Anfragebeantwortung zum Irak: Bestimmte Artikel aus dem Strafgesetz der Inneren Sicherheitskräfte; Ermittlungen und Verurteilungen bei Beschäftigten des Innenministeriums wegen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst; Ist die nicht ordnungsgemäße Rückgabe der Dienstwaffe und des Dienstausweises des Innenministeriums strafbar? [a-11689]

8. September 2021

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Die Verurteilungen im vorliegenden Fall erfolgten nach Gesetz § 5/ 14 Jahr 2008 und § 32 / 14 Jahr 2008 – um welches Gesetz handelt es sich? Stimmen diese Artikel mit den Taten Fernbleiben vom Dienst sowie Diebstahl der Dienstwaffe überein?

Im Jahr 2008 wurde das Strafgesetz der Inneren Sicherheitskräfte verabschiedet.

Im Artikel 5 dieses Gesetzes wird festgelegt, dass derjenige, der seinem Dienst oder Dienstort fernbleibt, beziehungsweise der seinen Urlaub auf mehr als 15 Tage ausdehnt, mit bis zu sechs Monaten Haft bestraft wird. Im Falle eines wiederholten Fernbleibens droht eine Haftstrafe von bis zu einem Jahr. (Strafgesetz der Inneren Sicherheitskräfte Nr. 14 des Jahres 2008, Art. 5)

Artikel 32 desselben Gesetzes sieht vor, dass derjenige, der bei seiner Rekrutierung in die Inneren Sicherheitskräfte, Informationen in Zusammenhang mit seinem Lebenslauf verheimlicht beziehungsweise nicht offenlegt, ob er vormals bei den Inneren Sicherheitskräften oder irgendwelchen anderen staatlichen Behörden angestellt war, mit einer Haftstrafe von bis zu einem Jahr bestraft wird. (Strafgesetz der Inneren Sicherheitskräfte Nr. 14 des Jahres 2008, Art. 32)

Eine vom Global Justice Project[1] erstellte englische Übersetzung des Strafgesetzes der Inneren Sicherheitskräfte findet sich unter folgendem Link:

·      Internal Security Forces Penal Code number 14 for the year 2008 (Irak) (übersetzt und veröffentlicht vom Global Justice Project: Iraq, GJPI), 2008
http://gjpi.org/wp-content/uploads/law-14-of-2008-internal-security-forces-penal-law.pdf

Es konnten in dem Gesetzestext keine Bestimmungen zur Dienstwaffe gefunden werden.

Kommt es im Irak zu Ermittlungen und Verurteilungen bei Beschäftigten des Innenministeriums wegen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst? Ist die nicht ordnungsgemäße Rückgabe der Dienstwaffe und des Dienstausweises des Innenministeriums strafbar? Wie hoch ist die zu befürchtende Strafe?

Bestimmungen zum Fernbleiben vom Dienst finden sich in den Artikeln 5 bis 7 des oben angeführten Strafgesetzes der Inneren Sicherheitskräfte. Laut Artikel 5 dieses Gesetzbuchs sind Personen, die ihrer Abteilung oder ihrem Dienstort fernbleiben oder deren Urlaub länger als 15 Tage andauert, mit maximal sechsmonatiger Haft zu bestrafen. Bei wiederholtem Fernbleiben erhöht sich die Haftdauer auf maximal ein Jahr. Gemäß Artikel 6 sind Personen, die während Unruhen oder eines Notstandes mehr als zehn Tage ihrem Dienstort fernbleiben, mit mindestens einem Jahr Haft zu bestrafen. Gemäß Artikel 7 kann ein Hoher Disziplinarkommandeur (Senior Disciplinary Commander), bei dem es sich um den Innenminister oder eine von ihm ermächtigte Person handelt, einem Polizisten das Gehalt für eine Dauer von maximal 15 Tagen abziehen, wenn bewiesen werden kann, dass dieser in gewöhnlichen Zeiten nicht länger als 15 Tage seinem Dienst fernblieb. Bei wiederholtem Fernbleiben ist der Polizist mit maximal 30-tägiger Haft zu bestrafen. (Strafgesetz der Inneren Sicherheitskräfte Nr. 14 des Jahres 2008, Art. 5-7)

Es konnten im Gesetzestext keine Bestimmungen zu einer nicht erfolgten Rückgabe der Dienstwaffe oder des Dienstausweises gefunden werden.

Allerdings besagt Artikel 35 Absatz 1 desselben Gesetzes, dass eine Haftstrafe von bis zu sieben Jahren für denjenigen vorgesehen ist, der Material oder Ausrüstung der Sicherheitskräfte stiehlt oder entwendet beziehungsweise unrechtmäßig besitzt. (Strafgesetz der Inneren Sicherheitskräfte Nr. 14 des Jahres 2008, Art. 35/1)

Es konnten keine Informationen zur Umsetzung der oben genannten gesetzlichen Bestimmungen gefunden werden. Gesucht wurde mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen auf Deutsch, Englisch und Arabisch: Strafgesetz der Inneren Sicherheitskräfte, verurteilt gemäß, Fernbleiben vom Dienst, Waffe, Ausweis, Rückgabe

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo und das Zentrum für Länderinformationen der schwedischen Einwanderungsbehörde (Migrationsverket) unternahmen Ende 2013 eine Fact-Finding-Mission in den Irak, um Informationen über das Justizsystem und die Sicherheitskräfte im Land zu erhalten. Im Bericht zu dieser Fact-Finding-Mission vom Mai 2014 wird erwähnt, dass man bei Zivilist·innen, die ohne Erlaubnis ihre Arbeit verlassen würden, nach zehn Tagen davon ausgehe, dass sie gekündigt hätten. Polizist·innen, die ihrer Arbeitsstelle fernbleiben würden, seien vor das dem Innenministerium unterstellte Polizeigericht gestellt worden. Laut dem Strafgesetz der Inneren Sicherheitskräfte aus dem Jahr 2008 würden sie eine Gehaltsreduktion, eine Haftstrafe von sechs oder in Ausnahmefällen zwölf Monaten riskieren. Von einem Polizisten aus Basra, der im November 2013 bei einer Veranstaltung in Bagdad teilgenommen habe, habe man erfahren, dass Polizisten ursprünglich mit einer bis zu sechsmonatigen Haftstrafe zu rechnen gehabt hätten, wenn sie ohne Ankündigung ihren Arbeitsposten verlassen hätten. Im August (2013) sei jedoch eine Amnestie erlassen worden. Diese Amnestie habe zunächst bis zum 15. Oktober gegolten, mittlerweile gelte sie unbefristet. (Landinfo/Migrationsverket, 8. Mai 2014, S. 17)

Die türkische staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Agency (AA) berichtet im Mai 2020, dass anlässlich eines Besuches des irakischen Innenministers in der südlichen Provinz Diwaniya Dutzende aus dem Dienst entlassene ehemalige Mitglieder der Sicherheitskräfte demonstriert und ihre Wiedereinstellung gefordert hätten. Einer der Demonstranten habe gegenüber AA erklärt, dass es verschiedenen Gründe für die Entlassung der Sicherheitskräfte gegeben habe, gegen einige der betroffenen Personen würden noch interne Ermittlungen laufen, einige seien beschuldigt worden, ihren Aufgaben als Sicherheitsbeamte nicht nachgekommen zu sein, andere seien aus unfairen Gründen entlassen worden. In den vergangenen Monaten hätten das Innenministerium sowie das Verteidigungsministerium beschlossen, tausende ehemalige Mitglieder, deren Verträge gekündigt worden seien, wiedereinzustellen. Als die Gruppe Islamischer Staat (IS) im Sommer 2014 Mossul erobert habe, seien tausende Soldaten und Mitglieder der Sicherheitskräfte geflohen, ohne zu kämpfen. (AA, 27. Mai 2020)

Weitere Informationen zur Desertion aus dem Polizeidienst finden sich in folgender Anfragebeantwortung vom Jänner 2018. Hier werden auch die relevanten Bestimmungen aus dem Strafgesetz der Inneren Sicherheitskräfte aus dem Jahr 2008 angeführt:

·      ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Gesetzliche Bestimmungen, die für Desertion aus der Polizei eine Haftstrafe vorsehen; Festnahme bei der Einreise [a-10473], 26. Jänner 2018
https://www.ecoi.net/de/dokument/1431191.html

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 8. September 2021)

·      AA – Anadolu Agency: Irak – Aus dem Polizeidienst Entlassene fordern ihre Wiedereinstellung [عراق.. مفصولون من الشرطة يطالبون بإعادتهم لوظائفهم], 27. Mai 2020
https://www.aa.com.tr/ar/%D8%A7%D9%84%D8%AF%D9%88%D9%84-%D8%A7%D9%84%D8%B9%D8%B1%D8%A8%D9%8A%D8%A9/%D8%A7%D9%84%D8%B9%D8%B1%D8%A7%D9%82-%D9%85%D9%81%D8%B5%D9%88%D9%84%D9%88%D9%86-%D9%85%D9%86-%D8%A7%D9%84%D8%B4%D8%B1%D8%B7%D8%A9-%D9%8A%D8%B7%D8%A7%D9%84%D8%A8%D9%88%D9%86-%D8%A8%D8%A5%D8%B9%D8%A7%D8%AF%D8%AA%D9%87%D9%85-%D9%84%D9%88%D8%B8%D8%A7%D8%A6%D9%81%D9%87%D9%85/1855227

·      ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Gesetzliche Bestimmungen, die für Desertion aus der Polizei eine Haftstrafe vorsehen; Festnahme bei der Einreise [a-10473], 26. Jänner 2018
https://www.ecoi.net/de/dokument/1431191.html

·      Internal Security Forces Penal Code number 14 for the year 2008 (Irak) (übersetzt und veröffentlicht vom Global Justice Project: Iraq, GJPI), 2008
http://gjpi.org/wp-content/uploads/law-14-of-2008-internal-security-forces-penal-law.pdf

·      Landinfo/Migrationsverket: Iraq: Rule of Law in the Security and Legal system, 8. Mai 2014
https://landinfo.no/asset/2872/1/2872_1.pdf

·      Strafgesetz der Inneren Sicherheitskräfte Nr. 14 des Jahres 2008 [قانون عقوبات قوى الامن الداخلي رقم (14) لسنة 2008], verabschiedet am 10. Februar 2008, veröffentlicht im irakischen Gesetzesblatt Nr. 4063 am 25. Februar 2008
http://menarights.org/sites/default/files/2016-11/IRQ_internal-security-forces-penal-law_2008_AR_0.pdf


 

Anhang: Quellenbeschreibungen und Informationen aus ausgewählten Quellen

·      Internal Security Forces Penal Code number 14 for the year 2008 (Irak) (übersetzt und veröffentlicht vom Global Justice Project: Iraq, GJPI), 2008
http://gjpi.org/wp-content/uploads/law-14-of-2008-internal-security-forces-penal-law.pdf

„Article 5

Those who are absent from their department or duty location, or if their vacation exceeds fifteen days, shall be jailed for a period not exceeding six months. If the absence is repeated a jail sentence not exceeding one year shall be imposed.

Article 6

Whoever is absent for more than ten days during disturbances or states of emergency shall be jailed for at least one year.

Article 7

First: The Senior Disciplinary Commander may punish a Policeman by deducting his salary, for a period not exceeding fifteen days, upon proving that he was absent for no more than fifteen days during ordinary circumstances. If the absence is repeated, the Policeman shall be jailed for a maximum of thirty days.

Second: For the purposes of this law, the term Senior Disciplinary Commander means the Minister of Interior or whoever he authorizes.” (Internal Security Forces Penal Code number 14 for the year 2008, Art. 5-7)

„Article 32

Those who are recruited through Internal Security Forces offices and have hidden information dealing with their personal conduct or previous recruitments through the Internal Security Forces or any other government apparatus, shall be jailed for a period not exceeding one year.” (Internal Security Forces Penal Code number 14 for the year 2008, Art. 32)

„Article 35

First: Anyone who misappropriates, steals, sells, buys, gambles with, pawns, hides, illegitimately possesses, or illegally disposes of material or equipments belonging to the service shall be imprisoned for a period not exceeding seven years. The punishment is increased to life imprisonment prison if such acts are committed during disturbances or states of emergency.

Second: The perpetrator in Article 35 First section above must pay for the material or equipment based on the market price at the time he committed the crime. The money goes to the concerned party who in turn spends it according to the law. The convicted person must provide a bond to ensure payment.” (Internal Security Forces Penal Code number 14 for the year 2008, Art. 35)

·      Landinfo/Migrationsverket: Iraq: Rule of Law in the Security and Legal system, 8. Mai 2014
https://landinfo.no/asset/2872/1/2872_1.pdf

„Civilians who leave their jobs without permission are deemed to having resigned after 10 days. Soldiers who do the same used to be taken to a military court, policemen to a police court (administered by MoI). According to the Internal Security Forces Penal Code of 2008, they risk a salary deduction or maximum 6, or in exceptional cases , 12 months jail. […]

From a police officer attending a EU JUSTLEX conference/seminar at hotel Rashid in Baghdad we heard that policemen and military personnel used to risk up to six months prison for leaving their work without notice. But an amnesty in August cleared them. At first the amnesty was to last until October 15, but now it is indefinitely.“ (Landinfo/Migrationsverket, 8. Mai 2014, S. 17)



[1] Das Global Justice Project Iraq (GJPI) war ein am SJ Quinney College of Law an der Universität von Utah angesiedeltes Projekt, das mit Finanzierung des US-Außenministeriums von 2008 bis 2010 Forschung zum Justizsystem, zum Gesetzgebungsverfahren und zu Gesetzen im Irak betrieb.