Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Madagascar

Armut war nach wie vor weit verbreitet. Der Zugang zu Nahrungsmitteln, Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung war eingeschränkt. Die Haftbedingungen waren weiterhin katastrophal, und das Mittel der Untersuchungshaft wurde unverhältnismäßig häufig angewandt. Das Strafrechtssystem wurde nach wie vor dazu benutzt, um Menschenrechtsverteidiger und Journalisten zu schikanieren und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken; davon waren insbesondere diejenigen betroffen, die sich mit Umwelt- und Korruptionsthemen befassten.

Hintergrund

Die Lungenpest, deren Ausbruch zum ersten Mal im August 2017 gemeldet wurde, trat im weiteren Jahresverlauf sowohl in ländlichen als auch urbanen Gebieten auf. Von 2348 zwischen dem 1. August und 22. November 2017 registrierten Fällen endeten 202 mit dem Tod.

Internationale Kontrolle

Im Juli 2017 äußerte der UN-Menschenrechtsausschuss Besorgnis über Menschenrechtsverletzungen wie die exzessive Anwendung von Polizeigewalt gegen mutmaßliche Viehdiebe (Dahalos) und Vergeltungsangriffe durch Angehörige der Sicherheitskräfte, nachdem Einwohner der im Norden gelegenen Stadt Antsakabary zwei Polizisten getötet hatten. 

Der Ausschuss forderte Madagaskar auf, die Nationale Menschenrechtskommission umgehend mit einem eigenen und ausreichenden Budget auszustatten, um ihr die Erfüllung ihres Mandats zu ermöglichen. Außerdem empfahl er der Regierung, die Einrichtung des Hohen Rats für die Verteidigung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit zu beschleunigen und seine finanzielle Autonomie sicherzustellen. Zu den Aufgaben des Hohen Rats sollen die Förderung und der Schutz der Menschenrechte gehören.

Justizsystem

Das Strafjustizsystem wies immer noch schwere Mängel auf und war nicht in der Lage, faire Gerichtsverfahren zu garantieren. Untersuchungshaftstrafen wurden nach wie vor übermäßig häufig verhängt, obwohl Bestimmungen in der Verfassung und der Strafprozessordnung die Anwendung nur in Ausnahmefällen und aus bestimmten Gründen vorsahen. Über 50 % aller Gefängnisinsassen waren Untersuchungshäftlinge. Trotz Verfassungsbestimmungen, die das Recht auf einen Rechtsbeistand auf allen Verfahrensebenen – im Bedarfsfall auch auf Kosten der Staatskasse – garantierten, berichteten einige Anwälte, dass sie für Fälle, die sie im Rahmen der Prozesskostenhilfe übernommen hatten, nicht bezahlt und somit daran gehindert wurden, ihre Pflichten zu erfüllen. In der Praxis war während der Untersuchungshaft keine Rechtshilfe verfügbar.

Haftbedingungen

Die Regierung erlaubte sowohl internationalen NGOs als auch der Nationalen Menschenrechtskommission Madagaskars den Besuch von Haftanstalten. 

Die Gefängnisse waren stark überbelegt und die Haftbedingungen menschenunwürdig. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und die medizinische Betreuung waren unzureichend. Toiletten und Duschen funktionierten nicht einwandfrei. In einigen Gefängnissen gab es offene Abwasserkanäle, die ein Krankheitsrisiko darstellten. Die meisten Gefängnisse des Landes waren seit mehr als 60 Jahren nicht mehr ausreichend renoviert worden. Die Infrastruktur war baufällig und gefährdete in einigen Fällen das Leben der Gefangenen. Im Juli 2017 wurden vier Gefangene getötet, als eine Mauer im Gefängnis von Antsohihy im Norden des Landes einstürzte. 

Familien der Gefängnisinsassen berichteten, sie seien gezwungen, Schmiergelder zu zahlen, um ihre Verwandten zu besuchen, und die Gefangenen seien darauf angewiesen, dass ihre Familien sie mit Nahrungsmitteln versorgten. 

Im Gefängnis von Antanimora in der Hauptstadt Antananarivo wurden ungefähr 2850 Gefangene festgehalten. Es war damit das Gefängnis mit der landesweit höchsten Zahl von Insassen, die dem Dreifachen der ursprünglich vorgesehenen Kapazität entsprach. Gründe für die Überbelegung waren vor allem die große Anzahl von Untersuchungshäftlingen, das ineffektive Justizsystem und lange Verzögerungen bei Gerichtsverfahren. Einige Gefangene hatten bereits bis zu fünf Jahre in Untersuchungshaft verbracht, bevor sie vor Gericht gestellt wurden. 

Unter Verletzung internationaler Standards wurden verurteilte Gefangene und Untersuchungshäftlinge zusammen in Haft gehalten. Im Juli 2017 waren im Hochsicherheitsgefängnis Tsiafahy in der Nähe von Antananarivo 396 Untersuchungshäftlinge zusammen mit bereits verurteilten Gefangenen unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert, obwohl das Nationale Gesetz 2006-015 vorschrieb, dass dort nur zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilte oder als gefährlich eingestufte Gefangene untergebracht werden sollten. Auch wurde nicht in allen Gefängnissen darauf geachtet, Kinder getrennt von Erwachsenen unterzubringen.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Friedliche Proteste wurden unterdrückt. Laut Angaben zivilgesellschaftlicher Organisationen verboten die Regierungsbehörden Proteste mit der Begründung, dass damit ein „hohes Risiko öffentlicher Unruhe“ verbunden sei. Im Juni 2017 kritisierten die zivilgesellschaftlichen Bewegungen Wake Up Madagascar und Sehatra Fanaraha-Maso Ny Fiainam-Pirenena (SEFAFI), die sich für die Stärkung des Demokratisierungsprozesses einsetzen, ein einmonatiges Verbot öffentlicher Proteste, das die Regierung während der Veranstaltungen anlässlich des Nationalfeiertags vom 26. Juni zum Schutz der öffentlichen Ordnung verhängt hatte.

Im Juli 2017 löste die Polizei eine von der Bewegung für das Recht auf Meinungsfreiheit (Mouvement pour la Liberté d’Expression) organisierte Protestkundgebung anlässlich des ersten Jahrestags der Verabschiedung des neuen Gesetzes über Kommunikationsmedien auf. Das Gesetz sieht hohe Strafen für Vergehen wie Missachtung, Diffamierung oder Beleidigung von Regierungsbeamten vor.

Menschenrechtsverteidiger

Menschenrechtsverteidiger, die sich gegen Vorhaben zum Abbau von Bodenschätzen aussprachen oder Regierungsbeamte der Korruption bezichtigten, waren unter dem geltenden Strafrechtssystem einer besonders hohen Gefahr von Schikanen, Festnahmen auf der Grundlage konstruierter Vorwürfe und anderen Menschenrechtsverstößen ausgesetzt. Im Juni 2017 wurde der Umweltaktivist Clovis Razafimalala aus dem Gefängnis von Tamatave entlassen, nachdem er wegen des Vorwurfs, einen gewaltsamen Protest organisiert zu haben, zehn Monate in Untersuchungshaft verbracht hatte. Im Juli verurteilte ihn das Strafgericht Tamatave zu einer auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Am 27. September wurde der Umweltschützer Raleva in der Polizeiwache von Mananjary im Südosten des Landes in Gewahrsam genommen, nachdem er die Rechtmäßigkeit der Aktivitäten eines chinesischen Bergbauunternehmens in der Region Mananjary angezweifelt hatte. Er wurde später in das Gefängnis von Mananjary gebracht. Am 26. Oktober sprach ihn ein Gericht in Mananjary schuldig, den falschen Titel „Bezirksvorsteher“ verwendet zu haben, und verurteilte ihn zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Gemäß Artikel 317 des Strafgesetzbuchs waren Schwangerschaftsabbrüche auch 2017 weiterhin ausnahmslos verboten. Personen, die Schwangerschaftsabbrüche anboten oder durchführten, mussten mit hohen Geld- und Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren rechnen. Angehörige medizinischer Berufe, die Informationen über Abtreibungsmöglichkeiten weitergaben, liefen Gefahr, nicht nur zu Haft- und Geldstrafen verurteilt, sondern darüber hinaus mit Berufsverboten zwischen fünf Jahren und lebenslang belegt zu werden. Frauen, die sich um einen Schwangerschaftsabbruch bemühten oder einen Abbruch vornehmen ließen, wurden gleichfalls zu hohen Geldbußen und Haftstrafen von bis zu zwei Jahren verurteilt. Im Verlauf des Jahres 2017 wurden mehrere Frauen wegen Schwangerschaftsabbrüchen zu Gefängnisstrafen verurteilt. 

Im Juli 2017 gab die Regierung bekannt, dass sie einen Gesetzentwurf vorbereite, mit dem Schwangerschaftsabbrüche zu Bagatelldelikten erklärt werden sollen. 

Gleichfalls im Juli begutachtete der UN-Menschenrechtsausschuss den vierten von Madagaskar vorgelegten periodischen Bericht. Der Ausschuss rief dazu auf, Schwangerschaftsabbrüche straffrei zu stellen und größere Anstrengungen zu unternehmen, um Frauen den Zugang zu staatlichen Leistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit zu erleichtern. 

Berichte von Amnesty International

Madagascar: A Damocles sword on environmental activist’s head (AFR 35/6841/2017

Madagascar: Environmental rights defender falsely accused − Raleva (AFR 35/7248/2017)

Associated documents