Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Sikhs: Größe der Gemeinschaft, wirtschaftliche Situation, Diskriminierungen bzw. Verfolgungshandlungen, Sicherheitslage der Sikh-Frauen, aktuelle Vorfälle [a-10661]

17. Juli 2018

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.

Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kostenfrei oder online abrufbar sind, können bei ACCORD eingesehen oder angefordert werden.

 

Größe der Sikh-Gemeinschaft

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) erwähnt in seinem im Mai 2018 veröffentlichten Bericht zur Religionsfreiheit im Jahr 2017, dass von den geschätzt 34,1 Millionen EinwohnerInnen Afghanistans die Nicht-Sunniten und Nicht-Schiiten weniger als 0,3 Prozent ausmachen würden, von denen laut Schätzungen etwa 1.300 Personen Sikhs oder Hindus seien:

„The U.S. government estimates the total population at 34.1 million (July 2017 estimate). […] Other religious groups, mainly Hindus, Sikhs, Bahais, and Christians, constitute less than 0.3 percent of the population. Sikh and Hindu leaders estimate there are 245 Sikh and Hindu families totaling 1,300 individuals in the country.” (USDOS, 29. Mai 2018, Section I)

Der afghanische Nachrichtensender Tolo News berichtet im Juni 2016 von einer Untersuchung, laut der die Zahl der Hindus und Sikhs von 220.000 in den 1980-er Jahren auf 15.000 in den 1990-er Jahren bis hinunter auf 1.350 Personen im Jahr 2016 gefallen sei:

„An investigation by Tolo News reveals that the Sikh and Hindu population number was 220,000 in the 1980's. That number dropped sharply to 15,000 when the mujahideen was in power during the 1990's and remained at that level during the Taliban regime. It is now estimated that only 1,350 Hindus and Sikhs remain in the country.” (Tolo News, 20. Juni 2016)

Der in Doha, Katar, ansässige arabische Nachrichtensender Al Jazeera schätzt die Sikh- und Hindugemeinschaft im Afghanistan der 1970-er Jahre auf 50.000 Personen. Zur momentanen Situation schreibt Al Jazeera, dass in Kabul 102 Sikh-Familien lebten, während in einst von Sikhs und Hindus besiedelten Regionen wie Jalalabad und Kandahar nur noch einige Dutzend Familien geblieben seien:

„Official census figures do not exist, but according Rawali Singh, deputy head of the Afghanistan Sikh and Hindu Community Council, about 40 years ago, an estimated 50,000 Sikh and Hindu families lived in Afghanistan. That number has shrunk to around 363 families, the vast majority of whom are Sikhs, and has steadily declined in recent years, largely due to persistent social discrimination and prejudice. In Kabul, only 102 Sikh families remained, said Rawali, and in the past year alone, more than 150 families have left Afghanistan. In other areas of the country, such as Jalalabad and Kandahar, where Afghan Sikhs once lived in large numbers, at most only a few dozen families remain.“ (Al Jazeera, 9. Jänner 2016)

In einem Artikel vom Jänner 2017 berichtet Al Jazeera, dass in den Provinzen Kabul, Nangarhar und Ghazni etwa 3.000 Hindus und Sikhs lebten:

„’There is a place in Jalalabad where it is believed Guru Nanak visited in the 15th century and is very sacred to the Sikhs in Afghanistan,’ says Rawail Singh, an Afghan Sikh civil rights activist, adding that Jalalabad, to the east of Kabul, continues to have a substantial Sikh population. […] ‘It is estimated that Hindus and Sikhs make up around 3,000 Afghans scattered across provinces of Kabul, Nangarhar and Ghazni’ says Singh.” (Al Jazeera, 1. Jänner 2017)

Rechtliche Situation und Behandlung durch staatliche Akteure

Das USDOS schreibt in dem oben zitierten Bericht, dass es nach der afghanischen Verfassung Menschen mit einem anderen Glauben als dem Islam freistünde, ihren Glauben innerhalb des gesetzlichen Rahmens auszuüben:

„The constitution establishes Islam as the state religion but stipulates followers of religions other than Islam are free to exercise their faith within the limits of the law.’” (USDOS, 29. Mai 2018, Executive Summary)

Das USDOS schreibt weiters, dass Hindu- und Sikh-Gruppen berichtet hätten, dass es ihnen möglich gewesen sei, Kultstätten zu errichten und andere Hindus und Sikhs zu Klerikern auszubilden, dass aber das Gesetz Konversion unter Strafe stelle und die Regierung ihnen das Missionieren weiterhin nicht gestattet habe:

„Hindu and Sikh groups reported they remained free to build places of worship and to train other Hindus and Sikhs to become clergy, but per the law punishing conversion, the government continued not to allow them to proselytize.” (USDOS, 29. Mai 2018, Section II)

Das unabhängige in Kabul ansässige Non-Profit-Forschungsinstitut Poresh Research and Studies Organization (PRSO) schreibt im November 2016, dass die Verfassung viele Artikel beinhalte, die Hindus und Sikhs diskriminieren würden. Artikel 3 besage, dass kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen dürfe. Artikel 35 fordere, dass die Statuten von politischen Parteien mit den Prinzipien des Islam übereinstimmen müssten. Artikel 62 besage darüber hinaus, dass das Staatsoberhaupt ein Muslim sein müsse:

„The current Constitution contains many articles that are discriminatory towards Hindus and Sikhs. Article 3 states that no law can be contrary to the beliefs and provisions of the sacred religion of Islam, while Article 35 states that the manifesto and charter of political parties should be consistent with the principles of Islam. Further, article 62 restricts the political participation of non-Muslim Afghan citizens, stipulating that any head of state must be Muslim. […]” (PRSO, 19. November 2016, S. 6)

Al Jazeera schreibt dazu in einem Artikel, dass Afghanistans Minister für Kultur und Information der Aussage zustimme, dass Minderheiten ungerecht behandelt worden seien, dass die Regierung jedoch die nötigen Schritte unternehme das Thema zu behandeln. Laut Ehsan Shayegan, einem Forscher der Poresh Research and Studies Organization, liege das Problem in der 2001 verabschiedeten Verfassung, die ein pluralistisches demokratisches System nicht unterstütze, indem z.B. in Artikel 62 Nicht-Muslime von der Präsidentschaft ausgeschlossen würden. Während die Verfassung in Artikel 22 die Gleichheit aller StaatsbürgerInnen vor dem Gesetz garantiere, widerspreche sie sich durch den Ausschluss eines Teils der Bevölkerung im Artikel 62 selbst:

Kamal Sadat, Afghanistan’s minister of culture and information, agrees that the treatment of the minority groups hasn’t been fair, but says the government is taking necessary steps to address the matter. ‘It is indeed tragic how our Hindu and Sikh brothers have been treated over the years. They’re an integral part of our history and community, and we are working to improve their conditions,’ he told Al Jazeera, adding that the government was looking into all allegations of land grabbing made by Sikhs and Hindus.

The problem, however, lies in the inadequate systems and institutions that were brought in place post-2001, according to [Ehsan] Shayegan [an Afghan researcher with Porsesh Research and Studies Organization]. ‘Our new constitution was drafted to imitate some of the best model constitutions of the world, but they are still inadequate when it comes to supporting a pluralistic system of democracy’ he says. He notes, for example, the example of Article 62 that prohibits non-Muslim Afghans from becoming president of the country. ‘The constitution guarantees equal rights to all Afghan citizens in Article 22 and then contradicts itself in Article 62 by excluding a section of the population’ Shayegan points out.” (Al Jazeera, 1. Jänner 2017)

Bezüglich Gerichtverhandlungen von Sikhs und Hindus berichtet das USDOS, dass viele Hindus und Sikhs aus Angst vor Vergeltung vermeiden würden, vor Gericht zu gehen und Konflikte eher im Rahmen von Gemeindeversammlung oder durch Schlichtung regeln würden. Nicht-Muslime würden laut Repräsentanten religiöser Minderheiten von den Gerichten nicht dieselben Rechte zuerkannt werden wie Muslimen:

„According to the Hindu and Sikh communities, their members continued to avoid settling disputes in the courts due to fear of retaliation and instead settled disputes through community councils or mediation. Representatives of minority religious groups reported a continued failure by the courts to grant non-Muslims the same rights as Muslims.” (USDOS, 29. Mai 2018, Section II)

Die Führer sowohl der Hindu- als auch der Sikh-Gemeinden hätten weiterhin über Diskriminierung, einschließlich starker Verzögerungen im Justizsystem, geklagt, so das USDOS. Die gesetzeswidrige Aneignung von Sikh-Eigentum sei weiterhin das häufigste juristische Problem geblieben:

„Leaders of both Hindu and Sikh communities continued to report discrimination, including long delays to resolve cases in the judicial system. The illegal appropriation of Sikh properties remained the most common judicial problem.” (USDOS, 29. Mai 2018, Section II)

Bezüglich der Bestattungsriten der Sikhs berichtet das USDOS, dass die Regierung zwar Land für die Einäscherung verstorbener Sikh zur Verfügung gestellt habe, religiöse Führer der Sikhs jedoch angegeben hätten, dass die Entfernung zu städtischen Gebieten und die mangelnde Sicherheit in der Region dieses Land nach wie vor unbrauchbar machen würden. Laut USDOS hätten Hindus und Sikhs bei ihren Einäscherungsriten weiterhin über Störungen von Seiten ortsansässiger Personen geklagt. Als Reaktion darauf habe die Regierung zum Schutz der Sikh- und Hindu-Gemeinden während ihrer Einäscherungsrituale polizeiliche Unterstützungsarbeit geleistet. Die Regierung habe versprochen, für die Sikh- und Hindu-Bevölkerung moderne Krematorien zu errichten:

„Although the government had provided land to use as cremation sites, Sikh leaders stated the distance from any major urban area and the lack of security in the region continued to make the land unusable. Hindus and Sikhs reported continued interference in their efforts to cremate the remains of their dead from individuals who lived near the cremation sites. In response, the government continued to provide police support to protect the Sikh and Hindu communities while they performed their cremation rituals. The government promised to construct modern crematories for the Sikh and Hindu populations.” (USDOS, 29. Mai 2018, Section II)

Das USDOS berichtet weiters, dass die sinkende Zahl der Sikhs, Hindus und anderer religiöser Minderheiten nur wenige Gebetsstätten zur Verfügung hätten. Gemäß dem Rat der Sikhs und Hindus habe es während des Berichtszeitraumes 2017 zwölf Sikh-Tempel und zwei Hindu-Tempel gegeben. Im Vergleich dazu wären es in der Vergangenheit zusammen 64 gewesen:

„According to minority religious leaders, the decreasing numbers of Sikhs, Hindus, and other religious minorities had only a few places of worship. According to the Sikh and Hindu Council, which advocates with the government on behalf of the Sikh and Hindu communities, there were 12 gurdwaras (Sikh temples) and 2 mandus (Hindu temples) remaining in the country, compared with a combined total of 64 in the past.” (USDOS, 29. Mai 2018, Section III)

Parlamentarische Mitbestimmung

Der afghanische Nachrichtensender TOLO News berichtet in einem Artikel vom Juni 2018, dass Awtar Singh (andere Transkription: Otar Singh) die afghanische Sikh- und Hindu-Gemeinschaft bei den anstehenden Wahlen vertreten werde. Er habe angegeben, dass sich die Mehrheit der Mitglieder der beiden Gemeinschaften für die Wahlen registriert habe. Gemäß dem Artikel stehe den beiden Gemeinschaften in dem 249 Sitze umfassenden parlamentarischen Unterhaus (Afghan Wolesi Jirga) ein Sitz zu. Nach Angaben der unabhängigen Wahlkommission, hätten sich mit Stand Juni 2018 über 600 Sikhs und Hindus für die Wahlen registriert:

„Otar Singh, who will represent the Afghan Sikh and Hindu community in the elections, has said the majority of Sikhs and Hindus in Afghanistan have registered to vote in the upcoming elections. He said that over 200 Sikh and Hindu families live across Afghanistan. […] The Afghan Wolesi Jirga, or lower house of parliament, has 249 seats and the Hindu and Sikh community have one seat. According to the Independent Election Commission (IEC), until now, over 600 Sikhs and Hindus have registered to vote in the elections.” (Tolo News, 5. Juni 2018)

Schikanen, Zugang zu Bildungssystem und Arbeitsmarkt

Das USDOS schreibt zum Thema Schikanen im Alltag, dass Sikhs, Hindus, Christen und andere religiöse Minderheiten von Seiten der Muslime mit Diskriminierung und Beleidigungen konfrontiert seien, wobei es Hindus und Sikhs allerdings möglich sei, ihre Religion öffentlich auszuüben. Mitglieder der Hindu-Gemeinschaft berichteten, dass das Ausmaß von Belästigungen ihnen gegenüber geringer gewesen sei als jenes der Belästigungen gegenüber den Sikh-Gemeinden, was sie dem Fehlen einer markanten Kopfbedeckung bei den männlichen Angehörigen zugeschrieben hätten:

„Sikhs, Hindus, Christians, and other non-Muslim minorities reported continued harassment from Muslims, although Hindus and Sikhs stated they continued to be able to publicly practice their religions. Members of the Hindu community continued to report they faced fewer incidents of harassment than Sikhs, which they ascribed to their lack of a distinctive male headdress.” (USDOS, 29. Mai 2018, Section III)

Das USDOS berichtet, dass Mitglieder aus Hindu und Sikh-Gemeinden ihre Kinder aufgrund der Belästigungen durch andere SchülerInnen weiterhin nicht in öffentliche Schulen geschickt hätten. In der Vergangenheit hätten sie sie zu privaten Hindu- und Sikh-Schulen gebracht, von denen es jedoch aufgrund der schwindenden Zahl von Hindus und Sikhs und deren finanziell begrenzten Möglichkeiten nur wenige gegeben habe:

„According to members of the Sikh and Hindu communities, they continued to refuse to send their children to public schools due to harassment from other students, although there were only a few private school options available to them due to the decreasing sizes of the two communities and their members’ declining economic circumstances. The Sikh and Hindu Council reported one school in Nangarhar and two schools in Kabul remained operational.” (USDOS, 29. Mai 2018, Section III)

Das USDOS gibt weiters an, dass führende Persönlichkeiten der Sikh-Gemeinschaft den Mangel an Arbeitsmöglichkeiten als Hauptgrund für die Emigration von Hindus und Sikhs sähen. Sie gaben auch an, dass Analphabetismus in Bezug auf den Zugang zum Arbeitsmarkt eine hemmende Rolle spiele. Laut Angaben der Sikh- und Hindu-Gemeinschaften würden sich mit der zunehmenden Auswanderung die wirtschaftlichen Bedingungen verschlechtern, gleichzeitig würden die Sicherheitsbedenken der Angehörigen der beiden Religionsgemeinschaften zunehmen:

„Sikh leaders reported the main cause of Hindu and Sikh emigration remained a lack of employment opportunities; they said one factor impeding their access to employment was illiteracy. Both communities stated emigration would continue to increase as economic conditions worsened and security concerns increased.” (USDOS, 29. Mai, Section III)

Das britische Innenministerium (UK Home Office) zitiert einen Bericht des auf Afghanistan spezialisierten Wissenschaftlers Antonio Giustozzi vom Februar 2015, dem zufolge Sikhs nur von Händlern und Handwerkern beschäftigt würden, die ebenfalls der Sikh-Gemeinschaft angehörten. Auch das erleichtere jedoch die Arbeitssuche nicht, da Verwandte bevorzugt würden:

„In his report of February 2015, Dr. Antonio Giustozzi stated: ‘Nobody apart from a Sikh trader or craftsman would employ any of them [i.e. members of the Sikh community] and even that would be difficult as Sikhs would prioritise their own relatives for hiring.’” (UK Home Office, Februar 2017, S. 24)

Sicherheitslage der Sikh-Gemeinschaft

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO) ist eine Agentur der Europäischen Union, die die praktische Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich fördern soll und die Mitgliedsstaaten unter anderem durch Recherche von Herkunftsländerinformation und entsprechende Publikationen unterstützt. In den im Juni 2018 erschienenen EASO-Entscheidungsrichtlinien zum Herkunftsstaat Afghanistan findet sich eine Zusammenfassung von Informationen zu den religiösen Minderheiten der Hindus und Sikhs, aus welcher hervorgeht, dass Mitglieder dieser Minderheiten gemäß der Verfassung und der Gesetze Afghanistans als zu Muslimen gleichwertige Staatsbürger anerkannt seien. Es gebe keine Informationen über Misshandlungen durch den Staat oder durch aufständische Gruppen. Mitglieder der erwähnten Minderheiten seien manchmal in Regierungsämtern tätig. Sie seien in Afghanistan allerdings gesellschaftlicher Diskriminierung, Belästigungen und in einigen Fällen gesellschaftlicher Gewalt ausgesetzt:

Under the Constitution and laws, Hindus and Sikhs are recognised and protected as equal citizens with Muslims. There is no information of mistreatment by the State or by insurgent groups. Members of these minority communities sometimes serve in the government. Hindus and Sikhs have encountered societal discrimination, harassment and some reported instances of societal violence in Afghanistan.” (EASO, Juni 2018, S. 62)

Friederike Stahlmann, Forscherin am Max Planck Institut für Sozialanthropologie in Halle (Saale), schreibt in einem Beitrag für das Asylmagazin des Informationsverbundes Asyl & Migration vom März 2017 zum Thema der Legitimation von Diskriminierung von Hindus und Sikhs Folgendes:

Diese Verquickung ethnisch-rassistischer, religiöser und politischer Frontlinien ist Teil einer schon lange währenden Hasspropaganda, die einzelne Gruppierungen zu politischen Feinden erklärt, damit auch Übergriffe im Alltag provoziert und legitimiert und alltägliche Gewalt zwischen Gruppen sowie gegen Minderheiten eskalieren lässt. Ein ähnliches Muster findet sich in den Bedrohungen, denen Sikhs und Hindus in Afghanistan ausgesetzt sind. Auch sie werden nicht nur als religiöse Minderheit verfolgt, sondern als angebliche ‚Inder‘ auch zu ‚illegitimen Ausländern‘ und zu Feinden all derer deklariert, die politisch dem mit Indien verfeindeten Pakistan nahestehen. Auch hier spiegelt sich die aktuelle Eskalation zwischen Pakistan und Afghanistan im Zuge der zunehmenden Annäherung zwischen Afghanistan und Indien in einer Zunahme alltäglicher Übergriffe wider. Praktisch bedeutet das zum Beispiel nicht nur, dass der Staat auf internationalen Druck hin eine Grundschule für Sikhs einrichten musste, weil deren Kinder in regulären Schulen von ihren Mitschülern zu oft schwer misshandelt worden waren. Inzwischen bedeutet es auch, dass viele Sikh-Eltern sich nicht mehr trauen, ihre Kinder in diese Schule zu bringen, weil der Schulweg ein zu großes Sicherheitsrisiko darstellt.“ (Stahlmann, März 2017, S. 84)

Die Autorin schreibt über Anschläge auf Sikhs im Alltag und zu deren Berichterstattung:

„Die Gefahr, die sich über diese Art komplexer Feindbilder begründet, zeigt sich so nicht allein an den vergleichsweise gut dokumentierten Opfern großangelegter Anschläge in Kabul. Sehr viel weniger statistische und mediale Aufmerksamkeit finden die regelmäßigen Übergriffe im Alltag, auf dem Weg zur Arbeit, beim Einkaufen, im Hamam oder in der Schule. Selbst tödliche Übergriffe auf Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten oder auch auf Rückkehrende aus dem Iran oder Europa sind zum Alltag geworden. Befreundete Personen aus Afghanistan berichten mir fast täglich von derlei Übergriffen. Im Hinblick auf die Medien führt das geringe Interesse an Alltäglichem jedoch zu systematischer Unterberichterstattung. Für die Opfer wiederum ergibt die Veröffentlichung und Meldung nur dann Sinn, wenn sie darauf hoffen können, bei den jeweiligen Sicherheitsorganen Schutz zu finden. Das ist bei lokalen Minderheiten nicht nur aufgrund des Rassismus in den staatlichen Institutionen unwahrscheinlich. Es liegt auch daran, dass z. B. die Polizei in der Regel keinerlei Schutzfunktion im Inneren übernimmt, sondern fast ausschließlich zur äußeren Gefahrenabwehr eingesetzt wird. Relativer Schutz besteht so nur für jene, die zu der lokalen Mehrheitsbevölkerung gehören, falls diese auch die machthabende Elite stellt und so örtlich begrenzt ein gewisses Maß an Abschreckung bieten kann. Die zunehmende ethnische Segregation in Städten wie Kabul ist eine Konsequenz hieraus. Eine andere ist, dass Verfolgte oder Bedrohte nicht in Gebieten Zuflucht finden können, die von einer fremden Mehrheit dominiert werden.“ (Stahlmann, März 2017, S. 84)

Stahlmann berichtet über die Rolle, die ökonomische Macht im Zusammenhang von Diskriminierung und Straffreiheit spiele:

Eine Konsequenz aus der fehlenden sozialen Kontrolle ist, dass Kriminalität im Alltag auch bei privaten Akteuren nicht sanktioniert wird, solange nur die Vermutung besteht, dass der Täter Beziehungen oder Ressourcen hat, die ihn vor Sanktionierung schützen könnten. Opfer finden sich somit landesweit und in allen gesellschaftlichen Schichten, aber insbesondere unter jenen, von denen bekannt ist, dass sie über keine einflussreichen Kontakte verfügen, die dabei helfen könnten, sich zu wehren oder ihre Rechte zu verteidigen. Dies gilt für lokale Minderheiten wie Paschtunen unter Hazara in Bamyan oder Sikhs in Kabul.“ (Stahlmann, März 2017, S. 86)

Stahlmann schreibt in einem im März 2018 herausgegebenen Gutachten zu Afghanistan unter Verweis auf verschiedene Quellen (Rana/Times of India 03.10.2015, Shalizi/Reuters 22.06.2016, Singh 26.04.2017) das Folgende über den hohen Grad an willkürlicher Gewalt im Land:

„Zum einen birgt [die willkürliche Gewalt] die spezifische Gefahr, dass Minderheiten entlang ethnischer, religiöser oder parteiischer Konfliktlinien der Schutz durch Sicherheitskräfte verweigert wird oder sie explizit verfolgt werden. Prominentes Beispiel hierfür wären Hindus und Sikhs, von denen bekannt ist, dass sie keinerlei machtvolle politische oder militärische Vertretung haben und damit überall im Land schutzlos jeder Form von Kriminalität und religiös wie politisch motivierten Übergriffen ausgesetzt sind.“ (Stahlmann, 28. März 2018, S. 119)

Stahlmann zitiert im Folgenden eine Aussage des Vizepräsidenten der afghanischen Sikhs:

„Rawail Singh, der Vizepräsident der afghanischen Sikh- und Hindugemeinschaft, betont die Gefahren, die dieser fehlende politische Schutz für den Versuch Übergriffe und Verfolgungsakte zu melden, bedeutet : ‘The experience of the last years [...] taught us, that seeking help from the police in cases of threats, assaults and even murder is not only in vain but also dangerous. As Sikhs and Hindus, we not only face the usual problem of corruption. It is also well known among state officials, that we do not enjoy the powerful high-ranking support one would need to pursue one’s claims and defend one’s rights. We also had to learn that we are dismissed and discriminated against on religious and political grounds by state officials. Where we tried to seek help in situations of immediate danger, we were told to go ‘where we came from’, that ‘ kafirs ’ had no rights in a Muslim country and should be grateful to be alive, and members of our community have been beaten up and threatened with further violence by state officials.’” (Singh, 26.04.2017, zitiert in Stahlmann, 28. März 2018, S. 191)

In einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juni 2018 wird eine gutachterliche Stellungnahme des länderkundlichen Sachverständigen Dr. Sarajuddin Rasuly vom November 2016 zur allgemeinen Lage der Sikhs und Hindus in Afghanistan zitiert, die unter anderem folgenden Absatz zur Sicherheitslage enthält:

„Nach meiner Telefoninformation aus Afghanistan werden die Sikhs zwar nicht von den Taliban als Zielgruppe auf ihren Reisewegen angegriffen, aber die neue Terrorgruppe, nämlich Daesh, töten die Sikhs, auch ihre Frauen und Kinder, wenn sie diese auf den Hauptstraßen erwischen.“ (BVwG, 15. Juni 2018)

In einem Artikel der internationalen Nachrichtenagentur Reuters vom Juni 2016 findet sich eine Stellungnahme von Awtar Singh, dem Vorsitzenden des Nationalen Rates der Hindus und Sikhs, zur Situation der beiden Gemeinschaften in Afghanistan. Singh stellt fest, dass sich die Situation der Hindus und Sikh verschlechtert habe, verglichen zu früheren Zeiten, in denen sie als Afghanen und nicht als Außenseiter behandelt worden seien. Ihr Land sei von mächtigen Regierungsmitgliedern, insbesondere von Warlords, eingenommen worden. Sie seien mit Bedrohungen konfrontiert, und die bereits kleine Sikh- und Hindu-Gemeinschaft verkleinere sich weiter. In der Vorwoche (13.-19. Juni 2016) hätten Dutzende von Hindu- und Sikh-Familien die Provinz Helmand verlassen, in der Taliban-Aufständische, die in weiten Teilen der südlichen Provinz präsent sind, einen Brief verschickt hätten, in dem sie 200.000 Afghani ($2.800) pro Monat von der Gemeinde forderten:

’The good old days have long gone when we were treated as Afghans, not as outsiders,’ Avtar Singh said from a temple in Kabul, all the while keeping an eye on visitors using monitors linked to security cameras. ‘Our lands have been taken by powerful figures in the government, especially by the warlords. We are facing threats, and this small community is getting smaller and smaller every day,’ he added. Last week, dozens of Hindu and Sikh families left Helmand, where Taliban insurgents, who have a presence in much of the southern province, sent a letter demanding 200,000 Afghani ($2,800) a month from the community.” (Reuters, 23. Juni 2016)

Der Artikel zitiert weiters eine Stellungnahme von Dahi-ul Haq Abid, dem stellvertretenden Minister für Hadsch und religiöse Angelegenheiten, in der dieser angibt, dass die Regierung ihr Möglichstes getan habe um die Situation der Hindus und der Sikhs zu verbessern. Laut der Stellungnahme gesteht er ein, dass die Gemeinschaft durch Konflikte aus dem Land gedrängt worden sei, meint jedoch, dass deren Situation nicht so schlecht sei, wie behauptet:

Dahi-ul Haq Abid, deputy minister for Haj and religious affairs, said the government had done what it could to improve the livelihood of Hindus and Sikhs. ‘We agree that conflicts pushed them out of the country, but their condition is not as bad as they claim,’ Abid added.” (Reuters, 23. Juni 2016)

In einem Artikel der österreichischen Tageszeitung Wiener Zeitung vom November 2017, der die Sicherheitslage der Sikhs in Afghanistan beschreibt, kommt Awtar Singh abermals zu Wort:

„In seinem Büro hinter dem Gebetssaal des Daramsals erzählt Avtar Singh seine Sorgen vor der Zukunft. ‚Ich selbst habe zwei Brüder verloren. Die Leute tun so, als wäre der Konflikt zwischen Religionsgemeinschaften etwas Neues. Aber es gab schon immer Hass.‘ Trotzdem behauptet Awtar Singh, dass die Lage der Hindus und Sikhs so schlecht sei wie noch nie. ‚Weil viele fliehen, werden wir zu einer noch kleineren Minderheit. Das heißt, dass wir in einem korrupten und umkämpften Land eine noch geringere Bedeutung haben. So interessieren sich weniger Menschen für unser Wohl und es kümmert sich keiner um den Schutz, den wir so bitter nötig haben.‘

Es ist ein Teufelskreis. Denn es ist leicht, einer so kleinen Minderheit die Legitimation der nationalen Zugehörigkeit abzusprechen. Nach der von den USA angeführten Militärintervention ab 2001, als Hamid Karzai Präsident wurde, ging es den Gemeinden besser. Karzai hatte durchgesetzt, dass Minderheiten in Afghanistan eine feste Vertretung im Parlament bekamen, um die Interessen aller Ethnien und Religionen der pluralistischen Gesellschaft abzubilden. Mit der Armut und Korruption aber kehrten schnell die Spannungen zwischen den verschiedenen Gesellschaftsteilen zurück. Vor allem die Sikhs waren ein leichtes Ziel, waren und sind sie bereits optisch im öffentlichen Leben auffällig. Schließlich tragen die Frauen kein verhüllendes Kopftuch, hingegen die Männer einen Turban. ‚Ich behaupte, dass es mir unter den Taliban besser ging als heute. Damals herrschte Ordnung. Wir haben Schutzgeld bezahlt, und damit war es gut‘, sagt Awtar Singh. ‚Als ich einmal während der Taliban von einem Mitbürger bedroht wurde, schritt ein junger Talib ein. Er hielt meinem potenziellen Peiniger ein Gewehr an den Kopf und sagte: ,Lass ihn in Ruhe, er ist Afghane, so wie Du!‘‘“ (Wiener Zeitung, 3. November 2017)

In den Medien berichtete Vorfälle seit September 2016

Der vom US-Kongress finanzierte Rundfunkveranstalter Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) berichtet in einem Artikel vom 1. Juli 2018 über einen am selben Tag verübten Selbstmordanschlag auf eine Gruppe von Hindus und Sikhs, die auf ihrem Weg zu einem geplanten Treffen mit dem afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani in der östlichen Provinz Nangarhar gewesen seien. Bei dem Bombenanschlag seien 19 Personen getötet worden, von denen 17 der Sikh- und Hindu-Gemeinschaft angehört hätten. Laut dem Sprecher des Krankenhauses in Nangarhar seien zumindest zehn der 20 Verwundeten, von denen einige in einem kritischen Zustand seien, ebenfalls Angehörige dieser Gemeinschaft:

Afghan officials say at least 19 people were killed when a suicide bomber targeted a group of Hindus and Sikhs on their way to meet the country’s president in the eastern province on Nangarhar. Nangarhar health officials said that 17 out of 19 dead in the July 1 attack are from the minority Hindu and Sikh community. Inamullah Miakhail, spokesman for the provincial hospital in Nangarhar, said that at least 10 of the 20 wounded were also from the same minority community. They are receiving medical treatment in at a hospital in the provincial capital, Jalalabad, he added. Officials say some of the wounded are in critical condition.” (RFE/RL, 1. Juli 2018)

BBC berichtet über denselben Anschlag und schreibt, dass er sich in Jalalabad, der Hauptstadt der Provinz Nangarhar, ereignet habe. Es seien 19 Menschen getötet worden, von diesen sien die meisten Mitglieder der Sikh-Gemeinschaft gewesen. Darüber hinaus sei unter den Getöteten auch [der in dieser Anfragebeantwortung bereits mehrfach erwähnte] Awtar Singh Khalsa gewesen, der einzige Sikh-Kandidat bei den für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen. Der Islamische Staat habe sich zu dem Anschlag bekannt, habe dafür aber keine Beweise vorgebracht:

A suicide bombing in the eastern Afghan city of Jalalabad has killed at least 19 people, most of them members of the country's Sikh minority. Police said they had been travelling in a vehicle to meet President Ashraf Ghani, who is visiting Nangarhar province, when the bomber struck. Among those killed was the only Sikh candidate who had planned to contest October's parliamentary elections. The Islamic State (IS) group said it carried out the attack. […] Nangarhar health director Najibullah Kamawal told AFP news agency that 17 of the dead were Sikhs and Hindus. Another 20 people were wounded, he added. […] IS said on its Amaq news agency that it had carried out the attack although it gave no evidence for the claim. […] The Indian embassy in Kabul condemned the ’cowardly terrorist’ attack. It confirmed that Awtar Singh Khalsa, the only Sikh candidate running in the 20 October elections, was among the dead.” (BBC, 1. Juli 2018)

Das Institute for War and Peace Reporting (IWPR), ein in London ansässiges internationales Netzwerk zur Förderung freier Medien, berichtet am 5. Juli 2018 über dasselbe Ereignis und schreibt, dass bei dem Anschlag 17 Personen getötet und sieben weitere verletzt worden seien. Zwei Überlebende des Anschlages, die in dem Artikel zitiert werden, gaben an, dass die Gruppe unmittelbar nach dem Anschlag keine Hilfe erhalten habe. Einer der beiden meinte, dass die Soldaten nur zugesehen hätten, während die Betroffenen in Flammen standen. Der andere gab an, dass die Polizei nicht einmal anderen Personen gestattet habe, helfend einzugreifen.

Narinder Singh, der Sohn von Awtar Singh, habe die Regierung dazu aufgerufen, ausführlich zu untersuchen, wie es einem Selbstmordattentäter trotz zahlreicher Checkpoints und scharfen Sicherheitsvorkehrungen habe gelingen können, an den Ort des Anschlages zu gelangen. Er sagte, dass die Gemeinschaft bei diesem Anschlag alle ihre „Ältesten“ verloren habe und sie in Afghanistan nun keine Führer mehr hätten:

Afghanistan’s tiny community of Hindus and Sikhs have been questioning their future in the country after a suicide attacker targeted a group of dignitaries travelling to meet President Ashraf Ghani in the eastern province of Nangarhar. The Islamic State (IS) claimed responsibility for the July 1 attack in which 17 people were killed and seven more injured. Among the dead was Awtar Singh Khalsa, the only Sikh candidate in the upcoming parliamentary elections. One survivor, Gorbit Singh, said that he had been among some 25 Hindu and Sikh representatives due to meet the president at the governor’s office that morning to discuss community concerns. That meeting had been cancelled, and they were asked to return at 3.30 pm. ‘When we got together once again later, we were attacked,’ he said. ‘The soldiers just watched while our friends were burning. They didn’t help us with medical evacuation.’ Another delegate, Guljit Singh, from the Khogyani district of Nangarhar province, also criticised the security services for their response. ’Our friends were in flames, but no one came to help,’ he said. ‘The police did not even not allow other civilians to lend a helping hand.’ Awtar Singh’s son Narinder Singh called for a rigorous government investigation into how a suicide bomber had managed to reach the site of the attack despite numerous checkpoints and the tight security measures in place that day. ‘We lost all our elders in this incident, and we don’t have any leaders in Afghanistan now,’ he said, adding that if the perpetrators were not arrested, the community would launch a series of public demonstrations.” (IWPR, 5. Juli 2018)

In einem Artikel der englischsprachigen indischen Tageszeitung The Times of India (TOI) vom 3. Juli 2018 findet der Vorfall ebenfalls Erwähnung. Harnam Singh, der Präsident des Sikh-Seminares Dadami Taksal, fordert darin die Vereinten Nationen zu einer Intervention zum Schutz der Sikh- und Hindu-Gemeinschaft in Afghanistan auf und bittet, dass die Vereinten Nationen zur Kenntnis nehmen mögen, dass bei dem Selbstmordanschlag in Jalalabad beinahe die gesamte Führungsriege der Sikhs und Hindus getötet worden sei:

Seeking UN intervention for the security of Sikhs and Hindus living in Afghanistan, Harnam Singh, the president of prominent Sikh seminary Dadami Taksal, resented the non-granting of Indian citizenship to any Sikh or Hindu Afghan national who have been residing in India for over two decades. ‘UN should take cognizance of killing of almost entire Sikh and Hindu leadership in the suicide bombing in Jalalabad and should immediately intervene to ensure their security’ said Harnam Singh while talking to TOI on Tuesday.” (TOI, 3. Juli 2018)

RFE/RL berichtet im Dezember 2016 von zwei Vorfällen, bei denen Sikhs getötet worden seien: Am 29. Dezember 2016 sei Narmang Singh, ein lokaler Gemeindeführer der Sikhs und Geschäftsinhaber, der auch als Dilsoz bekannt gewesen sei, auf dem Weg in die Arbeit in der Stadt Kundus erschossen worden. Drei Verdächtige seien laut Polizeiangaben festgenommen worden. Am 30. September 2016 sei ein Sikh in Jalalabad von zu Hause entführt und später erschossen worden:

„Sikh and Hindu communities in Afghanistan have demanded authorities investigate attacks against members of their communities, after a local Sikh community leader was shot dead in the northern city of Kunduz. Narmang Singh, a shopkeeker also known as Dilsoz, was killed by gunmen on his way to work on December 29, the second deadly attack against members of the Sikh community in Afghanistan since September. […] Police in Kunduz say three suspects were arrested in connection with Singh’s killing.

On September 30, a Sikh man was abducted from his home and shot dead by suspected militants in the eastern city of Jalalabad. The killing sparked protests by the Sikh community.” (RFE/RL, 30. Dezember 2016)

Zu dem oben erwähnten Mord in Jalalabad berichtet auch die indische Nachrichtenagentur Press Trust of India (PTI), die Quelle nennt allerdings als Datum des Vorfalls Samstag, den 1. Oktober 2016. Der in Jalalabad lebende Sikh Sardar Rawail Singh sei von zu Hause entführt und von Kämpfern in Militäruniform in Khalis Famil in der Provinz Nangarhar erschossen worden:

A Sikh man was abducted from his home and gunned down by suspected militants in Afghanistan's restive Nangarhar province bordering Pakistan, a media report said today. Sardar Rawail Singh, who lived in Jalalabad, was abducted from his house yesterday morning by militants wearing military fatigues and killed in Khalis Famil area. […] The insurgents abducted Singh from his home at about 7:20 AM (local time) yesterday and gunned him down at Khalis Famil area, provincial governor's spokesman Attaullah Khogyani was quoted as saying by Pajhwok Afghan News.

Rawinder, one of the protesters, said Singh had a dispute with his neighbour on Friday. Next morning, the neighbour came along with some gunmen and abducted Singh from his home before killing him, he said, adding that Singh had invited his friends for a party at his home when his neighbour objected.” (PTI, 2. Oktober 2016)

Zum oben erwähnten Mord am Führer einer Sikh-Gemeinde in Kunduz berichten auch Tolo News (Tolo News, 29. Dezember 2016) und die in Indien ansässige Nachrichtenagentur Asian News International (ANI). Laut ANI würden die Taliban verdächtigt Lala Del Souz auf Geheiß von Pakistan getötet zu haben. Er sei am 29. Dezember 2016 auf dem Weg zu seinem Geschäft gewesen, als ein bewaffneter Mann auf ihn schoss. Del Souz sei laut Verwandten bereits fünf Jahre zuvor angeschossen worden und habe den Angriff damals überlebt:

„The Taliban at the behest of Pakistan is suspected to have killed Lala Del Souz, a leader of the minority Sikh community in Kunduz city of Afghanistan. Del Souz, a naturopath, was reportedly on his way to his shop in the Haji Gulistan Kochi Haman area on the morning of December 29 when gunmen fired at him. He died from his injuries while being taken to hospital. According to the relatives of the deceased, he had been shot five years ago but survived the attack. […]” (ANI, 2. Jänner 2017)

Es konnten im Zeitraum September 2016 bis Juli 2018 keine weiteren Vorfälle gefunden werden.

Frauen

Die vom Bundesverwaltungsgericht zitierte gutachterliche Stellungnahme von Dr. Sarajuddin Rasuly vom November 2016 enthält einen Absatz zur Lage der Sikh-Frauen in Afghanistan:

„[Die Sikh-Frauen] müssen sich seit Beginn der Herrschaft der Fundamentalisten, seit 1992 bis zur Gegenwart, wie die muslimische Frauen größere Kopftücher und Körperbedeckung tragen und sie gehen ohne männliche Begleitung nicht aus ihren Häusern. Wenn sie sich auf die traditionelle Gebiete, außerhalb der Großstädte, begeben, tragen sie teilweise auch Burqa, damit sie nicht angepöbelt und beschimpft werden. Außerhalb der Großstädte sind die Sikhs-Frauen derselben strengen Regeln verpflichtet, wie die muslimischen Frauen, sie in der Öffentlichkeit erscheinen.“ (BVwG, 15. Juni 2018)

Das britische Innenministerium (UK Home Office) zitiert in seinem Bericht vom Februar 2017 einen Bericht von Dr. Antonio Giustozzi, der mit 28. Februar 2015 datiert ist. Giustozzi schreibt in dem Bericht, dass die Sikh-Gemeinschaft fürchte, dass Frauen, die ihre Sikh-Bekleidung tragen, belästigt werden könnten, da diese nicht dem strengen islamischen Dresscode entspreche. Für Sikh-Männer sei es heutzutage undenkbar, dass sich ein weibliches Familienmitglied unbegleitet außerhalb des Hauses aufhalte:

In a report of February 2015, Dr. Antonio Giustozzi stated, ‘They [the Sikh community] fear that a woman dressed as a Sikh could be harassed because of not meeting Islamic strictures concerning the dress code. It would be unthinkable today for a Sikh man to let a female member of his family travel outside the family home alone.’” (UK Home Office, Februar 2017, S. 27)

In einem Artikel der englischsprachigen indischen Tageszeitung Hindustan Times vom August 2014 finden sich Informationen zu Frauen und Kindern der Sikhs. Über die Sikh-Frauen stellt der Artikel fest, dass diese nicht außer Haus gehen würden, da sie beleidigt und ausgelacht würden:

Both the minority communities have been facing discrimination at the hands of the majority Muslim community. Sikh children are not allowed to go to the schools and if they dare to, they are bullied and beaten up. Also there have been some incidents where Muslim kids have cut their hair. The Sikh women do not go out of their homes because they are insulted and laughed at.” (Hindustan Times, 22. August 2014)

Das USDOS erwähnt in seinem Bericht, dass Frauen verschiedener religiöser Zugehörigkeiten über Belästigungen durch muslimische religiöse Führer auf Grund ihrer Kleidung berichtet hätten. Als Folge dessen hätten die Frauen laut eigenen Angaben in ländlichen Gebieten und in einigen urbanen Gebieten – einschließlich Kabul - in der Öffentlichkeit weiterhin Burkas getragen. Fast alle Frauen hätten berichtet, irgendeine Form von Kopfbedeckung zu tragen. Einige Frauen hätten gesagt, dass sie dies aus persönlicher Überzeugung tun würden. Viele hätten jedoch angegeben, es auf Grund von gesellschaftlichem Druck zu tun, und um Belästigungen zu entgehen und ihre eigene Sicherheit in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Das Ministerium für Hadsch und religiöse Angelegenheiten (MOHRA) und der Nationale Ulema-Rat hätten angegeben, dass es bezüglich der Kleidung keinen Druck von offizieller Seite auf Frauen gebe:

„Women of several different faiths, including Islam, reported harassment from local Muslim religious leaders over their attire. As a result, the women said, they continued to wear burqas in public in rural areas and in some urban areas, including Kabul. Almost all women reported wearing some form of head covering. Some women said they did so by personal choice, but many said they did so due to societal pressure and a desire to avoid harassment and increase their security in public. MOHRA and the National Ulema Council both continued to state there was no official pressure on women regarding their attire.” (USDOS, 29. Mai 2018, Section III)

Die staatliche US-amerikanische Kommission für Internationale Religionsfreiheit (US Commission on International Religious Freedom, USCIRF), eine staatliche Körperschaft zur Beobachtung des Zustands der Meinungs- und Gewissens-, sowie der Religions- und Glaubensfreiheit im Ausland, schreibt in ihrem im April 2017 veröffentlichten Jahresbericht zur Religionsfreiheit (Beobachtungszeitraum Jänner 2016 bis Februar 2017), dass Frauen in Afghanistan in Gebieten unter Kontrolle der Taliban gezwungen würden, eine Burka zu tragen. 7/8 In Gebieten, die unter Kontrolle der Regierung seien, seien Frauen aufgrund von gesellschaftlichen Normen, die oft von Geistlichen durchgesetzt würden, mit Einschränkungen bezüglich ihrer Kleidung konfrontiert. Nichtmuslimische Frauen würden berichten, sie fühlten sich genötigt, Burkas oder andere Gesichtsschleier zu tragen:

 

„In Taliban-controlled areas, women are prohibited from working, attending school, or leaving their homes unless accompanied by a close male relative, and are forced to wear the burqa. […] In Afghan government-controlled areas, due to societal norms often enforced by religious clerics at the local level, women and girls often face discrimination, violence, harassment, forced marriages, prohibitions on working or studying outside the home, and restrictions on how they dress. Women and girls often do not report crimes committed against them. Non-Muslim women report they feel compelled to wear burqas or other face veils.” (USCIRF, 26. April 2017, S. 122-123)

In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten keine weiteren Informationen zu Sikh-Frauen gefunden werden.

 

image001.gif 

 

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 17. Juli 2018)

·      Al Jazeera: Inside the little-known kitchen of Afghanistan's Sikhs, 9. Jänner 2016
http://www.aljazeera.com/programmes/ajeats/2016/01/afghanistan-sikhs-160104170656660.html

·      Al Jazeera: The decline of Afghanistan's Hindu and Sikh communities, 1. Jänner 2017
http://www.aljazeera.com/indepth/features/2016/12/decline-afghanistan-hindu-sikh-communities-161225082540860.html

·      ANI: Pak backed Taliban behind killing of Sikh community leader in Afghanistan, 2. Jänner 2017
http://www.aninews.in/newsdetail-MTY/MjkzNzQ2/pak-backed-taliban-behind-killing-of-sikh-community-leader-in-afghanistan.html

·      BBC News: Afghanistan blast: Sikhs among 19 dead in Jalalabad suicide attack, 1. Juli 2018
https://www.bbc.co.uk/news/world-asia-44677823

·      BVwG - Bundesverwaltungsgericht: W151 2116977-1, 15. Juni 2018
https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bvwg/BVWGT_20180615_W151_2116977_1_00/BVWGT_20180615_W151_2116977_1_00.html

·      EASO – European Asylum Support Office: Country Guidance: Afghanistan; Guidance note and common analysis, Juni 2018
https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/easo-country-guidance-afghanistan-2018.pdf

·      Hindustan Times, ‘Dark days continue for Sikhs and Hindus in Afghanistan’, 22 August 2014
http://www.hindustantimes.com/chandigarh/dark-days-continue-for-sikhs-and-hindus-in-afghanistan/story-6SSLOpBTjGbZVCuWaByyIO.html

·      IWPR – Institute for War and Peace Reporting: Afghan Sikhs Hit By Suicide Attack, 5. Juli 2018
https://www.ecoi.net/de/dokument/1437639.html

·      PRSO - Poresh Research & Studies Organization: Ignored Identities (The Status of Hindus and Sikhs in Afghanistan’s Legal System), 19. November 2016
http://www.porseshresearch.org/porseshv2/wp-content/uploads/2016/11/Ignored-

Identities-Status-of-Hindus-and-Sikhs-in-Afghanistans-Legal-System.pdf

·      PTI - Press Trust of India: Sikh man shot dead in Afghanistan, 2. Oktober 2016 (veröffentlicht in India Today)
http://indiatoday.intoday.in/story/sikh-man-shot-dead-in-afghanistan/1/778355.html

·      Reuters: Afghanistan's dwindling Sikh, Hindu communities flee new abuses, 23. Juni 2016
https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-minority/afghanistans-dwindling-sikh-hindu-communities-flee-new-abuses-idUSKCN0Z82SL

·      RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty: Afghanistan’s Sikh, Hindu Minorities Demand Probe Into Sikh Killing, 30. Dezember 2016
http://www.ecoi.net/local_link/334260/475984_de.html

·      RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty: Suicide Attacker Targets Hindus, Sikhs In Eastern Afghanistan, 1. Juli 2018
https://www.ecoi.net/de/dokument/1437288.html

·      Stahlmann, Friederike: Bedrohungen im sozialen Alltag Afghanistans. In: Beiträge aus dem Asylmagazin 3/2017: Themenschwerpunkt Afghanistan (herausgegeben von Informationsverbund Asyl und Migration), März 2017
http://www.ecoi.net/file_upload/6_1495100812_am17-3-thema-afghanistan.pdf

·      Stahlmann, Friederike: Gutachten Afghanistan, Geschäftszeichen: 7 K 1757/16.WI.A, 28. März 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/1431611/90_1527075858_gutachten-afghanistan-stahlmann-28-03-2018.pdf

·      TOI – Times of India: Sikh body seeks UN intervention for security of Sikh and Hindus of Afghanistan, 3. Juli 2018
http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/64844331.cms?utm_source=contentofinterest&utm_medium=text&utm_campaign=cppst

·      Tolo News: Nearly 99% Of Hindus, Sikhs Left Afghanistan in Last Three decades, 20. Juni 2016
http://www.tolonews.com/afghanistan/nearly-99-hindus-sikhs-left-afghanistan-last-three-decades

·      Tolo News: Unknown Gunmen Kill Head Of Sikh Community In Kunduz, 29. Dezember 2016
http://www.tolonews.com/node/30411

·      Tolo News: Afghan Sikh Minority Prepares for Elections, 5. Juni 2018
https://www.tolonews.com/elections-2018/afghan-sikh-minority-prepares-elections

·      UK Home Office: Country Policy and Information Note Afghanistan: Hindus and Sikhs, Februar 2017
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1486721358_afg-sikhs-and-hindus-cpin-v3-1-february-2017.pdf

·      USDOS – US Department of State: 2017 Report on International Religious Freedom - Afghanistan, 29. Mai 2018
https://www.ecoi.net/de/dokument/1436774.html

·      USCIRF – US Commission on International Religious Freedom: United States Commission on International Religious Freedom 2017 Annual Report; 2017 Country Reports: Tier 2 Countries: Afghanistan, 26. April 2017
https://www.ecoi.net/en/file/local/1408358/5250_1494407455_afghanistan-2017.pdf

·      Wiener Zeitung: Geächtete Hindus und Sikhs, 3. November 2017
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/926684_Geaechtete-Hindus-und-Sikhs.html