Anfragebeantwortung zum Irak: Umgang mit jungen Frauen in Bagdad und Kerbala, die die konventionelle Kleidung nicht tragen wollen und Vorschriften des Vaters nicht akzeptieren: übliche Kleidung von Schülerinnen in Kerbala und Bagdad, Bekleidungsvorschriften für Frauen, übliche Art des Schulwegs, mögliche Gefahren, wenn junge Musliminnen sich den Anordnungen ihres Vaters widersetzen, und Möglichkeit von Blutrache im Falle einer Rückkehr [a-11553-2]

  1. April 2021

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

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Kurzbeschreibungen zu den in dieser Anfragebeantwortung verwendeten Quellen sowie Ausschnitte mit Informationen aus diesen Quellen finden Sie im Anhang.

Übliche Kleidung von Schülerinnen in Kerbala und Bagdad

Al Sabaah, die offizielle Tageszeitung des Iraks, veröffentlicht im August 2019 einen Artikel zum Beginn des neuen Schuljahres. Der Artikel beschreibt die Uniformpflicht an irakischen Schulen, die vom Ministerium vorgegeben sei, und von den einzelnen SchuldirektorInnen angepasst werden könne. Es wird das Beispiel einer Schule genannt, die den Mädchen vorgebe, eine weiße Bluse mit einem schwarz, grau oder blauen bodenlangen, ärmellosen Kleid, ohne Accessoires, zu tragen. (Al-Sabaah, 24. August 2019)

ACCORD interviewte für die Anfrage im April 2021 fünf Personen unterschiedlichen Alters (zwischen 23 und 42 Jahren), Geschlechts (vier Frauen, ein Mann) und sozialer Herkunft, die in verschiedenen Bezirken Bagdads leben und arbeiten (von Sadr City bis Mansour). Es wurden fünf individuelle qualitative Interviews geführt. Den Befragten wurden die vorliegenden Fragen der Anfrage gestellt und sie konnten frei antworten. Die Interviewten sind nicht repräsentativ für die Bewohner Bagdads zu sehen und ihre Antworten stellen lediglich eine ergänzende illustrierende Information zur Onlinerecherche da.

Alle Befragten waren sich einig, dass Schülerinnen in der Schule generell Schuluniform (weißes Hemd, dunkelblaues Kleid) tragen würden. (Beamtin, 9. April 2021, Koch, 9. April 2021, Angestellte, 10. April 2021, Lehrerin, 10. April 2021, Lehrerin, 11. April 2021)

Eine Lehrerin erklärte, dass manche Schülerinnen einen Hidschab tragen würden, andere nicht. Außerhalb der Schule hänge es von der Familie ab, wie junge Mädchen gekleidet seien. (Lehrerin, 11. April 2021)

Eine andere Lehrerin ergänzte, dass sich Mädchen je nach Gegend anders auf der Straße kleiden würden. Jede Gegend in Bagdad habe ihre eigenen Regeln. In reicheren Bezirken wie Mansour sei es normal, dass Mädchen und junge Frauen enge Jeans und Shirts tragen. In traditionellen Gegenden müssten auch schon Mädchen im Jugendalter eine Abaja (langes schwarzes Übergewand, Anm. ACCORD) tragen, wenn sie das Haus verlassen. Ihre eigene Situation sei weder das eine noch das andere gewesen, sie habe sich als Jugendliche schlicht gekleidet, in etwas weiteren Gewändern und mit buntem Hidschab. (Lehrerin, 10. April 2021)

Die Angestellte einer privaten Firma erklärte, dass heutzutage viele junge Frauen in Bagdad Jeans und trendige Shirts tragen würden, doch würden ab dem Teenageralter viele auch einen Hidschab tragen. Das passiere oft nicht, weil die Mädchen das wollen, sondern weil die Gesellschaft und die Familie sie dazu drängen würden. (Angestellte, 10. April 2021)

Zwei Befragte, die beide in traditionelleren Vierteln der Stadt wohnen, sagten aus, dass jugendliche Mädchen außerhalb des Hauses generell bodenlange Kleider und manche eine Abaja tragen würden. Einige würden auch Jeans und ein Kleid darüber tragen. Die meisten würden einen Hidschab tragen. (Koch, 9. April 2021, Beamtin, 9. April 2021)

Bekleidungsvorschriften für Frauen in Kerbala und Bagdad

Laut dem „Freiheit in der Welt 2021“-Bericht der Organisation Freedom House stünden sowohl Männer als auch Frauen im Irak unter Druck, in ihrem Erscheinungsbild konservative Standards einzuhalten. (Freedom House, 3. März 2021)

Das US-amerikanische Außenministerium schreibt in seinem Bericht zu religiöser Freiheit im Irak im Jahr 2019, dass laut VertreterInnen christlicher NGOs einige Muslime Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit bedrohen würden, wenn diese keinen Hidschab tragen oder sich westlich Kleiden würden. (USDOS, 10. Juni 2020)

Auf der Webseite der Organisation Iraqi Research Foundation for Analysis and Development (IRFAD) findet sich ein undatierter Beitrag zur irakischen Mode. Seit 2003 habe es immer wieder islamische Gruppierungen gegeben, die versucht hätten, speziell Frauen vorzuschreiben, was sie zu tragen hätten. Die meisten Frauen würden trotz allem westliche Kleidung tragen, vor allem in großen Städten, wie Erbil, Bagdad und Basra. Auch Frauen, die sich auf der Straße traditionell in Hidschab und Abaja kleiden würden, würden zu Hause westliche Kleidung tragen. (IRFAD, ohne Datum)

Irfaa Sawtak (Erhebe deine Stimme), eine Medienplattform, die es sich laut eigenen Angaben zum Ziel gesetzt hat, junge Menschen im Nahen Osten zu ermutigen, über Demokratie, Menschenrechte und Extremismus zu diskutieren, zitiert in einem Artikel vom Juni 2019 eine junge Frau aus dem Bezirk Mansour in Bagdad, die aussagte, über Jahre aus Sicherheitsgründen gezwungen gewesen zu sein, einen Hidschab zu tragen, doch diesen nun abgelegt habe. Der Bezirk Mansour sei sehr liberal. (Irfaa Sawtak, 19. Juni 2019)

Der Standard berichtet in einem Artikel vom Oktober 2018 über eine Anzahl von Morden an Frauen, die für ihren weltoffenen Kleidungs- und Lebensstil bekannt gewesen seien. Der 22-jährige Instagram-Star, Tara Fares, sei in der Nähe von Bagdad erschossen worden. Sie habe Fotos von sich mit gewagten Kleidern auf Instagram geteilt. Ihre Fans würden vermuten, dass sie aufgrund ihres westlichen Lebensstils ermordet worden sei. Auch die irakische Menschenrechtsaktivistin Suad al-Ali, die plastische Chirurgin Rafeef al-Yassiri, besser bekannt als „Iraks Barbie“, und die berühmte Kosmetikerin Rashan al-Hassan seien 2018 ermordet worden. (Der Standard, 23. Oktober 2018)

Als Teil der von ACCORD geführten Interviews sagte eine Beamtin aus, dass es in Bagdad keine Bekleidungsvorschriften gebe, es jedoch gewisse Normen gebe, die je nach Familie und Gegend variieren würden. Sie selbst stamme aus einer religiösen Familie und lebe in einem traditionellen Stadtteil. Mädchen in dieser Umgebung werde von klein auf gezeigt, dass es etwas Schönes sei, sich schlicht und religiös angemessen zu kleiden. In ihrer Nachbarschaft würden Frauen auf der Straße Abaja tragen. Manche Frauen würden die Abaja ablegen, wenn sie in einen anderen Stadtteil oder zur Arbeit fahren würden. Sie selbst trage immer einer Abaja. (Beamtin, 9. April 2021)

Auch die anderen weiblichen Befragten gaben an, dass es keine staatlich vorgeschriebenen Bekleidungsvorschriften gebe, die Familie und Gemeinschaft jedoch einen sehr starken Einfluss auf die Kleidung von Frauen habe. Eine Angestellte erklärte, dass es in ihrer Familie in Ordnung sei, dass sie mit Jeans und Bluse das Haus verlasse, jedoch müsse sie einen Hidschab tragen. Dies sei in ihrer Familie indiskutabel. Sie habe jedoch Freundinnen, die keinen Hidschab tragen würden. (Angestellte, 10. April 2021)

Eine Lehrerin erklärte, dass obwohl die Kleidervorschriften innerhalb der Familien sehr variieren würden, Mädchen und Frauen in den einzelnen Familien keine Wahl hätten, sich anders zu kleiden, als ihre Familie es für angemessen halte. (Lehrerin, 10. April 2021). Die zweite Lehrerin ergänzte, dass Familien es generell lieber hätten, wenn eine junge Frau ihre Haare bedecke. Kurzes Gewand, wie in Europa, könne auf der Straße nicht getragen werden. In religiösen Familien seien die Vorschriften strikter. (Lehrerin, 11. April 2021)

Die freie Journalistin Birgit Svensson, die seit 2003 in Bagdad lebt und arbeitet, schreibt in einem Artikel in der Wiener Zeitung vom November 2017, dass in Kerbala Frauen gezwungen würden, sich zu verschleiern und die schwarze Abaja zu tragen (Es wird nicht erklärt, ob dieser Zwang durch die Familien oder den Staat oder andere Akteure besteht, Anm. ACCORD). (WZ, 10. November 2017)

Al-Monitor schreibt in einem Artikel vom Februar 2017, dass der Provinzrat Kerbalas darüber abstimmen würde, unverhüllten Frauen den Zutritt in die Stadt zu verbieten (Informationen zur tatsächlichen Abstimmung oder zum Ausgang der Abstimmung konnten nicht gefunden werden, Anm. ACCORD). Laut Al-Monitor sei in Kerbala es normal, Plakate auf der Straße zu sehen, die Frauen auffordern würden, einen Schleier zu tragen. (Al-Monitor, 24. Februar 2017)

Raseef22, ein arabisches Mediennetzwerk mit Sitz in Beirut, schreibt im März 2017, dass religiöse Städte im Irak (Kerbala wird im Irak als religiöse Stadt angesehen, Anm. ACCORD) übersät seien mit Plakaten, die Frauen dazu auffordern würden, sich zu verschleiern. Laut einer Interviewpartnerin sei es Frauen nicht erlaubt, sich den heiligen Plätzen der Stadt ohne Hidschab und mit Makeup zu nähern. Dies würde an den Checkpoints überprüft. Den Mädchen und Frauen in den religiösen Provinzen würde es auch schwierig gemacht werden, die Schule oder Universität zu besuchen, wenn sie keinen Hidschab und Abaja tragen würden. (Raseef22, 8. März 2017)

Die internationale Nachrichtenagentur Reuters schreibt im August 2019 über den Aufruhr schiitischer Geistlicher in Kerbala nach der Eröffnungszeremonie der Westasiatischen Fußball-Föderationsmeisterschaft in der Stadt, bei der eine Libanesin ohne Hidschab und mit unbedeckten Arme Geige gespielt habe. (Reuters, 7. August 2019)

Übliche Art des Schulwegs von Schülerinnen in Kerbala und Bagdad (mit Familienmitglied, mit Chauffeur, alleine)

Online konnten keine Informationen zum üblichen Schulweg von Schülerinnen in Kerbala und Bagdad gefunden werden. Gesucht wurde mittels ecoi.net, Factiva und Google auf Deutsch, Englisch und Arabisch nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Irak, Bagdad, Kerbala, Schulweg, Schule, Schulbus, Chauffeur, Familienmitglied, begleitet

Eine von ACCORD interviewte Lehrerin sagt aus, dass es sowohl normal sei, dass Mädchen alleine zur Schule kommen, als auch, dass sie von Familienmitgliedern oder einem Chauffeur gebracht würden. Meistens sei es nicht ein Chauffeur für ein Mädchen, sondern ein Auto oder Kleinbus, der privat angeheuert werde und mehrere Kinder aus der Nachbarschaft zur Schule bringee. Den Familien sei die Sicherheit und Ehre ihrer Mädchen sehr wichtig. Deshalb würden Mädchen vor allem im Jugendalter oft nicht alleine unterwegs sein. (Lehrerin, 11. April 2021)

Eine zweite Lehrerin bestätigt, dass an den Schulen, an denen sie gelehrt hat, es normal gewesen sei, dass Schülerinnen und Schüler mit einem Chauffeur, Schulbus oder manchmal von den Eltern gebracht worden seien. Wenn die Schule nahe am Haus der Mädchen liege, sei es aber auch normal, dass ein Mädchen alleine zu Fuß gehe. (Lehrerin, 10. April 2021) Eine Angestellte erklärt, dass je nach Familie die Situation variiere. Dass ein älteres Mädchen speziell von einem Familienmitglied begleitet werde, sei die ungewöhnlichste Situation. Dies sei vor allem dann der Fall, wenn der Vater sich Sorgen mache, dass seine Tochter einen Freund haben könnte. (Angestellte, 10. April 2021)

Ein Koch aus einem traditionelleren Teil der Stadt erklärt, dass es darauf ankomme, wie weit die Schule vom Haus entfernt sei. Manche Mädchen würden von ihren Müttern begleitet, auch wenn die Schule nur einen Fußmarsch entfernt ist. Die meisten Mädchen würden mit Freundinnen zur Schule zu gehen. Wenn die Schule weiter entfernt ist (immer noch im gleichen Stadtteil), sei es üblich, dass Mädchen entweder von ihren Familienmitgliedern mit dem Auto oder mit einem privat bezahlten Bus, der von mehreren Familien in der Gegend geteilt werde, oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Schule fahren würden. Die meisten Familien würden es vorziehen, wenn ihre Kinder mit den privat bezahlten Bussen, der das Kind vom Haus abholt und direkt zur Schule bringt, fahren würden. (Koch, 9. April 2021)

Mögliche Gefahren für junge Musliminnen, die sich Anordnung des Vaters in Bezug auf Kleidung, Begleitung auf dem Schulweg und bei Verlassen des Hauses widersetzen.

Online konnten keine Informationen zu dieser Fragestellung gefunden werden, jedoch beschreiben einige Artikel Beispiele herrschender häuslicher Gewalt im Irak.

Der in Doha ansässige arabische Nachrichtensender Al-Jazeera schreibt in einem Artikel vom Februar 2021 von der Rettung eines Mädchens, das Selbstmord begehen wollte, durch die Polizei. Einer der Gründe für ihren Selbstmordversuch seien Gewalt und Schläge von ihrem Vater gewesen. (Al-Jazeera, 7. Februar 2021)

BBC Arabic, der arabischsprachige Dienst des britischen Senders BBC, zitiert in einem Artikel vom Mai 2020 die irakische Menschenrechtsaktivistin Maha Ahmed. Ahmed habe von einem Fall berichtet, bei dem drei Schwestern von ihrem Vater aus trivialen Gründen geschlagen worden seien. Der Vater habe seine Töchter mit 14 Jahren aus der Schule genommen und gedroht, sie zu töten. Die Mutter habe eine mögliche Tötung im Falle einer Verletzung der Familienehre unterstützt. (BBC Arabic, 1. Mai 2020)

Irfaa Sawtak beschreibt in einem Artikel vom April 2020 die Befreiung eines Mädchens aus Bagdad, das von ihrem Vater 23 Tage lang angekettet geworden sei. Der Vater habe als Grund für seine Tat die aus seiner Sicht falsche Verwendung des Mobiltelefons durch seine Tochter angegeben. Der Artikel berichtet von einer weiteren jungen Frau, die laut eigener Aussage regelmäßig geschlagen, bedroht und eingesperrt werde, wenn sie in einer Art und Weise handle, die ihren Vater oder ihre Brüder nicht zufriedenstelle. Irfaa Sawtak zitiert die Sozialarbeiterin Wadad Zamil. Laut Zamil würden viele irakische Familien ihren Töchtern gegenüber mit großer Brutalität begegnen, wenn diese kleine Fehler machen oder sich gegen die Männer des Clans stellen würden. (Irfaa Sawtak, 16. April 2020)

ACCORD stellte die Frage an fünf Interviewte. Ein Koch aus einem traditionelleren Stadtteil Bagdads gibt an, dass mögliche Bestrafungen je nach Familie variieren würden. Es könnte einem Mädchen ihr Geld weggenommen werden. Auch körperliche Züchtigung und das Ende des Schulbesuchs seien mögliche Konsequenzen. Es komme vor allem darauf an, aus welchen Gründen der Vater seiner Tochter vorschreibe, sich auf eine spezielle Art zu kleiden und nicht alleine das Haus zu verlassen. Die Reaktion wäre eine andere, wenn dies aus Sicherheitsbedenken getan werde, oder wenn es dabei um die Familienehre und mögliche Schande gehe. (Koch, 9. April 2021)

Eine Angestellte erklärt, dass in der irakischen Kultur Väter generell das letzte Wort hätten. Sie gab als Beispiel an, dass sie selbst es gegen den Willen ihres Vaters durchsetzen konnte, arbeiten zu gehen, doch sei es ihr nicht möglich den Hidschab abzulegen. Würde sie das tun, würde ihr Vater vermutlich einige Maßnahmen setzen, sodass es ihr unmöglich wäre weiterhin ihre Freiheiten außerhalb des Hauses zu genießen. In manchen Familien komme es dabei auch zu Gewalt, vor allem wenn es um die Familienehre gehe. (Angestellte, 10. April 2021)

Eine Lehrerin erklärt, dass in irakischen Familien Töchter sich dem Willen ihres Vaters zu beugen hätten. Passiere dies nicht, würden die meisten Väter ihre Autorität zeigen. Mögliche Maßnahmen seien die Wegnahme des Mobiltelefons, den Umgang mit Freundinnen zu verbieten oder auch das Mädchen streng zu beobachten. In vielen Familien gebe es auch körperliche Gewalt. (Lehrerin, 11. April 2021)

Blutrache im Falle von Musliminnen, die nach einer Flucht wegen familiärer- und stammesbezogener Probleme allein im Ausland waren und wieder in den Herkunftsstaat zurückkehren

Online konnten keine Informationen zu Blutrache aufgrund einer Flucht nach Europa nach familiären und stammesbezogenen Problemen gefunden werden. Gesucht wurde mittels ecoi.net, Factiva und Google auf Deutsch, Englisch und Arabisch nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Irak, Araber, Blutrache, ehrenbezogene Konflikte, Familie, Vater, Tötung, Tochter, Frau, Europa, Rückkehr

In einem Entscheidungstext des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom Februar 2021 finden sich folgende Informationen aus dem Länderinformationsblatt (LIB) der BFA-Staatendokumentation vom Mai 2020 zur generellen Situation hinsichtlich Ehrenverbrechen an Frauen im Irak:

„Ehrenverbrechen an Frauen […]

Ehrenverbrechen werden meist begangen, nachdem eine Frau eines der folgenden Dinge getan hat bzw. dessen verdächtigt wird: Freundschaft oder voreheliche Beziehung mit einem Mann; Weigerung, einen von der Familie ausgewählten Mann zu heiraten; Heirat gegen den Willen der Familie; Ehebruch; Opfer einer Vergewaltigung oder Entführung geworden zu sein. Solche Verletzungen der Ehre werden als unverzeihlich angesehen. In den meisten Fällen wird die Tötung der Frau, manchmal auch die des Mannes, als der einzige Weg gesehen, die Ehrverletzung zu sühnen (MRG 11.2015).

Ehrenverbrechen finden in allen Gegenden des Irak statt und beschränken sich nicht auf bestimmte ethnische oder religiöse Gruppen. Sie werden gleichermaßen von Arabern und Kurden ausgeübt, von Sunniten und Schiiten, wie auch von einigen ethnischen und religiösen Minderheiten. Es ist schwer, das wahre Ausmaß von Ehrenverbrechen und Ehrenmorden im Irak zu erfassen, da viele Fälle nicht angezeigt werden bzw. oft als Selbstmord oder Unfall angeführt werden (MRG 11.2015). Ehrenmorde bleiben auch weiterhin ein ernstes Problem im ganzen Land (USDOS 11.3.2020).” (BVwG, 3. Februar 2021)

Weitere Informationen zu Ehrenverbrechen und Blutrache finden Sie in der folgenden Anfragebeantwortung von ACCORD vom Jänner 2021:

·      ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation: Query response on Iraq: Suleimania: Consequences for a girl who resists the will of her parents to marry and runs away from home to marry another man; possible honour crimes; state protection [a-11461 2], 11. Jänner 2021
https://www.ecoi.net/en/document/2043992.html

Eine von ACCORD befragte Beamtin gab an, dass es ihrer Meinung nach einer Katastrophe gleichkomme, wenn eine junge Frau ohne die Unterstützung und den Segen der Familie weggehen würde. Die Familienehre würde durch diese Handlung befleckt werden. Das Mädchen könne sich nicht mehr bei ihrer Familie blicken lassen. (Beamtin, 9. April 2021) Ein Koch sagte aus, dass seiner Meinung nach Blutrache unter diesen Umständen möglich sei. (Koch, 9. April 2021)

Eine Angestellte erklärt, dass die Ehre der Familie an den Mädchen hänge. Würde ein Mädchen weglaufen, sei dies eine Katastrophe. Manche Familien würden ihrer Tochter unter solchen Umständen vermutlich raten, wegzubleiben, in anderen Familien wäre es vorstellbar, dass es zu Blutrache komme. Zwei Lehrerinnen erklären getrennt voneinander, dass eine Tochter, die alleine die Familie verlasse, die gesamte Familie in eine sehr problematische Situation innerhalb der Gesellschaft bringe. Laut einer der Lehrerinnen wäre Blutrache eine mögliche Folge. (Lehrerin, 10. April 2021, Lehrerin, 11. April 2021) 


Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 23. April 2021)

·      ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation: Query response on Iraq: Suleimania: Consequences for a girl who resists the will of her parents to marry and runs away from home to marry another man; possible honour crimes; state protection [a-11461 2], 11. Jänner 2021
https://www.ecoi.net/en/document/2043992.html

·      Al-Jazeera: Auf Video. Irakisches Mädchen, das versuchte, Selbstmord zu begehen, vom Dach des Hauses gerettet [بالفيديو.. إنقاذ فتاة عراقية حاولت الانتحار من فوق سطح منزلها], 7. Februar 2021
https://www.aljazeera.net/news/miscellaneous/2021/2/7/%D8%A8%D8%A7%D9%84%D9%81%D9%8A%D8%AF%D9%8A%D9%88-%D8%A5%D9%86%D9%82%D8%A7%D8%B0-%D9%81%D8%AA%D8%A7%D8%A9-%D8%B9%D8%B1%D8%A7%D9%82%D9%8A%D8%A9-%D8%AD%D8%A7%D9%88%D9%84%D8%AA

·      Al-Monitor: Will Iraq ban unveiled women from holy cities?, 24. Februar 2017
https://www.al-monitor.com/originals/2017/02/iraq-shiite-holy-cities-karbala-hijab-women.html

·      Al-Sabaah: Neues Studienjahr bringt Studenten in Uniform zusammen
[عامٌ دراسيٌّ جديدٌ يجمعُ الطلبة بزيٍّ موحد], 24. August 2019
https://alsabaah.iq/13032/%D8%B9%D8%A7%D9%85-%D8%AF%D8%B1%D8%A7%D8%B3%D9%8A-%D8%AC%D8%AF%D9%8A%D8%AF-%D9%8A%D8%AC%D9%85%D8%B9-%D8%A7%D9%84%D8%B7%D9%84%D8%A8%D8%A9-%D8%A8%D8%B2%D9%8A-%D9%85%D9%88%D8%AD%D8%AF

·      Angestellte: Telefoninterview mit ACCORD, Bagdad, 10. April 2021

·      BBC Arabic: Die Überlebensmöglichkeiten der von Gewalt betroffenen Frauen im Irak sind "begrenzt" [خيارات النساء المعنفات في العراق للنجاة "محدودة"], 1. Mai 2020.
https://www.bbc.com/arabic/middleeast-52496211

·      Beamtin: Interview mit ACCORD, Bagdad, 9. April 2021

·      BVwG – Bundesverwaltungsgericht: Entscheidungstext G 309 2197208-1, 3. Februar 2021
https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bvwg/BVWGT_20210203_G309_2197208_1_00/BVWGT_20210203_G309_2197208_1_00.html

·      Der Standard: Welle von Morden an weiblichen Instagram-Stars schockiert, 23. Oktober 2018
https://derstandard.at/2000089213394-1895/Mordwelle-an-weiblichen-Instagram-Stars-schockiert

·      Freedom House: Freedom in the World 2021 - Iraq, 3. März 2021
https://www.ecoi.net/de/dokument/2046520.html 

·      Irfaa Sawtak: Al Mansour, Bezirk der Freiheit in Bagdad?
[المنصور.. محطّة الباحثين عن الحرية في بغداد؟], 19. Juni 2019
https://www.irfaasawtak.com/iraq/2019/06/19/%D8%A7%D9%84%D9%85%D9%86%D8%B5%D9%88%D8%B1-%D9%85%D8%AD%D8%B7%D9%91%D8%A9-%D8%A7%D9%84%D8%A8%D8%A7%D8%AD%D8%AB%D9%8A%D9%86-%D8%A7%D9%84%D8%AD%D8%B1%D9%8A%D8%A9-%D9%81%D9%8A-%D8%A8%D8%BA%D8%AF%D8%A7%D8%AF%D8%9F

·      Irfaa Sawtak: Von verprügelten Mädchen bis zu Ketten. Formen häuslicher Gewalt im Irak [من ضرب الفتيات إلى تقييدهّن بالسلاسل.. أشكال العنف الأسري في العراق], 16. April 2020
https://www.irfaasawtak.com/women/2020/04/16/%D8%B6%D8%B1%D8%A8-%D8%A7%D9%84%D9%81%D8%AA%D9%8A%D8%A7%D8%AA-%D8%AA%D9%82%D9%8A%D9%8A%D8%AF%D9%87%D9%91%D9%86-%D8%A8%D8%A7%D9%84%D8%B3%D9%84%D8%A7%D8%B3%D9%84-%D8%A3%D8%B4%D9%83%D8%A7%D9%84-%D8%A7%D9%84%D8%B9%D9%86%D9%81-%D8%A7%D9%84%D8%A3%D8%B3%D8%B1%D9%8A-%D9%81%D9%8A-%D8%A7%D9%84%D8%B9%D8%B1%D8%A7%D9%82

·      IRFAD – Iraqi Research Foundation for Analysis and Development: Iraq Fashion, ohne Datum
http://www.irfad.org/iraq-fashion/

·      Koch: Interview mit ACCORD, Bagdad, 9. April 2021

·      Lehrerin: Telefoninterview mit ACCORD, Bagdad, 10. April 2021

·      Lehrerin: Telefoninterview mit ACCORD, Bagdad, 11. April 2021

·      Raseef22: Irakische Städte wie im Iran und in Saudi Arabien… Es ist verboten, sie als unverschleierte Frau zu betreten.

[مدن عراقية تحتذي بإيران والسعودية... ممنوع دخول غير المحجبات], 8. März 2017
https://raseef22.net/article/93700-%D9%85%D8%AF%D9%86-%D8%B9%D8%B1%D8%A7%D9%82%D9%8A%D8%A9-%D8%AA%D8%AD%D8%AA%D8%B0%D9%8A-%D8%A8%D8%A5%D9%8A%D8%B1%D8%A7%D9%86-%D9%88%D8%A7%D9%84%D8%B3%D8%B9%D9%88%D8%AF%D9%8A%D8%A9-%D9%85%D9%85%D9%86

·      Reuters: Im heiligen Karbala. Geigerin bei einem Fußballspiel zeigt die Spaltung der Gesellschaft [في كربلاء المقدسة.. عازفة كمان في مباراة كرة قدم تكشف انقسامات المجتمع], 7. August 2019
https://www.reuters.com/article/kerbala-mr5-idARAKCN1UX1KF

·      USDOS – US Department of State: 2019 Report on International Religious Freedom: Iraq, 10. Juni 2020
https://www.ecoi.net/de/dokument/2031369.html

·      WZ – Wiener Zeitung: Teheran ist allgegenwärtig, 10. November 2017
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt-europa/weltpolitik/928344_Teheran-ist-allgegenwaertig.html?em_cnt_page=2


 

Anhang: Quellenbeschreibungen und Informationen aus ausgewählten Quellen

Al-Monitor ist eine auf Berichterstattung zum Nahen Osten spezialisierte Medienplattform.

·      Al-Monitor: Will Iraq ban unveiled women from holy cities?, 24. Februar 2017
https://www.al-monitor.com/originals/2017/02/iraq-shiite-holy-cities-karbala-hijab-women.html

„The provincial council of Karbala is to vote to forbid the entry of unveiled women into the holy city, sparking resentment among the city's residents.

Ibtisam al-Hilali, a member of parliament for the Karbala governorate and member of the State of Law Coalition, led by Nouri al-Maliki, stated Feb. 12 that the governorate’s provincial council intends to pass a bill banning unveiled women from entering the holy city of Karbala.

While banners on the streets of Iraq's religious cities such as Karbala, Najaf and Khadimiya calling on women to wear the headscarf are a normal sight, this is the first time official figures and parliamentarians try to introduce a bill in this regard.“ (Al-Monitor, 24. Februar 2017)

Der Standard ist eine österreichische Tageszeitung.

·      Der Standard: Welle von Morden an weiblichen Instagram-Stars schockiert, 23. Oktober 2018
https://derstandard.at/2000089213394-1895/Mordwelle-an-weiblichen-Instagram-Stars-schockiert

„Im Irak sorgt eine auffällige Häufung von Morden an Instagram-Starlets für Erschütterung. Ende September wurde die 22-jährige Tara Fares nahe der Hauptstadt Bagdad mit drei Schüssen in ihrem Auto ermordet. Fares war durch ihre Veröffentlichungen auf Instagram zum Internetstar geworden. Dort folgten ihr 2,7 Millionen Menschen.

Immer wieder veröffentlichte die junge Frau Fotos von sich selbst mit verschiedenen Haarfarben, ihren Tattoos und gewagten Kleidern und wollte damit ihre Landsfrauen zu einem mutigeren Auftreten ermuntern. Nach ihrer Ermordung äußerten zahlreiche Fans die Vermutung, dass Fares ihr westlicher Lebensstil zum Verhängnis geworden sein könnte. […]

Früher im September wurde bereits die irakische Menschenrechtsaktivisten Suad al-Ali bei einem gezielten Mord auf einem Markt in Basra getötet. Auch die plastische Chirurgin Rafeef al-Yassiri, besser bekannt als "Iraks Barbie", und die berühmte Kosmetikerin Rashan al-Hassan wurden 2018 bereits auf brutale Art ermordet. Yassiri war vor allem dafür bekannt, Opfern von Kriegsverletzungen ihr entstelltes Gesicht zu verschönern. Sie soll vergiftet worden sein.

Motiv hinter den brutalen Morden soll stets die progressive und weltoffene Lebensart sowie die Eigenständigkeit der Entscheidungen der Frauen gewesen sein. Inwiefern die Morde jedoch zusammenhängen, ist unklar.“ (Der Standard, 23. Oktober 2018)

Freedom House ist eine Nichtregierungsorganisation mit Hauptsitz in Washington, D.C., die sich mit der Untersuchung und Förderung von Demokratie, politischer Freiheit und Menschenrechten weltweit beschäftigt.

·      Freedom House: Freedom in the World 2021 - Iraq, 3. März 2021
https://www.ecoi.net/de/dokument/2046520.html 

„Both men and women face pressure to conform to conservative standards on personal appearance. A number of high-profile women associated with the beauty and fashion industries were murdered in 2018. The assailants remain unknown, but the government blamed extremist groups for the murders.“ (Freedom House, 3. März 2021)

Die Iraqi Research Foundation for Analysis and Development (IRFAD) stellt Recherche zum Irak von IrakerInnen zur Verfügung.

·      IRFAD – Iraqi Research Foundation for Analysis and Development: Iraq Fashion, ohne Datum
http://www.irfad.org/iraq-fashion/

„Iraqi fashion is varied, and showcases different cultures and influences. There are many stereotypes when it comes to Middle Eastern fashion, but in reality there is a mix of Western and Eastern influence in the street fashion you see in everyday Iraq. In the 1950s, when Iraq operated as newly independent state, women and men often wore Western clothing, and exhibited a strong progressive sense of fashion. Since 2003, Iraqi clothing has been sometimes limited and monitored by Islamic religious insurgents. Women in particular who do not don the abaya, a long dark dress that covers the head and the body, or the hijab, a head scarf, can receive threats and unwanted negative attention by insurgents when seen in public. In certain sects wearing a hijab and/or abaya is seen as a sign of modesty and purity for women.

However, this does not mean that women do not dress in a Western fashion in Iraq today. In most urbanized areas (Erbil, Baghdad, Basra) women wear long pants, shirts with only half sleeves, and dress as they like. Many conservative Islamic Iraqi women dress as they please while at home or while in the homes of friends or family, away from the public eye and from unrelated male relatives—wearing jeans, t-shirts, and other Western or Iraqi traditional fashions. Iraqi women are attracted to Western brands, such as Chanel and Burberry; however, these brands that they are attracted to and purchase are not original, but knockoffs. Many women, when they get home, take off their hijab and other pieces of clothing to make themselves feel at home.“ (IRFAD, ohne Datum)

USDOS (US Department of State) ist das US-amerikanische Außenministerium.

·      USDOS – US Department of State: 2019 Report on International Religious Freedom: Iraq, 10. Juni 2020
https://www.ecoi.net/de/dokument/2031369.html

„According to representatives of Christian NGOs, some Muslims continued to threaten women and girls, regardless of their religious affiliation, for refusing to wear the hijab, for dressing in Western-style clothing, or for not adhering to strict interpretations of Islamic norms governing public behavior. Outside the IKR [Iraqi Kurdistan Region], numerous women, including Christians and Sabean-Mandeans, said they opted to wear the hijab after continual harassment.“ (USDOS, 10. Juni 2020)

Wiener Zeitung (WZ) ist eine österreichische Tageszeitung und Amtsblatt.

·      WZ – Wiener Zeitung: Teheran ist allgegenwärtig, 10. November 2017
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt-europa/weltpolitik/928344_Teheran-ist-allgegenwaertig.html?em_cnt_page=2

„Schleierpflicht für Frauen: In Kerbela werden Frauen gezwungen, sich zu verschleiern und die schwarze Abaja zu tragen.“ (WZ, 10. November 2017)