Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Lebanon

2017 lebten im Libanon mehr als 1 Mio. syrische Flüchtlinge, mehrere hunderttausend palästinensische Flüchtlinge, von denen sich viele schon seit Jahrzehnten im Land aufhielten, sowie über 20000 Flüchtlinge aus anderen Ländern. Die Behörden hielten an den strengen Einreisebestimmungen fest. Dies führte faktisch zu einer Schließung der Grenze für Menschen, die aus Syrien fliehen wollten. Das Parlament hob ein Gesetz auf, wonach Vergewaltiger der Strafverfolgung entgehen konnten, wenn sie ihr Opfer heirateten. Ein neues Gesetz stellte Folter unter Strafe. Die Wirtschaftskrise führte dazu, dass grundlegende Versorgungsleistungen nur eingeschränkt zur Verfügung standen. Gerichte verhängten Todesurteile, es gab jedoch keine Hinrichtungen.

Hintergrund

Die Wirtschaftskrise im Libanon dauerte 2017 an. Dies führte im ganzen Land zu massiven Einschränkungen der Strom- und Wasserversorgung sowie anderer grundlegender Leistungen. Das gesamte Jahr über gab es Proteste und Streiks, u. a. von Richtern, Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Arbeitern, Eltern sowie von Menschen, die in der Nähe von wilden Müllkippen lebten. Die Probleme der Abfallentsorgung, die zu den größten Protesten seit Jahren geführt hatten, blieben weiterhin ungelöst.

Am 4. November 2017 erklärte Ministerpräsident Saad Hariri in einer Rede in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad seinen Rücktritt. Die näheren Umstände blieben im Dunkeln. Präsident Michel Aoun nahm das Rücktrittsgesuch nicht an.

Die libanesische Armee und die bewaffnete Gruppe Hisbollah starteten im Juli und August 2017 Militäroffensiven gegen die bewaffneten Gruppen Al-Nusra-Front und Islamischer Staat (IS) in der nordlibanesischen Stadt Arsal, die nahe der Grenze zu Syrien liegt. Ende August gewann die Armee die Kontrolle über Arsal und die umliegende Region zurück und barg die sterblichen Überreste von zehn libanesischen Soldaten, die der IS im Jahr 2014 als Geiseln genommen hatte.

Im palästinensischen Flüchtlingslager Ain el-Helweh nahe der südlibanesischen Stadt Sidon kam es zu Kämpfen zwischen dem IS bzw. IS-nahen bewaffneten Gruppen auf der einen und palästinensischen bewaffneten Gruppen und der libanesischen Armee auf der anderen Seite.

Im Juni 2017 verabschiedete das Parlament ein neues Wahlgesetz und setzte die bereits zweimal verschobene Parlamentswahl für Mai 2018 an. Das Parlament war zuletzt 2009 gewählt worden.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Aufgrund einer Entscheidung der Regierung vom Mai 2015 war es dem Amt des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) weiterhin untersagt, neu ankommende Flüchtlinge zu registrieren. 

Syrische Flüchtlinge sahen sich im Libanon nach wie vor mit finanziellen und bürokratischen Schwierigkeiten konfrontiert, wenn sie eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen oder verlängern lassen wollten. Zudem liefen sie ständig Gefahr, willkürlich festgenommen, inhaftiert oder nach Syrien abgeschoben zu werden. Von Februar 2017 an wurden syrische Flüchtlinge, die beim UNHCR registriert waren, von der Gebühr in Höhe von 300000 Libanesischen Pfund (etwa 165 Euro) für eine Aufenthaltsgenehmigung befreit. Die Ausnahmeregelung galt allerdings weder für Flüchtlinge, die nach Januar 2015 in den Libanon eingereist waren, noch für diejenigen, die ihre Aufenthaltserlaubnis verlängerten, weil sie berufstätig waren oder einen privaten Bürgen hatten. Auch palästinensische Flüchtlinge aus Syrien mussten die Gebühr bezahlen. Die zuständigen Regierungsbehörden setzten die Gebührenbefreiung nicht konsequent um, und viele Flüchtlinge konnten es sich nicht leisten, ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlängern.

Flüchtlinge aus Syrien litten 2017 unvermindert unter großen Entbehrungen. Nach UN-Angaben lebten 76 % der Haushalte unter der Armutsgrenze, und mehr als die Hälfte lebte unter unzulänglichen Bedingungen in überfüllten Gebäuden und extrem dicht besiedelten Stadtvierteln. Flüchtlinge hatten große Schwierigkeiten, Arbeit zu finden, und waren in einigen Orten von Ausgangssperren und anderen Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit betroffen. Mehrere Kommunen griffen auf Räumungsbescheide zurück, um Flüchtlinge dazu zu zwingen, sich andernorts eine Wohnung zu suchen. Insgesamt sahen sich Flüchtlinge mit einer zunehmend feindseligen und fremdenfeindlichen Stimmung im Land konfrontiert. Im März 2017 stellte die libanesische Armee Räumungsbescheide für 12665 Flüchtlinge aus, die in Lagern nahe dem Luftwaffenstützpunkt Riyak im Bekaa-Tal lebten.

Die internationale Gemeinschaft kam einem Aufruf der Vereinten Nationen zur finanziellen Unterstützung von syrischen Flüchtlingen im Libanon nicht ausreichend nach. Bis zum Jahresende waren nur 56 % der benötigten Mittel eingegangen. Die Staaten stellten weiterhin nicht genügend Aufnahmeplätze im Rahmen des Resettlement-Programms für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge bereit. 

Am 30. Juni 2017 durchsuchte die libanesische Armee zwei informelle Lager syrischer Flüchtlinge in Arsal und nahm dabei mindestens 350 Männer fest. Die meisten von ihnen kamen bald wieder frei. Es gab jedoch Berichte, wonach einige gefoltert und anderweitig misshandelt worden und vier Männer in Gewahrsam gestorben waren. Die Behörden untersuchten die Todesfälle, gaben aber keinerlei Ergebnisse bekannt. 

Von Juni bis August 2017 kehrten Tausende Flüchtlinge von Arsal nach Syrien zurück. In den meisten Fällen gingen der Rückkehr Absprachen zwischen der Hisbollah und bewaffneten Gruppen in Syrien voraus. 

Palästinensische Flüchtlinge wurden im Libanon weiterhin durch Gesetze diskriminiert, selbst wenn sie seit vielen Jahren im Land lebten. So blieb es ihnen verwehrt, Grundbesitz zu erben, staatliche Schulen zu besuchen und das Gesundheitssystem in Anspruch zu nehmen. Außerdem durften sie in mindestens 36 Berufen nicht arbeiten. Mindestens 3000 palästinensische Flüchtlinge besaßen keine amtlichen Ausweisdokumente und konnten daher weder Geburten noch Hochzeiten oder Todesfälle registrieren lassen. 

Der Libanon trat auch 2017 weder dem UN-Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) von 1951 noch dem Protokoll von 1967 bei.

Folter und andere Misshandlungen

Nachdem der Libanon im Jahr 2000 dem UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe und 2008 dem Fakultativprotokoll zu diesem Übereinkommen beigetreten war, berichtete das Land im Mai 2017 zum ersten Mal dem UN-Ausschuss gegen Folter. Am 26. Oktober 2017 trat ein neues Gesetz gegen Folter in Kraft, das die internationalen Verpflichtungen des Landes weitgehend berücksichtigte. Die Bemerkungen des UN-Ausschusses in Bezug auf Strafmaß und Verjährungsfristen in Fällen von Folter flossen allerdings nicht in das Gesetz ein. Außerdem legte das Gesetz nicht fest, dass Verfahren gegen Armeeangehörige, denen Folter zur Last gelegt wird, vor Zivilgerichten stattfinden müssen. 

Frauenrechte

Im August 2017 hob das Parlament Paragraph 522 des Strafgesetzbuchs auf. Er hatte einer Person, die wegen Entführung oder Vergewaltigung schuldig gesprochen wurde, Straffreiheit gewährt, wenn sie ihr Opfer heiratete. Dies galt auch in Fällen, in denen das Opfer der Vergewaltigung minderjährig war. Zivilgesellschaftliche Organisationen forderten weiterhin, auch die Paragraphen 505 und 518 abzuschaffen, die Eheschließungen mit Minderjährigen zwischen 15 und 18 Jahren erlauben, um einer strafrechtlichen Verfolgung bei bestimmten Straftaten zu entgehen. 

Frauenrechtsgruppen setzten sich weiterhin dafür ein, dass mit ausländischen Staatsbürgern verheiratete Frauen ihre Staatsangehörigkeit an ihre Ehemänner und Kinder weitergeben konnten. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes empfahl dies ebenfalls in seinen abschließenden Bemerkungen über den Libanon. Er forderte außerdem, die Regierung müsse die Übertragung der Staatsbürgerschaft auf Kinder sicherstellen, die sonst staatenlos wären.

Arbeitsmigrantinnen litten nach wie vor unter Diskriminierung durch Gesetze und im täglichen Leben. Ihre Rechte auf Bewegungsfreiheit, Bildung und Gesundheit waren stark eingeschränkt, das galt auch für ihr Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen

Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche wurden nach wie vor vom Inneren Sicherheitsdienst festgenommen und nach Paragraph 534 des Strafgesetzbuchs angeklagt, der sexuelle Handlungen unter Strafe stellt, „die den Gesetzen der Natur widersprechen“.

Im Mai 2017 verbot der Innere Sicherheitsdienst mehrere landesweit geplante Veranstaltungen zum Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie. Zur Begründung hieß es, nach Drohungen islamistischer Gruppen bestünden Sicherheitsbedenken.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die für Internetkriminalität und den Schutz geistigen Eigentums zuständige Abteilung des Inneren Sicherheitsdienstes verhörte weiterhin friedliche Aktivisten, die Kommentare in den sozialen Medien veröffentlicht hatten, nahm sie fest und hielt sie in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft erließ mindestens vier Haftbefehle wegen „Beleidigung des Präsidenten, der Flagge oder des Staatswappens“, „Diffamierung“ und „Beleidigung und Verleumdung“. Während ihrer mehrtägigen Untersuchungshaft hatten die meisten der Aktivisten keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand und ihren Familien.

Recht auf Gesundheit

Im August 2017 bestätigte das zuständige staatliche Aufsichtsgremium, dass in der Rafik-Hariri-Universitätsklinik in Beirut, dem größten öffentlichen Krankenhaus in der Hauptstadt, abgelaufene und gefälschte Medikamente zur Krebsbehandlung eingesetzt worden waren. Gegen die Leiterin der Krankenhausapotheke wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. 

Die Zivilgesellschaft brachte mehrere Fälle vor Gericht, in denen es um Verstöße gegen das Recht auf Gesundheit und auf sauberes Trinkwasser ging. Sie betrafen u. a. den Verkauf abgelaufener Arzneimittel in öffentlichen Krankenhäusern und die mangelnde Abfallentsorgung. Die Bemühungen waren jedoch erfolglos, weil die Urteile entweder zu spät kamen oder nicht umgesetzt wurden.

Todesstrafe

Gerichte verhängten 2017 weiterhin die Todesstrafe, es gab jedoch keine Hinrichtungen.

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