Myanmar 2019

Berichtszeitraum: 1. Januar bis 31. Dezember 2019

In den Staaten Kachin, Rakhine und Shan beging das Militär 2019 Kriegsverbrechen und andere gravierende Menschenrechtsverletzungen.

Die Regierung ergriff keine wirksamen Maßnahmen, um den 740.000 Rohingya, die seit August 2017 nach Bangladesch geflohen waren, eine freiwillige Rückkehr in Sicherheit und Würde zu ermöglichen. Rohingya, die in Rakhine geblieben waren, lebten unter Bedingungen, die einem Apartheid-System gleichkamen. Die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit waren nach wie vor eingeschränkt.

Menschenrechtsverteidiger_innen und andere friedliche Aktivist_innen wurden weiterhin willkürlich inhaftiert. Die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen und völkerrechtliche Verbrechen genossen noch immer Straffreiheit.

Hintergrund

Die wirtschaftliche und politische Macht des Militärs war unverändert groß. Die von der Nationalen Liga für Demokratie (National League for Democracy – NLD) geführte Regierung kündigte zwar im Februar 2019 an, einen Ausschuss für eine Reform der Verfassung von 2008 einzusetzen, doch gab es bis zum Jahresende keine Fortschritte diesbezüglich. Am 27. September 2019 ratifizierte Myanmar das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten.

Interner bewaffneter Konflikt

Ab Januar 2019 eskalierten die Kämpfe zwischen dem Militär und der Arakan Army, einer bewaffneten Gruppe in Rakhine. Das Militär war für schwere Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung verantwortlich, darunter rechtswidrige Angriffe, willkürliche Festnahmen, Folter und andere Misshandlungen, Verschwindenlassen, außergerichtliche Hinrichtungen und Zwangsarbeit. In vielen Fällen handelte es sich dabei um Kriegsverbrechen.

Die Arakan Army verübte ebenfalls Menschenrechtsverstöße, dazu zählten willkürliche Freiheitsberaubung sowie die Bedrohung und Einschüchterung von Zivilpersonen. Im Juni 2019 blockierten die Behörden in neun Konfliktregionen in den Staaten Rakhine und Chin den Zugang zum Internet, was Anlass zu großer Sorge in Bezug auf die Sicherheit der Zivilbevölkerung gab. Zwar wurde die Internetsperre in einigen Gebieten Ende August teilweise wieder aufgehoben, andere Landesteile waren jedoch am Jahresende immer noch abgeschnitten.

Auch der anhaltende Konflikt im nördlichen Teil des Shan-Staats ging vor allem zulasten der Zivilbevölkerung. Das Militär verübte Kriegsverbrechen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen, wie willkürliche Festnahmen, Haft ohne Kontakt zur Außenwelt auf Militärstützpunkten, Folter und andere Misshandlungen sowie rechtswidrige Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Bewaffnete ethnische Gruppen begingen ebenfalls gravierende Menschenrechtsverstöße an Zivilpersonen, darunter Entführungen, Folter und andere Misshandlungen, Zwangsarbeit und Erpressung.

Im August nahmen die gewaltsamen Auseinandersetzungen massiv zu, nachdem drei bewaffnete Gruppen militärische Einrichtungen und andere Anlagen angegriffen hatten. Die Eskalation führte zu neuen Vertreibungen und schweren Menschenrechtsverletzungen aller Konfliktparteien. Im Kachin-Staat fanden 2019 zwar keine nennenswerten Kämpfe statt, doch auch hier wurden Zivilpersonen von Militärangehörigen willkürlich festgenommen, gefoltert und anderweitig misshandelt.

Lage der Rohingya

An den schätzungsweise 600.000 Rohingya, die noch im Staat Rakhine lebten, wurden 2019 weiterhin Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Ihre Rechte auf Gleichberechtigung, Freizügigkeit und eine Staatsbürgerschaft wurden permanent verletzt, und sie hatten keinen Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung, Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Auch sieben Jahre nach ihrer Vertreibung lebten etwa 128.000 Menschen, die meisten von ihnen Rohingya, noch immer in erbärmlichen Flüchtlingslagern in Rakhine und waren auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Die Regierung ergriff keine wirksamen Maßnahmen, um die Rückkehr Hunderttausender Rohingya zu ermöglichen, die 2017 und in früheren Jahren aus Myanmar geflohen waren, um sich vor Gewaltausbrüchen in Sicherheit zu bringen. Trotz anderslautender Behauptungen der Regierung gab es keine Fortschritte, was die Umsetzung von Empfehlungen betraf, die der Beratende Ausschuss zum Staat Rakhine ausgesprochen hatte. Für Hilfsorganisationen und unabhängige Journalist_innen war der Zugang zu den betroffenen Gebieten stark eingeschränkt.

Vertreibung und eingeschränkter Zugang für Hilfsorganisationen

Zehntausende Menschen wurden infolge von Konflikten vertrieben. Im Staat Rakhine waren mehr als 30.000 Menschen von den Kämpfen zwischen Militär und Arakan Army betroffen. Im Norden des Shan-Staats wurden mehrere Tausend Menschen vertrieben, oft sogar mehrmals für kurze Zeit, sodass ihr Lebensunterhalt und ihre kurz- und langfristige Ernährungssicherheit gefährdet waren.

Die Auswirkungen der Konflikte und Vertreibungen trafen ältere Menschen in besonderem Maße, vor allem in Hinblick auf ihren Lebensunterhalt und ihre Gesundheitsversorgung. Zivile und militärische Behörden schränkten den Zugang für Hilfsorganisationen im ganzen Land weiterhin ein.

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Auch 2019 wurden politische Aktivist_innen, Medienschaffende, Menschenrechtsverteidiger_innen und andere Personen allein deshalb festgenommen und inhaftiert, weil sie friedlich ihre Menschenrechte wahrnahmen. Das Militär überzog politisch aktive Menschen, die sich kritisch äußerten, mit Strafverfahren. Im August 2019 wurde der bekannte Filmemacher Min Htin Ko Gyi zu einem Jahr Haft verurteilt. Er war im April festgenommen und angeklagt worden, weil er sich in den sozialen Medien kritisch über die Rolle des Militärs in der Politik geäußert hatte. Im April und im Mai 2019 wurden sieben junge Satiriker_innen festgenommen, weil sie bei einem Auftritt das Militär kritisiert hatten. Sechs von ihnen wurden in der Folge zu Freiheitsstrafen von eineinhalb bis zweieinhalb Jahren verurteilt. Alle sieben waren am Jahresende noch mit weiteren Anklagen konfrontiert.

Die Behörden nutzten weit gefasste und vage formulierte Gesetze, um abweichende Meinungen zu unterdrücken und die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken, dazu zählten Paragraf 66d des Telekommunikationsgesetzes, das Datenschutzgesetz, das Gesetz über friedliche Versammlungen und Bestimmungen des Strafgesetzbuchs. Trotz ihrer überwältigenden parlamentarischen Mehrheit unternahm die von der NLD geführte Regierung nichts, um Gesetze zu überprüfen oder zu reformieren, die zur Einschränkung dieser Rechte führten.

Im Mai 2019 wurden die beiden Reuters-Reporter Wa Lone und Kyaw Soe Oo im Zuge einer Amnestie des Präsidenten aus dem Gefängnis entlassen. Sie waren 2018 zu sieben Jahren Haft verurteilt worden, weil sie zu einem Massaker an der Rohingya-Minderheit im Staat Rakhine recherchiert hatten. Ihre Freilassung konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Journalist_innen in Myanmar weiterhin wegen ihrer beruflichen Tätigkeit schikaniert, willkürlich inhaftiert und strafrechtlich verfolgt wurden.

Straflosigkeit

Völkerrechtliche Verbrechen sowie weitere gravierende Menschenrechtsverletzungen und -verstöße wurden nach wie vor nicht geahndet. Die Regierung weigerte sich, mit internationalen Untersuchungsgremien zusammenzuarbeiten. Die von der Regierung eingerichtete Unabhängige Untersuchungskommission, die Menschenrechtsverletzungen nachgehen sollte, die seit August 2017 im Staat Rakhine begangen wurden, zeichnete sich durch einen Mangel an Kompetenz, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit aus. Ihr Abschlussbericht, der Ende August 2019 vorliegen sollte, wurde auf Januar 2020 verschoben.

Im Februar 2019 kündigte das Militär die Einrichtung eines "Untersuchungsgerichts" an, das Vorwürfen über Menschenrechtsverletzungen und -verstößen in Rakhine nachgehen soll. Das Gericht, bei dem Militärangehörige Menschenrechtsverletzungen des Militärs untersuchen sollen, war ganz offensichtlich weder unabhängig noch unparteiisch. Es gab nur selten Ermittlungen zu Menschenrechtsverletzungen und -verstößen in anderen Teilen des Landes, und die mutmaßlichen Verantwortlichen wurden zumeist nicht bestraft.

Trotz der mangelnden Strafverfolgung in Myanmar verwies der UN-Sicherheitsrat die Situation nicht an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH).

Internationale Kontrolle

Die Regierung verweigerte der UN-Sonderberichterstatterin über die Menschenrechtssituation in Myanmar 2019, wie bereits im Vorjahr, die Einreise in das Land. Die vom UN-Menschenrechtsrat 2017 eingesetzte unabhängige internationale Untersuchungskommission zu Myanmar (Independent International Fact-Finding Mission on Myanmar – IIFFMM) legte ihm September 2019 ihren Abschlussbericht über schwerwiegende und anhaltende Menschenrechtsverletzungen vor. Die Regierung wies den Abschlussbericht ebenso wie die anderen Berichte, die die Kommission im Laufe des Jahres veröffentlichte, als unbegründet und unbewiesen zurück.

Im Mai 2019 veröffentlichten die Vereinten Nationen das Ergebnis einer internen Überprüfung ihrer seit 2011 in Myanmar durchgeführten Maßnahmen. Der Bericht stellte "Mängel im System der UN" fest und machte Vorschläge für eine bessere Kommunikation und Zusammenarbeit. Über die Umsetzung dieser Empfehlungen wurde nichts bekannt.

Im November 2019 eröffnete der IStGH ein Ermittlungsverfahren wegen der Vertreibung der Rohingya aus Myanmar und anderer Verbrechen in diesem Zusammenhang, die in Teilen auch das Staatsgebiet von Bangladesch betrafen. Im Juli und im Dezember verhängte die US-Regierung Sanktionen gegen General Min Aung Hlaing, den Oberbefehlshaber der Armee Myanmars, und drei weitere hochrangige Militärs wegen ihrer Rolle bei den Massakern an den Rohingya.

Im September 2019 nahm ein vom UN-Menschenrechtsrat eingesetztes unabhängiges Ermittlungsgremium zu Myanmar (Independent Investigative Mechanism for Myanmar – IIMM) seine Tätigkeit auf. Es soll – im Anschluss an die Arbeit der IIFFMM – Beweise für schwere Straftaten sammeln, sichern und Akten für die strafrechtliche Verfolgung erstellen. Im November 2019 reichte die Regierung von Gambia beim Internationalen Gerichtshof (IGH) Klage wegen Völkermordes gegen Myanmar ein und forderte eine einstweilige Verfügung. Bei einer Anhörung des Gerichts im Dezember wies eine myanmarische Delegation unter Führung von Staatsrätin Aung San Suu Kyi die Anschuldigung zurück, das Land habe gegen seine Verpflichtungen gemäß der UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes verstoßen.

Berichte von Amnesty International

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