Anfragebeantwortung zu China: Rückkehrsituation für alleinstehende Frau ohne Bildung und Netzwerk; Situation im ländlichen wie im städtischen Raum [a-10949-2]

4. April 2019

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Es konnten keine Informationen zum konkreten Thema Rückkehrsituation von alleinstehenden Frauen ohne Schulbildung und Berufserfahrung und ohne sozialem Netzwerk gefunden werden. Im Folgenden werden Informationen zur Situation unverheirateter Frauen (mit Fokus auf ländliche Gebiete), allgemeine Informationen zur Situationen von Frauen in ländlichen Gebieten, sowie Informationen zum Thema Neuansiedlung im städtischen Gebiet (unter besonderer Berücksichtigung von Frauen mit niedrigem Bildungsgrad) zusammengestellt.

Informationen zu unverheirateten Frauen (mit Fokus auf ländliche Gebiete)

Frau Dr. Astrid Lipinsky, Universitätsassistentin am Institut für Ostasienwissenschaften/Sinologie des Wiener Zentrums für Taiwanstudien der Universität Wien und Betreiberin einer Informationswebseite, die das Thema Frauen in China behandelt, schreibt in einer Email-Auskunft vom April 2019 folgendes zum Thema unverheiratete Frauen in China:

„In China haben in ländlichen Gebieten lebende Frauen ab einem gewissen Alter so gut wie keine Möglichkeit, unverheiratet zu bleiben - dies allein schon aufgrund der rechtlichen Situation. So haben beispielsweise nicht einzelne Frauen, sondern Familien das Recht auf Landbesitz. Wenn also beispielsweise eine unverheiratete Frau keine Geschwister hat und ihre Eltern sterben, ist es wahrscheinlich, dass die Frau den Anspruch auf ihr Land verliert. Frauen, die alleine sind, ziehen aller Wahrscheinlichkeit nach in die Stadt, weil sie nur dort als Singles leben können. Zu unverheirateten Frauen in der Stadt (‚Leftover women‘) gibt es zahlreiche Berichte. Für junge Frauen allein ist die Wanderung vom Land in die Stadt allerdings inzwischen nicht ungefährlich, die Gefahr, dass sie in der Prostitution landen, ist hoch.

Der Grund, warum es keine Berichte zu unverheirateten Frauen in Chinas ländlichen Gebieten gibt, ist der, dass es solche Frauen (mit der Ausnahme von Minderjährigen und Witwen) kaum zu geben scheint. Die Frauenknappheit in China – Folge der Ein-Kind-Politik, geschätzter Männerüberhang 2020 (offizielle Zahlen, die tatsächlich höher sein können) 34 Millionen! - konzentriert sich besonders im ländlichen, ärmsten China. Von Frauen im armen Dorf wird erwartet, dass sie in ein reicheres heiraten, oder am besten gleich in die Stadt. Das ländliche China ist besonders traditionell, deshalb wird von Frauen bis 25 Jahre die Heirat erwartet und auch von Eltern und Verwandten erzwungen. Die Eltern betrachten sich als verpflichtet, ihren Sohn zu verheiraten, damit der die Familienlinie fortsetzt. Sind die Ausgangsbedingungen des Sohnes schlecht – behindert, Schulversager, ohne einträglichen Beruf – setzen die Eltern die Tochter als Bonus ein. Es kommt zu sogenannten Kreuzverbindungen: Tochter der Familie A heiratet ‚nach unten‘ den Sohn der Familie B. Dafür gibt Familie B ihre Tochter der Familie A, wo noch ein Sohn lebt, der dringend eine Frau braucht. Frauen, die am Land leben und nicht heiraten wollen, können nur woanders hingehen, wo sie nicht heiraten müssen, beziehungsweise begehen auch viele Selbstmord […].“ (Lipinsky, 6. April 2019)

Laut einer Pressemitteilung der international tätigen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) vom März 2017 würden die Behörden Frauen, die älter als 27 Jahre seien, als „Übriggebliebene“ diffamieren und öffentliche Kampagnen durchführen, um sie dazu zu bringen, sich zu verheiraten. (HRW, 7. März 2017)

 

Im Online-Auftritt des US-amerikanischen Magazins Psychology Today findet sich ein Blogeintrag der Psychologin Bela DePaulo, die darin ein Buch von der Journalistin Roseann Lake zu unverheirateten Frauen in China vorstellt. De Paulo schreibt, dass das Alter, ab dem von einer chinesischen Frau erwartet werde, dass sie verheiratet sein solle und ab der sie als „Übriggebliebene“ bezeichnet werde, auf dem Land bei 25 und in der Stadt bei 30 liege. (Psychology Today, 17. April 2018)

 

Die britische Tageszeitung The Telegraph lässt in einem im April 2016 veröffentlichten Artikel die chinesische Journalistin Yuan Ren zum Thema unverheiratete Frauen in China zu Wort kommen. Ren meint, dass in China mehr als 90 Prozent der Frauen vor dem dreißigsten Lebensjahr heiraten würden. Mit 27 Jahren würde man, wenn man nicht verheiratet sei, bereits als „Übriggebliebene“ bezeichnet werden und mit dreißig „sei man so gut wie tot“. Sie selbst habe als Single lediglich sexistische Kommentare vonseiten ihrer Familie hinnehmen müssen, für viele Frauen seien die familiären Schikanen jedoch unerbittlich und demütigend:

„[M]ore than 90 per cent of women marry before 30 in China. Single at 27 and you’re a ‘leftover woman’; single at 30 – well, you're as good as dead. The first time I heard such a comment was in 2008, when I was 22 and fresh out of British university. At the time 25 had seemed far off, not to mention 30. But my auntie still warned me of its dangers: ‘If you are a 30-year-old unmarried woman in China, life’s over. You’ll forever be a spinster’. […]

Just last month, after a minor disagreement with my father, he tossed out this charming line: ‘Looks like women who are over a certain age and unmarried develop temper issues.’ But however shocking this might seem, it’s just the tip of the iceberg compared to what other women go through. My family is pretty easy going - relatively speaking. For so many women, familial harassment can be relentless and abusive. Not to mention boring and repetitive (the whole ‘leftover’ argument has been going on for too long).” (Telegraph, 11. April 2016)

Laut einem Artikel der britischen Wochenzeitung The Economist vom August 2014 sei es in China nicht einfach eine Frau zu sein. Der Druck zu heiraten beginne in den frühen bis mittleren Zwanzigern. Bezüglich der Bildungs- und Jobchancen seien in der weitgehend chauvinistisch geprägten Kultur die Männer bevorzugt, Schikanen am Arbeitsplatz und häusliche Gewalt seien weit verbreitet und nur schwer vor Gericht zu bringen. Der Begriff „Übriggebliebene“ werde häufig auf unverheiratete Frauen angewendet, die Mitte Zwanzig oder älter seien.

It isn’t easy being young and female in China. The pressure to marry begins from your early to mid-twenties, often with your own mother ringing you on a daily basis to encourage you to settle. Education and job opportunities are rigged towards men in a broadly chauvinistic culture. Harrassment in the work place, and domestic violence at home, are rife and difficult to bring to court. […] ‘Leftover’ is an insulting term in Chinese applied to unmarried women in their mid-twenties or older, often with a high level of education or professional accomplishment, who are cast by society (including the All China Women’s Federation, an official organ) as too picky and unappealing for their own good.” (Economist, 2. August 2014)

Der im folgenden Abschnitt zitierte Artikel der Zeitung The Telegraph vom Oktober 2016, der vorwiegend das Thema Selbstmord von Frauen in ländlichen Gebieten Chinas behandelt, enthält noch weitere relevante Informationen zum Thema unverheiratete Frauen.

Frauen in ländlichen Gebieten

Die britische Tageszeitung The Telegraph schreibt in einem Artikel vom Oktober 2016, dass das ländliche Leben in China für Frauen lange Zeit hart gewesen sei, dass es aber noch heute so sei, dass viele Frauen auf dem Land von der eigenen Familie wie Bürger zweiter Klasse behandelt würden. Seien sie erst einmal verheiratet, seien sie ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter untergeordnet. Viele hätten psychische Probleme aber kaum oder gar keine Unterstützung oder Hilfe im Umgang mit diesen. Die Folgen seien offensichtlich, China sei das einzige Land der Welt, in dem die Selbstmordrate der Frauen höher sei als jene der Männer. Die Experten seien sich zwar bezüglich der genauen Zahl uneins, aber Schätzungen zufolge würden in China jedes Jahr um 25 bis 40 Prozent mehr Frauen Suizid begehen als Männer. 26 Prozent aller Selbstmorde weltweit würden in China verübt. Nach Angaben der Weltbank und der Weltgesundheitsorganisation hätten im Jahr 2009 in China täglich etwa 500 Frauen Suizid begangen. In ländlichen Gebieten sei die Zahl verglichen mit den urbanen Gebieten vier- bis fünfmal so hoch, woraus sich ablesen lasse, wie viel trostloser das Leben in den traditionellen Bauerngemeinden sei.

In ländlichen Gemeinden könne das Geld knapp sein und die Traditionen würden oftmals strikt eingehalten. Frauen würden dort früher heiraten als in den Städten, und die Verheiratete würde dann häufig bei ihren Schwiegereltern leben, wobei eine Flucht aus der angeheirateten Familie nicht einfach sei. Im Alter von 30 Jahren noch unverheiratet zu sein, daran sei kaum zu denken. Deshalb sei es auch kein Wunder, dass in China für im ländlichen Raum lebende Frauen im Alter von 15-34 Jahren das höchste Selbstmordrisiko bestehe.

Es gebe jedoch einige Hinweise darauf, dass in China die Selbstmordrate von Frauen rapide sinken würde. In dem Artikel wird dies mit der Übersiedelung vieler Frauen in die Städte in Zusammenhang gebracht:

For a long time, rural life in China was grim for women. They were married early, isolated and denied the same level of education as boys. Even today, many rural women are treated like second class citizens by their own family, subordinate to their fathers, brothers and - once married - their husband and mother-in-law. Many are left with mental health issues - but little or no support or help in dealing with them. The consequences are plain to see. China is the only country in the world where the female suicide rate is higher than the male. Experts differ on the exact number - but estimates say that between 25 and 40 per cent more women kill themselves each year than men. In the UK [United Kingdom], three quarters of all suicides are by men. China accounts for 26 per cent of the world's suicides. According to the World Bank and the World Health Organisation, the country saw approximately 500 by women per day in 2009. That's 182,500 a year. If suicide has continued at that rate since those statistics were published, that means more than 1.2 million Chinese women have taken their own lives in the past seven years. And in rural areas, the number is four to five times higher compared to that in urban areas – an indication of how much bleaker life is in traditional farming communities. […]

In countryside communities, money can be tight and traditions are often strictly adhered to. Women become brides earlier than in cities and the notion of marrying ‘into’ a family is taken literally, with newlyweds often living with their in-laws. Escape is not easy […] And if you're unmarried by 30? Don't even think about it. Little wonder, perhaps, that rural young women aged 15–34 are at the highest risk of suicide in China. […]

There is, however, some evidence that women’s suicide rates in China are falling - and fast. In the past, married rural women were often isolated to their husband’s family circle and often had little space to vent frustration. Today, around 50 per cent of labour migrant workers in China’s cities are women; and even in the countryside, they are more socially and professionally active. Over 28 per cent of internet users in China are from rural areas - and rural women are helping prop up e-commerce by making and selling goods online. Family sizes are also smaller, due to the one-child policy, reducing the burden of child rearing and providing more time for women to engage in other affairs, or go out to work.” (Telegraph, 20. Oktober 2016)

In einem im Mai 2013 veröffentlichten Artikel der US-amerikanischen Zeitschrift The Atlantic hält Eric Fish, Autor des Buches „China's Millennials - The Want Generation“ fest, dass in China die Selbstmordrate von Frauen in den Jahren 1995 bis 1999 um 25 Prozent höher als jene der Männer gewesen sei. Die Selbstmordrate sei darüber hinaus in ländlichen Gebieten dreimal so hoch gewesen wie jene in urbanen Gebieten. Dies habe sich jedoch gebessert, laut Michael Phillips, Geschäftsführer des Selbstmordpräventionszentrums der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO), sei die Selbstmordrate von Frauen nun (mit Stand 2013) fast gleich hoch wie jene von Männern, und die Rate sei in ländlichen Gebieten nun doppelt so hoch wie jene in urbanen Gebieten. Die Selbstmordrate von Frauen in ländlichen Gebieten liege laut Jing Jun, einem Soziologen an der Tsinghua-Universität, bei etwa neun Fällen pro 100.000 Menschen. Beide Forscher würden meinen, dass die Urbanisierung der Hauptfaktor für den oben beschriebenen Wandel sei. Der Anteil an vom Land stammenden Arbeitern, die zwecks Jobaussichten aus ihrer Heimatstadt weggezogen seien, sei von 7 Prozent der ländlichen Arbeitskräfte Chinas im Jahr 1987 auf fast 30 Prozent (mit Stand 2013) gestiegen. Von diesen Wanderarbeitskräften seien mehr als ein Drittel Frauen. Laut Jun sei neben der dadurch entstehenden Distanz zu etwaig gewalttätigen Ehemännern und sich herrisch verhaltenden Schwiegereltern auch das sich Fernhalten von den in der Landwirtschaft verwendeten giftigen Pestiziden ein weiterer Schlüsselfaktor. Doch würde die sinkende Selbstmordrate viele der Probleme verschleiern, die es weiterhin gebe und von denen auf dem Land lebende Frauen und Frauen, die in die Städte übersiedeln würden, betroffen seien.

Auf dem Land lebende Frauen hätten im Jahr 2010 nur 56 Prozent von dem verdient, was ihre männlichen Kollegen verdient hätten. Durch den Mangel an finanziellen Mitteln und die schlechtere Machtposition seien Frauen in ländlichen Gebieten Ausbeutung ausgesetzt.

Es sei schwer, objektiv festzustellen, ob die Belastung von Frauen auf dem Land in der Vergangenheit größer gewesen sei, oder ob sie in Zukunft zunehmen werde. Die Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei gleichzeitiger Verschlechterung der sozialen Rahmenbedingungen sei ein häufig festgestelltes Phänomen unter jungen Frauen in ländlichen Gebieten Chinas, einer Gruppe mit wenigen Möglichkeiten, ihre Stimme zu erheben:

„An oft-cited study published in 2002 found that, between 1995 and 1999, Chinese women committed suicide at a 25 percent higher rate than Chinese men -- a clear contrast with worldwide trends -- and that rural suicides happened at three times the rate of urban areas. The study shocked the nation and led to dozens of media reports. But now, more than a decade after its release, suicide rates among this demographic have plummeted. According to Michael Phillips, executive director of the WHO's Suicide Prevention Center in Beijing and the conductor of the 2002 study, the male to female suicide rate is now nearly equivalent, and the rural rate is now just twice the urban rate. Furthermore, research by Tsinghua University Sociologist Jing Jun found that the suicide rate among rural women actually dipped below that of rural men back in 2006 and has since remained relatively steady at around 9 cases per 100,000 people, down from 33 in 1987. Both researchers believe urbanization is the primary factor for this change. The proportion of rural workers traveling away from their hometown for employment has shot up from 7 percent of China's rural labor force in 1987 to nearly 30 percent today. Of those migrant workers, over a third are now women. Jing Jun says that by leaving for most of the year to work in cities, women are separated from abusive husbands and overbearing in-laws -- the primary stresses cited in cases of suicide among rural women. Separating women from pesticides -- a highly accessible and lethal substance correlated with impulsive suicides -- is another key factor. But the dropping suicide rate may mask many of the issues that continue to put pressure on rural women both in the countryside and when they branch out into the cities. […]

Rural women only earned 56 percent of what their male counterparts did in 2010, down from 79 percent in 1990. These gaps in money and power leave rural women vulnerable to exploitation. […]

It's hard to objectively measure whether the ‘bitterness’ for rural women was greater in the past or will become greater in the future. Improving economic conditions concurrent with deteriorating social conditions is a common situation among young rural Chinese women -- a group with little power to speak out.” (Atlantic, 17. Mai 2013)

Die wirtschaftsliberale Bertelsmann Stiftung, eine deutsche gemeinnützige Denkfabrik mit Sitz in Gütersloh, schreibt in ihrem im Jahr 2018 veröffentlichten Länderbericht zu China, dass die chinesische Verfassung zwar vorsehe, dass Männer und Frauen gleichberechtigt seien und es seit 1996 Gesetze zum Schutz von Frauenrechten gebe. Dennoch seien deren Rechte und Möglichkeiten in der Praxis in vielen Teilen Chinas nach wie vor stark beeinträchtigt. Opfer hätten bei solchen Verstöße zwar grundsätzlich die Möglichkeit, sich rechtlich schadlos zu halten, jedoch würden Korruption und eine mangelnde Unabhängigkeit der Justiz die Wirksamkeit dieser rechtlichen Mechanismen behindern.

Vor allem innerhalb der älteren Generation und insbesondere in den ländlichen Gebieten würden Frauen nicht als gleichwertig gelten, jedoch würde sich die Situation innerhalb der jüngeren Generationen ändern:

„Although the Chinese constitution stipulates that both men and women enjoy equal rights and legislation for the protection of women’s rights has been in place since 1996, in practice, women’s rights and opportunities are still severely compromised in many parts of China. While in principle, victims can seek redress for such violations, corruption and the lacking independence of the judiciary hampers the efficacy of these mechanisms.” (Bertelsmann Stiftung, 2018, S. 12)

„Especially among the older generation, and in particular in the rural areas, women are not regarded as equals, but the situation is changing for younger generations.” (Bertelsmann Stiftung, 2018, S. 23)

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) hält in seinem Jahresbericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2018) vom März 2019 fest, dass Frauen in China im Durchschnitt 35 Prozent weniger verdienen würden als Männer, die ähnliche Arbeiten verrichten würden. In den ländlichen Gebieten sei dieses Lohngefälle noch größer. (USDOS, 13. März 2019, Section 6)

 

Die englischsprachige, sich in staatlicher Hand befindende chinesische Tageszeitung China Daily schreibt in einem Artikel vom März 2011, dass laut Experten aus dem Bereich Geschlechterstudien der geringe Radius der sozialen Netzwerke von auf dem Land lebenden chinesischen Frauen die Hauptursache für deren höhere Armut und Arbeitslosigkeit sei.

Laut Pun Ngai, dem stellvertretenden Direktor des Forschungszentrums für Sozialdienstleistungen der Universität Peking, hätten sich die meisten Frauen, aus Angst, betrogen zu werden, auf Familienangehörige verlassen, wenn sie auf der Suche nach einem Job gewesen seien. Auch seien sie nachts selten ausgegangen, aus Angst, geärgert oder gehänselt zu werden:

The narrow social networks of rural women on the Chinese mainland are the main cause of their higher poverty and unemployment rates, gender studies experts said at a forum on grassroots women over the weekend. […]

According to Pun Ngai, deputy director of Peking University-HK Polytechnic University Social Service Research Center, most rural women relied on family members when looking for jobs for fear of being cheated, and they seldom went out at night for fear of being bullied or teased.“ (China Daily, 9. März 2011)

China Labour Bulletin (CLB), eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Hong Kong, die sich für die Rechte von ArbeiterInnen in China einsetzt, hält in einem im März 2004 veröffentlichten Artikel einige Informationen zum Thema Arbeiterinnen in ländlichen Gebieten fest. Unter Verweis auf einen Bericht des staatlichen Statistik-Büros aus dem Jahr 1990 hätten 82,6 Prozent der in der Stadt lebenden Frauen eine Form von Rente, 71 Prozent der in der Stadt lebenden Frauen eine Form von Krankenversicherung, 79,9 Prozent eine Form von Krankenstand und 85 Prozent eine Form von Mutterschaftsurlaub erhalten, doch für Frauen aus ländlichen Gebieten würden die entsprechenden Prozentsätze nur bei jeweils 5,6 Prozent, 8 Prozent, 9,2 Prozent und 12,1 Prozent liegen. Diese Statistiken würden nicht die große Zahl an Frauen mitumfassen, die ohne Vertrag oder ohne irgendeine Form von Entgelt arbeiten würden. Dies zeige deutlich, wie weit der ländliche Raum bezüglich der Bereitstellung von Sozialleistungen für seine ärmeren Bewohner hinter dem städtischen Raum zurückbleibe.

Die in ländlichen Gebieten weit verbreitete allgemeine Geschlechterungleichheit würde Frauen noch vulnerabler machen. Die Vormachtstellung der Männer im landwirtschaftlichen Bereich sowie die Bevorzugung von Männern für nicht-landwirtschaftliche Tätigkeiten würden zum Teil von dem schlechteren Bildungsniveau der Frauen herrühren. Zum Teil sei dafür aber auch die allgemeine Ansicht verantwortlich, dass Frauen mehr mit der Betreuung der Familie beschäftigt seien und sein sollten, sowie der Ansicht, dass Frauen weniger arbeitsfähig seien als Männer. Viele auf dem Land lebende Frauen würden diese Ansichten gar nicht in Frage stellen, da ihnen beigebracht worden sei, den Männern in der Schule, bei der Arbeit und bezüglich der Eigentumsrechte die Chancen zu überlassen:

„According to a 1990 report from the State Statistics Bureau, 82.6 percent, 71 percent, 79.9 percent and 85 percent of urban women receive some form of pension, medical insurance, sick leave provision and maternity leave respectively, yet only 5.6 percent, 8 percent, 9.2 percent and 12.1 percent of rural women have the same respective benefits. […] While these statistics do not include the huge numbers of women working without contracts or any form of benefits, and do not reflect the common problem of non-payment of such benefits from employers for urban workers, they clearly reveal how far the countryside lags behind in the provision of social security for its poorer residents. […]

Fourthly, gender inequality more generally, is pervasive in rural areas and makes women even more vulnerable. In communities where farmers have developed small market gardens or sell their produce at a local market, it is the men that have control of the enterprise, while the women generally undertakes the more laborious and unprofitable work, such as growing food crops. In rural areas, when non-agricultural job opportunities come up, such as in local township enterprises, priority for employment is given to the male farmers. This favouritism is due in part to women’s lower educational status, but also to a general belief that women are - and should be - more occupied with caring for the family, and that women are less able than men. Many rural women do not question this, for they have been taught to let the men have better opportunities - in schooling, in work and in property rights.” (CLB, 6. März 2004)

Neuansiedlung im städtischen Raum (unter besonderer Berücksichtigung von Frauen und dem Bildungsgrad)

Im Jahresbericht zur Menschenrechtslage des USDOS (Berichtszeitraum 2018) finden sich einige Informationen zum Thema Bewegungsfreiheit, Niederlassungsfreiheit und nationalem Haushaltsregistrierungssystem („Hukou“). USDOS hält fest, dass trotz weiterhin aufrechter staatlicher Beschränkungen der Freiheit, den Arbeitsplatz oder den Wohnsitz zu wechseln, das nationale Haushaltsregistrierungssystem Hukou weiter reformiert worden sei, und die Fähigkeit der meisten Bürger, sich innerhalb des Landes zu bewegen, um zu arbeiten und zu leben, weiter zugenommen habe. Während viele Bewohner ländlicher Gebiete in die Städte abgewandert seien, wo das Pro-Kopf-Einkommen etwa das Dreifache des Pro-Kopf-Einkommens auf dem Land betrage, sei es ihnen oft nicht möglich gewesen, ihren offiziellen Wohnsitz oder Arbeitsplatz umzumelden. Die meisten Städte würden jährliche Kontingente für die Anzahl der neuen befristeten Aufenthaltsgenehmigungen, die ausgestellt werden können, vorsehen, und alle Arbeitnehmer, einschließlich Hochschulabsolventen, hätten um eine begrenzte Anzahl solcher Genehmigungen konkurrieren müssen. Besonders schwierig sei es für Bewohner ländlicher Gebiete gewesen, eine Haushaltsregistrierung in wirtschaftlich stärker entwickelten städtischen Gebieten bewilligt zu bekommen. Das Haushaltsregistrierungssystem habe die Schwierigkeiten der Bewohner ländlicher Gebiete verschärft, selbst dann wenn sie bereits in städtische Gebiete übersiedelt seien und dort eine Beschäftigung gefunden hätten. Laut dem im Februar vom chinesischen nationalen Statistikbüro veröffentlichten Kommuniqué über die nationale wirtschaftliche und soziale Entwicklung im Jahr 2017 würden in China 291 Millionen Menschen außerhalb des Bereiches ihrer Haushaltsregistrierung leben. WanderarbeiterInnen und ihre Familien seien in Bezug auf ihre Arbeitsbedingungen und Arbeitsrechte mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert. Viele hätten in den Städten, in denen sie lebten und arbeiteten, keinen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wie öffentliche Bildung für ihre Kinder oder der Sozialversicherung erhalten, weil sie keine rechtmäßig registrierten Stadtbewohner gewesen seien:

Although the government maintained restrictions on the freedom to change one’s workplace or residence, the national household registration system (hukou) continued to change, and the ability of most citizens to move within the country to work and live continued to expand. While many rural residents migrated to the cities, where the per capita disposable income was approximately three times the rural per capita income, they often could not change their official residence or workplace within the country. Most cities had annual quotas for the number of new temporary residence permits they could issue, and all workers, including university graduates, had to compete for a limited number of such permits. It was particularly difficult for rural residents to obtain household registration in more economically developed urban areas. The household registration system added to the difficulties faced by rural residents, even after they relocated to urban areas and found employment. According to the Statistical Communique of the People’s Republic of China on 2017 National Economic and Social Development published in February by the National Bureau of Statistics of China, 291 million persons lived outside the jurisdiction of their household registration. Migrant workers and their families faced numerous obstacles with regard to working conditions and labor rights. Many were unable to access public services, such as public education for their children or social insurance, in the cities where they lived and worked because they were not legally registered urban residents.” (USDOS, 13. März 2019, Section 2d)

In einem im Februar 2017 veröffentlichten Artikel der Asia Society, einer Nichtregierungsorganisation, deren Ziel die Verbesserung der Beziehungen zwischen asiatischen Staaten und den Vereinigten Staaten von Amerika ist, kommt die chinesische Autorin Zhang Lijia zu Wort, die für ihren Roman „Lotus“ jahrelange Recherchen zur Sexarbeit in China unternommen habe. Sie gibt an, dass sich Bewohner aus ländlichen Gebieten aufgrund des Hukou-Systems nicht für bestimmte Jobs bewerben könnten. Frauen aus dem ländlichen Raum seien darüber hinaus in Bezug auf Bildung gegenüber Männern schlechter gestellt. Wirtschaftsreformen hätten zwar viele Chancen gebracht, dennoch würden ungebildete Frauen aus ländlichen Gebieten zu kurz kommen. Dies sei letztendlich einer der Gründe, warum die Sexarbeit in China eine so große Industrie sei. Männer hätten sich früher aus Prestige-Gründen Konkubinen und Geliebte gehalten, und dasselbe würden sie auch heute noch tun. Das wachsende Wohlstandsgefälle zwischen Männern in der Stadt und Frauen vom Land würden dieses Phänomen verstärken:

„Save the resources for the boy — that’s a common attitude in rural China, especially in the poorest areas. So rural women are generally much worse off than boys in terms of education. The political system, of course, is another problem. Because of the hukou residency system, rural residents still cannot apply for certain jobs. Economic reforms brought a lot of opportunities, but uneducated rural women really missed out. Ultimately, that’s part of why prostitution is such a big industry in China. With growing wealth and gender income inequality, I think concubine culture plays big a role. Men used to keep concubines and mistresses as a way to show prestige, and they still do the same. The growing wealth gap between urban men and rural women really magnifies this.” (Asia Society, 7. Februar 2017)

Freedom House ist eine Nichtregierungsorganisation mit Hauptsitz in Washington, D.C., die sich mit der Untersuchung und Förderung von Demokratie, politischer Freiheit und Menschenrechten weltweit beschäftigt. Im Jahresbericht vom Februar 2019 (Berichtszeitraum 2018) schreibt Freedom House, dass Chinas Hukou-System verhindere, dass rund 290 Millionen interne Migranten den vollen Rechtsstatus als Einwohner jener Städte erhalten würden, in denen sie arbeiten würden. Die Regierung habe angekündigt, das System schrittweise zu reformieren und die Vorzüge eines städtischen Wohnsitzes auf 100 Millionen Migranten auszuweiten. Dies solle basierend auf ihrer Ausbildung, ihrer Beschäftigungsbilanz und ihrem Wohnstatus passieren, mit den strengsten Anforderungen in Großstädten wie Shanghai und Peking und viel lockeren Anforderungen in kleineren städtischen Gemeinden. Die Reformpläne würden jedoch nichts daran ändern, dass die große Mehrheit der Migranten nach wie vor keine entsprechenden Rechte oder keinen uneingeschränkten Zugang zu sozialen Diensten wie Bildung für ihre Kinder in lokalen Schulen haben würden. Im Jahr 2018 hätten die Behörden in Peking die Umsetzung von Zwangsräumungen und Demolierungen fortgesetzt, die im November 2017 in Stadtvierteln begonnen hätten, in denen Migranten gelebt oder gearbeitet hätten. Regierungssprecher gaben an, dass Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen der Grund dafür seien, allerdings hätten Beobachter das Vorgehen mit Regierungsplänen in Zusammenhang gebracht, nach denen die Bevölkerung Pekings begrenzt werden sollte:

„China’s hukou (household registration) system prevents roughly 290 million internal migrants from enjoying full legal status as residents in cities where they work. The government has announced plans to gradually reform the system, expanding the benefits of urban residency to 100 million migrants based on their education, employment record, and housing status, with the most stringent requirements in major cities like Shanghai and Beijing and much looser standards applied in smaller municipalities. The plan would still leave a large majority of migrants without equal rights or full access to social services such as education for their children in local schools. During 2018, authorities in Beijing continued implementing forced evictions and demolitions that began in November 2017 in neighborhoods where migrants lived or worked; officials cited safety violations, but observers linked the clearances to government plans to cap Beijing’s population.” (Freedom House, 4. Februar 2019, Abschnitt G1)

Das China Internet Information Center ist ein Webportal mit staatlicher Genehmigung und Sitz in Peking, dessen Inhalte größtenteils von Mitarbeitern der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua generiert werden. In einem Artikel vom März 2018 hält die deutschsprachige Ausgabe des Webportals folgendes zum Haushaltsregistrierungssystem fest:

„Die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission sagte, dass derzeit untersucht werde, wie Hukou und Gutschriften für Hukou zwischen den Regionen übertragen werden können, und wie Menschen, die in Mietwohnungen leben, geholfen werden kann, sich für Stadt-Hukou zu qualifizieren. In einigen Städten können Migranten Punkte auf Basis ihres Bildungshintergrunds, ihres Qualifikationsniveaus, ihrer Sozialversicherungsunterlagen und ihrer Teilnahme an Wohltätigkeitsaktivitäten sammeln, damit ihr Hukou an einem bestimmten Ort registriert wird. Die Kommission sagte, Absolventen von Universitäten oder Berufsschulen, von einem Auslandsstudium zurückgekehrte Chinesen und Fachkräfte werden in der Lage sein, ihr Hukou in den Städten ohne irgendwelche Vorbedingungen zu registrieren. Wanderarbeiter der neuen Generation, die sich in einer Stadt eine feste Arbeitsstelle sichern können, und Bauern, die bereits ihre Dörfer verlassen haben und seit mindestens fünf Jahren in Städten arbeiten, dürfen ihr Hukou ebenfalls registrieren lassen. Es hieß auch, dass kleine und mittelgroße Städte die Hukou-Registrierung vollständig öffnen sollten, während größere Städte von den Antragstellern verlangen können, dass sie über eine Sozialversicherung von höchstens fünf Jahren verfügen. Durch all diese Maßnahmen sollen, der Kommission zufolge, in diesem Jahr 13 Millionen Menschen eine städtische Haushaltsregistrierung erhalten.“ (China Internet Information Center, 15. März 2018)

The Diplomat, ein Nachrichtenmagazin zu internationaler Politik mit Sitz in Tokio, schreibt in einem Artikel vom Juni 2016, dass die Einwohner Chinas nur in ihrer Heimatprovinz, in der ihr Hukou registriert sei, staatlich subventionierten Zugang zu den meisten Bereichen der staatlichen Dienstleistungen - einschließlich Bildung und Gesundheitswesen – erhalten würden. Ziehen sie woanders hin, würden sie entweder ihren Hukou ummelden oder eine Prämie für den Zugang zu diesen Diensten zahlen müssen. Viele temporäre Migranten seien nicht bereit, sich dem mühsamen Prozedere der Ummeldung zu unterziehen. Viele weitere seien gar nicht in der Lage, dies zu tun, weil sie durch Zulassungskriterien daran gehindert seien, die sie vermutlich nie erfüllen werden. Die überwiegende Mehrheit der Migranten habe durch diese Situation mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus und überhöhten Lebenshaltungskosten zu kämpfen:

People can only get state-subsidized access to most areas of government assistance – including education and healthcare – in their home province, where their hukou is registered. If they move elsewhere, they must either transfer their hukou to their new home or else pay a premium to access these services. Many temporary migrants are unwilling to undergo the laborious process of swapping their hometown hukou for an urban one, a process which would involve them forfeiting land rights in their hometown. Many more are unable to do so, obstructed by eligibility criteria they will likely never meet. The result of this is that the vast majority of migrants, burdened with a precarious residence status and inflated cost of living, make a plan to save what they can before eventually leaving the city.” (Diplomat, 29. Juni 2016)

In einem vom Herausgeber Routledge im Juli 2004 veröffentlichten Buch zum Thema Urbanisierung und Sozialleistungen in China schreiben die Autoren Aimin, Gordon G. Liu und Kevin H. Zhang unter Verweis auf verschiedene Quellen folgendes zum Arbeitsmarkt in urbanen Gebieten: Der städtische Arbeitsmarkt sei gegenüber Migranten aus ländlichen Gebieten nur zur Hälfte geöffnet. Die Einkommen der einheimischen städtischen Bevölkerung seien höher als jene der zugezogenen ländlichen Bevölkerung (Chen, 1. Juli 2004, Abschnitt 4.2). Farmer, die eine Beschäftigung im nicht-landwirtschaftlichen Bereich anstreben würden, seien auf soziale Netzwerke angewiesen (Chen, 1. Juli 2004, Abschnitt 4.3). Auf dem Arbeitsmarkt würde eine zunehmende geschlechterspezifische Diskriminierung beobachtet, die sich aus der zunehmenden Autonomie der Unternehmen bei der Arbeitsvermittlung ergebe. Frauen würden zuerst entlassen, wenn sich ein Unternehmen verkleinere und zuletzt wieder eingestellt, wenn neue Stellen ausgeschrieben würden (Chen, 1. Juli 2004, Abschnitt 4.4).

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 4. April 2019)