Anfragebeantwortung zum Iran: Überprüfung des Status von an iranischen Gerichten anhängigen Strafverfahren online [a-11256]

27. April 2020

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.

Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

 

Bitte beachten Sie, dass die in dieser Anfragebeantwortung enthaltenen Übersetzungen aus dem Persischen unter Verwendung von technischen Übersetzungshilfen erstellt wurden. Es besteht daher ein erhöhtes Risiko, dass diese Arbeitsübersetzungen Ungenauigkeiten enthalten.

 

Das Dina Legal Counseling Center, eine im Iran ansässige private nichtprofitorientierte Organisation, die sich selbst als unabhängig von jeglichen staatlichen und privaten Institutionen beschreibt, geht in einem undatierten Artikel auf ihrer Webseite auf die notwendigen Schritte zur Einsicht in den Status von Gerichtsverfahren online ein. Laut Dina Legal Counseling Center sei es heutzutage nicht möglich, den Status von Gerichtsverfahren herauszufinden, indem man zum Gericht gehe oder ein Schreiben einsende. Daher habe die Justiz ein System eingerichtet, das die schnellere und einfachere Erledigung von Rechtsfällen ermögliche. Dieses System, das Sana-System heiße, ermögliche zudem die Nachverfolgung von Justizfällen, wenn man eine Vollmacht besitze und entweder einen Nationalcode (Code Melli) oder eine Nationalnummer (Schomareh Melli, eine Nummer, die sich auf dem iranischen Personalausweis findet, Anm. ACCORD)[1] habe. Zunächst einmal müsse man sich, um die Funktionen des Sana-Systems zu nutzen, auf der Webseite anmelden. Dazu müsse man auf sana.adliran.ir gehen und hier die notwendigen Schritte durchlaufen, um sich im System zu registrieren. Der Artikel enthält folgenden Screenshot der Webseite, auf der die Registrierung erfolge:

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Laut den im Screenshot ersichtlichen Feldern wird die sich registrierende Person nach ihrer Nationalnummer (Schomareh Melli), ihrem Geburtsdatum und der Seriennummer ihrer Geburtsurkunde (Schomareh Seriyal Schenasnameh) gefragt. Nachdem man den Registrierungsprozess im Sana-System abgeschlossen habe, könne das persönliche Passwort zum Einloggen ins System bei einem der Büros für Onlinedienste des Justizsystems abgeholt werden. Dort werde die Identität des Antragstellers überprüft und daraufhin das Passwort ausgestellt. Mit diesem persönlichen Passwort und dem Nationalcode (Code Melli) sei es möglich, ein Gerichtsverfahren nachzuverfolgen.

Um ein Gerichtsverfahren nachzuverfolgen, müsse man die Webseite adliran.ir aufrufen und auf der rechten Seite die Option „Information für Personen“ auswählen. Ein weiterer Screenshot zeigt rot eingerahmt, wo auf der Seite man klicken müsse:

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Daraufhin öffne sich die folgende Seite, auf der man seine Nationalnummer und das vom Büro für Onlinedienste des Justizsystems ausgestellte persönliche Kennwort eingeben müsse:

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Daraufhin werde ein temporäres Passwort per SMS an den Antragsteller geschickt, das man nun ins System eingeben müsse:

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Wenn man alle oben erwähnten Schritte korrekt vorgenommen habe, sehe man nun das Benutzerkonto des Antragstellers und Informationen zu den Antragsteller betreffenden Gerichtsverfahren. Ein weiterer Screenshot zeigt an, wie so ein Benutzerkonto aussieht. In das Feld oben rechts ist die Nationalnummer (Schomareh Melli/ شماره ملی) und in das Feld oben links die Aktennummer (Schomareh Parvandeh / شماره پرونده) einzutragen:

[Bild entfernt]  (Dina Legal Counseling Center, ohne Datum)

ACCORD versuchte über mehrere Tage von verschiedenen Browsern (Firefox, Internet Explorer, Google Chrome) aus auf die Webseite adliran.ir zuzugreifen. Bei jedem versuchten Zugriff erfolgte die Anzeige „Fehler: Netzwerk-Zeitüberschreitung“, es konnte daher nicht auf die Seite zugegriffen werden.

Im Internet Archive, einem gemeinnützigen Projekt zur Langzeitarchivierung digitaler Daten, wurde die Startseite von adliran.ir mehrfach archiviert, der letzte „Schnappschuss“ dieser Startseite wurde im April 2017 aufgenommen. Dort lässt sich in einer von Google Translate erstellten Übersetzung die Überschrift „Information für Personen (information for individuals)“ erkennen, die oben im Artikel angesprochen wurde. (Adliran, Stand: 28. April 2017)

Dr Mohammad Hedayati-Kakhki, Mitglied der iranischen Anwaltskammer, Dozent für vergleichendes Recht an der Universität Durham und Experte bezüglich des iranischen Rechtssystems, gibt in einer Emailauskunft vom April 2020 an, dass das iranische Justizsystem seit 2013/2014 eine elektronische Datenbank benutze, die es ermögliche, alle Rechtsdokumente (darunter Emails, Fax, Vorladungen, gerichtliche Entscheidungen etc.) über dieses Medium zu kommunizieren. Eine Person müsse, um diesen Service zu nutzen, eine Partei in einem laufenden zivilen oder strafrechtlichen Gerichtsfall sein. Sie müsse sich zudem auf der Webseite der iranischen Justizverwaltung, adliran.ir, registrieren. Bei der Registrierung müsse man eine Reihe von Sicherheitsfragen beantworten, die sich speziell auf den Fall beziehen würden, um die Identität des Antragstellers zu überprüfen. Wenn dieser Schritt erfolgreich beendet sei, werde die betreffende Person mit einem einzigartigen Benutzernamen und Passwort ausgestattet, um alle relevanten Dokumente ihres Gerichtsfalles online einsehen zu können:

„I can confirm that since 2013/14 the Iranian Judiciary has been utilising an electronic database pursuant to Article 175 of the Iranian Criminal Procedure Code (2013) which permits all legal documents and judicial correspondence (including emails, faxes, summonses, court decisions, etc.) to be legally communicated/served via this medium. In order for an individual to be able to use this service they must be a party to an existing/ongoing case, be it of criminal or civil nature. They must also register with the relevant Iranian justice administration website known as Adl Iran/Iran Justice (عدل ایران) which can be accessed via: http://adliran.ir/. 

Upon successfully registering their details with the website (a number of security questions specific to the case will be asked through the registration process in order to establish that the individual is who they claim to be), the subject will be provided with a unique username and password in order to access all documents available electronically in his/her case. There are two additional web pages on the main site (http://adliran.ir/) which are often used as a shortcut when a legal document is made available to the authorised parties and/or their legal representatives (see further ‘eblagh1.adliran.ir’ and ‘eblagh3.adliran.ir’).“ (Hedayati-Kakhki, 24. April 2020)

Im Prinzip, so Hedayati-Kakhki weiters, könne man also anhängige Verfahren online abrufen, jedoch gelange man nicht lediglich durch Eingabe der Aktennummer und der Ladungsnummer zu dieser Information. Man müsse sich zunächst auf der Webseite registrieren und dann mit einem sicheren Benutzernamen und Passwort ausgestattet werden, um Zugang zu Informationen zu dem relevanten Fall zu erhalten. Was den Zugriff auf die Webseite adliran.ir aus dem Ausland angehe, so scheine es, dass die Seite für Zugriffe aus dem Ausland blockiert sei („geo-blocked“). Er habe selbst mehrfach erfolglos von Großbritannien aus versucht, die Seite von mehreren Geräten aus (PC, Laptop, iPad, Mobiltelefon) aufzurufen. Es scheine, als ob die Webseite in der Lage sei, iranische IP-Adressen zu erkennen und dass sie nur von Personen aufgerufen werden könne, die einen iranischen Internetprovider benutzen würden. Dies könne ein temporärer oder ein dauerhafter Zustand sein. In der Vergangenheit habe er diese Webseite auf Geheiß britischer Rechtsanwälte aufgerufen, um den Status von Gerichtsverfahren iranischer Asylsuchender zu prüfen. Hierbei sei es ihm möglich gewesen, mit den Login-Daten des Asylwerbers die Webseite aufzurufen. Es sei daher möglich, dass die Webseite nun permanent für jeglichen Zugriff aus dem Ausland gesperrt sei oder es könne sein, dass aufgrund von laufenden Wartungsarbeiten kein Zugriff aus dem Ausland möglich sei:

„[…] whilst, in principle, he may be able to access this information online, this cannot be achieved through the use of the relevant file number and summons number. He must first register with the website and be issued with a secure username and password in order to access the relevant case information. Regarding the accessibility of the website (http://adliran.ir/), I can confirm that it is indeed accessible for those who are in Iran and I have spoken with several colleagues from the Bar Association who have recently been able to access their client's information on the database using the above-mentioned web addresses. However, it would appear that the website is geo-blocked, and is therefore inaccessible to individuals who are outside Iran. I have personally attempted to access the site from the United Kingdom on a number of occasions over the course of this week using various devices (PC/laptop/iPad/mobile phone) without success. I was advised by colleagues to disable any ad-blocking software that may be operating on my device; however, having completed the many technical steps advised I have still been unable to access this site from abroad. It seems that the website is able to recognise Iranian IP addresses, and is only accessible to persons using an Iranian internet service provider, which may be on a temporary or permanent basis. I must note that in the past I have been instructed by British lawyers to access this website to check the status of trials for asylum claimants, and I was able to independently access the website using the claimant's login details. Therefore, it is possible that the website has now been permanently geo-blocked, or it may be the case that its inaccessibility from abroad is related to ongoing maintenance work on the site.“ (Hedayati-Kakhki, 24. April 2020)

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 27. April 2020)

·      Adliran: Startseite, Stand: 28. April 2017 (aufgerufen über Internet Archive, übersetzt von Google Translate)
https://web.archive.org/web/20170224234231/http://sakha3.adliran.ir/

·      Dina Legal Counseling Center: Verfolgung eines Justizaktes mit Nationalcode

[پیگیری پرونده قضایی با کد ملی], ohne Datum
http://www.heyvalaw.com/web/articles/view/1769/%D9%BE%DB%8C%DA%AF%DB%8C%D8%B1%DB%8C-%D9%BE%D8%B1%D9%88%D9%86%D8%AF%D9%87-%D9%82%D8%B6%D8%A7%DB%8C%DB%8C-%D8%A8%D8%A7-%DA%A9%D8%AF-%D9%85%D9%84%DB%8C.html

·      Hedayati-Kakhki, Mohammad, Email-Auskunft, 24. April 2020 


[1] Es scheint, als ob der Artikel im Folgenden die Termini Nationalcode und Nationalnummer synonym verwedet, Anm. ACCORD