Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Philippinen 2021

Amtliche Bezeichnung

Republik der Philippinen

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF_IN

Rodrigo Roa Duterte

Stand:

1|2022

Mangelnde Rechenschaftspflicht begünstigte weiterhin rechtswidrige Tötungen und andere Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des von der Regierung proklamierten "Anti-Drogenkriegs". Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) kündigte eine Untersuchung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit an. Menschenrechtsverteidiger_innen, politische Aktivist_innen und Politiker_innen wurden schikaniert, willkürlich inhaftiert und rechtswidrig getötet. Indigene Bevölkerungsgruppen waren Angriffen durch die Behörden und unbekannte Personen ausgesetzt. Mit dem Anstieg der Covid-19-Fälle verschlechterte sich der bereits zuvor unzureichende Zugang zur medizinischen Versorgung noch weiter. Maria Ressa, eine Journalistin und Kritikerin des "Anti-Drogenkriegs", wurde mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, musste aber weiterhin mit einer jahrzehntelangen Haftstrafe wegen anhängiger Verfahren rechnen, die u. a. von der philippinischen Regierung gegen sie angestrengt worden waren.

Hintergrund

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie, von der vor allem in Armut lebende Menschen betroffen waren, blieben 2021 bestehen. Es wurde mit den Vorbereitungen für die Präsidentschaftswahlen im Mai 2022 begonnen.

Außergerichtliche Hinrichtungen und Straflosigkeit

Im Rahmen des "Anti-Drogenkriegs" der Regierung kam es auch weiterhin zu außergerichtlichen Hinrichtungen und anderen Menschenrechtsverletzungen. Präsident Duterte stachelte weiterhin zur Gewalt gegen Menschen an, die des Drogenkonsums oder -handels verdächtigt wurden. In seiner Rede zur Lage der Nation im Juli 2021 forderte er den Kongress außerdem auf, Angehörigen der Sicherheitskräfte, die rechtswidriger Tötungen beschuldigt werden, per Gesetz kostenlosen Rechtsbeistand zuzusichern.

Im Oktober 2021 veröffentlichte das Justizministerium Teilergebnisse einer Überprüfung von nur 52 der insgesamt mehreren Tausend Tötungen durch die Polizei bei Einsätzen zur Drogenbekämpfung. Obwohl die Überprüfung völlig unzureichend war und internationalen Standards nicht gerecht wurde, widersprachen die begrenzten Ergebnisse den Behauptungen der Polizei, dass tödliche Gewalt gerechtfertigt gewesen sei, und bestätigten die von lokalen und internationalen Menschenrechtsgruppen dokumentierten Verstöße.

Im September 2021 genehmigte die Vorverfahrenskammer des IStGH eine Untersuchung völkerrechtlicher Straftaten, die landesweit zwischen 2016 und 2019 begangen worden sein sollen. Hierzu zählten auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Morde im Zusammenhang mit dem "Anti-Drogenkrieg". Ebenfalls untersucht werden sollten einige zwischen 2011 und 2016 begangene Tötungen in der Region Davao. Die philippinische Regierung lehnte eine Zusammenarbeit im Rahmen der Untersuchung ab. Im November 2021 gab der IStGH bekannt, dass er die Untersuchung auf Anfrage der philippinischen Regierung vorübergehend ausgesetzt habe.

UN-Expert_innen und Menschenrechtsgruppen forderten den UN-Menschenrechtsrat 2021 erneut auf, eine internationale Untersuchung von Tötungen und anderen Menschenrechtsverletzungen auf den Philippinen einzuleiten. Zwar war im Rahmen einer Resolution des Menschenrechtsrats aus dem Jahr 2020 ein UN-Programm zur Unterstützung der philippinischen Regierung durch Gewährung technischer Hilfe und den Ausbau von Kapazitäten eingerichtet worden, doch sie befürchteten, dass dieses das Ziel verfehlen könnte, die Gerechtigkeit und den Schutz der Menschenrechte auf den Philippinen voranzubringen.

Unterdrückung Andersdenkender

Das sogenannte "Red-Tagging", bei dem die Behörden Organisationen und einzelne Personen mit kommunistischen Gruppen in Verbindung bringen und als "rot" brandmarken, führte zur Drangsalierung und Tötung von Menschenrechtsverteidiger_innen, politischen Aktivist_innen und anderen Personen. Am 7. März 2021 töteten Sicherheitskräfte bei parallel stattfindenden Razzien gegen Gruppen, die sich auf der "roten Liste" befanden, in Southern Tagalog neun Personen und nahmen sechs weitere fest. Unter den Festgenommenen und Getöteten befanden sich auch Umweltaktivist_innen und Sprecher_innen in Armut lebender Stadtbewohner_innen. Behauptungen seitens der Sicherheitskräfte, dass während der Razzien Schusswaffen und Sprengstoff beschlagnahmt worden seien und sich die Getöteten der Festnahme widersetzt hätten, wurden von den beteiligten Gruppen dementiert. In einer Ansprache zwei Tage vor den Razzien hatte Präsident Duterte erklärt, dass er die Polizei und das Militär angewiesen habe, kommunistische Rebell_innen zu "töten". Im Dezember empfahl das Justizministerium im Zusammenhang mit der Tötung des Gewerkschaftsführers Emmanuel Asuncion während der Razzien, gegen 17 Angehörige der Strafverfolgungsbehörden Mordanklage zu erheben.

Es gab weiterhin Widerstand gegen das Antiterrorgesetz, das der Regierung umfassende Befugnisse zur Inhaftierung vermeintlicher Staatsfeind_innen einräumte. Im Dezember 2021 hob der Oberste Gerichtshof nach Petitionen, in denen die Verfassungsmäßigkeit des Antiterrorgesetzes angezweifelt wurde, zwei Teile des Gesetzes auf. Dazu gehörten auch Teile von Paragraf 4, dessen vage und weit gefasste Definition von Terrorakten vom Gerichtshof als "zu weit gefasst und gegen die Meinungsfreiheit verstoßend" erachtet wurde. Das Gesetz war jedoch weiter mangelhaft und konnte missbräuchlich angewendet werden. Im Juli wies ein Gericht in der Stadt Olongapo in Central Luzon die Anklage gegen zwei Angehörige der indigenen Aeta-Gemeinschaft mit der Begründung ab, dass eine Verwechslung vorliege. Der Fall war vermutlich der erste, der seit Inkrafttreten des Antiterrorgesetzes im Juli 2020 auf dessen Grundlage verhandelt wurde.

Senatorin Leila de Lima, eine gewaltlose politische Gefangene und eine der ersten Oppositionspolitiker_innen, die von der Regierung Duterte ins Visier genommen wurde, verbrachte ihr fünftes Jahr in Haft. Im Februar 2021 wies ein Gericht eine der drei politisch motivierten Anklagen gegen sie ab – dabei handelte es sich um "Verschwörung zum illegalen Drogenhandel".

Rechte indigener Gemeinschaften

Indigene Gemeinschaften und Aktivist_innen, die sich für deren Rechte einsetzten, waren auch weiterhin Angriffen ausgesetzt. Im Januar 2021 gab der Polizeichef des Bezirks Cordillera den Befehl, Windel Bolinget, einen prominenten Verfechter der Rechte indigener Bevölkerungsgruppen, zu "erschießen", sollte er sich einem Haftbefehl widersetzen. Eine politisch motivierte Mordanklage gegen Windel Bolinget wurde im Juli abgewiesen.

Am 28. Februar 2021 erschossen unbekannte Angreifer Julie Catamin, Vorsteherin des Dorfes Roosevelt in der Gemeinde Tapaz (Provinz Capiz). Sie fungierte als Zeugin im Zusammenhang mit einer Polizeirazzia im Dezember 2020, bei der einige Sprecher_innen der indigenen Gemeinschaft der Tumandok festgenommen und weitere getötet worden waren. Am 3. März 2021 wurde Angelo Karlo Guillen, Rechtsbeistand der Tumandok-Sprecher_innen, in der Stadt Iloilo von Maskierten mit Messern angegriffen und schwer verletzt.

Im Februar 2021 durchsuchten Sicherheitskräfte eine Schule in der Stadt Cebu, in der Schüler_innen aus indigenen Gemeinschaften lebten, die durch den bewaffneten Konflikt vertrieben worden waren. Sieben Personen, darunter Schüler_innen, Lehrer_innen und ein Gemeindeältester, wurden ohne Haftbefehl festgenommen und wegen Entführung und Menschenhandel angeklagt. Sie blieben drei Monate in Haft, bis die Klagen abgewiesen wurden.

Willkürliche Inhaftierung und unfaire Gerichtsverfahren

Im März 2021 verabschiedete das Repräsentantenhaus einen Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über gefährliche Drogen von 2002. Der Gesetzentwurf enthielt Bestimmungen, die willkürlichen Festnahmen Vorschub leisten könnten und gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstoßen würden, zu dem auch die Unschuldsvermutung für Personen gehört, die des Drogenkonsums oder -verkaufs beschuldigt werden. Der Gesetzentwurf lag zum Jahresende noch dem Senat vor.

Recht auf Gesundheit

Im April 2021 wurde ein drastischer Anstieg der Coronazahlen und der Covid-19-Todesfälle verzeichnet, was zu Kritik am Umgang der Regierung mit der Pandemie führte. Das ohnehin unzureichende Gesundheitssystem verfügte nicht über genügend Krankenhausbetten und medizinisches Personal, um Covid-19-Patient_innen zu behandeln. Die Regierung startete im März 2021 ein Impfprogramm, doch gaben dessen schleppende Umsetzung, die geografisch ungleiche Verteilung des Impfstoffs und die Diskriminierung beim Zugang zur Impfung Anlass zur Sorge.

Im August 2021 deckte ein Bericht der unabhängigen Rechnungsprüfungskommission Mängel im Umgang des Gesundheitsministeriums mit den für die Coronamaßnahmen bereitgestellten Mitteln auf, zu denen auch Unregelmäßigkeiten bei der Überweisung von Geldern zwischen Regierungsstellen gehörten. Die Ergebnisse führten zu einer Untersuchung durch einen Senatsausschuss. Dieser empfahl, Anklage wegen Meineids gegen leitende Angestellte von Pharmally Pharmaceutical Corporation – des Unternehmens, das den Zuschlag für Verträge zur Beschaffung von persönlicher Schutzausrüstung erhalten hatte – und mehrere ehemalige Regierungsangestellte zu erheben.

Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit

Neben dem russischen Journalisten Dmitri Muratow wurde 2021 die Journalistin Maria Ressa für ihren Einsatz für die Pressefreiheit auf den Philippinen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Im Juni und August wurden zwei gegen sie erhobene Anklagen wegen Verleumdung im Internet abgewiesen. Allerdings waren noch weitere Anklagen gegen sie anhängig, für die ihr im Falle einer Verurteilung bis zu 60 Jahre Gefängnis drohten.

Im April 2021 setzten die Behörden Personen und Gruppen auf die "rote Liste", die an dem Betrieb sogenannter Gemeinschaftsküchen beteiligt waren, in denen Essen an Menschen verteilt wurde, die aufgrund des Verlustes ihres Arbeitsplatzes infolge der Pandemie in Not geraten waren.

Rechte von Arbeitnehmer_innen

Im August 2021 dokumentierte ein Bericht die Verletzung von Arbeitsrechten im Nickelbergbau auf der Insel Dinagat. Zu den Verstößen gehörten die Beschäftigung ohne Vertrag, verspätete Lohnzahlungen und die Nichtzahlung von Pflichtleistungen.

Todesstrafe

Am 2. März 2021 verabschiedete das Repräsentantenhaus den Gesetzentwurf 7814 zur Änderung des Gesetzes über gefährliche Drogen von 2002, der eine Wiedereinführung der Todesstrafe für Drogendelikte vorsah. Der Gesetzentwurf lag zum Jahresende noch dem Senat vor. Mehrere andere Gesetzesvorschläge zur Wiedereinführung der Todesstrafe waren ebenfalls noch im Repräsentantenhaus und im Senat anhängig.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Am 18. September 2021 wurden acht LGBTI+ bei einer Sprengstoffexplosion während eines Volleyballturniers in der Provinz Maguindanao verletzt. Das Parlament der Region Bangsamoro verurteilte den Vorfall als Hassverbrechen und forderte die Behörden auf, Ermittlungen einzuleiten.

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