Anfragebeantwortung zur Türkei: Zahl der Abschiebungen nach Afghanistan, Verfahren in der Türkei; Häufigkeit und Ziel von Abschiebeflügen; Monitoringprogramme zu Abschiebungen [a-11209]

 

12. März 2020

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.

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Zahl der Abschiebungen nach Afghanistan

Das Directorate General of Migration Management (DGMM) ist die zuständige türkische Regierungsbehörde für Migrationsangelegenheiten und internationalen Schutz. Das DGMM gibt auf seiner Webseite keine Zahlen zu Abschiebungen bekannt. Auf eine Anfrage an das DGMM von ACCORD, ob diese Zahlen erhältlich seien und ob Trends herauszulesen wären, erhielt ACCORD die Antwort, dass entsprechende Informationen und Statistiken nicht an externe Institutionen weitergegeben würden. (DGMM, 6. März 2020)

 

In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten keine aktuellen, strukturierten Informationen oder Statistiken zu Abschiebungen nach Afghanistan gefunden werden. Es konnten in unterschiedlichen Quellen einige Informationen und Zahlen zu Abschiebungen im Frühjahr 2018 und im Jahr 2019 gefunden werden:

 

Das Afghanistan Analysts Network (AAN), eine unabhängige, gemeinnützige Forschungsorganisation mit Hauptsitz in Kabul, die Analysen zu politischen Themen in Afghanistan und der umliegenden Region erstellt, veröffentlichte im Juni 2018 einen ausführlichen Beitrag zu Massenabschiebungen von AfghanInnen aus der Türkei im Frühjahr 2018. Der Beitrag berichtet, dass der türkische Innenminister Suleyman Soylu im Fernsehen verkündet habe, dass 15.000 AfghanInnen aus der Türkei nach Afghanistan zurückgeschickt worden seien. AAN hält es für wahrscheinlich, dass diese Zahlen übertrieben sein könnten, ohne Zweifel seien aber Tausende AfghanInnen im April und Mai 2018 nach Kabul ausgeflogen worden. AAN berichtet mit Verweis auf einen Artikel der türkischen Zeitung GüneBakiş[1] weiters, dass im April 2018 die türkische Regierung ihre Anstrengungen verstärkt habe, die Migration von Afghanen über die iranische Grenze in die Türkei zu unterbinden. Diese Anstrengungen hätten in der ersten Aprilwoche in Erzurum begonnen, nachdem eine Delegation der afghanischen Regierung, auf Veranlassung der türkischen Regierung, in die Türkei gereist sei und zugestimmt habe Reisedokumente für Afghanen, die in Rückkehrzentren in Erzurum untergebracht seien, auszustellen, damit diese nach Afghanistan abgeschoben werden könnten. In den Jahren zuvor sei die afghanische Regierung nicht bereit gewesen solche Dokumente auszustellen:

„In a recent television appearance, the Turkish Interior Minister, Suleyman Soylu, said that 15,000 Afghans have been sent back home from Turkey. While it is likely that this number has been exaggerated, there is no doubt that in April and May of 2018, thousands of Afghan migrants were sent back on charter flights from Turkey to Kabul. […] In April 2018, the Turkish government increased its efforts to stem Afghan migration across the Iranian border. These efforts began in Erzurum during the first week of April, after a group of Afghan officials arrived, at the Turkish government’s behest, having agreed to provide travel documents to Afghans detained in Erzurum’s removal centres so that they could be returned to Afghanistan. In previous years the Afghan government had been unwilling to readily provide such documents.” (AAN, 21. Juni 2018)

Die türkischsprachige Zeitung Karadeniz’den Günebakış berichtet in einem Artikel vom April 2018, dass nach der Einigung mit der afghanischen Delegation zunächst 670 afghanische Flüchtlinge per Charterflug aus Erzurum nach Afghanistan Kabul geschickt werden würden und zitiert den Leiter des DGMM in Erzurum, Haşim Özcan, dass das Flüchtlingsproblem in kurzer Zeit gelöst sein werde, da die aufgegriffenen AfghanInnen mit dem Flugzeug von Erzurum nach Kabul geschickt würden. (Karadeniz’den Günebakiş, 6. April 2018)

 

Laut dem Beitrag von AAN vom 21. Juni 2018 habe der Besuch der afghanischen Delegation nur Erzurum betroffen, obwohl es aufgrund späterer Abschiebungen aus anderen Provinzen wahrscheinlich sei, dass die Frage der Reisedokumente auch für andere Rückkehrzentren besprochen worden sei. Die Abschiebungen hätten die gesamte Türkei betroffen, aus Erzurum sei aber die größte Zahl an Afghanen abgeschoben worden, Charterflüge aus Erzurum hätten circa 2.334 Personen nach Afghanistan ausgeflogen:

„This visit only concerned the removal centres in Erzurum, although, judging by later deportations from other provinces, it is likely that the question of travel documents was raised in these locations as well. While removal efforts have spanned the whole of Turkey, Erzurum has witnessed the largest number of Afghans deported. Charter flights out of Erzurum have brought approximately 2,334 people back to Afghanistan.” (AAN, 21. Juni 2018)

Laut AAN seien die Zahlen der türkischen Regierung für die Abschiebungen, die im April und Mai 2018 durchgeführt worden seien, wahrscheinlich übertrieben. Die offizielle Zahl der türkischen Regierung von 6.800 Abschiebungen in der ersten Aprilwoche sei nicht von IOM bestätigt worden. Außerdem sei die auf Angaben des DGMM beruhende Zahl der in Summe abgeschobenen Personen bei 3.670 Personen gelegen und würde damit weit unter der vom Innenministerium angegebenen liegen:

„It is quite possible that the volume of returns in April and May 2018 has been exaggerated. The IOM in Afghanistan did not confirm the official number of 6,800 given by the Turkish government for the first week of the deportations in April. The total number of people deported, based on announcements by the Directorate General of Migration Management (3,670) is also far below the number given by the Ministry of the Interior.” (AAN, 21. Juni 2018)

Die türkische Zeitung Evrensel zitiert in einem Artikel vom Jänner 2019 Ali Hekmat, den Präsidenten des Vereins zur Solidarität und Hilfeleistung für afghanische Flüchtlinge (Afgan Mülteciler Dayanışma ve Yardımlaşma Derneği; Afgan Refugees Solidarity in Turkey - ARSA), der in einem Interview gesagt habe, dass laut Angaben des DGMM im gesamten Jahr 2018 31.000 afghanische Flüchtlinge abgeschoben worden seien (Evrensel, 28. Jänner 2019).

 

Ein Mitarbeiter der Organisation Refugee Rights Turkey (RRT), einer unabhängigen Nichtregierungsorganisation, die rechtliche Beratung und Unterstützung für Flüchtlinge anbietet, gibt in einer E-Mail-Auskunft vom März 2020 auf die Frage nach der Anzahl der Abschiebungen aus der Türkei nach Afghanistan an, dass die meisten Afghanen, die irregulär in die Türkei einreisen, nach ihrer Festnahme abgeschoben würden. (RRT, 2. März 2020)

 

Der türkische Innenminister Süleyman Soylu habe laut Artikeln in mehreren türkischen Medien (z.B. Daily Sabah, 27. Mai 2019; TRT Haber, 26. Mai 2019; Hürriyet, 27. Mai 2019) im Mai 2019 gesagt, dass von 41.192 illegalen afghanischen Einwanderern, die bislang zwischen Jänner und Mai 2019 in die Türkei gekommen seien, 20.558 wieder zurückgeschickt worden seien:

„Turkey has seen a surge in the number of Afghan illegal migrants. Interior Minister Süleyman Soylu announced yesterday that some 41,192 migrants arrived from the Asian country between January to May of this year, and 20,558 of them were deported. The minister said the number of those sent back was unprecedented on a global level.” (Daily Sabah, 27. Mai 2019)

Die türkische Zeitung Independent Türkçe zitiert den Innenminister Süleyman Soylu in einem Artikel vom August 2019 damit, dass von den 72.000 in den ersten sieben Monaten des Jahres 2019 aufgegriffenen afghanischen StaatsbürgerInnen 29.000 abgeschoben worden seien (Independent Türkçe, 2. August 2019).

 

Die Webseite des DGMM führt Statistiken mit Stand 4. März 2020 an, denen zufolge die Zahl der aufgegriffenen irregulären MigrantInnen im Jahr 2018 268.003 und im Jahr 2019 454.662 betragen habe. Die Zahl der aufgegriffenen irregulären afghanischen MigrantInnen habe sich von 45.259 im Jahr 2017 auf 201.437 im Jahr 2019 mehr als vervierfacht:

[Darstellung entfernt] (DGMM, 4. März 2020)

Häufigkeit und Ziel von Abschiebeflügen

In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten keine aktuellen Informationen zur Häufigkeit von Abschiebeflügen nach Afghanistan gefunden werden. Die Quellen, die das Ziel der Charterflüge der abgeschobenen afghanischen StaatsbürgerInnen nennen, sprechen alle von der afghanischen Hauptstadt Kabul. Beispielhaft werden hier drei Quellen angeführt:

„In early April of this year [2018, Anmerkung ACCORD], the first charter flight carrying Afghans back to Kabul flew out of Erzurum, a city in eastern Anatolia that has become the centre of these returns.” (AAN, 21. Juni 2018)

„Die Zahl der Afghanen, die nach Kabul, der Hauptstadt Afghanistans, zurückgeschickt wurden, erreichte 6.000 […]“ (CNN Türk, 11. Dezember 2018)

„Nach Verhandlungen zwischen den beiden Ländern wurde beschlossen, die Flüchtlinge mit dem Flugzeug von Erzurum nach Kabul zu schicken.“ (Karadeniz’den Günebakış Gazetesi, 6. April 2018)

Monitoringprogramme von Abschiebeflügen

Ein Mitarbeiter der Organisation Refugee Rights Turkey antwortet in einer E-Mail-Auskunft vom 2. März 2020 auf die Frage nach Monitoringprogrammen von Abschiebeflügen, dass ihm kein Monitoringprogramm bekannt sei und ein solches aufgrund der hohen Anzahl an Abschiebungen kaum durchführbar wäre. (RRT, 2. März 2020)

 

AAN schreibt in seinem Beitrag vom Juni 2018, dass aufgrund der fehlenden Transparenz zur Abwicklung der Rückkehr, zur Zahl der Rückkehrer und zum Vorhandensein einer Vereinbarung ein unabhängiges Monitoring der Situation so gut wie unmöglich sei:

„The Afghan and Turkish governments’ lack of transparency on return procedures, number of returnees, and existence of an agreement makes independent monitoring of the situation nearly impossible.“ (AAN, 21. Juni 2018)

Verfahren in der Türkei

Abschiebungen sind rechtlich durch das Gesetz zu Fremden und internationalem Schutz („Law on Foreigners and International Protection“) vom 11. April 2013 sowie vier Novellen zu diesem Gesetz geregelt (ECRE, März 2019, S. 11). In Artikel 54 und 55 wird festgelegt, welchen Personen eine Abschiebungsentscheidung („removal decision“) ausgestellt wird und in welchen Fällen keine Abschiebeentscheidung ausgestellt wird. Artikel 56 legt fest, dass bei Ausstellung einer Abschiebeentscheidung betroffenen Fremden ein Zeitraum von 15 bis 30 Tagen gewährt wird, um die Türkei zu verlassen. Dieser Zeitraum wird unter gewissen Umständen nicht gewährt, wenn beispielsweise das Risiko einer Flucht oder des Untertauchens besteht. In Artikel 57 wird die Anhaltung von Fremden im Rahmen von Verwaltungshaft und die Dauer der Anhaltung zum Zweck der Abschiebung sowie die Möglichkeiten der Berufung gegen die Entscheidung der Verwaltungshaft geregelt. Artikel 58 legt fest, dass Personen, die der Verwaltungshaft unterliegen, in Rückkehrzentren („removal centers“) unterkommen sollen, die vom Innenministerium verwaltet werden. Artikel 59 regelt die Leistungen, die in Rückkehrzentren zur Verfügung stehen. Artikel 60 regelt die Umsetzung von Abschiebeentscheidungen. (Law on Foreigners and International Protection, 11. April 2013, Artikel 54-60)

 

Eine inoffizielle vom DGMM herausgegebene englische Übersetzung des Gesetzes zu Fremden und internationalem Schutz finden Sie unter folgendem Link:

·      Law on Foreigners and International Protection (Nr. 6458), verabschiedet am 4. März 2013, veröffentlicht in der Official Gazette Nr. 28615, 11. April 2013 (inoffizielle Arbeitsübersetzung des DGMM vom April 2014)
https://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain?page=search&docid=5167fbb20&skip=0&query=removal&coi=TUR

 

ECRE erläutert in seinem Länderbericht vom März 2019, dass AntragstellerInnen auf internationalen Schutz in der Türkei prinzipiell das Recht hätten, während des laufenden Entscheidungsverfahrens auf türkischem Territorium zu bleiben. Allerdings sei im Oktober 2016 mit einer Notverordnung eine Ausnahme dazu eingeführt worden, die verfüge, dass Abschiebeentscheidungen unter gewissen Umständen auch während des laufenden Verfahrens jederzeit ausgestellt werden könnten. Dies könne aus Gründen der Führung, Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Organisation oder gewinnorientierten kriminellen Gruppe, der Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder öffentlichen Gesundheit oder wegen Beziehungen zu durch internationale Organisationen oder Institutionen definierten terroristischen Organisationen erfolgen. Die Reform sei mit dem Gesetz Nr. 7070 am 1. Februar 2018 konsolidiert worden. Dieses Gesetz würde im Ergebnis die unrechtmäßige Abschiebung von AsylwerberInnen, InhaberInnen von internationalem oder temporärem Schutz aufgrund der zuvor genannten Gründe ermöglichen, die größtenteils vage seien und breit interpretiert werden könnten:

„Applicants for international protection generally have the right to remain on the territory of Turkey throughout the procedure. However, an exception to this rule was introduced by way of emergency decree in October 2016, providing that a deportation decision ‘may be taken at any time during the international protection proceedings’ against an applicant for reasons of: (i) leadership, membership or support of a terrorist organisation or a benefit-oriented criminal group; (ii) threat to public order or public health; or (iii) relation to terrorist organisations defined by international institutions and organisations. The reform was consolidated by Law No 7070 on 1February 2018. [] The law effectively enables the unlawful deportation of asylum seekers, beneficiaries of international protection and beneficiaries of temporary protection on the aforementioned grounds which remain largely vague and could be interpreted widely.” (ECRE, März 2019, S.23) 

Die Berufung gegen eine Abschiebeentscheidung, die ein Rechtsmittel außerhalb der Rechtsmittel im Verfahren für internationalen Schutz sei, habe prinzipiell aufschiebende Wirkung, allerdings bestünden seit Oktober 2016 auch hier Ausnahmen. Aufgrund der Notverordnung Nr. 676 würden Personen bei Vorliegen der oben zitierten Gründe trotz Berufung gegen eine Abschiebeentscheidung kein Recht zum Verbleib im Land haben:

„The appeal against a deportation decision, which is a remedy separate from remedies in the international protection procedure, generally has automatic suspensive effect, although exceptions to the right to remain on the territory exist as of October 2016. Following Emergency Decree No 676, persons appealing against a removal decision have no right to remain where removal is ordered for reasons of: (i) leadership, membership or support of a terrorist organisation or a benefit-oriented criminal group; (ii) threat to public order or public health; or (iii) relation to terrorist organisations defined by international institutions and organisations.” (ECRE, März 2019, S.24-25) 

Laut dem Länderbericht von ECRE vom März 2019 mit Informationen zu Praktiken im türkischen Asylwesen im Jahr 2018 hätten die ansteigenden Grenzübertritte über die iranische Grenze zu restriktiven Maßnahmen, willkürlichen Inhaftierungs- und Abschiebepraktiken geführt, wobei vorwiegend alleinstehenden afghanischen Männern Abschiebeformulare, sogenannte T1-Formulare, ausgestellt worden seien. Diese T1-Formulare würden normalerweise in der Folge von Verwaltungshaft in einem Rückkehrzentrum („Removal Center“) oder einer Polizeistation ausgestellt. Wenn ein solches Formular ausgestellt worden sei, könne die betroffene Person keinen Antrag auf internationalen Schutz stellen und diese Entscheidung könne nur über eine gerichtliche Berufung angefochten werden:

„The increasing arrivals through the Iranian border has led to restrictive measures and arbitrary detention and deportation practices (see Place of Detention), with mainly single Afghan men being issued deportation (‘T1’) forms. The ‘T1’ forms are usually issued following administrative detention in a Removal Centre or a police station […] If a ‘T1’ deportation decision has been issued, the person cannot apply for international protection and can the decision only be challenged by a judicial appeal.” (ECRE, März 2019, S. 22)

In seinem Beitrag vom 21. Juni 2018 schreibt AAN, dass die fehlende Transparenz zur Abwicklung der Rückkehr, zur Zahl der Rückkehrer und zum Vorhandensein einer Vereinbarung die willkürliche Anwendung von türkischen Gesetzen zu Inhaftierung und Abschiebung ermögliche:

„The Afghan and Turkish governments’ lack of transparency on return procedures, number of returnees, and existence of an agreement makes independent monitoring of the situation nearly impossible. This lack of transparency also enables the arbitrary application of Turkish laws on detention and deportation.” (AAN, 21. Juni 2018)

Auf der Webseite des DGMM wird erläutert, wer in Rückkehrzentren untergebracht wird: AusländerInnen, denen eine Ausweisungsentscheidung vorliege, bei denen das Risiko der Flucht oder des Untertauchens bestehe, die gegen die Ein- oder Ausreiseregeln der Türkei verstoßen hätten, gefälschte Dokumente verwenden würden, die ohne akzeptablen Grund nicht innerhalb der für die Ausreise gewährten Zeit ausreisen würden oder ein Risiko für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit darstellen würden, würden unter Verwaltungsaufsicht in Rückkehrzentren angehalten (DGMM, ohne Datum (a)). Auf der Webseite ist außerdem eine Aufstellung mit 28 Rückkehrzentren des DGMM zu finden, die 2019 in Summe eine Kapazität von 20.000 Plätzen gehabt hätten (DGMM, ohne Datum (b)). ECRE erklärt in seinem Länderbericht vom März 2019, dass die Rückkehrzentren grundsätzlich als Einrichtungen für Verwaltungshaft zum Zweck der Abschiebung definiert seien, aber auch dafür genutzt würden, Antragsteller auf internationalen Schutz festzuhalten („detain“) (ECRE, März 2019, S. 78), wofür es für gewisse Umstände rechtliche Grundlagen gebe, wie zum Beispiel an Grenzübergängen, um irreguläre Einreise zu verhindern (ECRE, März 2019, S. 79).

 

Weitere Informationen zur Festnahme von AsylwerberInnen finden Sie in der folgenden Quelle auf den Seiten 78 bis 98:

·      ECRE – European Council on Refugees and Exiles: Country Report: Turkey, März 2019
http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_tr_2018update.pdf

 

Mit Bezugnahme auf Angaben von Stakeholdern berichtet ECRE im Länderbericht vom März 2019 weiter, dass eine Reihe de facto Inhaftierungen von Personen in Einrichtungen wie beispielsweise Sportstätten in verschiedenen Provinzen beobachtet worden seien ohne Inhaftierungsbeschluss („detention order“) bevor sie in ein Rückkehrzentrum gebracht worden seien oder Dokumente zur freiwilligen Rückkehrt unterzeichtet hätten:

“Stakeholders have witnessed a number of practices consisting of de facto detention of people in facilities e.g. sport halls in different provinces, without a detention order, prior to being transferred to a Removal Centre or to signing voluntary return documents. It is not clear whether these centres are managed by DGMM or the Directorate General for Security Affairs.” (ECRE, März 2019, S.86) 

Amnesty International (AI) berichtet in einem Appell vom 24. April 2018, dass die Rückkehr von Afghanen nach Afghanistan nach Angaben der türkischen Regierung im Frühjahr 2018 freiwillig erfolgt sei. Inhaftierte haben aber berichtet, dass sie darüber informiert würden, dass sie nach Afghanistan zurückgeschickt würden und man ihnen sagen würde, sie müssten ihre Fingerabdrücke auf einem türkischen Dokument abgeben, dessen Inhalt sie nicht verstehen würden, da das Dokument nur in türkischer Sprache geschrieben sei. Amnesty International vermutet, dass es sich bei diesem Dokument um ein Formular zur freiwilligen Rückkehr handeln könnte. Quellen hätten Amnesty International auch berichtet, dass Afghanen vor die Wahl zwischen Abschiebung und Inhaftierung gestellt würden:

“The Turkish authorities state that returns to Afghanistan are voluntary. However, detainees say they are being informed that they will be sent back to Afghanistan, and people are told they must put their fingerprints on a document written only in Turkish, and which they don’t understand. This document could be a ‘voluntary repatriation form,’ which the Turkish authorities have previously used in coercive circumstances with Syrian and other refugees. Confidential sources state that Afghans are presented with a ‘choice’ between deportation and detention.” (AI, 24. April 2018)

Der afghanische Generalkonsul in Istanbul, Zakaria Barakzai, wies laut einem Artikel der afghanischen Nachrichtenagentur Pajhwok vom Mai 2018 die Behauptungen von Amnesty International, dass es sich um erzwungene Rückkehr handeln könnte, zurück und sagte, dass die Rückkehr freiwillig und koordiniert erfolgt sei. Die an Afghanen ausgegebenen Dokumente würden nicht in Türkisch sondern in Paschtu, Dari und Englisch verfasst sein und würden von afghanischen Diplomaten an illegal eingereiste Afghanen verteilt werden:

„The Afghan consulate general in Istanbul, on Monday scorned Amnesty International’s report regarding the forced deportation of refugees from Turkey.

Zakaria Barakzai […said that] the Afghan migrants’ return to their country was voluntary and based on coordination. […] He added documents distributed to the Afghans were in Pashto, Dari and English languages, not in Turkish. The papers were distributed by Afghan diplomats to those who illegally entered Turkey, he explained.” (Pajhwok, 10. Mai 2018)

AAN zitiert in einem Beitrag vom Juni 2018 den Präsidenten der afghanischen Flüchtlingsorganisation ARSA, Ali Hekmat, der in einem Interview mit Deutsche Welle Farsi im April 2018 gesagt habe, dass er aufgrund des Ausmaßes und der hohen Geschwindigkeit der Abschiebungen nicht glaube, dass die erste Welle der Abgeschobenen überprüft worden sei:

“Ali Hekmet, the chairman of an Afghan refugee rights association in Turkey, said in an interview in April with Deutsche Welle that he did not believe the cases of the first wave of deportees had been examined, considering the size and speed of the deportations.” (AAN, 21. Juni 2018)

In einem Online-Artikel in türkischer Sprache des europäischen Nachrichtennetzwerks Euronews über afghanische EinwanderInnen in die Türkei wird Zakira Hekmat vom Verein zur Solidarität und Hilfeleistung für Afghanische Flüchtlinge (Afgan Mülteciler Dayanışma ve Yardımlaşma Derneği; Afgan Refugees Solidarity in Turkey - ARSA) zitiert, die über Abschiebungen folgendes berichtet: Die illegal in die Türkei eingereisten Afghanen würden von der Gendarmerie festgenommen und an die Landesorganisationen des DGMM überstellt. Hier würde mit den Flüchtlingen ein kurzes Gespräch geführt und bei einer Ablehnung des Aufenthaltes gleich die Abschiebeprozedur eingeleitet. Die Namen würden der afghanischen Botschaft mitgeteilt, die die Dokumente für eine Rückkehr vorbereite. (Euronews, 27. Juni 2018)

 

Der oben zitierte Beitrag des AAN vom Juni 2018 berichtet unter Bezugnahme auf Beiträge der türkischen Zeitung Karar und Radio Free Europe/Radio Liberty, dass am 8. April 2018 eine gemeinsame Pressekonferenz des türkischen Premierministers Binali Yildirim und des damaligen afghanischen Regierungschefs Abdullah Abdullah stattgefunden habe, während der bekanntegegeben worden sei, dass zwischen den beiden Ländern eine Vereinbarung über das Zurücksenden von illegal in die Türkei eingereisten Personen getroffen worden sei. Es scheine laut AAN aber kein formelles Rücknahmeabkommen zwischen den beiden Staaten zu geben und die afghanische Regierung scheine selbst unschlüssig, was die Vereinbarung umfasse und ob überhaupt eine bestehe. Der Medienberater des afghanischen Ministeriums für Flüchtlinge und Wiedereinbürgerung habe gesagt, dass sein Ministerium in dieser Frage der Abschiebungen nicht konsultiert worden sei und dass keine solche Vereinbarung mit der Türkei abgeschlossen worden sei:

„On 8April 2018, the Turkish Prime Minister Binali Yıldırım said, during a joint-press conference with the Afghan Chief Executive, Adbullah Abdullah, that the two countries have reached an agreement on the matter of sending back those who arrive illegally.’ However, there does not appear to be a formal readmission agreement between the two countries, and the Afghan government themselves seem conflicted as to what the agreement entails, or if any agreement exists at all. Hafiz Ahmad Miakhel, the media adviser for the Afghan Ministry of Refugees and Repatriation, has said that his ministry had not been consulted about the deportations, and that no such agreement had been reached with Turkey.” (AAN, 21. Juni 2018

 


Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 12. März 2020)

·      AAN - Afghanistan Analysts Network: Mass Deportations of Afghans from Turkey: Thousands of migrants sent back in a deportation drive, 21.Juni 2018  
https://www.afghanistan-analysts.org/en/reports/migration/mass-deportations-of-afghans-from-turkey/
 

·      AI – Amnesty International: Urgent Action: 77/18 [EUR 44/8258/2018], 24. April 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/1430571/1226_1524636658_eur4482582018english.pdf

·      CNN Türk: Sınır dışı edilen Afgan göçmen sayısı 6 bin 846 oldu, 11. Dezember 2018
https://www.cnnturk.com/turkiye/sinir-disi-edilen-afgan-gocmen-sayisi-6-bin-846-oldu

·      Daily Sabah: Influx and deportation of illegal Afghan migrants on the rise, 27. Mai 2019
https://www.dailysabah.com/investigations/2019/05/27/influx-and-deportation-of-illegal-afghan-migrants-on-the-rise

·      DGMM – Directorate General of Migration Management: Über die Irreguläre Migration, ohne Datum (a)
https://de.goc.gov.tr/allgemeine-informationen53

·      DGMM – Directorate General of Migration Management: Rückkehrzentren, ohne Datum (b)
https://de.goc.gov.tr/ruckkehrzentren

·      DGMM - Directorate General of Migration Management: Irregular Migration, Stand: 4. März 2020
https://en.goc.gov.tr/irregular-migration

·      DGMM - Directorate General of Migration Management: E-Mail-Auskunft, 6. März 2020

·      ECRE – European Council on Refugees and Exiles: Country Report: Turkey, März 2019
http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_tr_2018update.pdf

·      Euronews: Afganistan'dan yürüyerek geliyorlar: Türkiye'nin göz ardı edilen Afgan göçmen gerçeği, 27. Juni 2018
https://tr.euronews.com/2018/06/25/afganistan-dan-yuruyerek-geliyorlar-turkiye-nin-goz-ardi-edilen-afgan-gocmen-gercegi

·      Evrensel: Muhammed gibi binlerce mülteci ölüme gönderiliyor, 28. Jänner 2019
https://www.evrensel.net/haber/372111/muhammed-gibi-binlerce-multeci-olume-gonderiliyor

·      Hürriyet: 5 ayda 10 bin düzensiz göçmen sınır dışı, 27. Mai 2019
https://www.hurriyet.com.tr/gundem/5-ayda-10-bin-duzensiz-gocmen-sinir-disi-41226534

·      Independent Türkçe: İçişleri Bakanı Soylu: Mülteciler kontrol edilmezse Türkiye göç transit merkezi haline gelir, 2. August 2019
https://www.independentturkish.com/node/57871/haber/i%C3%A7i%C5%9Fleri-bakan%C4%B1-soylu-m%C3%BClteciler-kontrol-edilmezse-t%C3%BCrkiye-g%C3%B6%C3%A7-transit-merkezi

·      Karadeniz’den Günebakış Gazetesi: Afganistan´dan Erzurum´a heyet geldi, sorun çözüldü… YÜRÜYEREK GELDİLER UÇAKLA DÖNECEKLER, 6. April 2018
http://erzurumgunebakis.com/haber/afganistandan-erzuruma-heyet-geldi-sorun-cozuldu-yuruyerek-geldiler-ucakla-donecekler-10553.html

·      Law on Foreigners and International Protection (Nr. 6458), verabschiedet am 4. März 2013, veröffentlicht in der Official Gazette Nr. 28615, 11. April 2013 (inoffizielle Arbeitsübersetzung des DGMM vom April 2014)
https://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain?page=search&docid=5167fbb20&skip=0&query=removal&coi=TUR

·      Pajhwok – Pajhwok Afghan News: No forced deportations from Turkey, says Barakzai, 10. Mai 2018
https://www.pajhwok.com/en/2018/05/10/no-forced-deportations-turkey-says-barakzai

·      RRT – Refugee Rights Turkey: E-Mail-Auskunft, 2. März 2020

·      TRT Haber, Bakan Soylu: 20 bin 558 kaçak Afgan göçmen geri gönderildi, 26. Mai 2019
https://www.trthaber.com/haber/turkiye/bakan-soylu-20-bin-558-kacak-afgan-gocmen-geri-gonderildi-417049.html

 



[1] AAN verweist an dieser Stelle auf einen Artikel der türkischsprachigen Zeitung GüneBakiş vom 6. April 2018:

Karadeniz’den Günebakış Gazetesi: Afganistan´dan Erzurum´a heyet geldi, sorun çözüldü… YÜRÜYEREK GELDİLER UÇAKLA DÖNECEKLER, 6. April 2018

http://erzurumgunebakis.com/haber/afganistandan-erzuruma-heyet-geldi-sorun-cozuldu-yuruyerek-geldiler-ucakla-donecekler-10553.html