Anfragebeantwortung zu Libyen: Informationen zu Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen durch Milizen, insbesondere in Tripolis; Informationen zur willkürlichen Verhaftung von Minderjährigen durch Milizen in Tripolis [a-10928-2 (10929)]

1. April 2019

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Informationen zu Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen durch Milizen, insbesondere in Tripolis

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) erwähnt in seinem Jahresbericht zur Menschenrechtslage vom März 2019 (Berichtszeitraum 2018), dass es Berichte darüber gegeben habe, dass Minderjährige sich bewaffneten Gruppen angeschlossen hätten. Obwohl die Regierungsvorschriften Beweise zur Bestätigung vorsehen würden, dass ein Mindestalter von 18 Jahren bei Rekruten nachgewiesen werde, hätten nichtstaatliche bewaffnete Gruppen keine formalen Regeln gehabt, die diese Praxis verbieten würden. Es habe mehrere Berichte über Minderjährige in Milizen gegeben, darunter Berichte des Nationalen Komitees für Menschenrechte in Libyen (NCHRL), dass die Revolutionären Brigaden Tripolis (TRB), das Kikli-Battalion und die Siebte Brigade Kinder rekrutiert hätten, die bis zu 14 Jahre jung gewesen seien. Die Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord, GNA) habe keine Anstrengungen unternommen, hinsichtlich der Rekrutierung oder des Einsatzes von Kindersoldaten zu ermitteln oder Strafen zu verhängen. Unbestätigten Medienberichten zufolge habe der Islamische Staat (IS) behauptet, im Land Kinder für Einsätze, wie unter anderem Selbstmordanschläge, Nutzung von Waffen und den Bau von unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen ausgebildet zu haben:

„There were reports of minors joining armed groups. Although government policy required proof recruits were at least age 18, nonstate armed groups did not have formal policies prohibiting the practice. There were multiple reports of under-age militia enlistees; these included reports by NCHRL [National Committee for Human Rights in Libya] that the TRB [Tripoli Revolutionary Brigades], the Kikli Battalion, and the Seventh Brigade were recruiting children as young as 14. The GNA [Government of National Accord] did not make efforts to investigate or punish recruitment or use of child soldiers. According to unconfirmed media reports, ISIS [Islamic State of Iraq and al-Sham] claimed to have trained children in the country for operations including suicide attacks, firing weapons, and making improvised explosive devices.” (USDOS, 13. März 2019, Section 1g)

In seinem Bericht zu Menschenhandel vom Juni 2018 (Berichtzeitraum 2017) erwähnt das USDOS, dass die Regierung über keine Strukturen, institutionellen Kapazitäten oder Ressourcen verfüge, um proaktiv unter anderem Kinder, die von bewaffneten Gruppen rekrutiert worden seien, zu identifizieren und zu schützen.

Die Regierung habe keine Maßnahmen ergriffen, um die Rekrutierung und den Einsatz von Kindern durch Milizen, Gruppen mit Verbindungen zur Regierung und andere bewaffnete Gruppen, die landesweit tätig seien, zu verhindern.

Libyen sei ein Ursprungsland von libyschen Kinder, die von Rekrutierung und Einsatz seitens Milizgruppen, Gruppen mit Verbindungen zur Regierung und anderer bewaffneter Gruppen, die landesweit tätig seien, betroffen seien. Seit 2013 hätten zahlreiche Berichte darauf hingewiesen, dass Milizen, darunter einige, die von der Regierung als Kampftruppen oder Sicherheitsverstärkung eingesetzt würden, libysche Kinder, die jünger als 18 Jahre seien, rekrutieren und einsetzten würden. Kinder mit Verbindungen zu bewaffneten Gruppen seien auch sexueller Gewalt ausgesetzt:

„The government did not have any policy structures, institutional capacity, or resources to proactively identify and protect trafficking victims among vulnerable groups, such as foreign migrants, street children, women in prostitution, child victims of sexual abuse, and those recruited and used by armed groups. […]

The government took no steps to prevent the recruitment and use of children by militia groups, groups affiliated to or aligned with the government, and other armed groups operating throughout the country. The government did not provide anti-trafficking training for its diplomatic personnel. […]

As reported over the past five years, Libya is a destination and transit country for men and women from Sub-Saharan Africa and Asia subjected to forced labor and sex trafficking, and it is a source country for Libyan children subjected to recruitment and use by armed groups within the country. Since 2013, numerous reports indicate militias, some of which are used as combat forces or security enforcement by the government, recruit and use Libyan children younger than 18 years old. Children associated with armed groups are also reportedly exposed to sexual violence.” (USDOS, 28. Juni 2018)

Der UNO-Generalsekretär schreibt in seinem Bericht an den UNO-Sicherheitsrat (UN Security Council) vom Jänner 2019, dass die Vereinten Nationen weiterhin Fälle der Zwangsrekrutierung von Jungen zwischen 13 und 15 Jahren seitens lokaler bewaffneter Gruppen verzeichnet hätten. In Derna sei vermehrt über Fälle von Entführung von Kindern berichtet worden, insbesondere zum Zweck der Rekrutierung und des Einsatzes durch Konfliktparteien:

„The United Nations continued to document incidents of adolescent boys between 13 and 15 who had reportedly been forcibly recruited by local armed groups. Incidents of abduction of children had been increasingly reported in Derna, specifically for the purpose of recruitment and use by parties to conflict. Child casualties had also been verified in the southern outskirts of Tripoli as a result of clashes between the Tarhouna-based Kaniyat group and Tripoli-based militias. The United Nations had also documented attacks on schools and hospitals, as well as attacks against medical personnel.“ (UN Security Council, 7. Jänner 2019, S. 8)

Das Global Protection Cluster, ein Netzwerk verschiedener Hilfsorganisationen unter Leitung des Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR), erwähnt in einem Bericht von 2018, dass Kinder zum Opfer von Menschenhandel würden und insbesondere in der südlichen Region von bewaffneten Gruppen zwangsrekrutiert würden. Zudem würden Kinder Opfer von Entführungen und von Folter seitens bewaffneter Gruppen in Haftanstalten:

„Children have been among the most negatively impacted by the ongoing conflict, as they comprise around 40 percent of the Libyan population. The psycho-social impact on children has been devastating and is further aggravated by the death of relatives or friends, the continuous exposure to violence and by their experience of forced displacement. Children have been the victims of human trafficking; forced recruitment by armed groups, particularly in the southern region; abduction and torture by armed groups and in detention facilities; and of collateral damage from airstrikes and other targeted attacks. The presence and control of militia within communities in which children live, increasing risk of association.“ (Global Protection Cluster, 2018, S. 6)

Der UNO-Generalsekretär erwähnt in seinem Bericht an die UNO-Generalversammlung (UN General Assembly) vom Mai 2018, dass nur wenige Informationen hinsichtlich der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern durch bewaffnete Elemente verfügbar seien. Jedoch werde über Fälle eines Einsatzes von Kindern durch bewaffnete Gruppen weiterhin berichtet. Im Oktober 2017 seien 125 Jugendliche, die zuvor mit bewaffneten Gruppen in Verbindung gestanden seien, im Stadtgebiet Zintan freigelassen worden:

„Limited information is available regarding the recruitment and use of children by armed elements. However, cases of the use of children by armed groups continued to be reported. For instance, in October, 125 adolescents formerly associated with armed groups in the Zintan Municipality were released.“ (UN General Assembly, 16. Mai 2018, S. 16)

Ein Bericht des Small Wars Journal vom März 2019 enthält Informationen zu Kindern, die vom Islamischen Staat (IS) rekrutiert worden seien, und zu Rehabilitationsmaßnahmen:

[Textpassage entfernt]

Informationen zur willkürlichen Verhaftung von Minderjährigen durch Milizen in Tripolis

Der Bericht des UNO-Menschenrechtsrats vom Februar 2019 erwähnt, dass die United Nations Support Mission in Libya und das Office of the High Commissioner for Human Rights (UNSMIL/OHCHR) Berichte über willkürliche Inhaftierung oder unrechtmäßigen Freiheitsentzug von Kindern erhalten hätten. Im Mai 2018 etwa habe die Einheit zur Bekämpfung des Terrorismus in Abu Salim, eine Gruppe unter dem Innenministerium, vier Mitglieder einer Familie, darunter einen 17-Jährigen, ohne Haftbefehl verhaftet. Das Kind sei ohne Verweisung an die Staatsanwaltschaft in Haft gehalten worden und ihm seien regelmäßige Familienbesuche verweigert worden. Die „Special Deterrence Force“ habe drei Kinder unter fünf Jahren gemeinsam mit ihren Eltern in Zliten inhaftiert. Anwälten und Verwandten von inhaftierten Kindern sei der Zugang zu ihnen verwehrt worden. Mindestens fünf Kinder seien im Gefängnis Al-Jawiya ohne Anklage oder Verfahren wegen ihrer mutmaßlichen Familienverbindungen zu Kämpfern des Islamischen Staats in Sirte festgehalten worden.

„Between 1 January and 30 November 2018, 29 children were killed and 35 injured during hostilities as a result of the indiscriminate use of weapons in residential areas by all parties to the conflict, including in crossfires and from explosive remnants of war.

UNSMIL/OHCHR [United Nations Support Mission in Libya/Office of the High Commissioner for Human Rights, OHCHR] received reports of the arbitrary detention or unlawful deprivation of liberty of children. For instance, in May, the Unit for Combating Terrorism in Abu Salim, an armed group nominally under the Ministry of the Interior, detained four members of the same family, including a 17-year-old, without an arrest warrant. The child remained detained without referral to the prosecution and was denied regular family visits. The Special Deterrence Force also arbitrarily detained three children aged under 5, together with their parents, after arresting them in Zliten on 3 February. Relatives and lawyers of detained children have been denied access to them. At least five children were held in Al-Jawiya prison, without charge or trial, on account of their alleged family links to fighters who had pledged allegiance to ISIL in Sirte. Several children were denied access to their mothers held in the women’s section of the same prison. In some facilities, children were detained together with adults.” (HRC, 4. Februar 2019, S. 7)

Das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (Office of the High Commissioner for Human Rights, OHCHR) erwähnt in einem Bericht vom April 2018, dass landesweit bewaffnete Gruppen, darunter solche mit Verbindungen zum Staat, tausende Männer, Frauen und Kinder in andauernder willkürlicher und unrechtmäßiger Haft halten würden. Diese Personen seien zudem von Folter und Menschenrechtsverletzungen betroffen. Die Opfer hätten wenige oder keine Möglichkeiten für Rechtsmittel und Entschädigung, während Mitglieder bewaffneter Gruppen völlige Straflosigkeit genießen würden:

„Armed groups across Libya, including those affiliated with the State, hold thousands of men, women and children in prolonged arbitrary and unlawful detention, and subject them to torture and other human rights violations and abuses. Victims have little or no recourse to judicial remedy or reparations, while members of armed groups enjoy total impunity.“ (OHCHR, April 2018, S. 3)

Besonders besorgniserregend sei die Inhaftierung von Kindern gemeinsam mit erwachsenen Personen in verwahrlosten Bedingungen. Informationen zufolge würden drei Jungen im Alter von etwa 14 Jahren, die in Zusammenhang mit Militäreinsätzen gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) in Sirte festgenommen worden seien, im Gefängnis al-Jawiya in einer separaten Zelle im Flügel für erwachsene männliche Gefangene festgehalten. Weitere sieben Jungen im Alter von etwa 10 bis 11 Jahren würden in einem anderen Block ebenfalls in einer separaten Zelle festgehalten. Einigen sei regelmäßiger Kontakt mit ihren Müttern, die im Frauenflügel des Gefängnisses festgehalten würden, verwehrt worden. Im Gefängnis al-Kuweifiya würden Kinder gemeinsam mit Erwachsenen festgehalten, Berichten zufolge aufgrund fehlenden Platzes für eine getrennte Unterbringung:

„Of particular concern is the detention of children together with the adult population, in similar squalid conditions. According to information received, three boys, aged about 14, who had been captured in the context of military operations against the so-called IS in Sirte, are held in al-Jawiya prison in a separate cell located in the adult male wing of the prison. Another seven boys, aged around 10-11, are also held in a separate cell in a different bloc. Some were denied regular contact with their mothers held in the women’ wing of the prison. In al-Kuweifiya prison, children are held with adults, reportedly due to lack of space to separate them.” (OHCHR, April 2018, S. 31-32)

[Textpassage entfernt]

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 1. April 2019)