch sein Sohn Hani al-Khudari zählte, war von schweren Verstößen gegen die internationalen Standards für faire Verfahren gekennzeichnet.

Der Religionsgelehrte Salman al-Awda befand sich noch immer in Einzelhaft, die seit seiner Festnahme im September 2017 andauerte. Nach Angaben seines Sohns hatte sich sein Gesundheitszustand in der Haft verschlechtert und sein Seh- und Hörvermögen war beeinträchtigt. Salman al-Awda, dem Straftaten zur Last gelegt wurden, die mit der Todesstrafe geahndet werden, musste seit Beginn seines Prozesses im August 2018 zu mehr als zehn Verhandlungsterminen erscheinen, allein im Jahr 2021 waren es drei, die alle ohne Angabe von Gründen um Monate verschoben wurden, was für ihn und seine Angehörigen eine enorme psychische Belastung darstellte.

Tod in Gewahrsam

Im Oktober 2021 wurde der Geistliche Musa al-Qarni in seiner Zelle im Dhahban-Gefängnis in der Nähe von Dschidda von einem anderen Häftling angegriffen und getötet. Quellen zufolge waren sein Gesicht, sein Schädel und seine Rippen zertrümmert bzw. gebrochen, und er hatte Gehirnblutungen erlitten. Die Behörden leiteten keine Ermittlungen zu seinem Tod ein.

Recht auf Privatsphäre

Im Juli 2021 enthüllten Nachforschungen im Rahmen des Pegasus-Projekts, einer internationalen Initiative für investigativen Journalismus, dass die Überwachungssoftware Pegasus des israelischen Unternehmens NSO Group weltweit eingesetzt wurde, um Andersdenkende zu überwachen. Die Untersuchung von 50.000 durchgesickerten Telefonnummern potenzieller Überwachungsziele ergab, dass sich darunter auch saudi-arabische Journalist_innen, Menschenrechtler_innen und Angehörige von Regierungskritiker_innen befanden.

Von Amnesty International vorgelegte kriminaltechnische Beweise bestätigten, dass Familienangehörige des saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi vor und nach dessen Ermordung am 2. Oktober 2018 in der Türkei von saudi-arabischen Diensten mit der Pegasus-Software überwacht wurden, obwohl die NSO Group dies wiederholt bestritten hatte. Die Spionagesoftware Pegasus wurde auf dem Mobiltelefon von Jamal Khashoggis Verlobter Hatice Cengiz vier Tage nach seiner Ermordung installiert. Zwischen September 2017 und April 2018 war seine damalige Frau Hanan Elatr wiederholt mithilfe der Spionagesoftware ausgespäht worden, auch sein Sohn Abdullah wurde als potenzielles Ziel ausgewählt.

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