Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Syrien 2021

Amtliche Bezeichnung

Arabische Republik Syrien

STAATSOBERHAUPT

Bashar al-Assad

STAATS- UND REGIERUNGSCHEF_IN

Hussein Arnous

Stand:

1|2022

Berichtszeitraum: 1. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021

Die am bewaffneten Konflikt in Syrien beteiligten Parteien begingen 2021 weiterhin schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, darunter Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwere Menschenrechtsverstöße, die nicht geahndet wurden. Syrische Regierungstruppen verübten in der Provinz Idlib und im westlichen Umland von Aleppo gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung und zivile Einrichtungen wie Krankenhäuser und Erdgasanlagen sowie wahllose Angriffe durch Bombardierungen aus der Luft und Artilleriebeschuss. Außerdem belagerten sie Zivilpersonen im Süden des Landes und beschränkten oder verweigerten der Zivilbevölkerung in ganz Syrien den Zugang zu humanitärer Hilfe.

Flüchtlinge, die in ihre Heimat zurückkehrten, wurden von den Sicherheitskräften willkürlich inhaftiert, erlitten Folter und andere Misshandlungen oder wurden Opfer des Verschwindenlassens. Die Regierungsbehörden hielten weiterhin Zehntausende Menschen in willkürlicher Haft, darunter friedliche Aktivist_innen, Mitarbeiter_innen humanitärer Hilfsorganisationen, Rechtsanwält_innen und Journalist_innen. Viele von ihnen wurden Opfer des Verschwindenlassens. Die selbst ernannte und von der Türkei unterstützte Syrische Nationalarmee (SNA) traktierte die Zivilbevölkerung in den Städten Afrin und Ras al-Ain im Norden des Landes weiterhin mit willkürlichen Festnahmen, Folter und anderen Misshandlungen sowie Entführungen.

Im Nordosten hielt die Autonomieverwaltung unter Leitung der Partei der Demokratischen Union (PYD) willkürlich Minderjährige im Lager Al-Hol fest und verlegte sie in Gefängnisse, wo sie gemeinsam mit Erwachsenen inhaftiert waren. Im Nordwesten nahm die bewaffnete oppositionelle Gruppe Hay’at Tahrir al-Sham willkürlich Aktivist_innen und Journalist_innen fest und schikanierte sie. Die Regierung ergriff keine wirksamen Maßnahmen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, und verweigerte Tausenden Menschen im Süden und Nordosten des Landes den Zugang zu medizinischer Versorgung. Zehntausende Binnenvertriebene liefen aufgrund ihrer katastrophalen Lebensbedingungen Gefahr, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Die Todesstrafe blieb in Kraft, und es gab Berichte über Hinrichtungen. Einige europäische Länder gingen auf Grundlage des Weltrechtsprinzips strafrechtlich gegen Personen vor, die im Verdacht standen, in Syrien völkerrechtliche Verbrechen verübt zu haben.

Hintergrund

Am 12. April 2021 meldete die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), es gebe "glaubwürdige Anzeichen" dafür, dass die syrische Regierung 2018 einen Chlorgasangriff auf die Stadt Saraqib in der Provinz Idlib verübt habe. Als Konsequenz setzte die OPCW "bestimmte Rechte und Privilegien" der syrischen Mitgliedschaft aus.

Bei der Präsidentschaftswahl am 26. Mai 2021 wurde Bashar al-Assad für eine vierte Amtszeit gewählt. Wählen durften nur Personen, die in den von der Regierung kontrollierten Gebieten lebten, sowie Angehörige der syrischen Diaspora in einigen Ländern.

Im Juni 2021 eskalierten die Kämpfe zwischen den von Russland unterstützten Regierungstruppen und der bewaffneten Gruppe Hay’at Tahrir al-Sham in der Provinz Idlib und im Umland von Aleppo, als die Regierungstruppen versuchten, die vollständige Kontrolle über die Schnellstraßen M4 und M5 wiederzuerlangen. Im Juli begann die Regierung eine Militäroffensive gegen bewaffnete oppositionelle Gruppen in der Stadt Daraa al-Balad, die Mitte September mit einem Waffenstillstandsabkommen endete.

Im Juli und August 2021 zündeten unbekannte bewaffnete Gruppen in den Städten Afrin und Ras al-Ain, die von protürkischen bewaffneten Gruppen kontrolliert wurden, unkonventionelle Sprengsätze. Dabei wurden zahlreiche Zivilpersonen getötet oder verletzt, und es entstand Sachschaden an zivilen Einrichtungen. Im August beschossen unbekannte bewaffnete Gruppen die Stadt al-Bab nördlich von Aleppo, die unter der Kontrolle bewaffneter protürkischer Gruppen stand, mit Granaten. Bei dem Angriff wurden Zivilpersonen getötet oder verletzt und Wohnhäuser zerstört.

Israel setzte seine Luftangriffe auf syrische Regierungstruppen sowie auf iranische Kräfte und Stellungen der Hisbollah in Syrien fort.

Die Armut und Nahrungsmittelknappheit im Land wurden durch Faktoren wie Korruption, den Verfall der Währung und Coronamaßnahmen noch verschärft.

Rechtswidrige Angriffe

Nach Angaben der Vereinten Nationen verstärkte die syrische Regierung mit Unterstützung Russlands Anfang 2021 die Luft- und Bodenangriffe auf Gebiete im Nordwesten Syriens, die von der bewaffneten Gruppe Hay’at Tahrir al-Sham kontrolliert wurden. Betroffen waren u. a. die Provinz Idlib und das Umland von Aleppo. Die Angriffe richteten sich gegen Zivilpersonen und zivile Einrichtungen, darunter auch Krankenhäuser, die auf einer speziellen Liste der UN stehen, weil sie "konfliktentschärfend" sind und geschützt werden sollen. Bei den Angriffen, die auch Wohnhäusern und Märkten galten, wurden mehrere Zivilpersonen getötet oder verletzt.

Nach Angaben der vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzten Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission für Syrien (Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic) griffen syrische Regierungstruppen am frühen Morgen des 21. März ein Krankenhaus in der westlich von Aleppo gelegenen Stadt Atareb mit Lenkflugkörpern und Artilleriegeschossen an. Dabei wurden mindestens acht Patient_innen getötet und 13 weitere verletzt, darunter fünf medizinische Fachkräfte. Dem Bericht zufolge verübten die Regierungstruppen einige Stunden später auch Luftangriffe auf eine Erdgasanlage und zerstörten 18 LKW-Anhänger, die in der Nähe des syrisch-türkischen Grenzübergangs Bab al-Hawa abgestellt waren. Infolge des Angriffs mussten die im Grenzgebiet tätigen humanitären Organisationen ihre Arbeit vorübergehend einstellen.

Verweigerung des Zugangs für Hilfsorganisationen

Die Regierungstruppen gingen 2021 weiterhin mit Belagerungen gegen die Zivilbevölkerung vor, blockierten deren Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser und anderen grundlegenden Versorgungsleistungen und behinderten Hilfslieferungen der humanitären Organisationen der Vereinten Nationen im Süden und Norden des Landes.

Vom 24. Juni bis Mitte September 2021 waren Tausende Zivilpersonen in der Stadt Daraa al-Balad eingeschlossen. Mit der Belagerung wollte die Regierung bewaffnete oppositionelle Kräfte unter Druck setzen, sich zu ergeben und abzuziehen. Während der gesamten Zeit hinderten die Regierungstruppen humanitäre Organisationen daran, Lebensmittel, medizinische Hilfsgüter und andere lebensrettende Ausrüstung in die Stadt zu bringen. Ein Einwohner berichtete, die einzige Bäckerei in der Nachbarschaft habe ihren Betrieb eingestellt, nachdem ihr das Mehl ausgegangen sei, und es habe mehr als 60 Tage lang keine Lebensmittel, keinen Strom und nicht genügend Wasser gegeben.

Die Regierung blockierte weiterhin UN-Hilfslieferungen für Zehntausende Flüchtlinge, die unter katastrophalen Bedingungen in einem Lager in der Nähe von Rukban im Berm festsaßen, einem isolierten Wüstengebiet an der syrisch-jordanischen Grenze. Die Menschen hatten nach wie vor keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, keine sanitären Einrichtungen und kein sauberes Wasser. Die Regierung verweigerte den UN-Organisationen den Zugang zu den Städten Manbidsch und Kobane im Nordosten des Landes. Dies bedeutete, dass deren Bewohner_innen sich vornehmlich auf die Unterstützung durch internationale humanitäre Organisationen und die Autonomieverwaltung verlassen mussten, die jedoch nicht in der Lage waren, den Anforderungen gerecht zu werden.

Am 9. Juli 2021 verlängerte der UN-Sicherheitsrat eine Resolution, die es den Vereinten Nationen erlaubte, humanitäre Hilfslieferungen von der Türkei über den Grenzübergang Bab al-Hawa in den Nordwesten Syriens zu bringen, unter Auflagen um weitere sechs Monate.

Die humanitäre Krise im Nordosten Syriens verschärfte sich, nachdem der Grenzübergang al-Yarubiyah im Jahr 2020 geschlossen worden war und keine UN-Hilfslieferungen aus dem Irak mehr möglich waren. Aufgrund der bürokratischen Hürden und Zugangsbeschränkungen der Regierung konnten UN-Organisationen und ihre lokalen Partner nicht genügend humanitäre Hilfe liefern, dies galt insbesondere für medizinische Hilfsgüter.

Willkürliche Inhaftierungen und Verschwindenlassen

Syrische Regierung

Zehntausende Menschen waren 2021 weiterhin Opfer des Verschwindenlassens, darunter Journalist_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen, Rechtsanwält_innen und politische Aktivist_innen. Viele von ihnen waren bereits seit zehn Jahren verschwunden.

Von Januar bis April 2021 nahmen Regierungskräfte 400 Personen willkürlich fest, darunter Richter_innen, Rechtsanwält_innen, Journalist_innen und Angestellte des öffentlichen Diensts, weil sie im Internet den Umgang der Regierung mit der Wirtschaftskrise kritisiert hatten. Am 11. Mai, zwei Wochen vor den Präsidentschaftswahlen, ließ die Regierung die Inhaftierten überraschend wieder frei.

Flüchtlinge, die zwischen Mitte 2017 und April 2021 nach Syrien zurückgekehrt waren, wurden von Regierungskräften willkürlich inhaftiert, darunter auch Minderjährige. In der Haft wurden sie Opfer von Folter und anderweitigen Misshandlungen wie Vergewaltigungen und anderen sexualisierten Gewalttaten sowie des Verschwindenlassens. Außerdem wurden sie Verhören unterzogen, weil man annahm, dass sie der Regierung kritisch gegenüberstanden. Fünf Flüchtlinge, die dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen waren, starben in der Haft.

Syrische Nationalarmee

Die von der Türkei unterstützte Syrische Nationalarmee (SNA), eine Koalition bewaffneter Gruppen, verübte in Afrin und Ras al-Ain erneut Menschenrechtsverstöße an der Zivilbevölkerung wie willkürliche Inhaftierungen, Entführungen sowie Folter und andere Misshandlungen. Betroffen waren vor allem syrische Kurd_innen.

Nach Angaben der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission für Syrien folterte die SNA Inhaftierte bei Verhören, um "Geständnisse" zu erpressen, und hielt sie in inoffiziellen Haftanstalten ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand oder ihren Familien fest.

Autonomieverwaltung unter Leitung der PYD

Die Autonomieverwaltung im Nordosten Syriens hielt weiterhin Zehntausende Menschen unter erbärmlichen Bedingungen im Lager Al-Hol fest, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Sie wurden der Zugehörigkeit zur bewaffneten Gruppe Islamischer Staat verdächtigt und hatten keinen Zugang zu einem ordnungsgemäßen Verfahren. Die Frauen und Kinder, die in einem abgetrennten Teil des Lagers ("Anbau") speziell für ausländische Staatsangehörige lebten, durften sich nicht frei bewegen. Ihr Zugang zur medizinischen Versorgung im Lager wurde durch zahlreiche Kontrollpunkte und Sicherheitsüberprüfungen durch die Polizeikräfte der Autonomieverwaltung (Asayish) zusätzlich erschwert.

Die Asayish hielten in dem Anbau auch willkürlich Jungen ab zwölf Jahren getrennt von ihren Müttern und Bezugspersonen in Haft, allein aufgrund des Verdachts einer möglichen künftigen "Radikalisierung" und ohne jeglichen Nachweis eines Fehlverhaltens. Die Jungen wurden in Haftzentren außerhalb des Lagers gebracht, die die Behörden als "Rehabilitationszentren" bezeichneten. Dort grassierten Krankheiten wie Tuberkulose und Krätze, und es mangelte an Nahrungsmitteln, Wasser und medizinischer Versorgung.

Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Hay’at Tahrir al-Sham

Die bewaffnete Gruppe Hay’at Tahrir al-Sham, die Teile des Nordwestens kontrollierte, unterdrückte nach wie vor die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Medienaktivist_innen und Journalist_innen wurden willkürlich festgenommen und schikaniert, weil sie die Herrschaft und Ideologie von Hay’at Tahrir al-Sham kritisiert hatten. So verhängte die bewaffnete Gruppe beispielsweise im September 2021 ein Sendeverbot gegen den Fernsehsender Orient News Channel.

Autonomieverwaltung unter Leitung der PYD

Die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die den militärischen Arm der Autonomieverwaltung bildeten, töteten am 18. Mai 2021 mindestens sieben Menschen, als sie in der Provinz al-Hasaka Proteste gegen eine Erhöhung der Kraftstoffpreise auflösten. Am 31. Mai gaben die SDF Schüsse auf eine Protestkundgebung in Manbidsch ab, um diese zu beenden, und töteten dabei einen Demonstranten. Die Demonstrierenden hatten die Autonomieverwaltung aufgefordert, die Zwangswehrpflicht für Männer zwischen 18 und 21 Jahren zu beenden.

Recht auf Gesundheit

Wie bereits im Jahr 2020 ergriff die Regierung auch 2021 keine entschlossenen Maßnahmen, um die Ausbreitung des Coronavirus in den von ihr kontrollierten Gebieten einzudämmen, und weigerte sich, offen und umfassend über die pandemische Lage zu informieren. In den öffentlichen Krankenhäusern fehlte es an Betten, Sauerstoffflaschen, Beatmungsgeräten und persönlicher Schutzausrüstung, wodurch Hunderte Patient_innen und medizinische Fachkräfte gesundheitlichen Risiken ausgesetzt waren.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren bis November nur 4,2 Prozent der syrischen Bevölkerung mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft. Das Land hatte die Impfstoffe im Rahmen der COVAX-Initiative der WHO und durch bilaterale Vereinbarungen erhalten.

Aufgrund der von der Regierung verfügten Einschränkungen der humanitären Hilfe und der mangelnden Unterstützung des Gesundheitswesens litten die Menschen im Nordosten unter einem gravierenden Mangel an Coronatests, Sauerstoffflaschen und Beatmungsgeräten. Hinzu kam, dass humanitäre Organisationen, die Einrichtungen zur Behandlung von Covid-19-Patient_innen unterstützten, nicht über ausreichende Finanzmittel verfügten. Humanitäre Helfer_innen berichteten, NGOs könnten keine kontinuierliche Versorgung mit Medikamenten gewährleisten, die zur Behandlung von Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bakteriellen Infektionen, aber auch für die medizinische Versorgung nach einer Vergewaltigung und im Bereich der reproduktiven Gesundheit unerlässlich waren. Die Lieferungen waren zuvor von der WHO und dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen grenzüberschreitend bereitgestellt worden.

In der Stadt Manbidsch, deren Belieferung mit UN-Hilfsgütern die syrische Regierung untersagt hatte, erklärte eine medizinische Mitarbeiterin, es sei nicht mehr möglich, alle Krebs-, Thalassämie- und Diabetespatient_innen zu versorgen. Aufgrund der knappen Vorräte sei das Personal gezwungen, auszuwählen, wer noch behandelt werden könne.

Während der Belagerung der Stadt Daraa al-Balad verhinderten die Regierungstruppen, dass Patient_innen mit chronischen Erkrankungen aus medizinischen Gründen evakuiert und in Krankenhäuser in Gebieten unter Regierungskontrolle gebracht wurden. Außerdem blockierten sie die Lieferung von medizinischen Hilfsgütern und Medikamenten in die Stadt. Nach Angaben des medizinischen Personals hatten diese Maßnahmen den Tod von Verletzten und Kranken zur Folge.

Rechte von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen

Seit Beginn des Konflikts im Jahr 2011 bis zum Jahresende 2021 sind 6,7 Mio. Menschen innerhalb Syriens vertrieben worden und weitere 5,6 Mio. Menschen ins Ausland geflohen.

Weil sich in den Nachbarstaaten die humanitäre Lage verschlechterte und die Beantragung oder Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen mit bürokratischen und finanziellen Hürden verbunden war, gab es weiterhin Flüchtlinge, die sich für eine Rückkehr nach Syrien entschieden. Einige von ihnen wurden nach ihrer Rückkehr inhaftiert, erlitten Folter und andere Misshandlungen und wurden Opfer des Verschwindenlassens.

Im Juli 2021 führte die Militäroffensive gegen Daraa al-Balad dazu, dass mindestens 36.000 Zivilpersonen vertrieben wurden. Die meisten kamen bei Freund_innen und Verwandten unter, einige mussten jedoch in Sammelunterkünften wie Moscheen und Schulen leben, in denen sie keinen ausreichenden Zugang zu Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung hatten. Aufgrund der Eskalation der Feindseligkeiten im Nordwesten Syriens flohen von Juni bis August fast 100.000 Menschen aus ihren Häusern. Es war die größte Vertreibungswelle seit der Waffenstillstandsvereinbarung im März 2020. Die meisten Vertriebenen lebten in überfüllten Behelfslagern und Sammelunterkünften und hatten keinen ausreichenden Zugang zu Hilfsgütern, grundlegenden Versorgungsleistungen, sauberem Wasser, sanitären Einrichtungen, Nahrungsmitteln, Gesundheitsversorgung, Bildungsangeboten und Arbeitsmöglichkeiten.

Die Lager Al-Hol und Roj in der Provinz al-Hasaka beherbergten weiterhin mehr als 60.000 Menschen, darunter Flüchtlinge und Binnenvertriebene aus Syrien und dem Irak, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Die Lager waren überfüllt und boten keinen angemessenen Lebensstandard. Die Menschen hatten nur begrenzten Zugang zu Hilfsgütern und Gesundheitsdiensten, es mangelte vor allem an Nahrungsmitteln und Wasser. Für Kinder gab es weiterhin kaum Bildungsangebote, und ihre Gesundheitsversorgung war unzureichend.

Für die Binnenvertriebenen, die in Lagern lebten, bestand in ganz Syrien ein erhöhtes Risiko, sich mit dem Coronavirus anzustecken und schwer zu erkranken, da sich Vorsichtsmaßnahmen wie Abstandhalten nicht umsetzen ließen und es an Wasser, sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung mangelte. Erschwerend kam hinzu, dass viele humanitäre Organisationen unterfinanziert waren.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Während der UN-Sicherheitsrat den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) weiterhin nicht aufforderte, sich mit der Lage in Syrien zu befassen, gingen mindestens vier europäische Staaten mit Ermittlungen und Prozessen vor ihren Gerichten strafrechtlich gegen Personen vor, die im Verdacht standen, in Syrien Kriegsverbrechen oder andere völkerrechtliche Verbrechen verübt zu haben.

Am 24. Februar 2021 verurteilte das Oberlandesgericht Koblenz einen ehemaligen Angehörigen des Syrischen Allgemeinen Geheimdiensts wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu viereinhalb Jahren Haft. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er Hilfe dazu geleistet hatte, dass inhaftierte Demonstrierende in einem Gefängnis in Damaskus gefoltert wurden.

Am 15. Juli 2021 erhob die deutsche Generalbundesanwaltschaft Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen einen syrischen Arzt, der 2015 nach Deutschland geflohen war. Sie legte ihm zur Last, in Militärkrankenhäusern in Homs und Damaskus Menschen gefoltert zu haben.

Am 16. Juli 2021 verurteilte ein Gericht in den Niederlanden einen ehemaligen Kommandeur einer bewaffneten oppositionellen Gruppe, der 2014 Asyl beantragt hatte, wegen Kriegsverbrechen in Syrien zu 20 Jahren Haft.

Am 26. August 2021 verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf ein ehemaliges Mitglied der bewaffneten oppositionellen Gruppe Al-Nusra-Front wegen eines Kriegsverbrechens in Tateinheit mit Mord zu lebenslanger Haft. Nach Ansicht des Gerichts hatte der Mann an der Hinrichtung eines Oberstleutnants der syrischen Armee mitgewirkt. Ein zweiter Angeklagter, der die Tat gefilmt hatte, wurde wegen Beihilfe zu neun Jahren Haft verurteilt.

Todesstrafe

Die Todesstrafe blieb für viele Straftaten in Kraft. Die Behörden machten so gut wie keine Angaben zu Todesurteilen und informierten nur selten über Hinrichtungen. Am 21. Oktober 2021 kündigte das Justizministerium jedoch die Hinrichtung von Personen an, denen man vorwarf, am Ausbruch von Waldbränden beteiligt gewesen zu sein, die im Jahr 2020 in Syrien gewütet hatten.

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