Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Außereheliche sexuelle Beziehungen und deren Konsequenzen nach paschtunischem Gewohnheitsrecht, einschließlich der Rolle der Dschirgas (Jirgas) [a-10775]

7. November 2018

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

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Außereheliche sexuelle Beziehungen und deren Konsequenzen insbesondere nach paschtunischem Gewohnheitsrecht

Thomas Barfield, Anthropologe mit Schwerpunkt Afghanistan an der Boston University, schreibt in einem im Jahr 2003 für das United States Institute for Peace (USIP) verfassten Bericht, dass sexuelles Fehlverhalten nach dem paschtunischen Gewohnheitsrecht (Paschtunwali) schwere Konsequenzen nach sich ziehe. Die paschtunische Tradition nehme solche Verstöße so ernst, dass die Familie eines Opfers von Ehebruch, Entführung oder Vergewaltigung das Recht habe, sieben Mitglieder der Familie des Täters zu töten, während im Vergleich dazu bei Mord eine Person pro Ermordetem getötet werden könne. Ehebruch werde bestraft, indem beide Beteiligten getötet würden, wenn sie zusammen im Bett vorgefunden würden. Würde nur eine der beiden beteiligten Personen getötet werden, so würde der Mord als illegitim angesehen werden, da es dann zu Misstrauen bezüglich der Motive des Mörders komme. Im Fall von gewaltsamer Vergewaltigung oder wenn eine Frau angebe, dass sie sexuell belästigt worden sei, sei nur der Mann zu töten. Derartige Ehrenmorde würden auch in Fällen von „Davonlaufen“ (oder gewaltsamer Entführung) vorkommen können, wenn etwa ein unverheiratetes Mädchen ohne die Erlaubnis ihrer Familie mit einem Mann davonlaufe. Da von ihrem Vater und ihren Brüdern dann erwartet werde, dass das Paar getötet werde, würde dieses oft fliehen und andernorts Zuflucht suchen. Es könne vorkommen, dass die beiden später versuchen würden, ihren Status zu bereinigen, indem sie Entschädigung und zwei Schafe als Bußgeld („shame payment“) leisten würden. Darüber hinaus müsse die Familie des Mannes der vergrämten Familie als Entschuldigung zwei Frauen zur Verfügung stellen:

„Sexual misbehavior is subject to rigorous consequences similar to those that legitimize revenge killings because it is deemed an offense against family honor. Pashtun tradition takes such violations so seriously that while revenge for murder is one for one, a victim’s family is seen has having the right to kill seven members of the offender’s family in revenge for adultery , abduction or rape. Adultery is punished by killing both individuals if they are caught in bed together. If only one of the two is slain, the killing is viewed as illegitimate because it throws suspicion on the killer’s motives. In the case of forcible rape or if a woman reports that she has been sexually harassed, only the man is liable to be killed. Such honor killings may also occur in cases of elopement (or forcible abduction) when an unmarried girl runs off with a man without her family’s permission. Because her father and brothers are then expected to kill them, the couple often flees the area and seeks sanctuary (nanawati) elsewhere. They may later try to regularize their status by providing indemnity (pour) and two sheep as a shame payment. The man’s family must also provide two women in marriage to the offended family by way of apology.” (Barfield, 26. Juni 2003, S. 17)

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO) ist eine Agentur der Europäischen Union, die die praktische Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich fördern soll und die Mitgliedsstaaten unter anderem durch Recherche von Herkunftsländerinformation und entsprechende Publikationen unterstützt. In den im Juni 2018 erschienenen EASO-Entscheidungsrichtlinien zum Herkunftsstaat Afghanistan fasst EASO aus unterschiedlichen Quellen stammende Informationen zum Thema „Zina“ wie folgt zusammen: Zina sei als moralisches Verbrechen definiert, das in Afghanistan als beschämend empfunden werde und sowohl auf Frauen als auch auf Männer angewendet werden könne. Es sei ein umfassender Begriff für alle Verhaltensweisen außerhalb der Norm wie außerehelicher bzw. vorehelicher Geschlechtsverkehr, illegale sexuelle Beziehungen und Ehebruch. Zina könne zu Morddrohungen und Ehrengewalt, einschließlich Ehrenmorden, führen. Zina sei sowohl nach dem Strafgesetzbuch als auch nach der Scharia strafbar. Die Strafverfolgung von Zina betreffe Frauen in stärkerem Ausmaß, auch sei die Strafe für Frauen härter. Einzelpersonen und Paare, bei denen festgestellt werde, dass sie Zina begangen hätten, würden von staatlichen Gerichten häufig zu Gefängnisstrafen verurteilt werden, und es komme zu körperlichen Bestrafungen. In ländlichen Gebieten, über die die Regierung weniger oder gar keine Kontrolle habe, gebe es Berichte über außergerichtliche Strafen durch aufständische Gruppen wie die Taliban und lokale Machthaber, darunter Hinrichtungen, Peitschenhiebe und Schläge:

„Zina is a moral crime perceived in Afghanistan as shameful and can be applied to women, as well as to men. This is a broad concept of all behaviour outside the norm: sex outside marriage, illicit sexual relations, adultery and pre-marital sex. […] [Zina] can lead to death threats and honour violence, including honour killings. Zina is punishable under both the Penal Code and sharia. Prosecution for zina affects women to a larger degree; punishment is also harsher for women […]. Individuals and couples found to have committed zina are commonly sentenced by government courts to imprisonment and corporal punishments are carried out […]. In rural areas, where the government has less or no control, there have been reports of extrajudicial punishments by insurgent groups, such as the Taliban, and local powerbrokers, including executions, lashings and beatings.” (EASO, Juni 2018, S. 56)

Das FATA Research Centre (FRC), eine nach eigenen Angaben unabhängige Denkfabrik mit Sitz in Islamabad, geht in einem für ein Dossier der Staatendokumentation des BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) verfassten Beitrag zur Lebensweise der Paschtunen unter Verweis auf verschiedene Quellen auf das Thema Zina und die Handhabung von Zina nach islamischem Recht bzw. nach dem Paschtunwali ein:

„Bei Themen wie Erbschaften, Flucht, versuchtem Ehebruch usw. gibt es häufig Widersprüche oder Unterschiede zwischen dem islamischen Recht und dem Pashtunwali. Diese treten in folgenden Fällen auf:

Zina (rechtswidrige sexuelle Beziehung)

Im Falle einer rechtswidrigen sexuellen Beziehung, Zina, sind der Mann und die Frau zu töten. Nach den Riwaj (Sitten und Traditionen) der Stämme der Malakh und der Tappazid in Nordwaziristan, bei denen eine Frau als die Hälfte eines Mannes gilt, ist die Frau zu töten und dem Mann muss der Fuß abgeschnitten werden. Falls er umgebracht wird, ist seinen Verwandten eine halbe Entschädigung zu zahlen. [Fußnote 106: Gohar, A. (2005). who Learns from Whom? Pukhtoon Traditions in Modern Perspective. Peshawar, Khyberpakhtunkhwa, Pakistan: Just Peace Publisher, S. 127] Nach der Scharia müssen vier Zeugen den Verdacht beweisen, dass ein verheirateter Mann/eine verheiratete Frau Zina begangen haben, in diesem Fall ist die Strafe die Steinigung. Wenn jedoch eine ledige Frau diese Tat begeht, muss sie mit hundert Peitschenhieben bestraft werden. [Mohmand, S. M. (2006). The Pathan Customs. Peshawar, Khyber Pakhtunkhwa, Pakistan: Peshawar Press Club. S. 88]” (FRC, 2016, S. 51)

Ein im März 2018 erschienenes Gutachten zu Afghanistan von Friederike Stahlmann, Forscherin am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung (Deutschland) mit Schwerpunkt Afghanistan, enthält unter Verweis auf verschiedene Quellen ebenfalls Informationen zur gewohnheitsrechtlichen Handhabung von Fällen von Zina:

„Auch wenn die offiziellen Richter oft verhältnismäßig fundierte religiöse Bildung haben, gibt es dennoch immer wieder Urteile, die eher gewohnheitsrechtlichen Praktiken entsprechen, als klassisch islamischem bzw. hanafitischem Recht. So müsste z.B. eine Verurteilung von zina, also dem Straftatbestand des außerehelichen Geschlechtsverkehrs, nach klassischen hanafitischen Normen durch immens strenge Kriterien der Beweisaufnahme gedeckt sein (vier Männer guten Leumunds müssten bezeugen können, den Akt der Penetration gesehen zu haben). Die gewohnheitsrechtliche Praxis, dass zu einer Verurteilung der Verdacht genügt, ein nicht - verheiratetes Paar hätte unbeobachtet Zeit miteinander verbracht, würde nach klassisch hanafitischer Rechtslehre höchstens den Tatbestand des unbegründeten Vorwurfs von zina erfüllen. Nach diesem klassischen Standard müssten statt des verdächtigen Paares, diejenigen hingerichtet werden, die diesen Vorwurf ohne Beweis erheben. Dennoch gibt es immer wieder Urteile, die diesen Vorgaben klar widersprechen und die gewohnheitsrechtliche Beurteilung, nämlich das unbeaufsichtigte Treffen Unverheirateter, zur Grundlage von zina nehmen. Auch Steinigung als Bestrafung für zina (vgl. Bezhan/RadioFreeEurope 02. 11.2015, EASO December 2017a: 49f., Saifullah/DW 15.03.2017) widerspricht sowohl der layha [Verhaltenscodex der Taliban, Anmerkung ACCORD], als auch klassisch hanafitischen Recht. Verstärkt wird dies durch die Entwicklung, dass die Taliban in Land- oder Familienrechtsstreitigkeiten inzwischen oft erst einschreiten, wenn traditionelle Autoritäten an einer Streitschlichtung scheitern, und sie damit implizit legitimieren (Giustozzi 23.08.2017a: 19).“ (Stahlmann, 28. März 2018, S. 36-37)

In einem Artikel vom März 2017 schreibt der deutsche Auslandsrundfunksender Deutsche Welle (DW), dass die zunehmende Kontrolle der Taliban über entlegene Gebiete Afghanistans es der afghanischen Regierung beinahe unmöglich mache, Gerichte in Distrikten zu betreiben, in denen die Taliban stark präsent seien. Den Einwohnern bleibe daher in vielen Fällen keine andere Wahl, als die Taliban um Hilfe zu bitten, was jedoch seinen Preis habe. Die Urteile der Taliban seien meist endgültig, ohne Berufungsmöglichkeit, und würden direkt vor Ort und in der Öffentlichkeit vollstreckt. Personen, die des Ehebruchs, Diebstahls oder der Spionage verdächtigt würden, könnten nach Verurteilung durch ein Taliban-Gericht Körperteile oder sogar ihr Leben verlieren:

„The Taliban's growing control over remote areas in Afghanistan makes it nearly impossible for the government in Kabul to run courts in districts like Obe where the Taliban have a strong presence. Local residents therefore have no other option but to ask the Taliban for help in many cases. Asking a Taliban court for help, however, comes with a price. Their rulings are mostly final with no chance for appeal and sentences are carried out on the spot and in public. Suspects of adultery, stealing or spying can lose body parts, or even their lives, if convicted by a Taliban court.” (DW, 15. März 2017)

Allgemeine Informationen zu Dschirgas (Jirgas) sowie zu deren Rolle bei Verdacht auf außereheliche sexuelle Beziehungen

Laut dem oben bereits angeführten Bericht des Anthropologen Thomas Barfield vom Juni 2003 gebe es in Afghanistan eine Reihe von Konfliktlösungsmechanismen, die von Experten für Stammesrecht, den sogenannten Marakachian, angewandt würden. Diese würden einerseits Fakten herausfinden und andererseits Urteile anbieten, die die Konfliktparteien selbst als bindend anerkennen könnten. Die Konfliktlösungsmechanismen würden als eine Art Dschirga (Dorfversammlung) funktionieren. Eine Dschirga sei ein offenes Diskussionsforum auf Ebene des Dorfes. Die Teilnehmer, meistens die älteren, respektierten Männer würden sich versammeln, um Entscheidungen zu treffen, die die gesamte Gemeinschaft betreffen würden, und um Grundsätze festzulegen. Je wichtiger die behandelte Angelegenheit sei, desto mehr Personen seien beteiligt:

„There are, however, a number of mechanisms for solving disputes that employ experts on tribal law, marakachian, who serve as both finders of fact and offer judgements that the parties themselves can agree will be binding. They operate as a type of jirga, or village assembly, that is the key institution for political decision making for the village as a whole or the kinship groups within it. A jirga is an open forum for discussion at the village level. Its participating members, most often the older respected men, gather both to make decisions that affect the whole community and set policy. These may be local issues such as repair of the irrigation system, use of common forest or pasture resources, or construction of a mosque. They also handle more serious relations such as the declaration of hostilities against another community or selection of representatives to deal with the government. The more important the issue the large the number of people involved.” (Barfield, 26. Juni 2003, S. 9)

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen EASO fasst in seinem im Dezember 2017 veröffentlichten Länderinformationsbericht zu Afghanistan Informationen aus einer im Jahr 2016 durchgeführten Umfrage der Asia Foundation sowie Informationen des Afghanistan Legal Education Project (ALEP) zusammen. Demnach würden Afghanen zur Lösung eines Disputes oder eines offiziellen Falles („formal case“) am ehesten (43,5 Prozent der Befragten) an eine Schura oder Dschirga herantreten, gefolgt von Gerichten (23,6 Prozent) und dem Huquq Department [einer ursprünglich innerhalb des Justizministeriums gegründeten Abteilung für die Lösung von Familiendisputen und zivilrechtlichen Fällen, Anmerkung ACCORD] (10,4 Prozent). In ländlichen Gebieten steige die Präferenz für Schuras oder Dschirgas auf 89,6 Prozent. Ländereien betreffende Streitigkeiten seien die häufigste Form der Konfliktlösung durch Schuras und Dschirgas (43 Prozent), gefolgt von Familiendisputen (18,3 Prozent) und Eigentumsstreitigkeiten (14,4 Prozent):

According to Asia Foundation’s Survey of the Afghan People 2016, Afghans were most likely to use shuras/jirgas (43.5%) to resolve a dispute or formal case, followed by courts (23.6%), and the Huquq Department (10.4%). In rural areas, the preference for shuras/jirgas increased to 89.6 %. Land disputes were the most common type brought for conflict resolution by shuras and jirgas (43 %), followed by family disputes (18.3 %), and property disputes (14.4 %).” (EASO, Dezember 2017, S. 78)

Unter Verweis auf verschiedene Quellen hält EASO in dem Bericht fest, dass Schuras und Dschirgas auf vielen verschiedenen Ebenen einberufen werden könnten, z.B. auf der Dorf-, Stammes-, Bezirks- oder Provinzebene, und dass ihre Vorgehensweise weitgehend darin bestehe, Streitigkeiten durch Konsens beizulegen. Die Art und Weise, in der die informelle Gerichtsbarkeit angewendet werde und wie weit sie anerkannt sei, sei laut der Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) von Bezirk zu Bezirk sehr unterschiedlich:

„Shuras and jirgas can be convened at many different levels, from the village, tribe, district, or provincial level for instance, and their modus operandi is largely to settle disputes by consensus. The manner in which informal justice is used and recognised varies from district to district to a large extent, according to AREU [Afghanistan Research and Evaluation Unit].” (EASO, Dezember 2017, S. 79)

Die US-amerikanische Tageszeitung USA Today schreibt in einem Artikel vom Juni 2016, dass in außerhalb der Erreichbarkeit durch offizielle Strafverfolgungsbehörden befindlichen ländlichen Teilen Pakistans und Afghanistans die von Männern besetzten Dschirgas weiterhin die Autorität für die Lösung örtlicher Dispute darstellen würden. Dabei komme es häufig zur Anordnung von Gruppenvergewaltigungen oder Ehrenmorden, um eine Partei zu beschwichtigen, die behaupte, ungerecht behandelt worden zu sein, sowie zur Anordnung einer traditionellen Praxis namens Vani, bei der die weiblichen Kinder von Schuldnern verheiratet würden:

„[I]n rural areas of Pakistan and Afghanistan — out of reach for official law enforcement — these all-male councils [jirgas] remain the authority for settling local disputes. That often means ordering gang rapes or ‘honor’ killings to appease a party claiming to be seriously wronged, or marrying off female children of debtors, a traditional practice called vani.” (USA Today, 16. Juni 2016)

Noah Coburn, ein am Bennington College im US-Bundesstaat Vermont tätiger Sozial- und Kulturanthropologe mit Forschungsschwerpunkt Afghanistan, bejaht in einer E-Mail-Auskunft vom 31. Oktober 2018 die Frage, ob im Falle des Verdachts auf außerehelichen Geschlechtsverkehr eine Dschirga beschließen könne, wie mit den beiden Beteiligten zu verfahren sei. Er merkt weiters an, dass es für außerehelichen Geschlechtsverkehr je nach örtlicher Praxis eine Reihe möglicher Strafen gebe. Dass eine Dschirga in einem solchen Fall entscheiden könne, die beiden sollten getötet werden, sei mit Sicherheit möglich. Die Strafe könne manchmal beide Beteiligten gleichermaßen treffen, nach seiner Erfahrung sei jedoch die Bestrafung der Frau häufig schlimmer als jene des Mannes. Auf die Frage, ob er jemals von einem Fall gehört habe, in dem die Dschirga die Bestrafung der Frau bis zur Rückkehr des Mannes verschoben habe, um dann beide bestrafen zu können, antwortet Coburn, dass er nicht von einem Fall mit exakt dieser Vorgehensweise gehört habe, dass es jedoch für ihn nicht unplausibel klinge:

1. If two persons are accused of having an extramarital sexual relationship, can a Jirga decide on how to deal with the two persons?

Absolutely.

2. What decision could be made by the jirga in such a case? Could the decision be that the two persons should be killed?

There are a range of potential outcomes depending upon local practices, but the decision could certainly be that they should be killed.

 3. Would the punishment affect both man and woman equally?

Sometimes. In my experience, however, often times the punishment for the woman is more severe.

 4. What if only one of the two persons (the woman) is available? Have you ever heard of a case where the jirga postponed the punishment of the woman until the man’s return in order to punish both?

To be honest, I have not heard of a case with exactly this practice of postponing a punishment until the return of the other, however, it does not sound unreasonable and it might be more likely these days with travel to cities etc easier, if the man was looking to flee his local area.” (Coburn, 31. Oktober 2018)

The Afghan Dispatch, ein auf Afghanistan spezialisiertes Online-Nachrichtenmagazin, berichtet in einem Artikel vom Dezember 2017, dass die 22-jährige Aziz Gul im August 2017 in der Provinz Ghor von ihren eigenen Verwandten erschossen worden sei, weil sie vorgehabt habe, mit ihrem Freund wegzulaufen. Im Oktober 2015 sei die 19-jährige Rokhshana in der gleichen - von den Taliban kontrollierten - Provinz Ghor von einem provisorischen Stammesrat zu Tode gesteinigt worden, der sie für schuldig befunden habe, vorehelichen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben:

„In August, also in Ghor Province, 22-year-old Aziz Gul was shot dead by her own relatives because she wanted to run away with her boyfriend, while in October 2015, in the same Taliban-controlled Ghor Province, 19-year-old Rokhshana was stoned to death by a makeshift tribal council that found her guilty of having pre-marital sex.” (The Afghan Dispatch, 16. Dezember 2017)

Es konnten keine weiteren Informationen zu konkreten Fällen in Afghanistan gefunden werden, die international tätige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) behandelt jedoch in einem Bericht vom September 2017 das Thema Ehrenmorde in Pakistan. Der Bericht erwähnt, dass in den meisten der dokumentierten Fälle im Zusammenhang mit Ehrenverbrechen die härtesten verhängten Strafen von den männlich dominierten Dschirgas, Stammes- und Dorfräten ausgehen würden. Es gebe keine glaubwürdigen offiziellen Zahlen zu Ehrenmorden, weil sie häufig nicht gemeldet würden oder von Familienmitgliedern als Selbstmord oder natürlicher Tod abgehandelt würden. Einen Hinweis auf das reale Ausmaß gebe die Zahl von 94 Frauen, die laut dem Bericht in Khyber-Pakhtunkhwa [an Afghanistan grenzende überwiegend von Paschtunen bevölkerte Provinz in Pakistan, Anmerkung ACCORD] von engen Familienangehörigen ermordet worden seien. Der Bericht erwähnt konkrete Fälle, in denen ein Stammesrat in Entscheidungen zu Ehrenmorden involviert gewesen sei: Im August 2017 seien Bahkt Jan, 15 Jahre alt und Ghani Rehman, 17 Jahre alt, von Familienmitgliedern auf Anweisung eines Stammesrates in Karatschi mit Stromschlägen getötet worden, nachdem der Stammesrat verfügt habe, dass die Entscheidung des jungen Paares, davonzulaufen, die Ehre verletzt habe. Im Juni 2017 habe ein Stammesrat im Bezirk Khyber den Ehrenmord an Naghma angeordnet, einem 13-jährigen Mädchen, das beschuldigt worden sei, „mit Männern davongelaufen“ zu sein. Sie sei von den Sicherheitskräften in Sicherheit gebracht und in die Obhut ihrer Verwandten entlassen worden, von denen sie dann ermordet worden sei:

In a patriarchal culture like Pakistan’s, where domestic violence is rampant, it is not unusual for men to murder female relatives to punish behavior they deem unacceptable. In most reported cases, the harshest punishments on grounds of ‘honor’ come from male-dominated jirgas, tribal and village councils. There are no credible official figures on ‘honor’ killings because they often go unreported or are passed off as suicide or natural deaths by family members. But as an indication, in the Khyber-Pakhtunkhwa province 94 women have been murdered by close family members in 2017. In August, Bahkt Jan, 15, and Ghani Rehman, 17, were killed with electric shocks by family members on the order of a tribal council in Karachi which ruled that the young couple decision to elope violated ‘honor.’ […] In June, a tribal council in Khyber agency ordered the ‘honor’ killing of Naghma, a 13-year-old girl who was accused of ‘running away’ with men. She was subsequently rescued by security forces and released into the custody of relatives, who murdered her.” (HRW, 25. September 2017)

Weitere Informationen zu Dschirgas finden sich auch in der folgenden Anfragebeantwortung von ACCORD:

  • ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Wie bzw. unter welchen Umständen kann eine Jirga abgebrochen werden? Was passiert, wenn die Entscheidung einer Jirga von den Konfliktparteien nicht akzeptiert wird? [a-10264], 20. Juli 2017
    https://www.ecoi.net/de/dokument/1405696.html

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 7. November 2018)