Konfliktporträt: Süd-Thailand

20.12.2017 | Von:

Patrick Ziegenhain

Patrick Ziegenhain

Zur Person

Dr. Patrick Ziegenhain, geboren 1969, ist Politikwissenschaftler und zurzeit Visiting Professor am Asia-Europe Institute der University of Malaya in Kuala Lumpur, Malaysia.

Süd-Thailand

Seit über zehn Jahren verüben im Süden Thailands separatistische Organisationen Gewalttaten. Sie fordern die Loslösung der islamisch-malaiisch geprägten Gebiete. Der seit 2014 herrschenden Militärregierung ist es, wie schon ihren Vorgängerinnen, nicht gelungen, die Gewalt zu reduzieren und den Konflikt einzudämmen.

 

 

[IMG | SOURCE: /cache/images/8/54698-1x2-article220.jpg?C8372 | ALT: Soldat in Süd-Thailand.] Soldat in Süd-Thailand. (© picture-alliance/AP)

Aktuelle Konfliktsituation

Auch im Jahr 2017 hat sich der gewaltsame Konflikt im Süden Thailands nicht beruhigt. In den mehrheitlich von malaiischen Muslimen bewohnten Provinzen Pattani, Yala und Narathiwat sowie in geringerem Maße auch in Songkhla und Satun kommt es weiterhin regelmäßig zu Anschlägen und Gewalttaten von Separatisten, die eine Loslösung der südlichen Provinzen vom Gesamtstaat fordern. Mit Bombenanschlägen auf staatliche, in letzter Zeit aber auch vermehrt nichtstaatliche Einrichtungen und gezielten Tötungen von Vertretern des thailändischen Staates, wie Soldaten, Polizisten, Verwaltungsmitarbeitern und Lehrern, schaffen sie ein Klima der Gewalt.

So detonierten im Mai 2017 im Stadtzentrum der süd-thailändischen Stadt Pattani innerhalb weniger Minuten zwei Sprengsätze und verletzten mehr als 50 Menschen. Eine Autobombe zerstörte einen Supermarkt in einem belebten Einkaufsviertel. Wenige Tage später erschoss die thailändische Armee zwei Jugendliche, die verdächtigt wurden, an den Anschlägen beteiligt gewesen zu sein.

Im August 2016 kam es zu einer Anschlagsserie, bei der nicht nur Ziele im Süden Thailands, sondern auch Touristengebiete im übrigen Thailand angegriffen wurden. Innerhalb weniger Stunden detonierten elf Sprengsätze im Badeort Hua Hin, auf der Insel Phuket. Vier Menschen wurden dabei getötet und über 30 verletzt, darunter nach Angaben des Auswärtigen Amtes vier Deutsche.

Seit Mai 2014 wird Thailand von einer Militärregierung unter Führung von General Prayuth Chan-o-cha gelenkt, die die gewählte Premierministerin Yingluck Shinawatra durch einen Putsch aus dem Amt gedrängt hatte. Bereits im September 2006 hatte das Militär gegen die zivile und demokratisch gewählte Regierung geputscht. Insgesamt gestaltete sich die innenpolitische Lage im Königreich Thailand seit 2005 sehr turbulent. Seit der gewaltsamen Eskalation des Konflikts im Jahr 2004 waren sieben verschiedene Regierungen an der Macht – und keiner gelang es, den Konflikt im Süden Thailands auch nur einzudämmen. Auch die gegenwärtige Militärregierung hat bisher keinerlei Fortschritte bei der Eindämmung der Gewalt erzielt.

Der seit Juli 2005 verhängte Ausnahmezustand wurde bisher von allen thailändischen Regierungen verlängert. Er erlaubt den thailändischen Sicherheitskräften ein sehr hartes Vorgehen gegenüber vermeintlichen "Terroristen" und deren Unterstützern. Der Konflikt im Süden Thailands wird von beiden Konfliktparteien mit großer Brutalität geführt, von der in hohem Maße auch die Zivilbevölkerung betroffen ist. Nach Angaben von Deep South Watch, einer zivilgesellschaftlichen Organisation an der Universität in Pattani, gab es von Januar 2004 bis Mitte 2017 mehr als 6.000 Tote und über 10.000 Verletzte.
 

Ursachen und Hintergründe

In den thailändischen Provinzen Pattani, Yala, Songhkla und Satun lebt eine Bevölkerungsmehrheit von ca. 1,8 Mio. Malaien, die sich in historischer und ethnischer Hinsicht deutlich von der übrigen Bevölkerung Thailands unterscheidet. Während die thailändische Staatsreligion der Buddhismus ist, sind die Bewohner der südlichen Provinzen fast ausschließlich gläubige Muslime, die vom 15. Jahrhundert bis zur Integration in den thailändischen Nationalstaat im Jahr 1909 in einem eigenen, semi-autonomen Sultanat lebten. Der Süden Thailands gehört zu den Regionen, in denen der ökonomische Fortschritt des Landes nur sehr langsam zu besseren Lebensbedingungen für die lokale Bevölkerung führt. Konfliktverschärfend kommt hinzu, dass der allgemeine Wohlstand hier zwar deutlich höher ist als z.B. im Nordosten des Landes (Isaan), sich die Einkommensverteilung jedoch sehr ungleich gestaltet. Buddhistische ethnische Thais und chinesischstämmige Thais verfügen im Durchschnitt über ein deutlich höheres Einkommen und Vermögen als die Angehörigen der muslimisch gläubigen malaiischen Minderheit.

Seit 2004 verfolgen islamistische Gruppen in Südthailand kontinuierlich eine Politik der Gewalt gegen die thailändische Zentralregierung. Als politische Maximalforderungen werden die Wiedererrichtung eines unabhängigen islamischen Staats (Sultanat Patani) oder die Angliederung der Provinzen an Malaysia artikuliert. Abang Jawat, der Vorsitzende der MARA Patani, einem Bündnis verschiedener muslimisch-malaiischer Organisationen, hat im August 2015 die folgenden Forderungen aufgestellt:

  • Die Schaffung einer politischen Struktur und Verwaltung, die für die Menschen in Pattani geeignet ist, ihre eigene Zukunft selbst zu bestimmen.
  • Die natürlichen Ressourcen und lokalen Steuern müssen gleichmäßig für die Entwicklung und den Wohlstand der Patani-Bevölkerung verteilt werden.
  • Zur Stärkung der malaiischen Identitäat wird die malaiische Sprache (und die Jawi-Schrift) als offizielle Landessprache angenommen, ebenso das Recht, ein islamisch begründete Bildungssystem zu errichten sowie islamische Gesetze und Vorschriften zu praktizieren. Die Rechte der Nicht-Muslime sollen gesetzlich garantiert werden, um zu einem harmonischen Miteinander in der multi-ethnischen und multi-religiösen Region Pattani zu gelangen.
  • Die Sicherheitspolitik von Pattani muss der lokalen Verwaltung (und nicht der Armeeführung in Bangkok) unterstellt sein.

Ein Problem ist jedoch, dass nicht alle Widerstandsaktivitäten zentral koordiniert werden. Es gibt Grund zur Annahme, dass es Gewalttäter unter den malaiisch-muslimischen Aktivisten gibt, denen es weniger um politische Inhalte als vielmehr um organisierte kriminelle Aktivitäten, wie Drogenhandel, zu gehen scheint.

[IMG | SOURCE: /cache/images/9/266309-3x2-article620.jpg?D980B | ALT: Bevölkerung in Süd-Thailand und Bombenserie 2016] Bevölkerung in Süd-Thailand und Bombenserie 2016
[IMG | SOURCE: /sites/all/themes/bpb/images/icon_pdf_imtext.png | ALT: PDF-Icon] Hier finden Sie die Karte als hochauflösende PDF-Datei Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (mr-kartographie)

 

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Seit Beginn der Gewalteskalation gingen die thailändischen Sicherheitskräfte mit äußerster Brutalität und oft außerhalb des rechtsstaatlichen Rahmens gegen vermeintliche Separatisten vor. Diese Maßnahmen verstärkten die bereits latent vorhandenen Antipathien der lokalen Bevölkerung im Süden Thailands gegenüber der Zentralregierung und dem thailändischen Staat. Es entsteht zunehmend ein Klima der Feindseligkeit.

Eine von der thailändischen Regierung eingesetzte Nationale Versöhnungskommission unter Leitung des früheren thailändischen Premierministers Anand Panyarachun schlug im Juni 2006 vor, sowohl Teile des islamischen Gesetzes als auch Malaiisch als Amtssprache in den Südprovinzen zuzulassen. Der frühere Premierminister Abhisit Vejjajiva (2008-2011) betonte immer wieder, dass er eine friedliche Konfliktlösung unter Anerkennung der kulturellen und sprachlichen Besonderheiten suche und veranlasste die Verwendung zusätzlicher Steuergelder zur Entwicklung des Südens. Im Februar 2013 begann die thailändische Regierung unter Premierministerin Yingluck Shinawatra Friedensgespräche mit der Barisan Revolusi Nasional-Coordinate (BRN-Coordinate) und anderen bewaffneten Gruppen unter Vermittlung der malaysischen Regierung. Die Verhandlungen wurden mehrfach verschoben, weil die Separatistenorganisationen Bedingungen stellte, die für die thailändische Verhandlungsseite nicht akzeptabel waren.

Mitte des Jahres 2015 fanden unter Vermittlung des muslimischen Nachbarlands Malaysia informelle Gespräche zwischen Vertretern der thailändischen Militärregierung und Mitgliedern von sechs verschiedenen Widerstandsgruppen aus Süd-Thailand statt, doch konkrete Ergebnisse wurden bislang nicht bekannt. Mitte Juli 2015 wurde der 63-jährige Sama-ae Thanam, der bis 1997 den bewaffneten Arm der PULO (Patani United Liberation Organization) anführte, nach 18 Jahren im Gefängnis von der thailändischen Regierung begnadigt und auf freien Fuß gesetzt. Mitglieder der BRN begrüßten dies als Zeichen des guten Willens der Bangkoker Regierung, machten jedoch ebenfalls deutlich, dass die Freilassung keine direkten Auswirkungen auf die Friedensgespräche haben werde.

Ende August 2015 schlossen sich sechs Separatistenorganisationen (BRN, drei verschiedene Flügel der PULO, die Gerakan Mujahideen Islam Patani (GMIP) und die Barisan Islam Pembebasan Patani (BIPP) zu einer Dachorganisation mit dem Namen Majlis Syura Patani (MARA Patani) zusammen. Damit gingen die Separatisten auf die Forderung Bangkoks ein, eine einheitliche und verbindliche Repräsentation für die Friedensgespräche mit der Regierung zu schaffen. Doch dieses Bündnis hielt nicht lange, und die BRN, die nach allgemeiner Einschätzung über den größten Einfluss auf radikale Aufständische verfügt, verließ das Bündnis wieder.

Friedensgespräche wurden dennoch wiederaufgenommen. MARA und dem thailändischen Staat nutzten die Treffen, um ihre Forderungen zu präsentieren und die Aufrichtigkeit und das Engagement der jeweils anderen Seite zu testen. Die Regierung verlangte, dass MARA der Einführung von "Sicherheitszonen" zustimmt, die darauf abzielen, die Gewalt in diesen speziellen gemeinsam ausgewiesenen Gebieten zu verringern. Die MARA verlangte ihrerseits, dass der Staat Immunität für ihre an den Friedensverhandlungen verbundenen Personen gewährleisten solle.

Die Verhandlungen dauern an. In einem Statement vom 18. September 2017 weist Abu Hafez Al-Hakim von MARA Patani Behauptungen zurück, dass die Verhandlungen in Kuala Lumpur gescheitert seien. Seine Seite sei sehr wohl bereit, "Sicherheitszonen" zuzustimmen, jedoch müssten diese erst umfassend vorbereitet werden, wodurch sich die Umsetzung verzögere. Ein weiteres ernsthaftes Problem besteht darin, dass die BRN, die nicht zu den Verhandlungen eingeladen wurde, sich nicht an die Ergebnisse gebunden fühlt.

 

 

Geschichte des Konflikts

Thailand, das im Unterschied zu den Vielvölkerstaaten Indonesien und Malaysia als ethnisch und kulturell weitgehend homogen gilt, verfügt neben den Bergvölkern im Norden und Nordosten des Landes über eine bedeutende malaiisch-muslimische Minderheit, die in den südlichen Provinzen an der Grenze zu Malaysia lebt. Sie macht rund 4,6% der Gesamtbevölkerung aus. Die malaiische Minderheit ist sich ihrer eigenen Identität im Verhältnis zur ethnisch und religiös unterschiedlichen zentralthailändischen Bevölkerungsmehrheit bewusst und verweist auf eine jahrhundertelange eigene Geschichte.

Ein Auslöser der Unruhen in den muslimischen Südprovinzen war die Homogenisierungspolitik der thailändischen Regierungen, die bereits mit der Anerkennung des thailändischen Herrschaftsanspruchs in der Pattani-Region durch Großbritannien im Jahr 1809 begann. Mitte der 1960er Jahre entstanden erste militante Widerstandsgruppen, wie die BRN oder die PULO. Bis Anfang 2004 köchelte der Konflikt auf kleiner Flamme. Dann organisierten radikale Separatistenorganisationen unter der Führung von BRN-Coordinate im Süden Thailands eine Reihe von Anschlägen gegen zentralstaatliche Einrichtungen. Als Beginn der Eskalation gilt der 4. Januar 2004, als muslimische Jugendliche bei einem Überfall auf eine Kaserne rund 400 Maschinengewehre erbeuteten.

Die damalige thailändische Regierung unter Premierminister Thaksin Shinawatra befahl daraufhin den nationalen Streitkräften, mit Härte auf Provokationen und Übergriffe zu reagieren. Am 28. April 2004 erschossen Sicherheitskräfte in der Krue Se Moschee in Pattani 32 Muslime, die zuvor eine Kaserne und Polizeistationen überfallen hatten. Am 25. Oktober 2004 löste die thailändische Armee in Tak Bai in der Provinz Narathiwat eine Protestversammlung von muslimischen Jugendlichen gewaltsam auf und verhaftete mehrere Hundert Demonstranten. Bei dem sechsstündigen Transport zu einem Armeestützpunkt in völlig überfüllten Armeelastwagen erstickten mindestens 78 jugendliche Demonstranten. Inzwischen hat sich die thailändische Regierung für den Vorfall entschuldigt und rund 1,2 Mio. Euro als Entschädigung an die Hinterbliebenen gezahlt. Trotzdem geschehen auch weiterhin Morde und Gewalttaten – sowohl vom thailändischen Militär als auch von malaiisch-muslimischen Separatisten.

 

 

Literatur und Links

Frankfurter Allgemeine Zeitung (2016): Nach Anschlagserie: "Wir haben in Thailand keinen Terrorismus", 14.08.2016.

Nindang, Sandi (2017): Breaking the Deadlocks to Peace in Southern Thailand, 11. Januar 2017.

The Economist (2017): Repression is feeding the Muslim insurgency in southern Thailand, 10. August 2017.

Mark, Eugene (2017): Roadblocks to Peace in Southern Thailand, The Diplomat, 08. Juli 2017.

Glass, Nicola (2013): Der blutige Konflikt in Thailands Süden, auf: Tagesschau.de

International Crisis Group (2015): Southern Thailand: Dialogue in Doubt, Asia Report N° 270, 8. Juli 2015.

Helbardt, Sascha (2011): Deciphering Southern Thailand's Violence: Organisation and Insurgent Practices of BRN-Coordinate, Dissertation, Südostasienwissenschaft, Universität Passau.

Patrick Ziegenhain

Zur Person

Dr. Patrick Ziegenhain, geboren 1969, ist Politikwissenschaftler und zurzeit Visiting Professor am Asia-Europe Institute der University of Malaya in Kuala Lumpur, Malaysia.

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Autor: Patrick Ziegenhain für bpb.de
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